Romancier Ernst-Wilhelm Händler bringt Philosophie und Soziologie wieder zusammen, indem er eine kühne und neue Theorie der Gesellschaft entwirft. Eine Theorie des sozialen Lebens, die den aktuellen Problemen Rechnung tragen möchte, muss den Ursachen für die ökologische Bedrohung einheitlich begegnen. Um das zu erreichen, entwickelt Ernst-Wilhelm Händler ein eigenständiges Modell der Gesellschaft, das von dem Begriff »Produktion« ausgeht. Eine tragende Rolle spielt dabei der Gedanke der Ersetzbarkeit, den Händler zum Kern seines formalen Systems entwickelt. In Auseinandersetzung mit den Theorien von Bourdieu, Luhmann, Latour, Harrison White und Dirk Baecker gelingt es ihm damit, Gesellschaftstheorie und Philosophie einander anzunähern und beiden neue Impulse zu verleihen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2022Wer handelt, wenn es Menschen nicht tun?
Mit resoluter formaler Entschlossenheit: Ernst-Wilhelm Händler legt eine ambitionierte Theorie der Gesellschaft vor.
Von Gerald Wagner
Das OEuvre Ernst-Wilhelm Händlers zeichnet sich durch eine große Bandbreite aus. Romane finden sich darunter ebenso wie eine Kulturtheorie und Essays zu ökonomischen, gesellschaftlichen und künstlerischen Themen. Jetzt hat er auch noch eine Gesellschaftstheorie vorgelegt. Händler will darin nicht weniger als die "Kommunikationsstörungen" zwischen Sozialtheorie und Philosophie angehen, die "Dichotomie" zwischen Naturwissenschaften und Sozialtheorie für beide Gebiete fruchtbar machen und dann mit seiner Gesellschaftstheorie auch noch einen Beitrag leisten zur Rettung des Planeten.
Händler will seine Theorie zudem formal modellieren, obwohl er seinem Werk vorausschickt, dass es dafür schon in der Soziologie nur geringen Rückhalt gebe. Seine Warnung vor dem "Formel-Mordor" des Buches erweist sich als angebracht. Gegenüber einschlägigen Autoren auf dem Feld der Gesellschaftstheorie legt Händler dafür Gleichgültigkeit an den Tag. Namen wie Reckwitz, Rosa, Bude, Nassehi oder Lessenich sucht man bei ihm vergebens, eine Auseinandersetzung mit ihren Theorien findet nicht statt, von profunden empirischen Studien etwa aus der Bildungssoziologie, der Sozialstrukturanalyse oder der Soziologie der Ungleichheit ganz zu schweigen.
Er gehe eben, so Händler, nur auf gesellschaftstheoretische Ansätze ein, die ein "Minimum an formaler Entschlossenheit aufweisen". Das sind für ihn Niklas Luhmann, die Netzwerktheoretiker Harrison White und Bruno Latour, außerdem Pierre Bourdieu, Gabriel Tarde und schließlich noch Dirk Baecker. Chomsky, Wittgenstein und Foucault liefern ihm wichtige philosophische Theoreme, aber Autoren wie Cioran, Musil oder Philip K. Dick sind ihm nicht weniger nützliche Inspirationsquellen.
Händler flaniert durch Philosophie und Soziologie wie ein Kunstsammler, der er ja auch ist: Er greift heraus, was ihm gefällt und was zu seiner Sammlung passt. Akademische Gepflogenheiten interessieren ihn dabei nur am Rande, Fußnoten oder zitierbare Nachweise für seine Befunde sind spärlich. Mal diskutiert Händler die Stringtheorie, dann streift er die Schrödinger'sche Wellenfunktion. Er kann über das Higgs-Boson schreiben, referiert aber auch die Kapitalismus-Kritiken eines Thomas Piketty oder David Graeber. Die eklektizistische Freiheit, die sich Händler hier gönnt, könnte er aber nur mit dem Anspruch rechtfertigen, einen großen Wurf vorzulegen, dessen mitunter recht apodiktisch formulierte Einsichten sich anderen Quellen verdanken. Kann Händler also Gesellschaftstheorie?
Zumindest kann Händler der gegenwärtigen Soziologie vorwerfen, sie habe ein "Dynamik-Problem". Händlers zentraler Begriff der Produktion klingt natürlich viel dynamischer als Netz, System oder funktionale Differenzierung. Indem er Gesellschaft als eine "Abfolge von Produktionsumgebungen" fasst, kann er tatsächlich eine theoretische Verbindung herstellen zwischen dem aktiven und dem passiven Teil der Gesellschaft. Als Verhältnis von Arbeit und Struktur gehört das freilich seit rund hundertfünfzig Jahren zum Inventar der Gesellschaftstheorie. Händler müsste schon bestimmen, wie dieses Verhältnis heute zu denken wäre. Er bringt es auf die Formel der "Produktion von nicht identischer Ersetzbarkeit".
