Schweizer Buchpreis 2018 Das eigene Leben noch einmal miterleben. Soll man sich das wünschen? Christoph verabredet sich in Stockholm mit der viel jüngeren Lena. Er erzählt ihr, dass er vor zwanzig Jahren eine Frau geliebt habe, die ihr ähnlich, ja, die ihr gleich war. Er kennt das Leben, das sie führt, und weiß, was ihr bevorsteht. So beginnt ein beispiellos wahrhaftiges Spiel der Vergangenheit mit der Gegenwart, aus dem keiner unbeschadet herausgehen wird. Können wir unserem Schicksal entgehen oder müssen wir uns abfinden mit der sanften Gleichgültigkeit der Welt? Peter Stamm, der große Erzähler existentieller menschlicher Erfahrung, erzählt auf kleinstem Raum eine andere Geschichte der unerklärlichen Nähe, die einen von dem trennt, der man früher war.
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buecher-magazin.deIst in der Literatur wirklich alles möglich? Es gibt gewisse Regeln. Man sollte eine Geschichte nicht unbedingt zweimal erzählen. Und man sollte außerhalb des Schreibtisches zwischen Fiktion und Realität unterscheiden können. Und man sollte sich gut überlegen, ob man die Frau, die man liebt, zum Gegenstand seines Romans macht. Das gilt zumindest für Christoph, den Protagonisten aus Peter Stamms neuestem Roman. Dem nicht mehr jungen Schriftsteller fliegt nämlich sein ganzer (Erzähl-)Kosmos um die Ohren, als er auf eine 20 Jahre jüngere Version seiner selbst trifft, die ihm seine Geschichte klaut. Nach dieser Begegnung gibt es keinen Erfolgsroman mehr für ihn und auch seine Erinnerungen an seine geliebte Freundin Magdalena, die in den Roman eingeflossen sind, werden verfälscht und verändert. Also trifft sich Christoph mit Lena, der Frau des Doppelgängers, die dieselbe Person zu sein scheint wie die Magdalena, die er vor 20 Jahren verlassen hat. Erzählend versucht er, in sein Schicksal einzugreifen. Der Plot von Stamms Doppelgängergeschichte ist kompliziert verschachtelt, aber gut durchdacht. Seine Konstruktion macht diesen Roman interessant, weniger seine Figuren, die leider etwas blass bleiben.
© BÜCHERmagazin, Katharina Manzke
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Bei Katharina Teutsch hinterlässt auch die Lektüre von Peter Stamms neuem Roman eine "sanfte Gleichgültigkeit", auch wenn sie das Buch gar nicht ungern gelesen hat. Die Lakonie des Textes scheint ihr aber nicht so recht zu passen zu den Gedankenspielen eines alternden Romanciers um manipulierte Schicksale, Doppelgänger und die Frage nach der Authentizität des gelebten Lebens. Ob der sich mit dem Selbstbetrug im mitteleuropäischen Wohlstandsmilieu auskennende Autor eben diese Wirkung kalkuliert hat, vermag Teutsch nicht zu sagen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.2018Das ist die La-La-Lakonie
Peter Stamms neuer Roman betreibt ein Doppelspiel
Peter Stamm gilt vielen Lesern und Teilen der Kritik seit Jahren als stille Größe im Betrieb. In Sachen Liebe, Ehe und Selbstbetrug im mitteleuropäischen Wohlstandsmilieu weiß er bestens Bescheid. Insofern er weiß, dass es in diesen Dingen nicht allzu viel zu wissen gibt. Was machen seine Romane dann? Sie zeigen mit provokanter Ruhe die Optionen auf, die ein Mensch so hat. Mit den Konsequenzen macht er einen auch vertraut. Aber die sind dann nicht mehr das Geschäft des Schriftstellers, sondern das des Lesers.
Das ungelebte Leben ist das Grundthema aller Peter-Stamm-Romane. In seinem jüngsten Buch hat er das noch einmal festgeschrieben. Der alternde Romancier Christoph schreibt der jungen Lena eine Nachricht. Er notiert Uhrzeit und Ort - wir befinden uns in Stockholm - und dass er ihr eine Geschichte erzählen möchte. Lena kommt und erfährt nun von Christoph, dass dieser, genau wie Lenas Freund Chris, ein einziges Buch geschrieben habe - vor Jahren. In diesem Buch sei die gescheiterte Beziehung zu einer gewissen Magdalena dokumentiert. Nach dem Babuschkaprinzip entpuppt sich jetzt die Liebes- und Lebensgeschichte von Christoph (und Magdalena) als die noch bevorstehende Liebes- und Lebensgeschichte von Lena und Chris.
