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Lässig, böse, humorvoll – der neue Roman von Colson Whitehead über die wilden Siebziger im schwarzen New York
Ray Carney will von krummen Geschäften nichts mehr wissen. Er hält sich raus aus dem täglichen Chaos New Yorks, wo Gangster sich Schießereien liefern und die Black Liberation Army zum bewaffneten Kampf aufruft. Wäre da nicht seine Tochter May mit dem schier unerfüllbaren Wunsch nach einem Ticket für das Konzert der Jackson Five. Ray muss sein altes Netzwerk aktivieren – auf die Gefahr hin, sich selbst wieder zu verstricken. Als in Harlem ganze Wohnblocks in Flammen aufgehen,…mehr

Produktbeschreibung
Lässig, böse, humorvoll – der neue Roman von Colson Whitehead über die wilden Siebziger im schwarzen New York

Ray Carney will von krummen Geschäften nichts mehr wissen. Er hält sich raus aus dem täglichen Chaos New Yorks, wo Gangster sich Schießereien liefern und die Black Liberation Army zum bewaffneten Kampf aufruft. Wäre da nicht seine Tochter May mit dem schier unerfüllbaren Wunsch nach einem Ticket für das Konzert der Jackson Five. Ray muss sein altes Netzwerk aktivieren – auf die Gefahr hin, sich selbst wieder zu verstricken. Als in Harlem ganze Wohnblocks in Flammen aufgehen, beauftragt er Pepper, der wie kein zweiter die Regeln des Spiels kennt, um für Gerechtigkeit zu sorgen. Whiteheads grandios unterhaltsamer Roman über das schwarze New York der wilden Siebziger ist ein großes Sittengemälde Amerikas.

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Autorenporträt
Colson Whitehead, 1969 in New York geboren, studierte an der Harvard University und arbeitete für die New York Times, Harper's und Granta. Whitehead erhielt den Whiting Writers Award (2000) und den Young Lion's Fiction Award (2002) und war Stipendiat des MacArthur "Genius" Fellowship. Für seinen Roman "Underground Railraod" wurde er mit dem National Book Award 2016 und dem Pulitzer-Preis 2017 ausgezeichnet. Für seinen Roman "Die Nickel Boys" erhielt er 2020 erneut den Pulitzer-Preis. Bei Hanser erschienen bisher "John Henry Days" (Roman, 2004), "Der Koloß von New York" (Eine Stadt in dreizehn Teilen, 2005), "Apex" (Roman, 2007), "Der letzte Sommer auf Long Island" (Roman, 2011), "Zone One" (Roman, 2014), "Underground Railroad" (Roman, 2017), "Die Nickel Boys" (Roman, 2019), "Harlem Shuffle" (Roman, 2021) und "Die Regeln des Spiels" (Roman, 2023). Der Autor lebt in Manhattan.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.08.2023