Ersetzbarkeit also. Hat uns Andreas Reckwitz nicht gerade eingeflüstert, wir wären eine Gesellschaft von unersetzbaren Singularitäten? Wo Reckwitz damit Gestaltungsmöglichkeiten suggeriert, die doch wohl auch individuelle Handlungsmacht bedeuten müssten, gibt sich Händler mit solchen Trostangeboten nicht ab. Der Gegenwartsmensch sei doch längst davon überzeugt, dass er "Agency an die Gesellschaft" abgebe. Agency, bemerkt Händler, "flackert". Eine Gesellschaftstheorie müsse also eine Antwort auf die Frage nach dem baldigen Erlöschen humaner Agency geben. Wer oder was handelt, wenn nicht mehr nur der Mensch?
Bruno Latour hat den Akteursbegriff so weit ausgedehnt, dass man seinem Entwurf den Titel Soziologe entziehen wollte. Bei ihm kann alles handeln - Menschen, Dinge, Tiere, technische Artefakte, Mikroben, Theorien. Händlers Anspruch ist es, die daraus hervorgegangene Netzwerktheorie Latours wieder eher zu einer genuinen Gesellschaftstheorie zu machen. Also recht klassisch, sie an die Ökonomie zurückzubinden, an die Produktionsbedingungen, denn diese bestimmten "immer weitgehender die gesellschaftlichen Absichten".
Ob das konventionelle Kapitalismuskritik ist, erschließt sich bei Händler nicht so recht. Was er genau damit meint, wenn er die kommende Gesellschaft eine "Agency-Metaproduktionsgesellschaft" nennt, bleibt wolkig. Auch seine diesbezüglichen Anmerkungen zu sozialen Medien und den wenigen "Megagalerien" der Kunstwelt bleiben eher anekdotisch. Dass hier noch "viel Analysearbeit veranlasst" sei, belegt er hinreichend selbst. Dass er sich Sorgen macht, wie der ökologischen Bedrohung des Planeten zu begegnen sei, ehrt ihn. Aber woher nimmt er bloß den Imperativ, dass eine heutige Theorie des sozialen Lebens einen theoretischen Beitrag leisten müsse zur Verringerung dieser Bedrohung?
Man kann diesen Imperativ politisch begründen, auch ethisch, aber aus der Theorie selbst nicht. Die "einheitliche Bedrohung" des irdischen Lebens "verursache eine Drift zur Gesellschaftstheorie" und damit auch zu ihrer größeren Einheitlichkeit, verspricht Händler und schließt daran umstandslos den Befund an, dass "zahlreiche Partikularethiken" innerhalb der Gesellschaft "definitiv obsolet" seien. Aber wer soll für ihre Eliminierung sorgen? Weil der Kapitalismus das nicht könne und auch die Götter samt Erdmutter Gaia es nicht mehr schafften, soll es jetzt ausgerechnet die Gesellschaftstheorie richten? An den deutschen Soziologie-Lehrstühlen wird man das mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis nehmen.
Ernst-Wilhelm Händler: "Die Produktion von Gesellschaft".
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2022. 288 S., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit resoluter formaler Entschlossenheit: Ernst-Wilhelm Händler legt eine ambitionierte Theorie der Gesellschaft vor.
Von Gerald Wagner
Das OEuvre Ernst-Wilhelm Händlers zeichnet sich durch eine große Bandbreite aus. Romane finden sich darunter ebenso wie eine Kulturtheorie und Essays zu ökonomischen, gesellschaftlichen und künstlerischen Themen. Jetzt hat er auch noch eine Gesellschaftstheorie vorgelegt. Händler will darin nicht weniger als die "Kommunikationsstörungen" zwischen Sozialtheorie und Philosophie angehen, die "Dichotomie" zwischen Naturwissenschaften und Sozialtheorie für beide Gebiete fruchtbar machen und dann mit seiner Gesellschaftstheorie auch noch einen Beitrag leisten zur Rettung des Planeten.
Händler will seine Theorie zudem formal modellieren, obwohl er seinem Werk vorausschickt, dass es dafür schon in der Soziologie nur geringen Rückhalt gebe. Seine Warnung vor dem "Formel-Mordor" des Buches erweist sich als angebracht. Gegenüber einschlägigen Autoren auf dem Feld der Gesellschaftstheorie legt Händler dafür Gleichgültigkeit an den Tag. Namen wie Reckwitz, Rosa, Bude, Nassehi oder Lessenich sucht man bei ihm vergebens, eine Auseinandersetzung mit ihren Theorien findet nicht statt, von profunden empirischen Studien etwa aus der Bildungssoziologie, der Sozialstrukturanalyse oder der Soziologie der Ungleichheit ganz zu schweigen.
