DIE SCHÖNEN TAGE MEINER JUGEND ist ein einzigartiges Dokument: das Tagebuch einer vierzehnjährigen Jüdin aus Siebenbürgen, das sie in Auschwitz und anderen Konzentrationslagern heimlich führte. Nicht ein nachträglich erinnerter Bericht, nicht ein Tatsachenroman, kein dialogisierter Prozess: ein authentisches Zeugnis davon, dass auch das Grauen seinen Alltag hat. Es ist eine makabre Zerrwelt, in der das junge Mädchen lacht und weint, hungert und isst, geschlagen wird und begreifen muss, was es heißt, zu sterben oder zu überleben. Absonderlich, verquer, verständlich und verstörend dennoch, wie sehr darüber hinaus der Besitz des Heftes und des Bleistiftstummels und schließlich das Schreiben selbst zum Inhalt ihrer Existenz und zum Gegenstand des Tagebuchs werden. Ich schreibe, also bin ich. In gespenstischen Episoden tauchen Personen auf, um spurlos zu verschwinden. Nur einer ist besorgt, dass er im Tagebuch vorkommt, einer, der es ihr wegnehmen will, dann aber um positive Erwähnung bittet: der Kommandant.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.07.2009In wechselnden Gefängnissen
Auf Papierfetzen festgehalten: Ana Novacs Erinnerungen „Die schönen Tage meiner Jugend”
Nicht von den Übeln, von den Gräueln der Konzentrationslager, sondern von deren Glück müsse man erzählen, wenn man denn gefragt werde und es nicht selber vergesse. Mit diesen Worten endet Imre Kertész’ „Roman eines Schicksallosen”. Ana Novac wurde 1929, im selben Jahr wie der Nobelpreisträger, in Siebenbürgen geboren und 1944 als Jüdin nach Auschwitz deportiert. Ihr 1966 im ungarischen Original erschienenes, 1968 erstmals ins Deutsche und nun komplett neu übersetztes Erinnerungsbuch trägt den angesichts der biographischen Umstände frappierenden Titel „Die schönen Tage meiner Jugend”; ähnlich wie bei Kertész ist es das Bewusstsein eines gebrochenen Ichs, das daraus spricht.
Die Entstehungs- und Publikationsgeschichte ist einigermaßen kurios: Ana Novac führte in den Lagern – zunächst in Auschwitz, dann in Plaszow südlich von Krakau, dann wieder in Auschwitz – Tagebuch. Auf Papierfetzen, auf Toilettenpapier, in ihr heimlich zugesteckten Heften. Das Schreiben wurde zum einzigen Lebenssinn.
Und so liest sich dieses Buch als eine erstaunliche Mischung aus unbearbeitet übernommenen, authentischen Passagen einerseits, verfasst im hin und wieder keck-nassforschen Tonfall der Vierzehnjährigen, dem auch das Pathos der Jugend nicht fremd ist, und literarisch-reflexiven Einschüben, die in ihrer beinahe ironischen Distanz die Handschrift der Komödienschreiberin tragen, zu der Ana Novac später in ihrer Wahlheimat Paris wurde.
Es gibt kein Davor und kaum ein Danach in diesem Buch: Herkunft, Elternhaus oder Kindheit scheinen allenfalls fragmentarisch auf; stattdessen schildert „Die schönen Tage meiner Jugend” vor allem die doppelte Grausamkeit der Lager – die der in Macht- und Überlebenskämpfen verfeindeten Insassen untereinander und die der „Fritzen”, wie die Deutschen nur heißen. Über all dem schwebt immer wieder die Theodizee-Frage, auf die hier naturgemäß niemand eine Antwort findet. Für vier Monate Protokoll reicht Ana Novacs Kraft, von Juni bis September 1944; danach wird sie schwer krank.
