Vertrauen ist als Thema allgegenwärtig. Ob von Politikverdrossenheit, Bankenkrise oder Mißbrauchsskandalen die Rede ist – stets wird vorausgesetzt, daß Vertrauen eine zentrale Ressource sozialen Handelns ist, die nur schwer hergestellt, aber schnell zerstört werden kann. Aber was ist Vertrauen? Wie wird es geschaffen, wie zerstört? Wem sollten wir vertrauen, wem eher mit Mißtrauen begegnen? Martin Hartmann unternimmt in dieser profunden Studie den Versuch, Vertrauen sowohl begrifflich als auch historisch zu klären. Er veranschaulicht seine theoretischen Überlegungen immer wieder mit konkreten Beispielen aus Politik, Wirtschaft und Familie. Vertrauen, so zeigt er, reduziert nicht Komplexität, wie oft vermutet, es ist selbst ein hochkomplexes Phänomen, das deutlich macht, wie zerbrechlich und anspruchsvoll Prozesse der Vertrauensbildung sind.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.11.2011Um in der Praxis jemandem zu vertrauen, reicht es, dass keine Zweifel vorhanden sind
Der Luzerner Philosoph Martin Hartmann hat seine langjährige Beschäftigung mit dem Phänomen des Vertrauens in ein lesenswertes Buch münden lassen.
Vertrauen ist ein gespaltener Wert. Je weniger die Praxis von ihm wissen will, desto höher schätzen ihn Theorie und Moral. So lässt gegenwärtig die anhaltende Finanz-, Staaten- und Währungskrise die Medien immer wieder die Frage diskutieren, wem man noch vertrauen könne und auf welche Werte es heutzutage ankomme. Auch Bundespräsident Christian Wulff hat vor kurzem in Davos den versammelten Eliten aus Wirtschaft und Politik in diesem Sinne ins Gewissen geredet.
In den Wissenschaften war das Vertrauen seit Thomas Hobbes ein, wenn auch eher indirektes Thema in der politischen Philosophie, in der Sozial- und der Moralphilosophie. Der vorgesellschaftliche Zustand des Misstrauens, des "Krieges aller gegen alle", muss demnach überwunden werden, indem man dem Staat das Gewaltmonopol überträgt und zur Instanz des Vertrauens aufbaut. In den vergangenen Jahrzehnten hat demgegenüber vor allem Annette Baier betont, dass Vertrauen nicht nur eine Beziehung zwischen gleichberechtigten Handelspartnern kennzeichnet, sondern auch asymmetrische Beziehungen wie die zwischen Eltern und Kindern und intime Beziehungen. Auch in der Soziologie lässt sich die Promotion des Vertrauens zu einem zentralen Begriff beobachten. Beginnend mit Georg Simmel, erscheint Vertrauen hier als eine Voraussetzung, um koordiniertes Handeln unter Bedingungen weitgehender Anonymität zu ermöglichen. Niklas Luhmann hat auch diese Leistung auf den Begriff der Komplexitätsreduktion gebracht.
Der Soziologe gibt damit ein berühmtes Stichwort vor für das neue Buch des Philosophen Martin Hartmann, das den Akzent aber ganz anders setzt. Wenn Vertrauen nämlich Komplexität reduziert, dann nur, weil es selbst komplex ist, komplexer jedenfalls, als die vorliegenden Theorien meinen. Die Eigenart dieses Werts in den Blick zu nehmen heißt, seine eigene Art ernst zu nehmen.
Hartmann tut dies in umsichtiger und beeindruckender Weise. Sie bringt ihn zwar in die Schwierigkeit, letztlich nicht klar sagen zu können, was Vertrauen ist. Dennoch kann er einen anregenden, wenn nicht gar überzeugenden Lösungsvorschlag bieten, der sich im Konzept der "Praxis" verdichtet.
Obwohl Hartmann also ein begriffsanalytisches Verfahren, das die notwendigen und hinreichenden Eigenschaften des Vertrauens zu bestimmen versucht, nicht für aussichtsreich hält, weiß er, dass Begriffsarbeit grundsätzlich zur Philosophie gehört, und schlägt eine historisch und kulturell variable "Kernbedeutung" vor, die um einige zentrale Punkte kreist. Vertrauen ist demnach eine Einstellung, die uns kooperativ, unsicher und verletzbar davon ausgehen lässt, dass etwas, was für uns wichtig ist, geschehen wird. So trivial diese Kurzdefinition klingt, sie enthält folgenreiche Elemente.