Er gehe eben, so Händler, nur auf gesellschaftstheoretische Ansätze ein, die ein "Minimum an formaler Entschlossenheit aufweisen". Das sind für ihn Niklas Luhmann, die Netzwerktheoretiker Harrison White und Bruno Latour, außerdem Pierre Bourdieu, Gabriel Tarde und schließlich noch Dirk Baecker. Chomsky, Wittgenstein und Foucault liefern ihm wichtige philosophische Theoreme, aber Autoren wie Cioran, Musil oder Philip K. Dick sind ihm nicht weniger nützliche Inspirationsquellen.
Händler flaniert durch Philosophie und Soziologie wie ein Kunstsammler, der er ja auch ist: Er greift heraus, was ihm gefällt und was zu seiner Sammlung passt. Akademische Gepflogenheiten interessieren ihn dabei nur am Rande, Fußnoten oder zitierbare Nachweise für seine Befunde sind spärlich. Mal diskutiert Händler die Stringtheorie, dann streift er die Schrödinger'sche Wellenfunktion. Er kann über das Higgs-Boson schreiben, referiert aber auch die Kapitalismus-Kritiken eines Thomas Piketty oder David Graeber. Die eklektizistische Freiheit, die sich Händler hier gönnt, könnte er aber nur mit dem Anspruch rechtfertigen, einen großen Wurf vorzulegen, dessen mitunter recht apodiktisch formulierte Einsichten sich anderen Quellen verdanken. Kann Händler also Gesellschaftstheorie?
Zumindest kann Händler der gegenwärtigen Soziologie vorwerfen, sie habe ein "Dynamik-Problem". Händlers zentraler Begriff der Produktion klingt natürlich viel dynamischer als Netz, System oder funktionale Differenzierung. Indem er Gesellschaft als eine "Abfolge von Produktionsumgebungen" fasst, kann er tatsächlich eine theoretische Verbindung herstellen zwischen dem aktiven und dem passiven Teil der Gesellschaft. Als Verhältnis von Arbeit und Struktur gehört das freilich seit rund hundertfünfzig Jahren zum Inventar der Gesellschaftstheorie. Händler müsste schon bestimmen, wie dieses Verhältnis heute zu denken wäre. Er bringt es auf die Formel der "Produktion von nicht identischer Ersetzbarkeit".
Ersetzbarkeit also. Hat uns Andreas Reckwitz nicht gerade eingeflüstert, wir wären eine Gesellschaft von unersetzbaren Singularitäten? Wo Reckwitz damit Gestaltungsmöglichkeiten suggeriert, die doch wohl auch individuelle Handlungsmacht bedeuten müssten, gibt sich Händler mit solchen Trostangeboten nicht ab. Der Gegenwartsmensch sei doch längst davon überzeugt, dass er "Agency an die Gesellschaft" abgebe. Agency, bemerkt Händler, "flackert". Eine Gesellschaftstheorie müsse also eine Antwort auf die Frage nach dem baldigen Erlöschen humaner Agency geben. Wer oder was handelt, wenn nicht mehr nur der Mensch?
Bruno Latour hat den Akteursbegriff so weit ausgedehnt, dass man seinem Entwurf den Titel Soziologe entziehen wollte. Bei ihm kann alles handeln - Menschen, Dinge, Tiere, technische Artefakte, Mikroben, Theorien. Händlers Anspruch ist es, die daraus hervorgegangene Netzwerktheorie Latours wieder eher zu einer genuinen Gesellschaftstheorie zu machen. Also recht klassisch, sie an die Ökonomie zurückzubinden, an die Produktionsbedingungen, denn diese bestimmten "immer weitgehender die gesellschaftlichen Absichten".
Ob das konventionelle Kapitalismuskritik ist, erschließt sich bei Händler nicht so recht. Was er genau damit meint, wenn er die kommende Gesellschaft eine "Agency-Metaproduktionsgesellschaft" nennt, bleibt wolkig. Auch seine diesbezüglichen Anmerkungen zu sozialen Medien und den wenigen "Megagalerien" der Kunstwelt bleiben eher anekdotisch. Dass hier noch "viel Analysearbeit veranlasst" sei, belegt er hinreichend selbst. Dass er sich Sorgen macht, wie der ökologischen Bedrohung des Planeten zu begegnen sei, ehrt ihn. Aber woher nimmt er bloß den Imperativ, dass eine heutige Theorie des sozialen Lebens einen theoretischen Beitrag leisten müsse zur Verringerung dieser Bedrohung?
