Warum macht Fahrradfahren glücklich - trotz Regen, Gegenwind und steiler Berge? Warum geht alles schief, wenn man sich zum ersten Mal auf eine lange Fahrradtour wagt? Wie sieht der ideale Radweg aus? Was bedeutet Critical Mass? Warum passieren die kuriosesten Ereignisse der Tour de France immer am Alpe d'Huez? Und sollte das schnellste Fahrrad der Welt weiterhin verboten bleiben? In Die Philosophie des Radfahrens zeigen internationale Autoren aus verschiedenen Disziplinen - Philosophieprofessoren, Sportjournalisten, Radprofis - kenntnisreich und leicht verständlich, dass Philosophie und Radfahren ein perfektes Tandem bilden können. Sie nehmen Helden und Anti-Helden aus der Welt des Radsports ins Auge, schreiben über die Ethik von Wettbewerb und Erfolg, finden auf dem Rad Momente der Muße und zeigen, wie Radfahren unsere Sicht auf die Welt dauerhaft verändern kann. Und sie geben stichhaltige Argumente für das Radfahren in all seinen Ausformungen: Als tägliche Fahrt zur Arbeit, als Sport, als Reise, als Lebensart. Ein Buch für alle, die es glücklich macht, sich tagtäglich auf den Sattel zu setzen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Über das Glück des Radelns liest Hannes Hintermeier wenig in diesem von radfahrenden Philosophiedozenten herausgegebenen Sammelband mit Texten zu Doping, Lance Armstrong, zur politischen oder auch zur feministischen Dimension des Radfahrens. Enttäuschender noch findet er, dass die Autoren zu der im Titel versprochenen Systematisierung nicht gelangen. Bleibt dem Rezensenten, sich an der Detailliebe des Lesebuches zu erfreuen. Den mitunter hymnischen Ton der radversessenen Philosophen muss er ja nicht teilen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.07.2013Was man vergisst, wenn man drinnen hockt
Heute ist Ruhetag bei der Tour. Zeit zum Nachdenken über Sinnfragen? "Die Philosophie des Radfahrens" bietet Denkhilfen an - in einem Gemischtwarenladen.
Ob er es wirklich geschrieen hat, damals bei der Tour de France 1997, ist nicht bestätigt. Aber der Appell, den Udo Bölts an seinen Kapitän Jan Ullrich richtete - "Quäl dich, du Sau!" -, ist längst ein Klassiker der Aufmunterungsrhetorik. Qual ist ohnehin ein Motiv, das mit dieser Sportart unauflöslich verknüpft ist, auch wenn es für den gemeinen Hobbyradler manchmal bei der gewöhnlichen Schinderei bleiben muss.
Dabei könnte Qual der Schlüssel für ein gelingendes (Radfahrer-)Leben sein, jedenfalls wenn man den Einlassungen von Tim Elcombe und Jill Tracey folgt, die beide in Kanada Kinesiologie und Sporterziehung lehren. In ihrem Beitrag gehen sie der Frage nach, wie "bedeutungsvolles Leiden" zu organisieren sei, und kommen zum Schluss, erst wenn "wir an unser Limit und unsere Grenzen" stießen, könnten wir "Raum für Sinnhaftigkeit" erzeugen.
Der Aufsatz bildet den Schlussstein eines Bandes, der nicht einlöst, was der vollmundige Titel "Philosophie des Radfahrens" verspricht. Die Herausgeber - zwei Philosophiedozenten und der Gründer des Hamburger Mairisch Verlages - haben fünfzehn Beiträge rund um das Thema Radfahren versammelt; die meisten Autoren sind radelnde Universitätsphilosophen aus dem angelsächsischen Bereich, Rad-Enthusiasten sind sie alle. Eine wie auch immer geartete, systematische "Philosophie" ist dabei nicht herausgekommen; immerhin ein mit viel Liebe zum Detail gestaltetes Lesebuch, das eine Querfeldeinfahrt durch alle möglichen Rad-Themen bietet.