Als "Einstellung" kann Vertrauen nämlich Wünschen, Überzeugungen und Gefühlen zugeordnet werden. Es steht mit ihnen in Verbindung, kann aber nicht auf sie reduziert werden. Vertrauen ist, plakativ gesagt, kein Gefühl. Es ist auch keine Überzeugung, denn es kann nicht wahr oder falsch sein. Wohl aber ist es rational oder irrational.
Rational heißt hier so viel wie "angemessen" und "begründungsbasiert". Die Begründungen müssen nicht explizit sein. Es reicht, dass keine Zweifel vorhanden sind. "Wir vertrauen, wenn wir keine Gründe haben, die dagegensprechen." Das Vertrauen ist zudem nicht schlichtweg moralisch. Gewiss ist es normativ, denn wir erwarten vom anderen, dass er sich in bestimmter Weise verhalten soll und uns nicht enttäuscht. Wenn er uns aber enttäuscht, ist es nicht kategorisch zu missbilligen. Man muss dem anderen Spielräume des Handelns zubilligen, statt blinde Pflichterfüllung zu fordern.
Alle diese Elemente verbinden sich letztlich im Konzept, man muss eigentlich sagen: in der Praxis der Praxis. Auch sie lässt sich nicht eindeutig definieren, liefert aber den Kontext für die Regeln und Kriterien, die uns helfen zu unterscheiden, ob ein Vertrauen angemessen ist oder nicht. Wenn es stimmt, dass man auch diesen Regeln und Kriterien vertrauen muss, ist das nur möglich, wenn man sich schon als Teil einer Praxis begreift, in der man diesen Regeln und Kriterien vertraut.
Hartmann ist sich im Klaren darüber, dass er sich hier in einem Zirkel bewegt. Aber er glaubt, ihm die logische Wucht nehmen zu können, indem er dem Vertrauen "einen moderat existenziellen Zug" gibt. Die Vertrauenspraxis setzt dann "Praxisvertrauen" voraus. Manchmal spricht er auch von "Kultur" des Vertrauens. Existentiell nennt er es im Rückgriff auf jenes "Urvertrauen" der Psychologie und jenes "Weltvertrauen" der Phänomenologie, das in diesen Wissenschaften als Grundlage des Handelns überhaupt angesehen wird und dem in der Philosophie ein ontologisches Vertrauen entspricht.
Normalerweise verlassen wir uns bekanntlich darauf, dass ein Gebäude nicht einstürzt, die Sonne täglich aufgeht und Mitmenschen uns nicht mit bösen Hintergedanken gegenübertreten. Hartmann weist diese Redeweise von Vertrauen zunächst zurück, weil sie eine Grundbedingung des Handelns nicht erfüllt, diejenige nämlich, dass es Optionen aufweist. Wo wir gar nicht anders handeln können, weil uns keine Alternativen vorliegen, können wir nicht vertrauen.
Es hat insofern keinen rechten Sinn zu sagen, man vertraue darauf, dass ein Gebäude, das man betritt, nicht einstürzt. Als Praxisvertrauen aber ist das Ur- oder Weltvertrauen bei Hartmann gerechtfertigt. Wir können nicht anders, als darauf zu vertrauen, dass die, denen wir vertrauen, tatsächlich unserem praktischen Verständnis von Vertrauen folgen.
Hartmann entwickelt seine Theorie in einem abgewogenen Verhältnis abstrakter Argumentation und beispielorientierter Ausführung, systematischer Absicht und Sensibilität für Details, vorsichtigen und zupackenden Formulierungen. Seinem Thema angemessen, bietet er "keine leichten Lösungen". Leider gönnt er dem fiktiven Aspekt des Vertrauens, seinem Als-ob-Rang, keine Aufmerksamkeit, dem Umstand, dass wir so tun müssen, als ob wir genügend über den anderen wüssten, um Vertrauen aufbringen zu können.
Klassisch ist dies ein Problem der Urteilskraft und damit immer auch der Ästhetik. Aber Hartmanns Buch ist reich genug, um auch jene nachdenklich zu machen, die gegenwärtig den Zusammenhang von ökonomischer Ungleichheit und sozialem Zerfall leugnen. In einem Kapitel zu Adam Smiths Begriff der Sympathie legt Hartmann dar, dass es eine solche Ungleichheit den Bürgern zunehmend schwierig macht, sich in die Lage der anderen hineinzuversetzen. Genau das aber ist eine Grundvoraussetzung für eine gemeinsame Praxis und das Vertrauen, das aus ihr erwächst.
JOSEF FRÜCHTL.
Martin Hartmann: "Die Praxis des Vertrauens".
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 541 S., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Luzerner Philosoph Martin Hartmann hat seine langjährige Beschäftigung mit dem Phänomen des Vertrauens in ein lesenswertes Buch münden lassen.