Man kann diesen Imperativ politisch begründen, auch ethisch, aber aus der Theorie selbst nicht. Die "einheitliche Bedrohung" des irdischen Lebens "verursache eine Drift zur Gesellschaftstheorie" und damit auch zu ihrer größeren Einheitlichkeit, verspricht Händler und schließt daran umstandslos den Befund an, dass "zahlreiche Partikularethiken" innerhalb der Gesellschaft "definitiv obsolet" seien. Aber wer soll für ihre Eliminierung sorgen? Weil der Kapitalismus das nicht könne und auch die Götter samt Erdmutter Gaia es nicht mehr schafften, soll es jetzt ausgerechnet die Gesellschaftstheorie richten? An den deutschen Soziologie-Lehrstühlen wird man das mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis nehmen.
Ernst-Wilhelm Händler: "Die Produktion von Gesellschaft".
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2022. 288 S., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Thomas Steinfeld scheint ernüchtert vom Abschluss von Ernst-Wilhelm Händlers Lebensprojekt zum Kapitalismus. Was Händler zur Produktion aufschreibt, theoriesatt, abstrakt und laut Steinfeld doch "anschlussfähig", was er in seine Theorie der allumfassenden Produktion aufnimmt, von der Kosmologie bis zu Rihannas Nagellack, findet der Rezensent so überwältigend wie in der Darstellung nicht selten sinnfrei. Steinfelds Fazit: Die allumfassende Theorie ist am Ende möglicherweise eine "Theorie von nichts".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.05.2022Wenn die Fabrik die Kundschaft produziert
Der für seine Romane aus der Wirtschaftswelt gefeierte Schriftsteller Ernst-Wilhelm Händler versucht sich an einer Gesellschaftstheorie von allem
Am Ende stellt Ernst-Wilhelm Händler, früher ein Unternehmer, später ein für seine Romane über das Wirtschaftsleben gefeierter Romancier, fünf Typen von Gesellschaft vor. Deren letzte hört auf den schwerverständlichen Namen „Agency-Metaproduktionsgesellschaft“. „Keine Missverständnisse“, beruhigt der Autor, „die Fabrik, die komplette Fabriken samt Kunden für deren Produkte erzeugt, gibt es noch nicht.“ Aber Händler scheint solche Verhältnisse zu erwarten. Die Vorläufer einer derartigen Gesellschaft erkennt er im Kunsthandel, vor allem in der New Yorker Galerie Gagosian, der finanziell vermutlich erfolgreichsten Galerie auf der Welt. Ein solches Unternehmen, verkaufe nicht einfach Kunst oder vermarkte Künstler. Es biete vielmehr ein „Spezialuniversum von Kunst“ an, indem es alle Kritik außer Kraft setze, eine eigene Wissenschaft schaffe und einen unendlichen Raum von „Intentionen und deren Aktualisierungen“ eröffne. Dort begegneten sich dann die Künstler und die Kunden.
Das Buch trägt den Titel „die Produktion der Gesellschaft“, was an die Titel der Werke Niklas Luhmanns erinnert. Doch auch wenn Händler zu Beginn erklärt, aus der Produktion gehe kein „Gesamtsinn“ hervor, so enthält seine Theorie mehr Geschichtsphilosophie, als der Bielefelder Soziologe je zugelassen hätte. Am Anfang, so der behauptete Gang der Dinge, bestand die Produktion in der Herstellung von bestimmten Dingen. Sie wurden gebraucht, die technischen Mittel waren vorhanden. Dann aber vermehrten sich, wie Händler meint, die Möglichkeiten der Produktion. Das sich entfaltende Finanzkapital scheint der Produktion den Weg in immer virtuellere Welten gewiesen zu haben, sodass auch die Ökonomie, die Naturwissenschaften und die Philosophie dahin gerieten, wo die Kunst schon immer war, nämlich in das Reich der Möglichkeiten. Am Ende der Theorie Händlers steht, das soll das Beispiel mit der Galerie lehren, die Produktion allein. Es spielt keine Rolle mehr, was hergestellt wird. Diese Produktion ist absolut geworden, souverän und handlungsmächtig („Agency“), und sie produziert vor allem Produktion („Meta“).
Die „Produktion der Gesellschaft“ soll die Theorie dieser Entwicklung sein, und zwar auf eine Weise, die dem Gegenstand, also der universellen Produktion von Möglichkeiten, entspricht: Anschlussfähiger ist noch keine Theorie gewesen, abstrakter, im Sinne von: von aller Erfahrung gelöst, allerdings auch nicht. Die Folgen sind offensichtlich: Händlers Werk besitzt einen überschaubaren Umfang von knapp 300 Seiten. Aber darin wird an landläufig bekannten Theorien so gut wie alles angesprochen, was Rang und Namen hat: Galileo Galilei, der „folgenreichste Physiker“ aller Zeiten, und Stanisław Lem, der „als Schriftsteller keine Berührungsängste mit den Prädikaten gut und böse“ hat, Martin Heidegger, der „konkurrenzlos radikal“ sein wollte, und selbstverständlich Niklas Luhmann, der eine „nie zynische Abneigung gegen Ethik auf der Objektebene“ hegte. Auch vom „letzten Stand der Kosmologie“ ist die Rede.
All diese Theorien scheinen unablässig miteinander zu kommunzieren, ohne dass je von etwas Konkretem die Rede wäre. Die Fernsehserie „Battlestar Galactica“ kommt vor, als Entwurf einer Theorie der Produktion (von humanoiden Robotern), die DDR, weil dort die „mathematischen Standards grundsätzlich höher“ waren, Rihannas Nagellack und ein Teilchenbeschleuniger bei Genf, weil dort die Existenz von Higgs-Bosons experimentell nachgewiesen wurde. Nichts scheint der Theorie der Produktion fremd zu sein.
Neun Romane und einen Band mit Erzählungen hat Ernst-Wilhelm Händler in den vergangenen 25 Jahren geschrieben. Sie alle handeln vom Leben mit einer Ökonomie, die man früher „freie Marktwirtschaft“ nannte und die heute zunehmend unter ihrem richtigen Namen, nämlich: Kapitalismus, bekannt ist. Die „Produktion von Gesellschaft“ ist der systematische Abschluss des Projekts, auch insofern, als die letzten Bezüge zu individueller Wahrnehmung und persönlichen Absichten preisgegeben sind. Das Prinzip „Produktion“ soll sich selbst darstellen. Da Entäußerung seine Sache nicht sein kann, artikuliert sie sich in mathematischen Formeln sowie in Sätzen, denen der Inhalt abhanden gekommen zu sein scheint: „Die in der Gegenwart ständig zunehmende gesellschaftliche Differenzierung macht eine Differenzierung der verschiedenen Arten und Funktionen von Komplexität unabdinglich.“ Es kann wohl nicht anders sein: Eine Theorie, die alles umfassen soll, ist am Ende eine Theorie von nichts.
THOMAS STEINFELD
Nichts scheint seiner
Theorie der Produktion
fremd zu sein
Ernst-Wilhelm Händler:
Die Produktion von Gesellschaft. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2022. 288 Seiten, 25 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Der für seine Romane aus der Wirtschaftswelt gefeierte Schriftsteller Ernst-Wilhelm Händler versucht sich an einer Gesellschaftstheorie von allem
Am Ende stellt Ernst-Wilhelm Händler, früher ein Unternehmer, später ein für seine Romane über das Wirtschaftsleben gefeierter Romancier, fünf Typen von Gesellschaft vor. Deren letzte hört auf den schwerverständlichen Namen „Agency-Metaproduktionsgesellschaft“. „Keine Missverständnisse“, beruhigt der Autor, „die Fabrik, die komplette Fabriken samt Kunden für deren Produkte erzeugt, gibt es noch nicht.“ Aber Händler scheint solche Verhältnisse zu erwarten. Die Vorläufer einer derartigen Gesellschaft erkennt er im Kunsthandel, vor allem in der New Yorker Galerie Gagosian, der finanziell vermutlich erfolgreichsten Galerie auf der Welt. Ein solches Unternehmen, verkaufe nicht einfach Kunst oder vermarkte Künstler. Es biete vielmehr ein „Spezialuniversum von Kunst“ an, indem es alle Kritik außer Kraft setze, eine eigene Wissenschaft schaffe und einen unendlichen Raum von „Intentionen und deren Aktualisierungen“ eröffne. Dort begegneten sich dann die Künstler und die Kunden.
Das Buch trägt den Titel „die Produktion der Gesellschaft“, was an die Titel der Werke Niklas Luhmanns erinnert. Doch auch wenn Händler zu Beginn erklärt, aus der Produktion gehe kein „Gesamtsinn“ hervor, so enthält seine Theorie mehr Geschichtsphilosophie, als der Bielefelder Soziologe je zugelassen hätte. Am Anfang, so der behauptete Gang der Dinge, bestand die Produktion in der Herstellung von bestimmten Dingen. Sie wurden gebraucht, die technischen Mittel waren vorhanden. Dann aber vermehrten sich, wie Händler meint, die Möglichkeiten der Produktion. Das sich entfaltende Finanzkapital scheint der Produktion den Weg in immer virtuellere Welten gewiesen zu haben, sodass auch die Ökonomie, die Naturwissenschaften und die Philosophie dahin gerieten, wo die Kunst schon immer war, nämlich in das Reich der Möglichkeiten. Am Ende der Theorie Händlers steht, das soll das Beispiel mit der Galerie lehren, die Produktion allein. Es spielt keine Rolle mehr, was hergestellt wird. Diese Produktion ist absolut geworden, souverän und handlungsmächtig („Agency“), und sie produziert vor allem Produktion („Meta“).
Die „Produktion der Gesellschaft“ soll die Theorie dieser Entwicklung sein, und zwar auf eine Weise, die dem Gegenstand, also der universellen Produktion von Möglichkeiten, entspricht: Anschlussfähiger ist noch keine Theorie gewesen, abstrakter, im Sinne von: von aller Erfahrung gelöst, allerdings auch nicht. Die Folgen sind offensichtlich: Händlers Werk besitzt einen überschaubaren Umfang von knapp 300 Seiten. Aber darin wird an landläufig bekannten Theorien so gut wie alles angesprochen, was Rang und Namen hat: Galileo Galilei, der „folgenreichste Physiker“ aller Zeiten, und Stanisław Lem, der „als Schriftsteller keine Berührungsängste mit den Prädikaten gut und böse“ hat, Martin Heidegger, der „konkurrenzlos radikal“ sein wollte, und selbstverständlich Niklas Luhmann, der eine „nie zynische Abneigung gegen Ethik auf der Objektebene“ hegte. Auch vom „letzten Stand der Kosmologie“ ist die Rede.
All diese Theorien scheinen unablässig miteinander zu kommunzieren, ohne dass je von etwas Konkretem die Rede wäre. Die Fernsehserie „Battlestar Galactica“ kommt vor, als Entwurf einer Theorie der Produktion (von humanoiden Robotern), die DDR, weil dort die „mathematischen Standards grundsätzlich höher“ waren, Rihannas Nagellack und ein Teilchenbeschleuniger bei Genf, weil dort die Existenz von Higgs-Bosons experimentell nachgewiesen wurde. Nichts scheint der Theorie der Produktion fremd zu sein.
Neun Romane und einen Band mit Erzählungen hat Ernst-Wilhelm Händler in den vergangenen 25 Jahren geschrieben. Sie alle handeln vom Leben mit einer Ökonomie, die man früher „freie Marktwirtschaft“ nannte und die heute zunehmend unter ihrem richtigen Namen, nämlich: Kapitalismus, bekannt ist. Die „Produktion von Gesellschaft“ ist der systematische Abschluss des Projekts, auch insofern, als die letzten Bezüge zu individueller Wahrnehmung und persönlichen Absichten preisgegeben sind. Das Prinzip „Produktion“ soll sich selbst darstellen. Da Entäußerung seine Sache nicht sein kann, artikuliert sie sich in mathematischen Formeln sowie in Sätzen, denen der Inhalt abhanden gekommen zu sein scheint: „Die in der Gegenwart ständig zunehmende gesellschaftliche Differenzierung macht eine Differenzierung der verschiedenen Arten und Funktionen von Komplexität unabdinglich.“ Es kann wohl nicht anders sein: Eine Theorie, die alles umfassen soll, ist am Ende eine Theorie von nichts.
THOMAS STEINFELD
Nichts scheint seiner
Theorie der Produktion
fremd zu sein
Ernst-Wilhelm Händler:
Die Produktion von Gesellschaft. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2022. 288 Seiten, 25 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Wenn die Fabrik die Kundschaft produziert
Der für seine Romane aus der Wirtschaftswelt gefeierte Schriftsteller Ernst-Wilhelm Händler versucht sich an einer Gesellschaftstheorie von allem
Am Ende stellt Ernst-Wilhelm Händler, früher ein Unternehmer, später ein für seine Romane über das Wirtschaftsleben gefeierter Romancier, fünf Typen von Gesellschaft vor. Deren letzte hört auf den schwerverständlichen Namen „Agency-Metaproduktionsgesellschaft“. „Keine Missverständnisse“, beruhigt der Autor, „die Fabrik, die komplette Fabriken samt Kunden für deren Produkte erzeugt, gibt es noch nicht.“ Aber Händler scheint solche Verhältnisse zu erwarten. Die Vorläufer einer derartigen Gesellschaft erkennt er im Kunsthandel, vor allem in der New Yorker Galerie Gagosian, der finanziell vermutlich erfolgreichsten Galerie auf der Welt. Ein solches Unternehmen, verkaufe nicht einfach Kunst oder vermarkte Künstler. Es biete vielmehr ein „Spezialuniversum von Kunst“ an, indem es alle Kritik außer Kraft setze, eine eigene Wissenschaft schaffe und einen unendlichen Raum von „Intentionen und deren Aktualisierungen“ eröffne. Dort begegneten sich dann die Künstler und die Kunden.
