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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Sehr viel überzeugtes Sprechen: Fabian Wolbring bricht eine akademische Lanze für die poetische Qualität von Rap-Texten
Der "Mensch" sei verdammt, auf ewig ungereimt zu bleiben, schrieb der Dichter Peter Rühmkorf resigniert, weil ihm kein passendes deutsches Reimwort einfiel. "Attention, Attention, dies geht raus an alle Menschen", ruft dagegen unbekümmert die Gruppe Fettes Brot. Ein solcher Reim, der im Überraschungsangriff über Sprachgrenzen und Wortfelder springt, gilt in der kanonisierten Poetik als unrein, in Rapp-Texten jedoch entspricht er dem lässigen Stilideal.
Ihre Verfeinerung sucht diese Kunstform in möglichst vielsilbigen und exotischen Paarungen. Einen prachtvollen Sechssilber hat Kollegah formuliert: "Hole mir per Import Monet-Bilder / Topmodels haben von mir im Portmonee Bilder." Der Wechsel zwischen vermeintlicher und tatsächlicher Homophonie bei inhaltlicher Überblendung von Hochkultur (Monet) und Populärkultur (Topmodels) zeichnet sein Wortspiel aus. Der Originalitätsanspruch verlangt außerdem, ganz neue Wortpaarungen zu finden. Nach Berechnung eines bayerischen Radiosenders nutzen die Rapper Morlockk Dilemma und Kollegah einen größeren Wortschatz als Goethe. Insbesondere bei der Bildung von Neologismen wie "der Silbenking" oder "meine Meinung, deine Deinung, seine Seinung" sind Rap-Künstler besonders produktiv.
Dennoch werde Rap als Dichtung minderer Qualität wahrgenommen, klagt der Germanist Fabian Wolbring. In seiner Arbeit über "Die Poetik des deutschsprachigen Rap" plädiert er für eine "bewusstere Wahrnehmung dieser literarischen Praxis als kognitiv anspruchsvolle Leistung". Ihm zufolge steht insbesondere der sogenannte "Fun-Rap" in der - womöglich unbewussten - Tradition humoristischer Dichter wie Christian Morgenstern, Heinz Erhardt oder Robert Gernhardt.
Wolbrings Buch liest sich allerdings eher trocken als unterhaltsam. Vielleicht wollte der Autor, der selbst rappt und Rap-Workshops leitet, den Eindruck zu großer Nähe zu seinem Forschungsgegenstand vermeiden. Er schreibt in streng wissenschaftlichem Duktus. Kapitel heißen beispielsweise "Implizites Sprechverhalten und intendierte Kommunikationssituation", "Typische Individuierungs-Marker in den Schallprofilen" und "Wortfeldgesteuerte Konzeptionsverfahren". Doch ungeachtet der formalen Sprödigkeit kann seine gründliche und schlüssige Untersuchung als Standardwerk über den Sprachgebrauch im Rap gelten.
Um die Betrachtung der Rapp-Texte als Literatur zu legitimieren, löst Wolbring sie aus den Zusammenhängen von Popmusik und Hiphop-Kultur, in denen sie üblicherweise kreiert und rezipiert werden. Dies führt zwar zu einer Vernachlässigung des musikalischen Zusammenhangs, ist aber im Rahmen einer Spezialuntersuchung akzeptabel.
Während andere Wissenschaftler Hiphop vor allem als subversive Jugendkultur untersuchen oder als postmodern-dekonstruktivistische Musikkomposition deuten, beschreibt Fabian Wolbring Rap als Wortdichtung im Sinne traditioneller Autorschaft. Wirkungsziel der Texte sei "das überzeugte Sprechen". Das lyrische Ich verweist dabei stets auf die Persona des Rappers. Typischerweise reklamiert dieser für sich im distanzierten bis aggressiven Tonfall ein erheblich übertriebenes Maß an Glaubwürdigkeit und Stärke. Ein meist nur scheinadressiertes Du als Gegenüber wird dagegen herabgewürdigt. Gemäß dem Sprichwort "Was sich reimt, das schickt sich auch" dienen die reimkünstlerischen Fähigkeiten der Sprecher als Beleg für ihre Behauptungen. Boasting und Dissing heißen die Selbstpreisungen und Beschimpfungen in genreeigenen Fachtermini. Dass dieses Spiel bis in menschenfeindliche Extreme getrieben wird, verschweigt der Autor nicht. Aber er hält extrem gewalttätige und sexistische Rap-Fantasien eher für Randerscheinungen.
Rap lässt sich auf afroamerikanische und afrikanische Vorbilder zurückführen. Wolbring verweist aber auch auf Ähnlichkeiten in Werbeslogans und beim rhythmisierten Sprechen in religiösen Riten. Zudem sei verbale Kraftmeierei, insbesondere unter jungen Männern, womöglich eine anthropologische Universalie.
FELIX JOHANNES ENZIAN
Fabian Wolbring: "Die Poetik des deutschsprachigen Rap".
V&R unipress, Göttingen 2015. 627 S., geb., 84,99 [Euro].
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