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Gedenktag für die Opfer des Holocausts, Gedenken an die Bombardierung Dresdens, Gedenktag der Kriminalitätsopfer, Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung, Tag der Wohnungslosen, Volkstrauertag: Die Liste der Opfergruppen und der öffentlich begangenen Gedenkstunden wird immer länger, und auch »Täter« wollen nun »Opfer« sein, wie im Historikerstreit zum ersten Mal deutlich wurde. Doch wie konnte es dazu kommen, dass solche grotesken Phänomene wie Opferstolz, Opferkonkurrenz und gar Opferneid um sich greifen? Fernab aller Schlussstrichdebatten erörtert Daniele Giglioli, wie sich die…mehr

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Produktbeschreibung
Gedenktag für die Opfer des Holocausts, Gedenken an die Bombardierung Dresdens, Gedenktag der Kriminalitätsopfer, Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung, Tag der Wohnungslosen, Volkstrauertag: Die Liste der Opfergruppen und der öffentlich begangenen Gedenkstunden wird immer länger, und auch »Täter« wollen nun »Opfer« sein, wie im Historikerstreit zum ersten Mal deutlich wurde. Doch wie konnte es dazu kommen, dass solche grotesken Phänomene wie Opferstolz, Opferkonkurrenz und gar Opferneid um sich greifen? Fernab aller Schlussstrichdebatten erörtert Daniele Giglioli, wie sich die Opferrolle in der gesellschaftlichen Diskussion zu einer politischen Trumpfkarte und entscheidenden Ressource gewandelt hat, mit der Identitätskollektive um Anerkennung und Reparationen kämpfen. Giglioli zeigt auf, welche fatale Dynamik eine Gesellschaft erfasst, die sich bald vollständig in Schuldige und Unschuldige teilt und in der das vergangene Leid erinnert werden muss. Ein ebenso überfälliger wie provokanter Debattenanstoß von bohrender Exaktheit, eine scharfsinnige Kritik der Opferfalle, die nicht zuletzt den Opfern selbst schadet.

Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.

Autorenporträt
Daniele Giglioli ist Dozent für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Bergamo und schreibt für die Zeitung Corriere della Sera. Max Henniger ist Übersetzer, Autor und Herausgeber und lebt in Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension

Der italienische Literaturwissenschaftler Daniele Giglioli beschreibt in "Die Opferfalle" auf den Schultern der Poststrukturalisten den Diskurs des Opfers in der Gegenwart, erklärt Henryk M. Broder. Das Opfer zu sein ist keine rein nachteilige Rolle, weil es im gleichen Zuge von der eigenen Schuld zu befreien scheint, was für den Rezensenten am Beispiel der kollektiven Selbstabsolution der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg als Opfer der Diktatur leicht anschaulich wird. Leider führt Giglioli seine eigene Dekonstruktion des Opfer-Begriffs so weit, dass er Täter und Opfer letztendlich nicht mehr auseinander halten kann - selbst wo echte Unterschiede existieren und bedeutsam sind, bedauert Broder.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.2016

Beschworene Wunden
Daniele Gigliolis Essay über die "Opferfalle"

Wer sich als Opfer darstellt, entzieht sich teilweise der Kritik seines Handelns. Sein Selbstverständnis wird bestimmt von dem, was ihm angetan worden ist. Er beruft sich nicht auf Autonomie, die Fähigkeit, selbst zu entscheiden, sondern auf Authentizität. Je schwerer es fällt, in politischen und sozialen Konflikten zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit zu unterscheiden, desto größer ist die Versuchung, als Opfer aufzutreten oder sich auf deren Seite zu schlagen.

Das notwendige Gedenken vergangenen Unrechts wird, so die These des Literaturwissenschaftlers Daniele Giglioli in seinem Essay "Die Opferfalle", oftmals zum Ritual, das den Blick in die Zukunft versperrt. An die Stelle vernünftiger Diskurse trete dann die Konkurrenz wirklicher oder auch vermeintlicher Opfer. Giglioli geht es nicht um eine anthropologische oder psychologische Kritik einer ubiquitären Opferideologie, sondern darum, die historische Situation zu analysieren, in der sie sich endgültig durchzusetzen begann: die siebziger Jahre. Selbstverständlich kannten auch der Nationalismus des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts und die Arbeiterbewegung den Märtyrerkult, doch zum Paradigma politischer Diskussionen wurde die Opferrhetorik, scheinbar paradox, erst in dem Jahrzehnt, das erfüllt war von großen Versprechungen und Hoffnungen.

Giglioli beschreibt die siebziger Jahre als die Epoche, in der die protokapitalistische Ethik der Askese aufgrund der ökonomischen Entwicklung endgültig von der Propaganda möglichst schneller Wunscherfüllung verdrängt wurde. Das Versprechen schrankenlosen Glücks aber führe notwendig, wenn die Frustration nicht als Verzicht rationalisiert werden kann, zur Unfähigkeit, die Enttäuschung zu verarbeiten. Je deutlicher wird, dass das Gewünschte nicht zu erreichen ist, desto hartnäckiger wird die imaginierte Gerechtigkeit eingefordert. Da der Weg fundamentaler politischer Veränderungen aber versperrt zu sein scheint, trete links wie rechts an die Stelle aktiven Handelns die Beschwörung der eigenen unschuldigen Passivität.

Gigliolis Essay ist keine Denunziation derjenigen, die sich - wie berechtigt auch immer - unterdrückt oder verfolgt fühlen. Hinter dem Prestige, das Opfer beanspruchen und erlangen, erkennt er die falsche Antwort auf eine richtige Frage. Statt scheinbar alternativlose Systemzwänge zu akzeptieren, appelliert die Opferethik an die Verantwortung von Subjekten, auch wenn diese die eigene leugnen. Sie beharrt auf dem Recht jedes Einzelnen, jeder diskriminierten Gruppe, in ihrer spezifischen Erfahrung von Leid anerkannt zu werden. Hinter dem falschen Stolz verberge sich immer ein Rest des legitimen. Diese letzte dialektische Volte Gigliolis wird nicht jeden überzeugen, denn die assoziative, manchmal sprunghafte Argumentation lässt die Frage unbeantwortet, wer im konkreten Fall Anspruch auf Unterstützung, Solidarität oder zumindest Mitleid hat. Die Kritik imaginierter Hilflosigkeit kann die Analyse realer Gewaltverhältnisse nicht ersetzen. Dennoch, mit seinen pointierten Anmerkungen zu einem wichtigen Topos politischer Rhetorik ist es ein anregendes Buch.

GERD SCHRADER.

Daniele Giglioli: "Die Opferfalle". Wie die Vergangenheit die Zukunft fesselt.

Aus dem Italienischen von Max Henninger. Matthes & Seitz, Berlin 2016, 127 S., geb., 14,90 [Euro]

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Daniele Giglioli, der im norditalienischen Bergamo Literaturwissenschaft unterrichtet, beruft sich auf Kant und Adorno, also die strengeren Philosophen der Moderne, für deren Ansätze er ein elegantes, aber beinahe schon altmodisch anmutendes Plädoyer hält.« - Ronald Düker, philosophie MAGAZIN, Juni/Juli 2016 Ronald Düker Philosophie Magazin 20160514