Vertrauen ist ein gespaltener Wert. Je weniger die Praxis von ihm wissen will, desto höher schätzen ihn Theorie und Moral. So lässt gegenwärtig die anhaltende Finanz-, Staaten- und Währungskrise die Medien immer wieder die Frage diskutieren, wem man noch vertrauen könne und auf welche Werte es heutzutage ankomme. Auch Bundespräsident Christian Wulff hat vor kurzem in Davos den versammelten Eliten aus Wirtschaft und Politik in diesem Sinne ins Gewissen geredet.
In den Wissenschaften war das Vertrauen seit Thomas Hobbes ein, wenn auch eher indirektes Thema in der politischen Philosophie, in der Sozial- und der Moralphilosophie. Der vorgesellschaftliche Zustand des Misstrauens, des "Krieges aller gegen alle", muss demnach überwunden werden, indem man dem Staat das Gewaltmonopol überträgt und zur Instanz des Vertrauens aufbaut. In den vergangenen Jahrzehnten hat demgegenüber vor allem Annette Baier betont, dass Vertrauen nicht nur eine Beziehung zwischen gleichberechtigten Handelspartnern kennzeichnet, sondern auch asymmetrische Beziehungen wie die zwischen Eltern und Kindern und intime Beziehungen. Auch in der Soziologie lässt sich die Promotion des Vertrauens zu einem zentralen Begriff beobachten. Beginnend mit Georg Simmel, erscheint Vertrauen hier als eine Voraussetzung, um koordiniertes Handeln unter Bedingungen weitgehender Anonymität zu ermöglichen. Niklas Luhmann hat auch diese Leistung auf den Begriff der Komplexitätsreduktion gebracht.
Der Soziologe gibt damit ein berühmtes Stichwort vor für das neue Buch des Philosophen Martin Hartmann, das den Akzent aber ganz anders setzt. Wenn Vertrauen nämlich Komplexität reduziert, dann nur, weil es selbst komplex ist, komplexer jedenfalls, als die vorliegenden Theorien meinen. Die Eigenart dieses Werts in den Blick zu nehmen heißt, seine eigene Art ernst zu nehmen.
Hartmann tut dies in umsichtiger und beeindruckender Weise. Sie bringt ihn zwar in die Schwierigkeit, letztlich nicht klar sagen zu können, was Vertrauen ist. Dennoch kann er einen anregenden, wenn nicht gar überzeugenden Lösungsvorschlag bieten, der sich im Konzept der "Praxis" verdichtet.
Obwohl Hartmann also ein begriffsanalytisches Verfahren, das die notwendigen und hinreichenden Eigenschaften des Vertrauens zu bestimmen versucht, nicht für aussichtsreich hält, weiß er, dass Begriffsarbeit grundsätzlich zur Philosophie gehört, und schlägt eine historisch und kulturell variable "Kernbedeutung" vor, die um einige zentrale Punkte kreist. Vertrauen ist demnach eine Einstellung, die uns kooperativ, unsicher und verletzbar davon ausgehen lässt, dass etwas, was für uns wichtig ist, geschehen wird. So trivial diese Kurzdefinition klingt, sie enthält folgenreiche Elemente.
Als "Einstellung" kann Vertrauen nämlich Wünschen, Überzeugungen und Gefühlen zugeordnet werden. Es steht mit ihnen in Verbindung, kann aber nicht auf sie reduziert werden. Vertrauen ist, plakativ gesagt, kein Gefühl. Es ist auch keine Überzeugung, denn es kann nicht wahr oder falsch sein. Wohl aber ist es rational oder irrational.
Rational heißt hier so viel wie "angemessen" und "begründungsbasiert". Die Begründungen müssen nicht explizit sein. Es reicht, dass keine Zweifel vorhanden sind. "Wir vertrauen, wenn wir keine Gründe haben, die dagegensprechen." Das Vertrauen ist zudem nicht schlichtweg moralisch. Gewiss ist es normativ, denn wir erwarten vom anderen, dass er sich in bestimmter Weise verhalten soll und uns nicht enttäuscht. Wenn er uns aber enttäuscht, ist es nicht kategorisch zu missbilligen. Man muss dem anderen Spielräume des Handelns zubilligen, statt blinde Pflichterfüllung zu fordern.
Alle diese Elemente verbinden sich letztlich im Konzept, man muss eigentlich sagen: in der Praxis der Praxis. Auch sie lässt sich nicht eindeutig definieren, liefert aber den Kontext für die Regeln und Kriterien, die uns helfen zu unterscheiden, ob ein Vertrauen angemessen ist oder nicht. Wenn es stimmt, dass man auch diesen Regeln und Kriterien vertrauen muss, ist das nur möglich, wenn man sich schon als Teil einer Praxis begreift, in der man diesen Regeln und Kriterien vertraut.