Harlem Renaissance
Der Schriftsteller Colson Whitehead wurde mit dem Pulitzer Preis und dem National Book Award
ausgezeichnet. Was soll da noch kommen? Klar: eine virtuose New Yorker Gangsterklamotte
Wenn man sich ein Bild von den verschiedenen Tonlagen machen will, mit denen afroamerikanische Identität massenmedial auf die Bühne gebracht wird, könnte man zum Beispiel die Sprechweisen von Martin Luther King und dem aktuellen Vorsitzenden der demokratischen Partei im Repräsentantenhaus, Hakeem Jeffries, vergleichend nebeneinander legen. King hatte sich noch sehr um ein geschliffenes Hochenglisch bemüht, aus dem man fast die väterliche Klangfarbe des britischen Philosophen Bertrand Russell heraushören konnte. Wenn Hakeem Jeffries heute im Repräsentantenhaus seine Sätze rhythmisiert, seine Pausen setzt und tatsächlich auch in Reimen spricht, dann klingt er im Gegenteil, als hätte er bei dem Philosophen Cornel West persönlich das Rappen gelernt.
In Colson Whiteheads neuem Roman „Die Regeln des Spiels“ gibt es eine Figur, die ebenfalls vor dem Problem jedes Afroamerikaners in einer Öffentlichkeit steht, in der weißes Sprechen und weißer Habitus nach wie vor als vertrauenswürdig kodiert sind: die schwarze, wunderschöne, ehrgeizige Schauspielerin Lucinda Cole. Das amerikanische Filmpublikum weiß von ihr, dass sie in Harlem in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen ist, dass sie die Drogen, den Alkohol und auch die Armut halbwegs unbeschadet überstanden und sich schließlich von ganz unten den Weg auf die kalifornischen Billboards gebahnt hat.
Irgendwann jedoch stellt sich heraus, dass Lucinda Cole in Wahrheit Leanne Wilkes heißt und in Maplewood, New Jersey in einer Familie mit Haus und Garten aufgewachsen ist und dass es der geschäftstüchtige New Yorker Gangsterboss Chick Montague war, der sie neu eingekleidet und mit einer ärmlichen Harlem-Biografie versehen hat, weil das für eine schwarze Schauspielerin in Amerika nun einmal die bessere Geschichte ist. Lucinda spielt die Hauptrolle in einem Film, der von Harlem handelt und von einem schwarzen Regisseur in Harlem gedreht wird, und wie Whitehead in dieser Versuchsanordnung die Bedingungen der rassifizierten amerikanischen Kulturindustrie zum Tanzen bringt – wie also schwarze Künstler geschäftstüchtig das inszenieren, was sich das weiße Publikum unter authentischer schwarzer Kultur vorzustellen gelernt hat – , das ist tatsächlich virtuos.
Der Roman ist die Fortsetzung von „Harlem Shuffle“, der in den USA im Jahr 2021 erschienen ist und mit demselben Personal das vorangegangene Jahrzehnt erzählt, die Sechzigerjahre. Als das Buch erschien, hatte Colson Whitehead gerade die beispiellose Serie hinter sich, für zwei Romane zwei Mal mit dem Pulitzer Preis und einmal mit dem National Book Award ausgezeichnet worden zu sein. Dass er trotzdem bis heute vielerorts vor allem als afroamerikanischer Schriftsteller wahrgenommen wird und nicht als der Autor einer sich in seinem Werk Stück für Stück vervollkommnenden „Great American Novel“, ist auch schon Teil jenes Problemkomplexes, um das sich dieses Werk dreht. Trotz all der Preise sieht auch Whitehead sich heute immer noch mit einer Öffentlichkeit konfrontiert, der er immer wieder versichern muss, dass er zwar ein schwarzer Amerikaner, aber trotzdem keineswegs arm oder Sozialist oder auf andere Weise staatsgefährdend ist, sondern einfach Teil einer bürgerlichen Doppelverdiener- und Overachiever-Familie, die zwischen ihrem Apartment in Manhattan und ihrem Haus auf Long Island pendelt.
In seinem Roman „Die Nickel Boys“, der 2019 erschienen ist, ging es um einen schwarzen Jungen, der in den Sechzigerjahren wegen eines läppischen Deliktes in einer Besserungsanstalt für schwer Erziehbare landet, die der realen „Dozier School for Boys“ in Florida nachempfunden ist, einem staatlich finanzierten Kerker, in dem schwarze Minderjährige gezüchtigt, gefoltert und zigfach auch ermordet wurden und der erst 2011 geschlossen wurde. In „Underground Railroad“, als Amazon-Serie seifig ästhetisierend verfilmt von dem Moonlight-Regisseur Barry Jenkins, porträtierte er 2017 das reale Evakuierungsnetzwerk gleichen Namens, mit dem im 19. Jahrhundert Freiwillige Sklaven aus den Südstaaten in den Norden evakuierten. Der New York Times sagte Whitehead, dass er nach all dem Leid auch gern einmal wieder ein leichtes Buch schreiben wolle, und dieses Buch ist jetzt „Die Regeln des Spiels“. Es tritt in der Form einer Blaxploitation-Gangsterklamotte im Harlem der Siebzigerjahre auf, aber natürlich veredelt Whitehead durch seine schiere künstlerische Meisterschaft auch dieses Pulp-Genre zu einem Werk, das spielerisch mit den verschiedenen Begriffen jongliert, die es von sich selbst hat.
