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Bewusst außerhalb der Rechtsordnung: Eine Untersuchung über die "Reichsbürger"
Von Marlene Grunert
Plötzlich waren es nicht mehr nur Spinner. Als ein sogenannter Reichsbürger am 19. Oktober 2016 im bayerischen Georgensgmünd einen Polizisten ermordete, wurde auch der Verfassungsschutz wach. Er begann, ein Milieu zu beobachten, das bis dahin überwiegend als Ansammlung von Esoterikern und Verschwörungstheoretikern abgetan worden war. Man hatte davon gehört, dass Reichsbürger sich eigene Ausweise drucken, Konserven horten und sich zu Königen krönen lassen. Wolfgang G. hatte auf seinem Grundstück in Georgensgmünd den "Regierungsbezirk Wolfgang" ausgerufen.
Heute definiert der Verfassungsschutz die Reichsbürger- und Selbstverwalterszene als Gruppierungen und Einzelpersonen mit großer Affinität zu Waffen, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren.
Obwohl Reichsbürger seit Jahrzehnten aktiv sind, stehen wissenschaftliche Untersuchungen noch am Anfang. Umso erhellender ist nun ein von den Staatsrechtlern Sophie und Christoph Schönberger herausgegebener Sammelband. Er kommt zur rechten Zeit. Denn wie gefährlich die Staatsverweigerer sind, wurde spätestens Mitte Februar deutlich, als die Bundesanwaltschaft 13 Mitglieder einer rechtsextremen Terrorzelle festnahm, zu denen offenbar auch Reichsbürger zählen.
Zu den aufschlussreichsten Beiträgen zählt der von Christoph Schönberger. Er widmet sich der Lehre vom Fortbestand des Deutschen Reiches nach dem Ende des Nationalsozialismus, durch die sich Reichsbürger bis heute legitimiert fühlen. Der Konstanzer Staatsrechtler macht deutlich, welch unterschiedlichen Zwecken die stets umstrittene Rechtsauffassung diente. Während sie unmittelbar nach 1945 praktische Fragen wie die des Umgangs mit dem Reichsvermögen habe lösen sollen, sei sie ab der Gründung beider deutscher Staaten vor allem politisch wichtig gewesen. Je länger die nationale Einheit der Vergangenheit angehört habe, umso stärker sei an ihre Stelle die Behauptung vom Fortbestand des Deutschen Reiches getreten - als "formaljuristischer Platzhalter" eines unerfüllbaren Wunsches, so Schönberger.
Wie sehr die behauptete Kontinuität des Reiches einer starken Delegitimierung der DDR und einer schwachen Delegitimierung der Bundesrepublik diente, zeigte sich auch im Zuge der Wiedervereinigung. Denn plötzlich spielte das Reich keine Rolle mehr, etwa beim Zwei-plus-vier-Vertrag. Man räumte mit der Lehre aber auch nicht auf, gibt Schönberger zu bedenken. Vielmehr habe man die "juristische Mumie Deutsches Reich achtlos am Wegesrand" liegengelassen. Die Reichsbürger nahmen sich ihrer an.
Auch in deren Gründungsfigur Wolfgang Ebel kommt zum Ausdruck, wie eng die Anfänge der Bewegung mit der Teilung Deutschlands verwoben sind. Ebel arbeitete einst als Eisenbahner in West-Berlin, dem einzigen Ort, an dem die Konstruktion des "imaginären gesamtdeutschen Reichs ein gewisses Realitätsmoment besaß", wie Schönberger schreibt. So wurde die S-Bahn bis 1984 auch in West-Berlin von der DDR betrieben, aber weiter "Reichsbahn" genannt. Der ansonsten längst unerwünschte Begriff des "Reichs" habe aus der Verlegenheit geholfen, ein Kind beim Namen zu nennen, das zwischen Ost und West salomonisch ungeteilt geblieben sei, auf dass es überlebe, zitiert Schönberger aus dem "Tagesspiegel" von 1980. West-Berlin akzeptierte, dass die West-Berliner Beschäftigten in einem Dienstverhältnis zur DDR standen, behauptete aber gleichzeitig, Dienstherr der Deutschen Reichsbahn in West-Berlin sei das Deutsche Reich.
In diese Widersprüchlichkeit versteifte sich Ebel, der 1980 infolge des Eisenbahneraufstandes von der DDR entlassen wurde. Vergeblich beantragte er vor Gericht die Feststellung, Beamter des Deutschen Reichs zu sein. Allein zu erfahren, wie aus dem Eisenbahner der selbsternannte "Reichskanzler" wurde, lohnt die Lektüre dieses Buchs.
Christoph und Sophie Schönberger (Hrsg.): Die Reichsbürger.
Campus Verlag, Frankfurt 2020. 203 S., 29,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
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