Als sie lange nach Kriegsende wieder zu Sinnen kommt, sind die Grenzen geschlossen und sie muss feststellen, „dass ich lediglich das Gefängnis gewechselt hatte”. CHRISTOPH SCHRÖDER
ANA NOVAC: Die schönen Tage meiner Jugend. Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer. Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2009. 310 S., 22,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Auf Papierfetzen festgehalten: Ana Novacs Erinnerungen „Die schönen Tage meiner Jugend”
Nicht von den Übeln, von den Gräueln der Konzentrationslager, sondern von deren Glück müsse man erzählen, wenn man denn gefragt werde und es nicht selber vergesse. Mit diesen Worten endet Imre Kertész’ „Roman eines Schicksallosen”. Ana Novac wurde 1929, im selben Jahr wie der Nobelpreisträger, in Siebenbürgen geboren und 1944 als Jüdin nach Auschwitz deportiert. Ihr 1966 im ungarischen Original erschienenes, 1968 erstmals ins Deutsche und nun komplett neu übersetztes Erinnerungsbuch trägt den angesichts der biographischen Umstände frappierenden Titel „Die schönen Tage meiner Jugend”; ähnlich wie bei Kertész ist es das Bewusstsein eines gebrochenen Ichs, das daraus spricht.
Die Entstehungs- und Publikationsgeschichte ist einigermaßen kurios: Ana Novac führte in den Lagern – zunächst in Auschwitz, dann in Plaszow südlich von Krakau, dann wieder in Auschwitz – Tagebuch. Auf Papierfetzen, auf Toilettenpapier, in ihr heimlich zugesteckten Heften. Das Schreiben wurde zum einzigen Lebenssinn.
Und so liest sich dieses Buch als eine erstaunliche Mischung aus unbearbeitet übernommenen, authentischen Passagen einerseits, verfasst im hin und wieder keck-nassforschen Tonfall der Vierzehnjährigen, dem auch das Pathos der Jugend nicht fremd ist, und literarisch-reflexiven Einschüben, die in ihrer beinahe ironischen Distanz die Handschrift der Komödienschreiberin tragen, zu der Ana Novac später in ihrer Wahlheimat Paris wurde.
Es gibt kein Davor und kaum ein Danach in diesem Buch: Herkunft, Elternhaus oder Kindheit scheinen allenfalls fragmentarisch auf; stattdessen schildert „Die schönen Tage meiner Jugend” vor allem die doppelte Grausamkeit der Lager – die der in Macht- und Überlebenskämpfen verfeindeten Insassen untereinander und die der „Fritzen”, wie die Deutschen nur heißen. Über all dem schwebt immer wieder die Theodizee-Frage, auf die hier naturgemäß niemand eine Antwort findet. Für vier Monate Protokoll reicht Ana Novacs Kraft, von Juni bis September 1944; danach wird sie schwer krank.
Als sie lange nach Kriegsende wieder zu Sinnen kommt, sind die Grenzen geschlossen und sie muss feststellen, „dass ich lediglich das Gefängnis gewechselt hatte”. CHRISTOPH SCHRÖDER
ANA NOVAC: Die schönen Tage meiner Jugend. Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer. Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2009. 310 S., 22,90 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.01.2010Etwas zwischen Mensch und Ding
Neu übersetzt: Ana Novacs Erinnerungen an die Todeslager in Birkenau und Plaszów
"Wird ein Buch, das die jüngste Vergangenheit Deutschlands beschwört, noch Leser finden in einem Land, das entgegen so vielen Voraussagen diese Vergangenheit so beängstigend routiniert ,bewältigt' hat?" Das fragte sich 1967 eine Rezensentin dieser Zeitung, als Ana Novacs Buch erstmals auf Deutsch erschien. Und so ist es ein Triumph dieses bedeutenden Zeitzeugnisses, dass es nun noch einmal erscheint - neu übersetzt und mit einem Vorwort der heute achtzigjährigen Autorin. Ana Novac war vierzehn und trug den Namen Zimra Harsanyi, als sie im Sommer 1944 mit vielen tausend Juden aus Siebenbürgen nach Auschwitz deportiert wurde. Sie entkam dem Tod in Birkenau, überlebte das KZ Plaszów bei Krakau und danach noch sechs weitere Lager.