Die Hauptfigur ist wie in „Harlem Shuffle“ der selbstständige Möbelhändler Ray Carney, der nebenbei als Hehler für sämtliche kriminellen Vereinigungen von Harlem zur Verfügung steht, die seine Adresse kennen, sich aber trotzdem vormacht, eigentlich nicht wirklich im Geschäft zu sein. Zu Beginn des Buches drückt ihm ein korrupter Cop einen Beutel mit Diamanten in die Hand und schon bald darauf haben sich in diesem Plot sämtliche Drücker, Türsteher, Bosse, Staatsanwälte und Bürgermeisterkandidaten eingefunden, die in Harlem jemals miteinander zu tun gehabt haben.
Neben der Kommodifizierung weißer Klischees über schwarze Lebensrealitäten gab es in Harlem einige Jahrzehnte einen zweiten bedeutenden Wirtschaftszweig, der auch in diesem Roman eine Rolle spielt. Dieser Wirtschaftszweig bestand im Niederbrennen leerstehender Wohnhäuser, die kurz vor dem Inferno großzügig versichert wurden. Von dieser Praxis profitieren sämtliche Mitglieder der Harlemer Stadtgesellschaft und ganz besonders die Mitglieder der Bezirksregierung: Wenn sie die Brandstiftung polizeilich nicht weiter verfolgen, wenn die Versicherung den Schaden reguliert, wenn die Fördergelder für sozialen Wohnungsbau aus dem Bundesbudget ausgezahlt werden, wenn die Aufträge für neue Bauprojekte vergeben werden – jedes Mal wechseln Umschläge den Besitzer und als Ray Carney sich das Geschäftsmodell einmal vor Augen führt, kommt er zu dem Schluss: „Das ergibt eine Menge Umschläge.“
Diese Wertschöpfungskette hat, wie immer bei Whitehead, einen realen Hintergrund: Schon lange vor der Romanhandlung, im Jahr 1915 veröffentlichte Joseph Johnson, der damalige Fire Commissioner der Stadt New York, in seiner Verzweiflung ein Buch über die ubiquitäre Praxis des „Incendiarism“ in seiner Stadt und machte vor allem die Versicherungen verantwortlich. Erst durch deren großzügige Vergabe von Policen werde es lukrativer, ein Wohnhaus abzubrennen als es nicht abzubrennen. 25 Prozent aller Feuer in New York gingen seiner konservativen Schätzung nach auf Brandstiftung zurück, Immobilien im Wert von vielen Millionen Dollar würden so jedes Jahr zerstört.
Der berühmteste Brandstifter in der Geschichte der Stadt New York, an den sich auch das Personal in Whiteheads Roman noch gerne erinnert, hieß Isidore Steinareutzer alias Izzy Stein alias Isaac Chernik, alias „Izzy, der Maler“, weil er sich immer als Anstreicher ausgab, wenn er ein leeres Gebäude betrat. Im Sommer 1912 wurde er festgenommen, verpfiff seine gesamte Gang und bekam trotzdem 24 Jahre in Sing Sing.
Die genretypisch durchlässige Grenze zwischen Legalität und Illegalität wird dabei durch den Umstand verschärft, dass die Rassentrennung in den USA zu Beginn der Handlung gerade erst seit sechs Jahren aufgehoben war. Immer wieder gibt es Anspielungen auf Hausbewohner, Passanten, Imbissverkäufer, die auf der Suche nach einem besseren Leben aus dem Süden nach New York kamen, einem Leben also, in dem sie Bürger genug sind, um sich zu einer Nebenexistenz als Verbrecher entschließen zu können. In den anderen beiden großen Romanen Colson Whiteheads – „Nickel Boys“ und „Underground Railroad“ – bestand das Verbrechen schon im bloßen Schwarzsein an sich.
FELIX STEPHAN
Jahrelang war das Niederbrennen
versicherter Häuser in New York
ein blühendes Geschäft
Wollte nach all dem Leid in seinen vorherigen Romanen gern einmal wieder ein leichtes Buch schreiben: der Autor Colson Whitehead.
Foto: Paulo Spranger/IMAGO/GlobalImagens
Colson Whitehead:
Die Regeln des Spiels. Roman. Aus dem
Amerikanischen von
Nikolaus Stingl.
Hanser, München 2023.
384 Seiten, 26 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Rezensentin Katharina Granzin sieht in Colsons Whiteheads Roman über die Gangsterszene in Harlem das Potential zu einer Mini-Serie. Das Episondehafte der Geschichte um den Whitehead-Lesern schon bekannten Antihelden Ray Carney fällt Granzin besonders auf. Eigentlich gerade in der Legalität angekommen, rutscht Carney, den die Kritikerin durchaus sympathisch findet, wieder in kriminelle Machenschaften ab. Weil er seinen Kindern den Besuch eines eigentlich ausverkauften Baskettball-Spiels ermöglichen will, lässt er sich auf einen Deal mit einem korrupten Polizisten ein, so Granzin, das Schicksal nimmt seinen Lauf. Eine zweite Episode erzählt von Pepper, einem "knallharten Typ", der für Carney arbeitet. Whitehead gelingt hier eine dichte Atmosphäre, so Granzin, überdurchschnittliche Qualität kann sie ihm trotzdem nicht bescheinigen. Dafür sind die Figuren ein wenig zu flach, die Handlung ein bisschen zerfasert. Ein überraschendes Finale gibt es dann trotzdem, schließt die Kritikerin.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.08.2023

