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Raunend überkuratiert: Robert Jones, Jr., beschreibt in seinem Romandebüt die Liebe zweier Sklaven
Hört man den New Yorker Schriftsteller Robert Jones, Jr., über seinen Roman "Die Propheten" sprechen, will man als Kritiker spontan Reißaus nehmen. Die Arbeit an seinem Buch sei schwierig, streckenweise sogar traumatisierend gewesen; kaum jemals seien Geschichten wie diese in der Literatur erzählt worden; die Stimmen der Toten selbst hätten ihn beauftragt, von ihrem Schicksal Zeugnis abzulegen. Wirkt angesichts dieser unverhohlenen Seligsprechung des Romans durch seinen Autor nicht jede Kritik, die ihren Namen verdient, zwangsläufig kleinlich, unangemessen, out of touch? Versuchen wir es trotzdem.
"Die Propheten" erzählt von zwei jungen Sklaven, Isaiah und Samuel genannt, die eine große Liebe verbindet. Schauplatz ist eine Baumwollplantage im Bundesstaat Mississippi, die von den Unterdrückten als sinnloser, lebensfeindlicher Nichtort mit dem Namen "Empty" versehen wird. Die Beziehung der beiden Männer ist für die anderen Sklaven so lange unproblematisch, bis ihnen das Christentum gepredigt wird. Nun wird sie zur Sünde, und an die Stelle der Toleranz treten Hass und Gewalt. Aber auch der Besitzer der Plantage, Paul, und seine Familie bleiben von den zunehmenden Spannungen nicht unberührt. Vollends zum Eskalieren bringt Sohn Timothy die Lage, als er versucht, Isaiah und Samuel zu verführen. Der Roman endet in einem rauschhaften Exzess, mit Blut und Feuer.
Jones wählt einen multiperspektivischen Ansatz, was durchaus wagemutig ist, seinem Werk aber zugutekommt. Über die bloße Evokation von Betroffenheit und Empörung hinaus soll die Gedankenwelt aller beteiligten Figuren nachvollziehbar gemacht werden. Besonders eindringlich gelingt dies - was vielleicht naheliegt - im Fall der moralisch verwerflichsten Personen, nämlich des Sklavenhalters und seines Sohnes: Während Paul sich an seinem vermeintlich gottgefälligen Handeln regelrecht aufgeilt ("nimm dir so viel, wie du verdammt noch mal willst!") und doch eine zutiefst gebrochene Persönlichkeit ist, begegnen wir Timothy als teilaufgeklärtem Dandy mit verfeinerten Manieren und großem Wortschatz, was seiner Intriganz allerdings keinen Abbruch tut.
Erweitert wird die beträchtliche Stimmenvielfalt des Romans zum einen durch Rückblenden ins Leben der Sklaven (oder ihrer Ahnen, das wird nicht ganz klar) vor ihrer gewaltsamen Verschleppung nach Amerika. Zum anderen richtet sich ein anonym bleibendes Kollektiv an die Leser: "Noch kennst du uns nicht", lautet der erste Satz des Buches; am Ende heißt es: "Jetzt weißt du, wer wir sind." Es sind diese pathetisch-raunenden Passagen, die nicht nur zu einer poetologischen Überkuratierung führen, sondern außerdem zu einer fragwürdigen Überhöhung des Geschilderten, ja des Romans im Ganzen: Zielt Jones auf eine Läuterung seiner Leserschaft? Will er gar eine Art Gegennarrativ zur biblischen Erzählung schreiben, wofür großtönende Kapitelüberschriften wie "Levitikus", "Die Offenbarung des Judas" oder "Hohelied" sprechen könnten? Man kann nur spekulieren, was übrigens auch für den Titel gilt, der eine Nummer kleiner - und vor allem weltlicher - offenbar nicht zu haben war.
In den Vereinigten Staaten sind "Die Propheten" überaus breit wahrgenommen worden, es stand auf der Bestsellerliste der "New York Times" und war für den National Book Award nominiert. Dies verwundert allerdings nicht, Jones' Roman stößt mitten hinein in den gegenwärtigen amerikanischen Kulturkampf, ja, er beruht auf einer dezidiert aktivistischen Poetik: "Der gesamten afrikanischen Diaspora und allen marginalisierten Menschen überall" widmet der Autor seinen Roman am Ende einer sage und schreibe neunzehnseitigen Danksagung. Sosehr man dieses Ansinnen politisch unterstützen möchte (wie auch nicht?), so klar müssen die ästhetischen Konsequenzen benannt werden: Indem Jones Blackness und Queerness, die Geschichte der Sklaverei und die christliche Tradition literarisch miteinander verschaltet, überspannt er den Bogen seines Romans - und zwar heftig. KAI SINA
Robert Jones, Jr.:
"Die Propheten". Roman.
Übersetzt von Simone Jakob. dtv, München 2022. 543 S., geb., 26,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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