Zwischen Juni und September 1944 gelingt es dem Mädchen, die alltägliche Grausamkeit festzuhalten. Die Appelle, Selektionen, das Arbeiten bis zur Erschöpfung und den quälenden Hunger. Die Prozesse der psychischen Deformation, der Abstumpfung und Entwürdigung im Lagersystem, das "aus so vielen verschiedenen Menschen ein so schrecklich einfaches Ding" werden lässt. "Vielleicht sind wir eine neue Spezies, die die Geschichte noch nicht verzeichnet hat; eine typisch deutsche Entdeckung: etwas zwischen Mensch und Ding."
Schreiben ist für Ana Novac ein Mittel der Selbstbehauptung. Mit dem Bleistiftstummel notiert sie in Hefte und auf die Verdunkelungspappe eines Barackenfensters. Ihr Text wird "eine zweite Haut, die verhindert, dass alles Übrige auseinanderfällt". Einmal trennt Novac das Papier mit dem zynischen Befehl "Sauberkeit ist Gesundheit" von der Latrinenwand, um die Rückseite zu beschreiben. Ihre Sprache ist hochpoetisch, die Schilderungen der verschiedenen Häftlingsgruppen, ihrer Rivalitäten untereinander, der Aufseherinnen und Kapos sind präzise, manchmal sogar ins Komische überspitzt. In den furchtbarsten Momenten, etwa wenn Amon Göth, der Kommandant von Plaszów, ein Mädchen von seiner Bulldogge zerfleischen lässt oder eine SS-Frau mit dem Fahrrad über einen nackten Körper fährt, bleibt Novacs Ton kalt und distanziert.
Ein Konvolut von siebenhundert Seiten war es, das dank eines Kommandanten aus dem Lager gelangte, bei Nachbarn in Siebenbürgen den Krieg überdauerte und zur Autorin zurückfand. Im Nachwort beteuert sie, die vor fast vierzig Jahren aus Rumänien auswanderte und in Paris lebt, eine getreue Reproduktion jener Texte vorzulegen. Es handelt sich aber auch um die Überarbeitung einer Überarbeitung: Schließlich dauerte es bis zur ersten Niederschrift sechzehn Jahre, und die neue Ausgabe enthält Eingriffe Novacs an der unzulänglichen französischen Erstübersetzung. Als Herausgeberin ihrer selbst beklagt sie bisweilen den Zustand der eigenen Handschriften: Es geht hier um ausgeblichene Seiten, aber auch um verblichene, erst nachträglich zu Literatur geronnene Erinnerungen.
STEFANIE PETER
Ana Novac: "Die schönen Tage meiner Jugend". Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2009. 320 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Neu übersetzt: Ana Novacs Erinnerungen an die Todeslager in Birkenau und Plaszów
"Wird ein Buch, das die jüngste Vergangenheit Deutschlands beschwört, noch Leser finden in einem Land, das entgegen so vielen Voraussagen diese Vergangenheit so beängstigend routiniert ,bewältigt' hat?" Das fragte sich 1967 eine Rezensentin dieser Zeitung, als Ana Novacs Buch erstmals auf Deutsch erschien. Und so ist es ein Triumph dieses bedeutenden Zeitzeugnisses, dass es nun noch einmal erscheint - neu übersetzt und mit einem Vorwort der heute achtzigjährigen Autorin. Ana Novac war vierzehn und trug den Namen Zimra Harsanyi, als sie im Sommer 1944 mit vielen tausend Juden aus Siebenbürgen nach Auschwitz deportiert wurde. Sie entkam dem Tod in Birkenau, überlebte das KZ Plaszów bei Krakau und danach noch sechs weitere Lager.
