Kochen heißt großzügig sein
„Ohne dich hätte meine Kochkunst keine Richtung, keinen Geschmack. Ohne Worte hast Du mir Dinge beigebracht. Jetzt kannst Du gehen, Papa. Wir hatten ein gutes Leben zusammen …“ (S. 21)
Juliens Vater Henri hat Lungenkrebs im Endstadium und liegt auf einer
Palliativstation im Koma. Er ist nicht mehr da, und trotzdem bewegen sich seine Hände unaufhörlich als würde er…mehrKochen heißt großzügig sein
„Ohne dich hätte meine Kochkunst keine Richtung, keinen Geschmack. Ohne Worte hast Du mir Dinge beigebracht. Jetzt kannst Du gehen, Papa. Wir hatten ein gutes Leben zusammen …“ (S. 21)
Juliens Vater Henri hat Lungenkrebs im Endstadium und liegt auf einer Palliativstation im Koma. Er ist nicht mehr da, und trotzdem bewegen sich seine Hände unaufhörlich als würde er Brotteig kneten – Henri war immer ein Koch aus Leidenschaft, kann selbst im Angesicht des Todes nicht loslassen. Während Julien an seinem Bett sitzt, denkt er an ihr gemeinsames Leben, seine Kindheit und Jugend zurück.
Diese ist geprägt von Henris kleinem, aber weithin berühmten Bistro. Das Familienleben spielt sich hauptsächlich in dessen Küche ab. Henri steht werktags von 7 Uhr bis Mitternacht am Herd, auch wer kein Geld hat, wird von ihm nicht abgewiesen. Unterstützt wird er von Lucien. Die beiden kennen sich aus dem Algerienkrieg, wo sie Schlimmes erlebt haben, über das sie nur in Andeutungen reden. Sie scheinen selber Nachfahren von Einwanderern zu sein, variieren die traditionellen französischen Rezepte aber nur leicht. Ihnen ist wichtig, dass die Gerichte frisch, regional, jahreszeitgemäß und nachhaltig sind, viele Zutaten finden sie in der Natur. Julien ist so oft wie mögliche dabei, erlernt erste Rezepte und sieht zu seinem Vater auf, auch wenn dieser kein guter Lehrer ist, sondern oft harsch und aufbrausend. Kochen hat man im Gefühl meint er, dafür braucht es keine Rezepte. Trotzdem legt Henris Frau irgendwann ein Rezeptbuch an.
So ist es nur natürlich, dass Julien von klein auf in Henris Fußstapfen treten und selbst Koch werden will, aber Henri ist dagegen. Sein Sohn soll es einmal besser haben und nicht von früh bis spät in der Küche schuften. Doch Julien ist genauso stur wie sein Vater und lässt sich von seinem Ziel nicht abbringen. Nur Henris Kochbuch fehlt ihm noch zum Glück, auch wenn er die meisten Rezepte längst auswendig kennt …
Obwohl das Buch nur 200 Seiten hat, liest man es nicht mal so nebenbei. Ich habe es mehrfach aus der Hand gelegt, weil sich das Gelesene setzen musste. Es ist eine relativ traurige Geschichte. Julien erzählt sehr ruhig und eindringlich aus seinem Leben. Oft spürt man seine Verlorenheit und die Sehnsucht nach einer heilen Familie, nach seiner Mutter, welche die Familie in seiner Kindheit verlassen hat. „… wir klammern uns an Rituale. Wir sind wie Seiltänzer auf dem Seil des Lebens ohne Mama. Unser Gleichgewicht ist nicht stabil …“ (S. 66)
Ich fand es sehr berührend wie Julien darum kämpft, von seinem Vater als Koch akzeptiert und anerkannt zu werden und das Bistro übernehmen zu dürfen.
Aber es ist auch ein Roman mit einem Paukenschlag, er spitzt sich immer mehr zu, bis das im Klappentext erwähnte Geheimnis gelüftet wird und Julien in eine Krise stürzt. „Am liebsten würde ich der ganzen Welt meine Einsamkeit ins Gesicht schreien, die ich niemals loswerde.“ (S. 119)
Mir hat besonders gut gefallen, wie der Autor es geschafft hat, fast jede Erinnerung Juliens mit einem Gericht zu verbinden (einige finden sich am Ende des Buches wieder) und damit den Appetit des Lesers auf gute französische Hausmannskost zu wecken.
„Die Rezepte meines Vaters“ von Jacky Durand ist eine sehr berührende Vater-Sohn-Geschichte, garniert mit französischen Köstlichkeiten, die einem das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen.