Studienarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Germanistik - Ältere Deutsche Literatur, Mediävistik, Note: 1,75, Ludwig-Maximilians-Universität München (Deutsche Philologie), Veranstaltung: Hauptseminar, Sprache: Deutsch, Abstract: Vor dem Hintergrund der Frage, in welcher Form sich die Aufklärung mit Wissensbeständen der vorangegangenen Jahrhunderte auseinandergesetzt hat, soll am Beispiel des von Johann Jacob Bodmer wiederentdeckten und in mehreren Auszügen edierten Nibelungenliedes gezeigt werden, welchen Weg das von den Schweizern ausgehende Interesse für die mittelalterliche Literatur genommen hat und wie diese Entwicklung nicht dem ursprünglichen Verständnis der Aufklärung folgt, die sich in der Kontinuität des Humanismus und damit auch der französischen Klassik sieht, sondern durch die Hinwendung zur zeitgenössischen englischen Literatur eine Neubewertung des Mittelalters begründet, die die im Humanismus verankerte Ablehnung gerade dieses Zeitalters aufhebt. Stand die Aufklärung zunächst in der Kontinuität des Humanismus und damit auch des Klassizismus, was per definitionem einen Ausschluss des Mittelalters mit sich brachte, begründeten die Schweizer, allen voran Bodmer und Breitinger, eine Umorientierung hin zum „dem Anderen“, von der französischen zur englischen Literatur und damit den Beginn einer Historisierung, die einerseits die Werte erkennt, die den alten Texten innewohnen, sich andererseits aber auch nicht scheut, genau diese alten Texte den zeitgenössischen Normativen zu unterwerfen und durch massive Eingriffe anzupassen. Eine historische Perspektive, wie sie von Thomas Blackwell formuliert und von Bodmer rezipiert wird, macht die Rezeption des Mittelalters überhaupt erst möglich und ebnet den Weg für die gegen Ende des 18. Jahrhunderts einsetzende romantische Bewegung, die genau das postuliert, was auch Bodmers Anliegen war: die Suche nach den eigenen Wurzeln in Kunst und Literatur des Mittelalters.