Doch muss bei Lena und Chris alles so kommen, wie es bei Christoph und Magdalena hat kommen müssen? Lässt sich das Schicksal manipulieren? Kann der Zeitstrahl umgedreht werden? Wenn die Liebe von Lena und Chris einen anderen Ausgang hat als die von Magdalena und Christoph, kann dann auch das bereits gelebte Leben der beiden aufgehoben und korrigiert werden? Und was, wenn alles am Ende nur Literatur ist? Wenn das Leben, das das Buch seinem Autor unterstellt, in Wahrheit gerade wegen dieses Buchs gar nicht stattgefunden hat?
Das Buch, von dem Christoph mit Lena und Chris spricht, scheint wie vom Erdboden verschluckt. Weder die Nationalbibliothek hat ein Exemplar vorrätig noch dessen Verfasser selbst, denn er vergisst das nach Stockholm geschleppte Manuskript in einer Kneipe. Erinnert er sich überhaupt an das, was in diesem Buch steht über ihn und Magdalena? Vielleicht ist es gar nicht so schwer, sich von diesem Skript zu befreien, wenn man sich falsch daran erinnert. Wäre da nur nicht Chris, der mit seinem eigenen Roman Christophs Leben radikal in Frage stellt.
Was den Erzähler in Bezug auf Magdalena einst aus der Fassung bringen konnte, war die Erkenntnis, "dass unsere Liebe nicht die einzige Möglichkeit war, die in ihr steckte". Zumal sowohl Magdalena als auch Lena Schauspielerinnen sind und eben - Achtung! - Rollen spielen. Aber die Frage ist natürlich berechtigt: Was, wenn man in Schlüsselmomenten seines Lebens anders entschieden hätte? Wäre man dann ein anderer geworden? Oder ist das eine müßige Frage, denn selbstverständlich ist man ja der geworden, der man ist, weil man eben so und gerade nicht anders entschieden hat? "Wenn er ist wie Sie", sagt Lena einmal zu Christoph, "und ich wie Ihre Magdalena und wenn wir dasselbe Leben führen wie Sie beide vor fünfzehn oder zwanzig Jahren, dann müssten doch auch unsere Eltern dieselben sein und unsere Freunde, die Häuser, in denen wir leben, die Inszenierungen, in denen ich und Ihre Magdalena aufgetreten sind, die Texte, die Chris und Sie schreiben. Dann müsste die ganze Welt sich verdoppelt haben."
Solchen Gedankenspielen kann man sich mit Peter Stamms Helden genussvoll hingeben. Das Doppelgängermotiv, in der Romantik ein beliebter Topos, mit dem Autoren Selbstverlustängste thematisierten, wird in "Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt" konzise durchgeführt und auf sein Gruselpotential abgeklopft. Lakonie heißt es, sei die stille Kraft aller Romane Peter Stamms. Hier schlottert sie allerdings wie ein viel zu dünnes Leibchen auf einem Denkgerippe, das im 21. Jahrhundert seltsam morsch wirkt. Andererseits, und das muss man Peter Stamm zugutehalten, liest man dieses Buch nicht ungern. Man hat es allerdings schnell wieder vergessen. Es hinterlässt eine "sanfte Gleichgültigkeit", und vielleicht ist das ja gewollt.
KATHARINA TEUTSCH
Peter Stamm: "Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt". Roman.
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2018. 156 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Peter Stamms neuer Roman betreibt ein Doppelspiel
Peter Stamm gilt vielen Lesern und Teilen der Kritik seit Jahren als stille Größe im Betrieb. In Sachen Liebe, Ehe und Selbstbetrug im mitteleuropäischen Wohlstandsmilieu weiß er bestens Bescheid. Insofern er weiß, dass es in diesen Dingen nicht allzu viel zu wissen gibt. Was machen seine Romane dann? Sie zeigen mit provokanter Ruhe die Optionen auf, die ein Mensch so hat. Mit den Konsequenzen macht er einen auch vertraut. Aber die sind dann nicht mehr das Geschäft des Schriftstellers, sondern das des Lesers.
