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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
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Intelligent sind sie doch schon lange: Stefano Mancuso wirft sich mit einem Manifest einmal mehr für die Pflanzen in die Bresche.
Von Christian Schwägerl
Der italienische Botaniker Stefano Mancuso hat eine Mission. Er möchte uns die Augen dafür öffnen, dass Pflanzen mehr sind als reglose, primitive Organismen, mehr auch als nur Bau- und Rohstoffe oder Nahrung. Schon länger als der mit seinen Thesen zu kommunizierenden Bäumen bekannt gewordene Peter Wohlleben wirbt Mancuso für einen neuen Blick auf die Pflanzenwelt. Der Professor bezeichnet Pflanzen als intelligent und nennt sein eigenes Institut in Florenz "Internationales Institut für Pflanzen-Neurobiologie".
Mancuso ist ein Provokateur, der seine Thesen in Interviews mit verschmitztem Lächeln präsentiert - und es ernst meint. Er möchte nicht behaupten, dass Pflanzen dieselben Neuronen haben wie Tiere, sondern dass sie viele der Fähigkeiten haben, die Tiere durch ihre Nervensysteme aufweisen, aber eben auf ihre eigene Art: Pflanzen bewegen sich, etwa wenn sie ihre Blätter nach dem Sonnenstand ausrichten, sie kommunizieren untereinander via Luft und Wurzeln durch chemische Botenstoffe, sie nehmen Lichtreize wahr und verarbeiten sie. Daraus leitet Mancuso das Vorhandensein von Intelligenz und sogar Bewusstsein ab.
Dass diese These unter Botanikern, milde gesagt, umstritten ist, liegt auf der Hand. Vermenschlichende Beschreibungen verstoßen in der Biologie gegen das Gebot, allzu spekulative Gleichsetzungen zu vermeiden. Andererseits hat es sich fast immer als Irrtum erwiesen, nicht-menschlichen Lebewesen pauschal Qualitäten abzusprechen, die nur Menschen vorbehalten sein sollen. Man kann sich Mancusos Buch "Die Pflanzen und ihre Rechte" durchaus mit Neugierde nähern, ohne gleich in Esoterikverdacht zu geraten. In einer Zeit, in der das menschliche Verhältnis zur Natur in einer tiefen Krise steckt und der Schwund der Arten voranschreitet, erscheint Mancusos Ansatz einer "Charta zur Erhaltung unserer Natur" so relevant wie interessant.
Die Artikel der Charta haben es in sich. "Die Erde ist die gemeinsame Heimat allen Lebens. Die Macht gehört allen Lebewesen" lautet Artikel 1. Artikel 7 widmet sich der Freiheit: "Die Nation der Pflanzen hat keine Grenzen. Jedes Lebewesen ist frei, ohne Einschränkung zu reisen, zu leben und sich zu bewegen." Mancuso ruft die "gegenseitige Hilfe natürlicher Gemeinschaften von Lebewesen" als Mittel des Fortschritts aus und stiftet zur Revolte gegen Rangordnungen an: "Die Nation der Pflanzen erkennt die tierischen Hierarchien mit ihren Kommandozentren (. . .) nicht an, sondern unterstützt dezentrale Pflanzendemokratien."
Die Charta knüpft an Diskurse an, die Autoren wie der französische Soziologe Bruno Latour mit seinem "Terrestrischen Manifest" (F.A.Z. vom 8. Mai 2018), die amerikanische Philosophin Jane Bennett mit ihrem Buch "Lebhafte Materie" (F.A.Z. vom 17. Juni 2020) oder die Systemtheoretiker Lance Gunderson und C. S. Holling mit "Panarchy" führen. Überlegungen, wie Gesellschaftsideen auf Pflanzen und Tiere übertragen werden könnten und wie die Natur gegenüber uns Menschen ihre eigenen Rechte bekommt, entstammen einer noch älteren Tradition der "politischen Ökologie", wie der französische Geograph Élisée Reclus sie begründet und der amerikanische Ökoanarchist Murray Bookchin sie fortgesetzt hat. Auch in der Botanik gäbe es Anknüpfungspunkte für Mancuso - ganz direkt die von Josias Braun-Blanquet begründete "Pflanzensoziologie".
Mancuso betritt also wichtiges Terrain. Doch so gelungen der Aufschlag in Form der Charta auch ist, seinen Ausführungen dazu mangelt es an Tiefgang und Inspiration. Im Wesentlichen präsentiert der Autor, statt eigene Überlegungen anzustellen oder eine Theorie seiner Pflanzen-Nationen zu entwickeln, weithin bekannte Fakten aus der Umweltdebatte. Zum Diskurs um sein Thema dringt er selbst gar nicht vor. Und um Pflanzen geht es in den Ausführungen leider auch nur am Rande. Ein bisschen über Flechten hier und über Biomasse dort, das reicht nicht.
Mancuso ergeht sich in Anekdoten zu invasiven Arten, verschwenderischem Wirtschaften und den Gefahren der Klimakrise, ohne dass daraus ein Denkgebäude entstünde, das den Thesen angemessen wäre. Es wirkt, als wäre dem Autor beim Schreiben der Atem ausgegangen, als wäre er von der Tragweite seines eigenen Ansatzes überfordert gewesen. Das spiegelt sich auch im Quellenverzeichnis wider, wo kein einziger anderer relevanter Autor genannt wird. Schlägt man das Buch mit Angst vor esoterischer Exzentrik auf, so schließt man es mit dem Gefühl, zu viel konventionelle Umweltrhetorik gelesen zu haben.
Gleichwohl verdient das schön gestaltete Buch Lob: Auch andere innovative Denker bleiben wegen ihrer Ideen in Erinnerung, nicht wegen ihres Schreibtalents. Von manchen bleibt - siehe Margulis' und Lovelocks "Gaia" - nur ein wirkungsvolles Wort. Und bei aller Vorsicht, die ein Begriff wie "Pflanzen-Neurobiologie" auslösen muss, kann man Mancuso Kreativität attestieren, etwa wenn er bei einer Rede den Bau von Robotern vorschlägt, die sich nicht an Tieren, sondern an Pflanzen orientieren. Die auf zwei Seiten präsentierten Charta-Thesen des Buchs sind stark genug, um einen zweiten Anlauf zu rechtfertigen, in dem Mancuso sie mit gedanklichem Leben füllt.
Stefano Mancuso: "Die Pflanzen und ihre Rechte". Eine Charta zur Erhaltung unserer Natur.
Aus dem Italienischen von Andreas Thomsen. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2021. 160 S., Abb., geb., 18,- [Euro].
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