Hartmann ist sich im Klaren darüber, dass er sich hier in einem Zirkel bewegt. Aber er glaubt, ihm die logische Wucht nehmen zu können, indem er dem Vertrauen "einen moderat existenziellen Zug" gibt. Die Vertrauenspraxis setzt dann "Praxisvertrauen" voraus. Manchmal spricht er auch von "Kultur" des Vertrauens. Existentiell nennt er es im Rückgriff auf jenes "Urvertrauen" der Psychologie und jenes "Weltvertrauen" der Phänomenologie, das in diesen Wissenschaften als Grundlage des Handelns überhaupt angesehen wird und dem in der Philosophie ein ontologisches Vertrauen entspricht.
Normalerweise verlassen wir uns bekanntlich darauf, dass ein Gebäude nicht einstürzt, die Sonne täglich aufgeht und Mitmenschen uns nicht mit bösen Hintergedanken gegenübertreten. Hartmann weist diese Redeweise von Vertrauen zunächst zurück, weil sie eine Grundbedingung des Handelns nicht erfüllt, diejenige nämlich, dass es Optionen aufweist. Wo wir gar nicht anders handeln können, weil uns keine Alternativen vorliegen, können wir nicht vertrauen.
Es hat insofern keinen rechten Sinn zu sagen, man vertraue darauf, dass ein Gebäude, das man betritt, nicht einstürzt. Als Praxisvertrauen aber ist das Ur- oder Weltvertrauen bei Hartmann gerechtfertigt. Wir können nicht anders, als darauf zu vertrauen, dass die, denen wir vertrauen, tatsächlich unserem praktischen Verständnis von Vertrauen folgen.
Hartmann entwickelt seine Theorie in einem abgewogenen Verhältnis abstrakter Argumentation und beispielorientierter Ausführung, systematischer Absicht und Sensibilität für Details, vorsichtigen und zupackenden Formulierungen. Seinem Thema angemessen, bietet er "keine leichten Lösungen". Leider gönnt er dem fiktiven Aspekt des Vertrauens, seinem Als-ob-Rang, keine Aufmerksamkeit, dem Umstand, dass wir so tun müssen, als ob wir genügend über den anderen wüssten, um Vertrauen aufbringen zu können.
Klassisch ist dies ein Problem der Urteilskraft und damit immer auch der Ästhetik. Aber Hartmanns Buch ist reich genug, um auch jene nachdenklich zu machen, die gegenwärtig den Zusammenhang von ökonomischer Ungleichheit und sozialem Zerfall leugnen. In einem Kapitel zu Adam Smiths Begriff der Sympathie legt Hartmann dar, dass es eine solche Ungleichheit den Bürgern zunehmend schwierig macht, sich in die Lage der anderen hineinzuversetzen. Genau das aber ist eine Grundvoraussetzung für eine gemeinsame Praxis und das Vertrauen, das aus ihr erwächst.
JOSEF FRÜCHTL.
Martin Hartmann: "Die Praxis des Vertrauens".
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 541 S., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Die Kritik Ludger Heidbrinks, seines Zeichens Professor für Kulturwissenschaften in Essen, liest sich eher als ein eigenes Extempore über das Thema des Vertrauens und nicht so sehr als Auseinandersetzung mit dem Buch. Mag sein, dass Heidbrinks Reflexionen den Gang der Überlegungen Hartmanns indirekt abbilden. Vertrauen, so Heidbrink, sei zu verstehen als ein "Teil einer 'Praxis'", ohne die jede Gesellschaft zusammenbricht. Der Patient vertraut dem Arzt, der Passagier dem Piloten. Zugleich muss Vertrauen stets verdient werden als ein Respekt, der über das bloß Instrumentelle hinausgeht, denn "wer anderen nur vertraut, um seine Interessen durchzusetzen, dem schlägt nach kurzer Zeit Misstrauen entgegen". Vertrauen, so Heidbrink weiter, sei nicht an sich gut - denn auch die Mafia basiert zum Beispiel auf Vertrauen, aber ohne Vertrauen lässt sich keine stabile Gesellschaft aufbauen. An einer Stelle nennt Heidbrink Hartmanns Buch "überaus klug uns lesenswert".
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Ein überaus kluges und lesenswertes Buch.« Ludger Heidbrink DIE ZEIT 20120119
»Dieses empfehlenswerte Grundlagenwerk hilft Unternehmern bei der Positionsbestimmung in Zeiten des Umbruchs.«