Das ungelebte Leben ist das Grundthema aller Peter-Stamm-Romane. In seinem jüngsten Buch hat er das noch einmal festgeschrieben. Der alternde Romancier Christoph schreibt der jungen Lena eine Nachricht. Er notiert Uhrzeit und Ort - wir befinden uns in Stockholm - und dass er ihr eine Geschichte erzählen möchte. Lena kommt und erfährt nun von Christoph, dass dieser, genau wie Lenas Freund Chris, ein einziges Buch geschrieben habe - vor Jahren. In diesem Buch sei die gescheiterte Beziehung zu einer gewissen Magdalena dokumentiert. Nach dem Babuschkaprinzip entpuppt sich jetzt die Liebes- und Lebensgeschichte von Christoph (und Magdalena) als die noch bevorstehende Liebes- und Lebensgeschichte von Lena und Chris.
Doch muss bei Lena und Chris alles so kommen, wie es bei Christoph und Magdalena hat kommen müssen? Lässt sich das Schicksal manipulieren? Kann der Zeitstrahl umgedreht werden? Wenn die Liebe von Lena und Chris einen anderen Ausgang hat als die von Magdalena und Christoph, kann dann auch das bereits gelebte Leben der beiden aufgehoben und korrigiert werden? Und was, wenn alles am Ende nur Literatur ist? Wenn das Leben, das das Buch seinem Autor unterstellt, in Wahrheit gerade wegen dieses Buchs gar nicht stattgefunden hat?
Das Buch, von dem Christoph mit Lena und Chris spricht, scheint wie vom Erdboden verschluckt. Weder die Nationalbibliothek hat ein Exemplar vorrätig noch dessen Verfasser selbst, denn er vergisst das nach Stockholm geschleppte Manuskript in einer Kneipe. Erinnert er sich überhaupt an das, was in diesem Buch steht über ihn und Magdalena? Vielleicht ist es gar nicht so schwer, sich von diesem Skript zu befreien, wenn man sich falsch daran erinnert. Wäre da nur nicht Chris, der mit seinem eigenen Roman Christophs Leben radikal in Frage stellt.
Was den Erzähler in Bezug auf Magdalena einst aus der Fassung bringen konnte, war die Erkenntnis, "dass unsere Liebe nicht die einzige Möglichkeit war, die in ihr steckte". Zumal sowohl Magdalena als auch Lena Schauspielerinnen sind und eben - Achtung! - Rollen spielen. Aber die Frage ist natürlich berechtigt: Was, wenn man in Schlüsselmomenten seines Lebens anders entschieden hätte? Wäre man dann ein anderer geworden? Oder ist das eine müßige Frage, denn selbstverständlich ist man ja der geworden, der man ist, weil man eben so und gerade nicht anders entschieden hat? "Wenn er ist wie Sie", sagt Lena einmal zu Christoph, "und ich wie Ihre Magdalena und wenn wir dasselbe Leben führen wie Sie beide vor fünfzehn oder zwanzig Jahren, dann müssten doch auch unsere Eltern dieselben sein und unsere Freunde, die Häuser, in denen wir leben, die Inszenierungen, in denen ich und Ihre Magdalena aufgetreten sind, die Texte, die Chris und Sie schreiben. Dann müsste die ganze Welt sich verdoppelt haben."
Solchen Gedankenspielen kann man sich mit Peter Stamms Helden genussvoll hingeben. Das Doppelgängermotiv, in der Romantik ein beliebter Topos, mit dem Autoren Selbstverlustängste thematisierten, wird in "Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt" konzise durchgeführt und auf sein Gruselpotential abgeklopft. Lakonie heißt es, sei die stille Kraft aller Romane Peter Stamms. Hier schlottert sie allerdings wie ein viel zu dünnes Leibchen auf einem Denkgerippe, das im 21. Jahrhundert seltsam morsch wirkt. Andererseits, und das muss man Peter Stamm zugutehalten, liest man dieses Buch nicht ungern. Man hat es allerdings schnell wieder vergessen. Es hinterlässt eine "sanfte Gleichgültigkeit", und vielleicht ist das ja gewollt.
KATHARINA TEUTSCH
Peter Stamm: "Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt". Roman.
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2018. 156 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Peter Stamm _konstruiert in seinem neuen Roman eine raffinierte Versuchsanordnung: Aus dem Leben wird Literatur und umgekehrt. Paul Jandl Neue Zürcher Zeitung 20180221