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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Dennis Coopers Roman "Die Schlampen"
Kartonierter Bucheinband in sattem Violett, Buchschnitt wie Titelschriftzüge in glänzendem Metallicrosa, Papier cremefarben und weich, Schrifttype sattschwarz, Coverbild mit muskulösem Männerakt in Rückansicht: Man darf die wunderschöne Aufmachung und haptische Geschmeidigkeit dieses Romans ausdrücklich als Kontrast zum Inhalt würdigen. Der nämlich spielt ganz im virtuellen Raum, vorrangig im Chatroom einer Datingplattform für schwulen SM-Sex, und setzt so ziemlich alles daran, das schmeichelnd Schöne, ja Poesiealbumhafte, wie es das Äußere des Buches evoziert, nachhaltig zu zerstören.
Deshalb sind Triggerwarnungen angebracht. "The Sluts" von Dennis Cooper, erschienen im Original schon 2004 und jetzt (nach einem Vorgänger- und einem Folgeroman) in Raimund Vargas deutscher Fassung herausgekommen, rekombiniert die gängigen Versatzstücke aus dem umfangreichen OEuvre dieses kalifornischen Autors und Aktivisten, Jahrgang 1953. Man muss auf einiges gefasst sein: einen begehrenswerten blonden Knaben mit Knackarsch, Gewalt- und Mordgelüste einer sadistischen Fangemeinde aus älteren Pädophilen, Drogenexzesse, Extremfolter, Snuff-Videos, zerstückelt kursierende Körperteile nebst Spermaströmen, Blut und kannibalischen Erregungen. Serviert wird diese Kost, wie bei Cooper üblich, mit metafiktionaler Sättigungsbeilage. Bekömmlicher wird sie dadurch nicht.
Worum es geht, ist schnell erzählt. Auf einer kalifornischen Website für schwule Eskorten häufen sich im Sommer 2001 die Rezensionen über einen Jungen namens Brad. Dabei widersprechen sich nicht nur die Erfahrungsberichte über sein Auftreten und Sexverhalten, sondern auch die Angaben über äußere Merkmale wie Körperbau, Alter, Schwanzlänge und Augenfarbe. Schon mit der dritten oder vierten Bewertung stellt sich daher immer dringender die Frage, ob alle diese Posts derselben Person gelten und ob es einen solchen "Brad" außerhalb des Virtuellen überhaupt je gab und gibt. Da eskalieren bald die Phantasien und lassen sich von den Erlebnisprotokollen nicht mehr trennen. Immer wüster, widersprüchlicher und widerwärtiger werden die Behauptungen, wonach Brad verlangt habe und was ihm alles zugefügt worden sei, bis hin zur Tötungsfolter. Tatsächlich scheint es einen Todesfall im Milieu zu geben. Doch was davon Tatsachenbericht sein mag, was PR, Fake oder bloße Erregungslust, bleibt offen.
Denn dargeboten wird das Ganze ohne jegliche vermittelnde Instanz. Alles, was wir lesen, sind die Threads diverser Posts, Chats, Forumsbeiträge oder E-Mails. Darin versehen sich die Beiträger nicht nur mit selbstgewählten und womöglich wechselnden Identitäten, sondern erfinden mutmaßlich stets eigene Versionen der Geschichte in der Hoffnung, dass diese sich durch möglichst starke Resonanz bewahrheite. Daran kann auch der anfangs auftretende Webmaster nichts ändern. Seine Interventionen oder Drohungen, den Thread zu beenden, zu löschen, bleiben nur eine Stimme unter vielen, die sich fortwährend wechselseitig attackieren und infrage stellen.
Wer mag, kann das als epistemische Parabel lesen, um über die Konstruktion von Wirklichkeit aus widerstreitenden Fiktionen nachzudenken. Wie im guten alten Briefroman des achtzehnten Jahrhunderts - der sich in seinen stärksten Ausprägungen wie Richardsons "Clarissa" oder Laclos' "Liaisons Dangereuses" auch vorrangig um Sex und Gewalt drehte - geht bei Cooper die gesamte Handlung in der Multiperspektivik eines Erzählens auf, dessen Figurenbezug und damit Wahrheitsanspruch ständig wechselt. Anders aber als bei Meistern dieses Genres, denen man bei ihrem Spiel bis zur letzten Seite - und "Clarissa" umfasst 1500 Seiten! - mit angehaltenem Atem folgt, ermüdet man bei Cooper schnell. Auf jeder zweiten Seite präsentiert er eine neue Wendung, auf jeder vierten eine Rückwendung, dazwischen folgt auf jeder dritten die Bestreitung der vorausgehenden Postings sowie die Beteuerung, dass von nun an Klarheit herrschen solle, nur um ein paar Seiten später durch die nächste Wendung alles wieder grundsätzlich in Zweifel zu ziehen.
So mögen Hardcore-Liebhaber auf ihre Kosten kommen. Alle anderen halten sich lieber an die schöne Aufmachung. TOBIAS DÖRING
Dennis Cooper: "Die Schlampen". Roman.
Aus dem amerikanischen
Englisch von Raimund Varga. Luftschacht Verlag, Wien 2021. 252 S., geb., 24,- Euro.
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