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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Bettina Balàka erzählt in "Die Prinzessin von Arborio" eine grausige Geschichte mit Witz und Wiener Morbidität
Ginge es mit rechten Dingen zu, dann wäre Bettina Balàka nicht nur viel prominenter, als sie es ist, sondern längst auch eine Bestsellerautorin: Ihr im Wien des Jahres 1922 angesiedelter Heimkehrerroman "Eisflüstern" (2006) gehört zu den besten Büchern der neuesten österreichischen Literatur, und ihre herzergreifende Hundegeschichte "Unter Menschen" (2014) ist ein wahres Kabinettstück lebenskluger Unterhaltung. Für ihren neuen Roman hat Balàka sich unverkennbar von einem Fall der jüngsten Kriminalgeschichte inspirieren lassen: 2011 wurde die flüchtige Spanierin Estebaliz "Esti" Carranza in Italien verhaftet und an die österreichischen Behörden ausgeliefert. Die Besitzerin eines Wiener Eissalons gestand, ihren Ehemann und zwei Jahre später ihren Partner erschossen, mit der Kettensäge zerlegt und im Keller einbetoniert zu haben. In der Untersuchungshaft bekam die schöne "Eisprinzessin" des Boulevards ihr langersehntes Kind und heiratete den Kindesvater. Als einer ihrer Besucher in der Justizanstalt Schwarzau zeigte auch Thomas Glavinic sich nicht immun gegen "Estis" Charme.
Wie lässt sich aus der grausigen Geschichte einer zu lebenslanger Haft verurteilten Doppelmörderin ein Stück "Lesegenuss vom Feinsten", wie der Klappentext ankündigt, bereiten? Bettina Balàka behilft sich mit einer ironisch distanzierten Erzählhaltung, mit viel Witz und einem Schuss wientypischer Morbidität. Sie macht aus "Esti" Zorzi, Elisabetta Zorzi, aus der Spanierin eine Italienerin, aus dem Eissalon ein Restaurant - und aus zwei Morden drei. Gleich am Beginn muss Lebensgefährte Bernhard daran glauben, dem zuliebe Zorzi einige Schönheitsoperationen auf sich genommen hat, was er ihr nicht zu danken wusste. Bei einer Bergtour im Montblanc-Massiv bietet sich die Gelegenheit für einen "ganz leichten Schubs": "Sie trat ein paar Schritte zurück und lauschte, ob ein Aufschlag zu hören war, aber da war nichts. Es war still und die Welt war leer, sauber und klar. Blitzblauer Himmel. Leichter Wind in den Latschenkiefern. Lautlos kreisende Dohlen." Nein, es ist nicht so, dass die Erzählinstanz die Taten der Heldin gutheißen würde, aber begreiflich erscheinen sie ihr allemal, angesichts männlicher Borniertheit und Rücksichtslosigkeit. "Sie setzte sich hin und genoss die Aussicht."
Zorzis nächster Mann, für den sie Tauchen und Segeln lernt, hat ein gut, aber leider nicht perfekt organisiertes inoffizielles Liebesleben und ist in erster Linie an ihrem Boot interessiert. Der übernächste ist Fitnesstrainer und pflegt einen ausgewachsenen Ordnungsfimmel - beide sind, auf den ersten Blick, Prachtresultate der Evolution, doch sie taugen nicht einmal zur Produktion von Nachwuchs. Zorzi gibt jedem seinen eignen Tod, und Bettina Balàka schildert die Prozedur des Tötens und Spurenverwischens mit einem gewissen wohligen Schaudern. "Ironie war ihr Abwehrmechanismus", heißt es im Roman über eine Gerichtspsychiaterin, die auch Bücher schreibt.
Von Anfang an wird der Leser nicht darüber im Zweifel gelassen, dass man der Mörderin auf die Schliche kommt beziehungsweise gekommen ist. Balàka operiert leichthändig mit mehreren Zeitebenen und Perspektiven. Von einer Gerichtsverhandlung ist die Rede und von Zorzis Gesprächen mit einem Kriminalpsychologen namens Körber; zu seiner Sicht wechselt die Erzählung immer wieder, er erklärt sich und uns alles, was wir nicht direkt von der Täterin erfahren: Einfach Schluss zu machen mit einem Mann, der sie enttäuscht hat, sei für die hochintelligente Frau keine Option gewesen. Die "Prinzessin von Arborio" (den Spitznamen verdankt sie der in ihrem Lokal ideal verkochten Risottoreissorte) habe ihre Männer als Plagen betrachtet, so ähnlich wie ein Wespennest im Haus, bei dem Gutzureden ja auch nicht helfe. Schon als Kind hat Zorzi nicht gelernt, nein zu sagen, der Vater, ein mittelbekannter Schriftsteller in Apulien, war egozentrisch und gefühlskalt, ein Haustyrann. Von daher rührt angeblich ihr "Abgrenzungsproblem", ihre extreme Anpassungsbereitschaft.
Die Autorin hat die psychiatrischen Gutachten und Prozessakten sichtlich genau studiert, und doch aus dem Fall der Wiener "Eislady" etwas ganz Eigenes gemacht. Eine drastische Kriminalgeschichte von quasi augenzwinkerndem Realismus, die sich im Grunde für das Normale interessiert, für gescheiterte Lebenspläne und den Umgang der Geschlechter miteinander, und fein austarierte Einblicke in den zeitgenössischen Polizei- und Gefängnisalltag gewährt. Arnold Körber, kein Softie, sondern ein flächendeckend tätowiertes gestandenes Mannsbild, weiß wohl, dass der IQ eines Mannes in Gegenwart einer schönen Frau um durchschnittlich zehn Punkte sinkt, aber er hält sich für die Ausnahme von der Regel. Der weitere Lauf der Ereignisse, während dessen der Psychologe seinem Objekt näher und näher kommt, wird seinen Irrtum offenbaren.
Das spektakuläre Ende, das man erwartet oder, auch in ästhetischer Hinsicht, befürchtet, bleibt aus, aber es wird noch aufregend genug. Für die Krimis in Zorzis Anstaltsbibliothek gilt, dass sie "ein bisschen abgehoben und unrealistisch sein" müssen, "möglicherweise auch witzig", um Aufnahme zu finden. "Die Prinzessin von Arborio" wäre da wohl ein Grenzfall. Bettina Balàka ist ein Buch aus einem Guss gelungen, kompositorisch, stilistisch, psychologisch. Und doch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, die Autorin bewege sich auf der Schiene der "intelligenten Unterhaltung" einige Höhenmeter unter ihren Möglichkeiten.
DANIELA STRIGL
Bettina Balàka: "Die Prinzessin von Arborio". Roman.
Haymon Verlag, Innsbruck 2016. 264 S., geb.,
19,90 [Euro].
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