Das Buch trägt den Titel „die Produktion der Gesellschaft“, was an die Titel der Werke Niklas Luhmanns erinnert. Doch auch wenn Händler zu Beginn erklärt, aus der Produktion gehe kein „Gesamtsinn“ hervor, so enthält seine Theorie mehr Geschichtsphilosophie, als der Bielefelder Soziologe je zugelassen hätte. Am Anfang, so der behauptete Gang der Dinge, bestand die Produktion in der Herstellung von bestimmten Dingen. Sie wurden gebraucht, die technischen Mittel waren vorhanden. Dann aber vermehrten sich, wie Händler meint, die Möglichkeiten der Produktion. Das sich entfaltende Finanzkapital scheint der Produktion den Weg in immer virtuellere Welten gewiesen zu haben, sodass auch die Ökonomie, die Naturwissenschaften und die Philosophie dahin gerieten, wo die Kunst schon immer war, nämlich in das Reich der Möglichkeiten. Am Ende der Theorie Händlers steht, das soll das Beispiel mit der Galerie lehren, die Produktion allein. Es spielt keine Rolle mehr, was hergestellt wird. Diese Produktion ist absolut geworden, souverän und handlungsmächtig („Agency“), und sie produziert vor allem Produktion („Meta“).
Die „Produktion der Gesellschaft“ soll die Theorie dieser Entwicklung sein, und zwar auf eine Weise, die dem Gegenstand, also der universellen Produktion von Möglichkeiten, entspricht: Anschlussfähiger ist noch keine Theorie gewesen, abstrakter, im Sinne von: von aller Erfahrung gelöst, allerdings auch nicht. Die Folgen sind offensichtlich: Händlers Werk besitzt einen überschaubaren Umfang von knapp 300 Seiten. Aber darin wird an landläufig bekannten Theorien so gut wie alles angesprochen, was Rang und Namen hat: Galileo Galilei, der „folgenreichste Physiker“ aller Zeiten, und Stanisław Lem, der „als Schriftsteller keine Berührungsängste mit den Prädikaten gut und böse“ hat, Martin Heidegger, der „konkurrenzlos radikal“ sein wollte, und selbstverständlich Niklas Luhmann, der eine „nie zynische Abneigung gegen Ethik auf der Objektebene“ hegte. Auch vom „letzten Stand der Kosmologie“ ist die Rede.
All diese Theorien scheinen unablässig miteinander zu kommunzieren, ohne dass je von etwas Konkretem die Rede wäre. Die Fernsehserie „Battlestar Galactica“ kommt vor, als Entwurf einer Theorie der Produktion (von humanoiden Robotern), die DDR, weil dort die „mathematischen Standards grundsätzlich höher“ waren, Rihannas Nagellack und ein Teilchenbeschleuniger bei Genf, weil dort die Existenz von Higgs-Bosons experimentell nachgewiesen wurde. Nichts scheint der Theorie der Produktion fremd zu sein.
Neun Romane und einen Band mit Erzählungen hat Ernst-Wilhelm Händler in den vergangenen 25 Jahren geschrieben. Sie alle handeln vom Leben mit einer Ökonomie, die man früher „freie Marktwirtschaft“ nannte und die heute zunehmend unter ihrem richtigen Namen, nämlich: Kapitalismus, bekannt ist. Die „Produktion von Gesellschaft“ ist der systematische Abschluss des Projekts, auch insofern, als die letzten Bezüge zu individueller Wahrnehmung und persönlichen Absichten preisgegeben sind. Das Prinzip „Produktion“ soll sich selbst darstellen. Da Entäußerung seine Sache nicht sein kann, artikuliert sie sich in mathematischen Formeln sowie in Sätzen, denen der Inhalt abhanden gekommen zu sein scheint: „Die in der Gegenwart ständig zunehmende gesellschaftliche Differenzierung macht eine Differenzierung der verschiedenen Arten und Funktionen von Komplexität unabdinglich.“ Es kann wohl nicht anders sein: Eine Theorie, die alles umfassen soll, ist am Ende eine Theorie von nichts.
THOMAS STEINFELD
Nichts scheint seiner
Theorie der Produktion
fremd zu sein
Ernst-Wilhelm Händler:
Die Produktion von Gesellschaft. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2022. 288 Seiten, 25 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Der für seine Romane aus der Wirtschaftswelt gefeierte Schriftsteller Ernst-Wilhelm Händler versucht sich an einer Gesellschaftstheorie von allem
Am Ende stellt Ernst-Wilhelm Händler, früher ein Unternehmer, später ein für seine Romane über das Wirtschaftsleben gefeierter Romancier, fünf Typen von Gesellschaft vor. Deren letzte hört auf den schwerverständlichen Namen „Agency-Metaproduktionsgesellschaft“. „Keine Missverständnisse“, beruhigt der Autor, „die Fabrik, die komplette Fabriken samt Kunden für deren Produkte erzeugt, gibt es noch nicht.“ Aber Händler scheint solche Verhältnisse zu erwarten. Die Vorläufer einer derartigen Gesellschaft erkennt er im Kunsthandel, vor allem in der New Yorker Galerie Gagosian, der finanziell vermutlich erfolgreichsten Galerie auf der Welt. Ein solches Unternehmen, verkaufe nicht einfach Kunst oder vermarkte Künstler. Es biete vielmehr ein „Spezialuniversum von Kunst“ an, indem es alle Kritik außer Kraft setze, eine eigene Wissenschaft schaffe und einen unendlichen Raum von „Intentionen und deren Aktualisierungen“ eröffne. Dort begegneten sich dann die Künstler und die Kunden.