Krumme Hunde unter Druck
Kein Gangster-Paradies: Colson Whiteheads Harlem-Roman "Die Regeln des Spiels"

Harlem könnte man als Sujet für ausgebeutet halten. Haben wir nicht jede Facette des harten Straßenlebens in dem New Yorker Stadtbezirk schon gelesen, gesehen, gehört? Aus den Krimis von Chester Himes, aus Kinofilmen von "Shaft" (1971) über die Werke Spike Lees bis zu "American Gangster" (2007) und aus neuen Serien wie "The Godfather of Harlem" (seit 2019) setzt sich im Kollektivgedächtnis längst das Breughel-Bild eines modernen Molochs zusammen. Bobby Womacks Lied "Across 110th Street" von 1972 hat es auf den Punkt gebracht: Man tut, was auch immer man tun muss, um in Harlem zu überleben. You don't know what you'll do until you're put under pressure.

Über einen Song ist auch der 1969 in New York geborene Schriftsteller Colson Whitehead zum Thema gekommen: Bob & Earls "Harlem Shuffle" wurde ihm 2021 zum Romantitel für die Geschichte eines Ganoven in den Sechzigerjahren. Und auch in die literarische Tradition hat Whitehead sich offen gestellt: An Chester Himes, so sagte er in einem Interview, komme man ja sowieso nicht vorbei, und aus dessen Romanen habe er vor allem gelernt, dass jeder Mensch korrupt sei.

Das trifft auch auf Whiteheads Protagonisten Ray Carney zu. Im nun erschienenen Folgeroman "Die Regeln des Spiels", dessen Handlung 1971 beginnt, hat Carney allerdings die Hehlerei wieder aufgegeben, um als ehrlicher Möbelverkäufer auf den rechten Weg zurückzugelangen: "Er war in jenes Stadium im Leben eines Schwarzen eingetreten, in dem ihn an manchen Tagen nur die Aussicht, Geschichten von schwarzen Pionieren und vergessenen Visionären seines Volkes teilen zu können, aus dem Bett brachte." Zum Beispiel die, dass der Erfinder des Schlafsofas ein Schwarzer gewesen sei.

