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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Keine schöne Zeit, diese Jugend in Zweifel und Selbsthass: Teresa Ciabattis desillusionierender Romanblick aufs italienische Frauenselbstbild
Wer sich die Jugend zurückwünscht, meint selten die Pubertät. Man möchte zwanzig sein, immer noch jung, aber befreit von hormonellen Schwankungen, vierzehn, fünfzehn lieber nicht. Auch in Teresa Ciabattis neuem Buch "Die schönen Jahre" ist diese Zeit, anders als der Titel suggeriert, schrecklich. Der Roman handelt von einer Schriftstellerin, die durch eine Wiederbegegnung mit Federica, ihrer besten Freundin aus Jugendzeiten, an jene Jahre erinnert wird. Damals stürzte Federicas Schwester Livia unter ungeklärten Umständen aus dem Fenster. Sie überlebte, hat seitdem aber eine geistige Behinderung, die sie kindlich macht und meinen lässt, seit der Schulzeit hätte sich nichts geändert.
Schon recht früh wird deutlich, dass die Leser der Erzählerin nicht allzu viel Glauben schenken sollten. Zwar weiß sie, was damals mit Livia geschah, sie sagt es uns aber nicht - vorerst. Diese unzuverlässige Erzählweise passt zu einem Roman, in dem es um junge (und nicht mehr ganz so junge) Frauen geht, deren Selbstwahrnehmung nicht zu trauen ist: Sogar Livia, von den Jungs umschwärmt und von den Mädchen um ihr Aussehen beneidet, kann die eigene Schönheit nicht erkennen, sie brutzelt auf der Sonnenbank, bis die Haut in Fetzen hängt, und hungert sich immer dünner. In die eigentliche Romanhandlung schiebt Ciabatti Auszüge einer Reportage über magersüchtige Jugendliche in einer Klinik ein, deren Vorstellung ihres eigenen Körpers ebenfalls nicht der Realität entspricht. Und auch die Erzählerin hat ein verzerrtes Bild der eigenen Erscheinung. Fand sie sich früher dick und hässlich, will sie sich heute, als Erwachsene, umso mehr von ihrem früheren Ich abgrenzen und interessanter, erfolgreicher machen, als sie ist.
Es sind die ständigen Zweifel und der Selbsthass, die in "Die schönen Jahre" die Jugend zu einer so grausamen Zeit machen, besonders für Frauen (Jungs oder Männer kommen im Roman - bis auf eine Ausnahme - eigentlich kaum vor). Ciabatti illustriert das an der Anfang der Achtziger mit fünfzehn Jahren spurlos verschwundenen Emanuela Orlandi, einem in Italien bis heute berühmten und ungelösten Fall: "Und wie viele - schauen wir uns in die Augen, Mädchen der Achtzigerjahre, geben wir es zu -, wie viele haben sich ausgemalt, sie wären Entführern in die Hände gefallen, die erst brutal, dann verliebt waren (bis über die Ohren in uns verknallt!) und uns am Ende gehen ließen, und wir, immer wir - hübsch hässlich, blond brünett, reich arm; das Begehrtwerden, unsere gesellschaftliche Wasserwaage -, wir kehrten unter dem Applaus der Menge nach Hause zurück."
Das Bild, das hier gezeichnet wird, ist weder für die damalige Gesellschaft noch für deren Frauen besonders schmeichelhaft (das eine hat mit dem anderen selbstverständlich zu tun) und wahrscheinlich näher an unserer heutigen Realität, als man es sich wünschen würde. Ciabattis Protagonistin ist weder sympathisch noch besonders emanzipiert, sie will vor allem gefallen, um jeden Preis.
Damit ist sie nicht allein, auch wenn das wenige Menschen zugeben würden. Die Hauptfigur ist zu neidisch, missgünstig und verunsichert, um wissen zu können, was in den Menschen um sie herum wirklich vorgeht, wie deren Leben tatsächlich aussieht. Immer auf das eigene Unglück bedacht, übersieht sie das der anderen. Dass sie ihre Leser in die Irre führt, ist also geradezu unvermeidlich: Wer nur um sich selbst kreist, kann weder von sich noch von seinen Mitmenschen wahrheitsgetreu erzählen.
Auf die Ambiguität und Unzuverlässigkeit, die den Roman an vielen Stellen ausmacht, weist die Erzählerin ihre Leser deutlich hin: "Ich will damit nur sagen, dass in dieser Zeit Wirklichkeit und Träume ineinander übergehen, und was sich daraus ergibt, ist bis zu einem gewissen Grad real. Besser gesagt, Fehlendes wird durch bildhafte Zugaben kompensiert, Fantasien werden in der Wiederholung real, zu optischen Täuschungen, echten Erfindungen. Ich bin keine glaubwürdige Person." Eine Erklärung, die es nicht unbedingt gebraucht hätte, allzu gutgläubigen Lesern aber wohl vermitteln möchte, dass es nicht die Autorin selbst ist, um die es hier geht, auch wenn die Erzählerin einige Eigenschaften mit ihr teilt.
Mitunter ist die Geschichte überladen von Themen, die Frauen und den Feminismus gerade beschäftigen. Neben Schönheitsidealen und dem gesellschaftlichen Druck zu gefallen geht es um Mutterschaft, die Beziehung zur eigenen Tochter, zur besten Freundin, um die Menopause, Frauen, die ihre Männer betrügen, um unerwidertes Verknalltsein, Abtreibung und Schönheits-OPs. Den thematischen und zeitlichen Sprüngen zu folgen, noch dazu in einem Stil, in dem die Erzählerin mal in der zweiten Person mit sich selbst, mal mit ihren Lesern spricht, um dann zur klassischen Erzählung zurückzukommen, strengt an manchen Stellen zwar an. Aber es ist erfrischend, von einer Frau zu lesen, die die gesellschaftlichen Zwänge, die ihr auferlegt werden, nicht als gute Feministin ablehnt, sondern sie zu ihren eigenen Gunsten zu erfüllen versucht und uns damit umso mehr zeigt, wie absurd diese eigentlich sind. ANNA VOLLMER
Teresa Ciabatti: "Die schönen Jahre". Roman.
Aus dem Italienischen von Christiane von Bechtolsheim. dtv Verlag, München 2023. 320 S., geb., 25,- Euro.
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