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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Vor zehn Jahren trat Hosni Mubarak zurück, der Arabische Frühling schien zu triumphieren. Was dann kam, erzählt Alaa al-Aswanis "Die Republik der Träumer".
Das Gesicht des Offiziers verfinsterte sich, und für einen Moment schien es, als wollte er etwas erwidern, aber stattdessen senkte er nur den Kopf, zog dann seine Pistole und gab einen Schuss ab. Einen einzigen Schuss." Das ist der Moment, in dem Alaa al-Aswanis Roman "Die Republik der Träumer" umkippt von einem Freudenfest in einen Totentanz. Zuvor schien alles möglich: Ein Land lehnt sich gegen seinen Diktator auf, bringt ihn binnen Tagen zu Fall, Menschen aus den unterschiedlichsten Klassen verbünden sich mit dem Ziel, eine Gesellschaft nun endgültig aus dem Würgegriff des Militärs zu befreien, die Welt feiert die Revolution und verleiht ihr den Namen "Frühling". Doch noch bevor dieses Ziel auch nur kalendarisch erreicht wäre, ist alles schon wieder vorbei. Und ein einziger Schuss kündigt es an.
Was Ende Januar 2011 in Kairo und vielen anderen ägyptischen Städten geschah, war für Leser von Alaa al-Aswani keine Überraschung. Sein Roman "Der Jakubijan-Bau" war auf Arabisch 2002 erschienen, vielfach übersetzt und vier Jahre später in Ägypten verfilmt worden, nochmals ein Jahr danach erschien endlich die deutsche Fassung im Schweizer Lenos Verlag; die großen Häuser hatten das Buch allesamt verschlafen. Wer damals las, wie al-Aswani den Mikrokosmos eines Gebäudes und seiner Bewohner entwarf, in dem sich die ägyptische Gegenwart spiegelte, der konnte an zwei Dingen keinen Zweifel hegen: dass der seit 1981 amtierende Staatspräsident Hosni Mubarak einem durch und durch verbrecherischen Regime vorstand und dass der politische Druck im Land so hoch geworden war, dass daraus nur eine Explosion folgen konnte. Eine Revolution.
Als die Proteste in Kairo auf dem zentralen Tahrir-Platz begannen, war al-Aswani unter den Demonstranten und blieb dort bis zu Mubaraks Sturz. Davon profitieren nun die atemraubend lebendigen Szenen seines jüngsten Romans, der schon 2018 im Libanon publiziert wurde - in Ägypten hat sich das niemand mehr getraut; nicht zufällig ging al-Aswani im Jahr des Erscheinens ins Exil nach New York. In Deutschland hat er mittlerweile einen großen Verlag gefunden: Hanser. Der wartete den zehnten Jahrestag des "Arabischen Frühlings" ab, zu dem er das Buch jetzt herausbrachte, war damit aber immer noch schnell; nur die italienische Fassung erschien früher. Das internationale Interesse am bekanntesten ägyptischen Gegenwartsautor ist gesunken, die Welt hat sich damit arrangiert, dass die Revolution in seinem Heimatland nicht viel verändert hat. Das Militär ist immer noch an der Macht. Politisch ist al-Aswani gescheitert.
"Die Republik der Träumer" ist deshalb ein gut gewählter deutscher Titel: verheißungsvoll und traurig zugleich. Im Arabischen heißt der Roman weitaus boshafter "Die Als-ob-Republik". Wie im "Jakubijan-Bau" gibt es darin viele kurze Kapitel, die aus wechselnden Perspektiven erzählen: denen von Organisatoren der Revolution, von Sympathisanten, Mitläufern, Skeptikern, Gegnern und Feinden. Dem wichtigsten der Letzteren, Generalmajor Achmed Alwani, dem Chef des Geheimdienstes, gehört das Auftaktkapitel, und selten hat man eine derart zynische Figur vorgestellt bekommen. Und das in einer Sprache, die mit ihren blumigen Archaismen an die orientalische Märchendiktion erinnert.