Das Buch trägt den Titel „die Produktion der Gesellschaft“, was an die Titel der Werke Niklas Luhmanns erinnert. Doch auch wenn Händler zu Beginn erklärt, aus der Produktion gehe kein „Gesamtsinn“ hervor, so enthält seine Theorie mehr Geschichtsphilosophie, als der Bielefelder Soziologe je zugelassen hätte. Am Anfang, so der behauptete Gang der Dinge, bestand die Produktion in der Herstellung von bestimmten Dingen. Sie wurden gebraucht, die technischen Mittel waren vorhanden. Dann aber vermehrten sich, wie Händler meint, die Möglichkeiten der Produktion. Das sich entfaltende Finanzkapital scheint der Produktion den Weg in immer virtuellere Welten gewiesen zu haben, sodass auch die Ökonomie, die Naturwissenschaften und die Philosophie dahin gerieten, wo die Kunst schon immer war, nämlich in das Reich der Möglichkeiten. Am Ende der Theorie Händlers steht, das soll das Beispiel mit der Galerie lehren, die Produktion allein. Es spielt keine Rolle mehr, was hergestellt wird. Diese Produktion ist absolut geworden, souverän und handlungsmächtig („Agency“), und sie produziert vor allem Produktion („Meta“).
Die „Produktion der Gesellschaft“ soll die Theorie dieser Entwicklung sein, und zwar auf eine Weise, die dem Gegenstand, also der universellen Produktion von Möglichkeiten, entspricht: Anschlussfähiger ist noch keine Theorie gewesen, abstrakter, im Sinne von: von aller Erfahrung gelöst, allerdings auch nicht. Die Folgen sind offensichtlich: Händlers Werk besitzt einen überschaubaren Umfang von knapp 300 Seiten. Aber darin wird an landläufig bekannten Theorien so gut wie alles angesprochen, was Rang und Namen hat: Galileo Galilei, der „folgenreichste Physiker“ aller Zeiten, und Stanisław Lem, der „als Schriftsteller keine Berührungsängste mit den Prädikaten gut und böse“ hat, Martin Heidegger, der „konkurrenzlos radikal“ sein wollte, und selbstverständlich Niklas Luhmann, der eine „nie zynische Abneigung gegen Ethik auf der Objektebene“ hegte. Auch vom „letzten Stand der Kosmologie“ ist die Rede.
All diese Theorien scheinen unablässig miteinander zu kommunzieren, ohne dass je von etwas Konkretem die Rede wäre. Die Fernsehserie „Battlestar Galactica“ kommt vor, als Entwurf einer Theorie der Produktion (von humanoiden Robotern), die DDR, weil dort die „mathematischen Standards grundsätzlich höher“ waren, Rihannas Nagellack und ein Teilchenbeschleuniger bei Genf, weil dort die Existenz von Higgs-Bosons experimentell nachgewiesen wurde. Nichts scheint der Theorie der Produktion fremd zu sein.
Neun Romane und einen Band mit Erzählungen hat Ernst-Wilhelm Händler in den vergangenen 25 Jahren geschrieben. Sie alle handeln vom Leben mit einer Ökonomie, die man früher „freie Marktwirtschaft“ nannte und die heute zunehmend unter ihrem richtigen Namen, nämlich: Kapitalismus, bekannt ist. Die „Produktion von Gesellschaft“ ist der systematische Abschluss des Projekts, auch insofern, als die letzten Bezüge zu individueller Wahrnehmung und persönlichen Absichten preisgegeben sind. Das Prinzip „Produktion“ soll sich selbst darstellen. Da Entäußerung seine Sache nicht sein kann, artikuliert sie sich in mathematischen Formeln sowie in Sätzen, denen der Inhalt abhanden gekommen zu sein scheint: „Die in der Gegenwart ständig zunehmende gesellschaftliche Differenzierung macht eine Differenzierung der verschiedenen Arten und Funktionen von Komplexität unabdinglich.“ Es kann wohl nicht anders sein: Eine Theorie, die alles umfassen soll, ist am Ende eine Theorie von nichts.
THOMAS STEINFELD
Nichts scheint seiner
Theorie der Produktion
fremd zu sein
Ernst-Wilhelm Händler:
Die Produktion von Gesellschaft. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2022. 288 Seiten, 25 Euro.
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