Das klappt natürlich überhaupt nicht. Denn Harlem ist weiter "grob und chaotisch", jeder sucht nur seinen eigenen Vorteil. Auch die Bürgerrechtler, diese "sogenannten rechtschaffenen Brothers", sind in Carneys Augen "Gauner wie er", die absahnen, wenn sie für Suppenküchenspenden die Hand aufhalten. Und noch schlimmer steht es um die Polizei: "Carney war der besseren Hälfte der Cops nie begegnet", heißt es lakonisch.

Whitehead flicht viel Historisches ein, wenn er die Figuren über den Unterschied zwischen den Black Panthers und der Black Liberation Army streiten lässt, die sich als Splittergruppe der Panthers noch mehr radikalisiert hatte und auch gezielt Polizistenmorde beging, um der Gewalt und Ungerechtigkeit zu begegnen, die Schwarze ständig erfuhren und erfahren. Ebenfalls eine Rolle spielt die Geschichte des einsam-rechtschaffenen Cops Frank Serpico, der vielen wiederum durch einen Film im Gedächtnis ist: einen grandiosen mit Al Pacino in der Hauptrolle.

Das Unglück der Romanhandlung nimmt seinen Lauf, als Carney den Kontakt zu dem besonders verdorbenen Polizisten Munson wiederaufnimmt - er möchte über dessen Beziehungen an Karten für ein Konzert der Jackson Five im Madison Square Garden gelangen, das seine Tochter unbedingt sehen möchte. Natürlich will Munson im Gegenzug mehr als eine kleine Gefälligkeit, und schon ist Carney wieder tief verstrickt in immer schlimmere Verbrechen. Whitehead schildert sie im kalten und oft erprobten Hardboiled-Stil; er montiert aber auch Rückblenden und ansatzweise soziologische oder philosophische Erklärungen, die jegliche Gewalt als Reaktion auf andere, teils schon in der Kindheit traumatisch erlebte Gewalt erscheinen lassen: In diesem New York, in dieser Welt, scheint der Roman ausdrücken zu wollen, kann keiner mehr anständig bleiben.

Der Originaltitel "A Crook Manifesto" lässt das dem Roman etwas zu deutlich eingeschriebene Motiv schon programmatischer anklingen als der deutsche: Als "Manifest für Ganoven" oder "Manifest der Krummheit" erscheint das Buch durch so manche gnostische Passage ("Gauner bleibt Gauner, und krumm hasst gerade"), die den Figuren in den Mund gelegt wird oder auch dem Denken eines nicht deutlich hervortretenden Erzählers entstammt.

In den beiden weiteren Episoden des Romans, die 1973 und 1976 spielen, wird die Verdorbenheit und Krummheit New Yorks und Amerikas erst anhand eines im Entstehen begriffenen "Blaxploitation"-Films und schließlich anhand der Zweihundertjahrfeiern der amerikanischen Unabhängigkeit ausgelotet und teils satirisch überspitzt: Ein junger schwarzer Comedian erklärt zunächst im Sinne eines Empowerments durch die Kinofilme mit schwarzen Superhelden: "Wir haben solche Filme, weil es keinen richtigen Geschichtsunterricht gibt." Dann fragt jemand angesichts der Protagonistin: "Nofretete - ist das irgendein afrozentristischer Scheiß?" Bald stellt sich heraus, dass die Schauspielerin dieser mit einer überstilisierten Perücke ausgestatteten Figur sich nicht in Harlem hochgearbeitet hat, sondern aus gutem Hause in New Jersey stammt. Und dann läuft der Film in einem schäbigen Kino, während ein weißer Mann dazu masturbiert. Solche postmodern-spielerischen Brechungen heben Whiteheads Roman von bloßer Genre-Literatur ab. (Die Übersetzung von Nikolaus Stingl bleibt dem vertrauten Genre-Sound treu, wobei sie oft zu sehr am Original klebt und zu wenig interpretiert, was manche Sätze nahezu unverständlich macht.)