Andere Stilelemente verdanken sich dem Prinzip des Brief- oder des Feuilletonromans. Was Markus Lemke bei seiner ersten Übersetzung eines Al-Aswani-Buchs an Sprachvielfalt abverlangt wird und auch vorführt, lässt den Verzicht auf den bislang so bewährten Hartmut Fähndrich verschmerzen. Wir lesen Protokollstimmen, Straßenreportagen, manchmal bleibt die Handlung betrachtend an der Oberfläche, dann wieder legt sie das Innerste einzelner Figuren und Institutionen offen. Und aus einem pikaresken Helden - "Ashraf Wissa, der Kiffer und Komparse, der sich seit Jahren von der Welt zurückgezogen hatte" - wird ein echter Heros. Erst ganz zum Schluss löst sich einer der Akteure vom Geschehen, ansonsten sind wir immer unmittelbar dabei. Literarisch ist al-Aswani auf dem Höhepunkt.
Politisches, Literarisches - das eine bedingt das andere. Irgendwann im Roman wird das Gespräch eines alten Arztes mit dem dank seines Familienvermögens direkt am Tahrir-Platz wohnenden Ashraf Wissa geschildert: ",Die Revolution ist es, die uns zusammengebracht hat.' Dann verstummte er und drückte Ashraf fest die Hand, als seien ihm die eigenen sentimentalen Worte mit einem Mal peinlich." Es gibt manche Stellen in "Die Republik der Träumer", an denen man sich dieser Charakterisierung erinnert: pathetische Szenen, von al-Aswani erkennbar verfasst aus Sympathie für Protestierer, mitgerissen von der Erinnerung an ihren Elan - Szenen, die aber auch der Autor selbst abbricht. Man könnte sie für Cliffhanger halten, doch sie zeugen von Ergriffenheit.
Umso grausamer dann die eingestreuten Kapitel mit Strategiesitzungen der alten Elite, die nach dem ersten Schock über die Unbotmäßigkeit der "Gören", der "Rotzlöffel" ein skrupelloses Machtspiel entfaltet. Wer sich noch erinnert, wie der von der Muslimbruderschaft ins Amt gebrachte Präsident Mursi von seinem bis heute regierenden Nachfolger Sisi, einem Mubarak redivivus, abgelöst wurde, wird "Die Republik der Träume" für ihre analytische Schärfe schätzen, obwohl die Handlung schon vor Mursis Wahl endet. Da ist bereits alles verloren.
Der Schmerz darüber prägt das Buch. Wie es auch bei Omar Robert Hamiltons Roman "Stadt der Rebellion" der Fall war, der von denselben Ereignissen erzählte (F.A.Z. vom 6. Februar 2018), aber über den dokumentarischen die literarischen Qualitäten vernachlässigte. Alaa al-Aswani dagegen hat sich diesbezüglich noch einmal gesteigert: War "Der Jakubijan-Bau" ein prärevolutionäres Romanmanifest, ist "Die Republik der Träumer" ein postrevolutionärer Abgesang. Einer, der auch eine Erklärung dafür liefern kann, warum Alaa al-Aswani nicht seinen Frieden mit Israel gemacht hat, obwohl sein Land es doch getan hat.
Diesbezügliche Vorwürfe gegen ihn sind seit 2013 in der Welt, erst kürzlich hat sie sein irakischer Kollege Najem Wali in dieser Zeitung erneuert (F.A.Z. vom 23. Januar). Al-Aswanis Zorn auf das heimische Regime kann nicht tolerieren, dass es vom Westen deshalb gestützt wird, weil es eine der wenigen israelfreundlichen arabischen Regierungen ist. Perfide wie die sonstigen Methoden der Militärs erscheint im Buch auch deren Instrumentalisierung des Antizionismus. Es gibt kein einziges böses Wort über Israel in diesem Roman, das nicht von bösen Leuten stammte.
Was al-Aswani indes unausgesprochen lässt, ist, dass er über die gutgemeinte Duldung dieser bösen Leute verzweifeln muss. Womöglich lassen sich so Äußerungen des Schriftstellers erklären, in denen er sich betreffs Israels explizit gegen das ausgesprochen hat, was die arabische Welt "Normalisierung" nennt. Repression treibt die Aufgeklärten ins Ressentiment. Ein weiterer trauriger Aspekt der verfahrenen Lage im Nahen Osten.
Wenn sich schließlich im Roman die Frage stellt, wer angesichts der reüssierenden Konterrevolution in Ägypten bleiben wird und wer nicht, dann ist das auch eine Selbstbefragung von Alaa al-Aswani vor dem eigenen Gang ins Exil gewesen. Das Finale der Geschichte ist noch einmal das Werk eines Träumers. Vervielfachte Rache, "mehrere Feuerstöße. Danach war Stille." Albtraum.
ANDREAS PLATTHAUS
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