Darunter sind Einblicke in die Profiszene, Erörterungen zur Doping-Problematik, Liebeserklärungen an die Radfahrerhochburgen Reykjavik und Kopenhagen bis hin zu einer Abrechnung mit UCI-Bestimmungen zum Zeitfahren.
Wie meist bei solchen Sammelbänden ist manches entbehrlich, etwa wenn über den Zusammenhang von Selbstverbrennung und Arabellion als einer Kettenreaktion schwadroniert wird. Auch Sätze wie "Radfahren ist eine alternative Version von reichhaltiger, globaler Kommunikation" stimmen nicht hoffnungsfroh. Zu den Philosophen, die als Zeugen aufgerufen werden, zählen Marc Aurel, René Descartes, David Hume und Henry David Thoreau, Ralph Waldo Emerson, Friedrich Nietzsche, Heidegger und John Dewey; manche Funde sind durchaus erwartbar, wie jenes unvermeidliche Nietzsche-Zitat, man solle "keinem Gedanken Glauben schenken, der nicht im Freien geboren ist und bei freier Bewegung - in dem nicht auch die Muskel ein Fest feiern".
Die politische Dimension des Radfahrens erläutert der amerikanische Aktivist Zack Furness, der die Geschichte der Aktionsbewegung "Critical Mass" erzählt: Dazu treffen sich Radfahrer in möglichst großer Menge, um den Großstadtverkehr durch massives Auftreten an sich zu reißen und so für das Recht der nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmer gegenüber dem Autoverkehr zu demonstrieren. Da die Bewegung längst auch in Deutschland etabliert ist, wäre ein Schlaglicht auf die hiesige Szene von Interesse gewesen.
Eine feministische Einordnung von Berichten, die Frauen über Radrennen verfasst haben, unternehmen Catherine A. Womack und Pata Suyemoto. Viele der ausgewerteten Texte stünden demnach "im Widerspruch zum Wettbewerbscharakter", will sagen; Männer strebten bei Radrennen nach individualistischen, regelbezogenen Tugenden wie Mut, Stärke und Wettbewerbsfähigkeit, Frauen suchten eher Beziehungstugenden, weil sie als Sportlerinnen an sich wachsen und sich entfalten wollen. Diese Suche nach einem "Partnerschaftsmodell des Sports", das weniger hierarchisch ist, verträgt sich in der Tat kaum mit den Hierarchien und dem Ehrenkodex professioneller Radrennen.
Gleichwohl werden auch dort Siege nur als Mannschaftsleistung herausgefahren, indem jeder Fahrer die ihm zugewiesene Aufgabe erfüllt. Den damit verknüpften Moralfragen geht ein Aufsatz über den "Kannibalen" Eddy Merckx nach, der auf die Frage, ob der fünfmalige Tour- und Giro-Sieger ein fairer Sportler gewesen sei, zur Antwort findet, jedes Gewinnen im Radsport sei mit "moralischer Ambiguität" behaftet. Zwiespältig bleiben naturgemäß auch die Urteile über Marco Pantani und Lance Armstrong.
Einfühlsam hat sich Peter M. Hopsicker, Bewegungswissenschaftler an der Pennsylvania State University, über die Anfänge Gedanken gemacht: Das Erlernen des Radfahrens gehört mit zu den schwierigsten Gleichgewichtsübungen, die Kinder zu bewältigen haben. Dennoch wird die Expertise, sobald sie verinnerlicht ist, sogleich für den Rest des Lebens als das Selbstverständlichste der Welt vergessen. Während man die Überwindung einer Strecke von A nach B im Auto nur oberflächlich wahrnimmt, ist das direkte Erleben auf dem Rad eine alle Sinne stimulierende Erfahrung, die ein viel umfassenderes Begreifen und Erleben des Territoriums nach sich zieht. Aber auch Hopsicker kapituliert: "Ich weiß immer mehr über das Radfahren, als ich es ausdrücken kann."