Auf der Zielgeraden bewegt sich das Buch aber wieder von der bösen Komödie zur Elegie: In starkem Kontrast stehen die Vorbereitungen der großen amerikanischen Selbstfeier zu einem ständig brennenden New York, das manchen wie Vietnam erscheint und in dem es lukrativ ist, Gebäude anzuzünden und dafür die Versicherungssumme zu kassieren. Leider kommen dabei manchmal Menschen ums Leben. Und auch Carneys Möbelgeschäft, an dessen Ausstellungsstücken mit poetischen Namen wie der "Glamorous-Living-Produktionslinie von 1976" als Symbolen für (schwarzen) Aufstieg sich der Roman zuvor ausgiebig geweidet hat, geht in Flammen auf.

So wirkt Whiteheads Roman schließlich wie eine Prosa-Variation über ein noch älteres, lyrisches Thema der Harlem-Literatur: nämlich über den wegweisenden Gedichtzyklus "Montage of a Dream Deferred" (1951) des Dichters Langston Hughes. Dieser hatte damit, nach einer Blüte schwarzer Literatur und Kunst in der sogenannten "Harlem Renaissance" und ein paar Jahre vor Allen Ginsbergs 1956 veröffentlichtem Amerika-Abwicklungsgedicht "Howl", ein bitteres programmatisches Statement gesetzt: Was passiert mit einem aufgeschobenen Traum, fragt Hughes in dem Gedicht "Harlem" - vertrocknet er? Stinkt er? Versackt er? Or does it explode?

Als Ray Carney in seinem ausgebrannten Geschäft steht, hat er an einem heißen Tag Schüttelfrost. JAN WIELE

Colson Whitehead:

"Die Regeln des Spiels". Roman.

Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Hanser Verlag, München 2023.

384 S., geb., 26,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"An Humor fehlt es nicht, Unterhaltsamkeit ist, gute amerikanische Tradition eben, gewährleistet. Wenn man so will, ist das ein Blaxploitation-Roman - eine Filmadaption wird wohl nicht lange auf sich warten lassen, nicht zuletzt wegen der tarantinohaften Wucht bietet Whitehead einen idealen Stoff." Stefan Michalzik, Frankfurter Rundschau, 30.09.23

"Whiteheads Harlem-Epos zeigt eine Rückseite Amerikas, die ihre Schatten bis in die Gegenwart wirft. Die Vergangenheit ist nicht tot, sie ist noch nicht einmal vergangen, wusste bereits William Faulkner. Wie sie fortwirkt, erzählt Colson Whitehead virtuos, handfest und beklemmend, wie kaum ein anderer es heutzutage vermag." Roman Bucheli, Neue Zürcher Zeitung, 18.09.23

"Die Harlem-Trilogie: Sie könnte die 'Great American Novel' werden, die zu unserer Zeit passt." Martin Ebel, Tages-Anzeiger, 05.09.23

"Man wurde schon in 'Harlem Shuffle' den Verdacht nicht los, dass hier eine Geschichte New Yorks (und der Emanzipation ihrer schwarzen Bewohner) ihre angemessen popkulturelle Form gefunden hatte. Ein Verdacht, der in 'Die Regeln des Spiels' ... aushärtet wie in den Straßen von Manhattan der Asphalt." Wieland Freund, Welt am Sonntag, 03.09.23

"Dieser Flickenteppich ist ein atemloses Abenteuer." Michael Wurmitzer, Der Standard, 01.09.23

"Sehr rau und trotzdem elegant, manchmal fast schon lakonisch. Eine süffig erzählte Ganovengeschichte und ein facettenreiches, tiefgründiges Portrait seiner Heimatstadt in einem." Simon Leuthold, SRF2 Kultur, 31.08.23

"Eine virtuose New Yorker Gangsterklamotte." Felix Stephan, Süddeutsche Zeitung, 22.08.23
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