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Fakes der kritischen Art: Claudia Geringer und Ernst Strouhal widmen sich
Medienkritik durch
gewitzte Fälschungen.
Von Helmut Mayer
Ich saß allein im Kompressorraum, als - es war genau 10 Uhr 27 Minuten - der große 400pferdekräftige Kompressor, der den Elektromotor für die Dampfüberhitzer speist, eine auffällige Varietät der Spannung aufzuweisen begann." So beginnt das Referat der Beobachtungen über ein Erdbeben in Ostrau, das ein "Dr. Ing. Erich Ritter von Winkler" im Jahr 1911 der Wiener "Neuen Freien Presse" zur "Veröffentlichung in Ihrem hochangesehenen Blatte" zukommen hatte lassen. Und weil der letzte Satz, nach einem expertenhaft anmutenden Taumel technischer Termini - bei Auskupplung eines Zentrifugalregulators werden da Longitudinalstöße konstatiert und ein Spannungsabfall im Transformator auf 4,7 Atmosphären -, den unerklärlichen Umstand festhält, dass der "im Laboratorium schlafende Grubenhund" schon eine halbe Stunde zuvor unruhig geworden sei, war damit der Name für eine medien- und also auch öffentlichkeitskritische Form der Intervention geprägt: Der "Grubenhund" steht seither für pure Erfindungen, die es als vermeintliche Tatsachen in Medien und Öffentlichkeit schaffen, und zwar zum Zwecke, sich über sie lustig zu machen.
So wie es eben Ritter von Winkler, alias Arthur Schütz, gelang, der seiner satirischen Invention später eine ins Alltägliche transponierte Übersetzung folgen ließ, in welcher der eingangs zitierte Satz lautet: "Ich saß im Kaffeehaus, als, es war genau 10 Uhr 27 Minuten, die Telephonzelle, welche den Gästen die Hühneraugen schneidet, eine starke Blinddarmentzündung aufzuweisen begann."
Arthur Schütz, der noch manches in diesem Genre folgen ließ, gestellte Fotografien eingeschlossen, erweisen Claudia Geringer und Ernst Strouhal in ihrem knapp gefassten Parcours entlang gewitzten, gut auf den Weg in die Medien gebrachten Erfindungen gebührend Reverenz. Nicht ohne, wie es sich gehört, noch knapp drei Jahre zurückzublenden, denn da hatte Karl Kraus bereits mit der Zusendung eines phantastischen Erdbebenberichts - vom titelgebenden "Zivilingenieur J. Berdach" - die Redaktion desselben "hochgeschätzten Blatts" blamiert (und auch in seinem Fall war das nicht die letzte Aktion dieser Art).
Die fiktiven Observationen von Kraus und Schütz geben Beispiele ab für die satirische Entlarvung von Expertengehabe. Als Teil der Wissenschaftssatire ist das ein fruchtbares Gebiet, aber Strouhal und Geringer sind gar nicht so sehr damit beschäftigt, Distinktionen zwischen den verschiedenen Terrains und Strategien satirischer "Fakes" auszuarbeiten, als vielmehr einen locker komponierten und bündig kommentierten Durchgang zu präsentieren, von Kraus bis, nun ja, Böhmermann und mit leicht österreichischer Schlagseite.
Zuerst geht es bei ihnen zwar noch mit einem kurzen historischen Schlenker zurück, zu Swift und Poe, aber dann ist man schon in der modernen Medienwelt. Martin Millers fiktive, am 1. April 1940 über die BBC ausgestrahlte Hitler-Rede, in welcher der Führer den Anspruch auf das Protektorat über die USA anmeldet, macht den Auftakt. Von Helmut Qualtinger in einem seiner "practical jokes", als isländischer Dichter auf Wienbesuch, kann man zu den weniger harmlosen, konsequent auf Übersteigerung der attackierten Positionen setzenden Aktionen der Yes Men übergehen, sich an Alan Abels amerikanischen Medienfeldzug für seine "Society for Indecency to Naked Animals" - es ging um das Bekleiden der Geschlechtsteile von Tieren - erinnern oder Peter McIndoes rezenten Einsatz für die endlich sich Bahn brechende Einsicht, dass alle Vögel in den USA durch Überwachungsdrohnen ersetzt wurden - von den Autoren mit der bündigen Formel gewürdigt: "Aufklärung gegen Gegen-Aufklärung mit den Mitteln der Gegen-Aufklärung".
Gewürdigt wird in diesem Fall auch, dass McIndoe seine eigene Position im Unbestimmten lässt, um die Aktion nicht durch eindeutige Botschaften um ihren Reiz zu bringen. Dass das eine wesentliche Forderung ist, führen die Autoren nicht zuletzt durch Kontrastierung mit einem Grubenhund von großer Wirkung vor Augen, nämlich dem Text, den der Physikprofessor Alan Sokal 1996 der Zeitschrift "Social Text" unterjubelte. Dieser Text war fraglos gut gearbeitet, gespickt mit echten Zitaten, die mit Bedacht und Sinn für Steigerung zu einem durch und durch unsinnigen Aufsatz verwoben waren, der alle Markierungen einer akademischen Mode trug: eine eindrucksvolle Erweiterung der rhetorischen Mittel von weiland Kraus und Schütz. Aber leider verknüpfte Sokal seine Aufdeckung der Satire mit einer Standpauke ganz biederer Art, die hinter dem Spott am aufgespießten Jargon weit zurückblieb. Er scheiterte am schwierigen Akt der Enthüllung (was Bewunderer seiner nachgeschobenen Botschaft natürlich nicht so sahen). Sie anderen zu überlassen ist die sicherere Variante.
Es gibt die bissigen Grubenhunde und jene, die schon zu Beginn eher den Charakter der Einladung zu einem Gesellschaftsspiel haben. Loriots Steinlaus, an der die Autoren nicht vorbeigehen, ist ein Beispiel der zweiten Art. Die fiktiven Einträge, die Jürgen Mittelstraß in seine "Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie" einstreute, waren zwar ein wenig intrikater. Aber wirklich interessant wird die Sache doch erst, wenn der Aufwand steigt. Wofür bei Strouhal und Geringer etwa auch Klaus Heids archäologische Rekonstruktion der Kultur der fiktiven Khuza steht, Cheryl Dunyes Dokumentation der fiktiven afroamerikanischen Schauspielerin Fae Richards oder Wolfgang Hildesheimers raffinierte Arbeit, seinen fiktiven Marbot plausibel in die reale Geschichte einzubetten.
Das alles waren Fälschungen der wohlüberlegten und aufwendigen Art. Günstig ist ihnen die Zeit nicht mehr, in der sich "Fakes" aller Art im Handumdrehen in die Welt setzen lassen und dort auch reüssieren. Das Internet tritt da als großer Beschleuniger auf, und auch als großer Nivellierer: Mit leichtem Grausen berichten die Autoren davon, dass ChatGPT innerhalb von fünf Minuten eine konsistent wirkende historische Grundierung von Hildesheimers fiktiver Figur an die Hand gab. Die Hürden für gewitzte, erhellende Fälschungen werden dadurch nicht kleiner, den Essay der beiden Wiener Autoren kann man als rückblickende Ermunterung lesen, die Tradition trotzdem nicht abbrechen zu lassen.
Claudia Geringer und Ernst Strouhal: "Die Phantome des Ingenieur Berdach". Medienkritik und Satire.
Edition Konturen, Wien/Hamburg 2023. 138 S., Abb., br., 24,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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