Es fehlt insgesamt nicht an Überhöhung, gelegentlich schwappen die Hymnen bis in religiöse und revolutionäre Heilserwartungen, die sich mit dem Gerät verknüpfen: "Freiwillige Armut" sei von ihm zu lernen, bei seinem Besteigen beginne die "Wiedergeburt", dann folge die "Transformation" - so wird das Rad zum Lebensratgeber, dem jedenfalls die hier aufgebotenen Philosophen sein letztes Geheimnis nicht zu entreißen vermögen.
Es ist erstaunlich wenig vom Glück die Rede in diesem Buch, und das kann sich auf dem Rad schon einstellen, bevor man im Zielraum künstlich beatmet werden muss.
HANNES HINTERMEIER.
J. Ilundáin-Agurruza, M.W. Austin, P. Reichenbach, (Hrsg.): "Die Philosophie des Radfahrens" Aus dem Englischen von Roberta Schneider, Blanka Stolz u.a. Mairisch Verlag, Hamburg 2013. 208 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Heute ist Ruhetag bei der Tour. Zeit zum Nachdenken über Sinnfragen? "Die Philosophie des Radfahrens" bietet Denkhilfen an - in einem Gemischtwarenladen.
Ob er es wirklich geschrieen hat, damals bei der Tour de France 1997, ist nicht bestätigt. Aber der Appell, den Udo Bölts an seinen Kapitän Jan Ullrich richtete - "Quäl dich, du Sau!" -, ist längst ein Klassiker der Aufmunterungsrhetorik. Qual ist ohnehin ein Motiv, das mit dieser Sportart unauflöslich verknüpft ist, auch wenn es für den gemeinen Hobbyradler manchmal bei der gewöhnlichen Schinderei bleiben muss.
Dabei könnte Qual der Schlüssel für ein gelingendes (Radfahrer-)Leben sein, jedenfalls wenn man den Einlassungen von Tim Elcombe und Jill Tracey folgt, die beide in Kanada Kinesiologie und Sporterziehung lehren. In ihrem Beitrag gehen sie der Frage nach, wie "bedeutungsvolles Leiden" zu organisieren sei, und kommen zum Schluss, erst wenn "wir an unser Limit und unsere Grenzen" stießen, könnten wir "Raum für Sinnhaftigkeit" erzeugen.
Der Aufsatz bildet den Schlussstein eines Bandes, der nicht einlöst, was der vollmundige Titel "Philosophie des Radfahrens" verspricht. Die Herausgeber - zwei Philosophiedozenten und der Gründer des Hamburger Mairisch Verlages - haben fünfzehn Beiträge rund um das Thema Radfahren versammelt; die meisten Autoren sind radelnde Universitätsphilosophen aus dem angelsächsischen Bereich, Rad-Enthusiasten sind sie alle. Eine wie auch immer geartete, systematische "Philosophie" ist dabei nicht herausgekommen; immerhin ein mit viel Liebe zum Detail gestaltetes Lesebuch, das eine Querfeldeinfahrt durch alle möglichen Rad-Themen bietet.
Darunter sind Einblicke in die Profiszene, Erörterungen zur Doping-Problematik, Liebeserklärungen an die Radfahrerhochburgen Reykjavik und Kopenhagen bis hin zu einer Abrechnung mit UCI-Bestimmungen zum Zeitfahren.
Wie meist bei solchen Sammelbänden ist manches entbehrlich, etwa wenn über den Zusammenhang von Selbstverbrennung und Arabellion als einer Kettenreaktion schwadroniert wird. Auch Sätze wie "Radfahren ist eine alternative Version von reichhaltiger, globaler Kommunikation" stimmen nicht hoffnungsfroh. Zu den Philosophen, die als Zeugen aufgerufen werden, zählen Marc Aurel, René Descartes, David Hume und Henry David Thoreau, Ralph Waldo Emerson, Friedrich Nietzsche, Heidegger und John Dewey; manche Funde sind durchaus erwartbar, wie jenes unvermeidliche Nietzsche-Zitat, man solle "keinem Gedanken Glauben schenken, der nicht im Freien geboren ist und bei freier Bewegung - in dem nicht auch die Muskel ein Fest feiern".
Die politische Dimension des Radfahrens erläutert der amerikanische Aktivist Zack Furness, der die Geschichte der Aktionsbewegung "Critical Mass" erzählt: Dazu treffen sich Radfahrer in möglichst großer Menge, um den Großstadtverkehr durch massives Auftreten an sich zu reißen und so für das Recht der nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmer gegenüber dem Autoverkehr zu demonstrieren. Da die Bewegung längst auch in Deutschland etabliert ist, wäre ein Schlaglicht auf die hiesige Szene von Interesse gewesen.
Eine feministische Einordnung von Berichten, die Frauen über Radrennen verfasst haben, unternehmen Catherine A. Womack und Pata Suyemoto. Viele der ausgewerteten Texte stünden demnach "im Widerspruch zum Wettbewerbscharakter", will sagen; Männer strebten bei Radrennen nach individualistischen, regelbezogenen Tugenden wie Mut, Stärke und Wettbewerbsfähigkeit, Frauen suchten eher Beziehungstugenden, weil sie als Sportlerinnen an sich wachsen und sich entfalten wollen. Diese Suche nach einem "Partnerschaftsmodell des Sports", das weniger hierarchisch ist, verträgt sich in der Tat kaum mit den Hierarchien und dem Ehrenkodex professioneller Radrennen.
Gleichwohl werden auch dort Siege nur als Mannschaftsleistung herausgefahren, indem jeder Fahrer die ihm zugewiesene Aufgabe erfüllt. Den damit verknüpften Moralfragen geht ein Aufsatz über den "Kannibalen" Eddy Merckx nach, der auf die Frage, ob der fünfmalige Tour- und Giro-Sieger ein fairer Sportler gewesen sei, zur Antwort findet, jedes Gewinnen im Radsport sei mit "moralischer Ambiguität" behaftet. Zwiespältig bleiben naturgemäß auch die Urteile über Marco Pantani und Lance Armstrong.
Einfühlsam hat sich Peter M. Hopsicker, Bewegungswissenschaftler an der Pennsylvania State University, über die Anfänge Gedanken gemacht: Das Erlernen des Radfahrens gehört mit zu den schwierigsten Gleichgewichtsübungen, die Kinder zu bewältigen haben. Dennoch wird die Expertise, sobald sie verinnerlicht ist, sogleich für den Rest des Lebens als das Selbstverständlichste der Welt vergessen. Während man die Überwindung einer Strecke von A nach B im Auto nur oberflächlich wahrnimmt, ist das direkte Erleben auf dem Rad eine alle Sinne stimulierende Erfahrung, die ein viel umfassenderes Begreifen und Erleben des Territoriums nach sich zieht. Aber auch Hopsicker kapituliert: "Ich weiß immer mehr über das Radfahren, als ich es ausdrücken kann."
Es fehlt insgesamt nicht an Überhöhung, gelegentlich schwappen die Hymnen bis in religiöse und revolutionäre Heilserwartungen, die sich mit dem Gerät verknüpfen: "Freiwillige Armut" sei von ihm zu lernen, bei seinem Besteigen beginne die "Wiedergeburt", dann folge die "Transformation" - so wird das Rad zum Lebensratgeber, dem jedenfalls die hier aufgebotenen Philosophen sein letztes Geheimnis nicht zu entreißen vermögen.
Es ist erstaunlich wenig vom Glück die Rede in diesem Buch, und das kann sich auf dem Rad schon einstellen, bevor man im Zielraum künstlich beatmet werden muss.
HANNES HINTERMEIER.
J. Ilundáin-Agurruza, M.W. Austin, P. Reichenbach, (Hrsg.): "Die Philosophie des Radfahrens" Aus dem Englischen von Roberta Schneider, Blanka Stolz u.a. Mairisch Verlag, Hamburg 2013. 208 S., geb., 18,90 [Euro].
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"Schon lange, bevor man die letzte Seite des Buches erreicht hat, sieht man die Kultur des Radfahrens aus völlig neuem Blickwinkel." (Tom Zoumaras, US-Radchampion)