Zwischen Juni und September 1944 gelingt es dem Mädchen, die alltägliche Grausamkeit festzuhalten. Die Appelle, Selektionen, das Arbeiten bis zur Erschöpfung und den quälenden Hunger. Die Prozesse der psychischen Deformation, der Abstumpfung und Entwürdigung im Lagersystem, das "aus so vielen verschiedenen Menschen ein so schrecklich einfaches Ding" werden lässt. "Vielleicht sind wir eine neue Spezies, die die Geschichte noch nicht verzeichnet hat; eine typisch deutsche Entdeckung: etwas zwischen Mensch und Ding."
Schreiben ist für Ana Novac ein Mittel der Selbstbehauptung. Mit dem Bleistiftstummel notiert sie in Hefte und auf die Verdunkelungspappe eines Barackenfensters. Ihr Text wird "eine zweite Haut, die verhindert, dass alles Übrige auseinanderfällt". Einmal trennt Novac das Papier mit dem zynischen Befehl "Sauberkeit ist Gesundheit" von der Latrinenwand, um die Rückseite zu beschreiben. Ihre Sprache ist hochpoetisch, die Schilderungen der verschiedenen Häftlingsgruppen, ihrer Rivalitäten untereinander, der Aufseherinnen und Kapos sind präzise, manchmal sogar ins Komische überspitzt. In den furchtbarsten Momenten, etwa wenn Amon Göth, der Kommandant von Plaszów, ein Mädchen von seiner Bulldogge zerfleischen lässt oder eine SS-Frau mit dem Fahrrad über einen nackten Körper fährt, bleibt Novacs Ton kalt und distanziert.
Ein Konvolut von siebenhundert Seiten war es, das dank eines Kommandanten aus dem Lager gelangte, bei Nachbarn in Siebenbürgen den Krieg überdauerte und zur Autorin zurückfand. Im Nachwort beteuert sie, die vor fast vierzig Jahren aus Rumänien auswanderte und in Paris lebt, eine getreue Reproduktion jener Texte vorzulegen. Es handelt sich aber auch um die Überarbeitung einer Überarbeitung: Schließlich dauerte es bis zur ersten Niederschrift sechzehn Jahre, und die neue Ausgabe enthält Eingriffe Novacs an der unzulänglichen französischen Erstübersetzung. Als Herausgeberin ihrer selbst beklagt sie bisweilen den Zustand der eigenen Handschriften: Es geht hier um ausgeblichene Seiten, aber auch um verblichene, erst nachträglich zu Literatur geronnene Erinnerungen.
STEFANIE PETER
Ana Novac: "Die schönen Tage meiner Jugend". Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2009. 320 S., geb., 22,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Frappierend erscheinen Titel und Ton dieser Erinnerungen dem Rezensenten. Schließlich entstehen Ana Novacs Aufzeichnungen 1944 in den Lagern von Auschwitz und Plaszow. Da ist Novac gerade 14 Jahre alt. Dass sie "keck" schreibt, authentisch und nicht ohne Pathos und dass die reflexiven Einschübe der späteren Komödienautorin ironisch distanziert sind, rückt diese Erinnerungen für Christoph Schröder in die Nähe eines Imre Kertesz. Der Riss, der durch das schreibende Ich geht, ist ihm beim Lesen über die Grausamkeit des Lageralltags immer gegenwärtig.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Ana Novacs Aufzeichnungen gehören ganz bestimmt in die allererste Reihe schriftstellerisch erfaßter KZ-Lagererfahrungen.« Thomas Laux, Neue Zürcher Zeitung »Witz und Ironie sind für Ana Novac wie eine Rüstung gegen die Barbarei. Ihr gesunder Sarkasmus hilft ihr dabei, bei sich selbst zu bleiben.« Jenny Hoch, Spiegel Online »Ana Novacs Tagebuch ist, soweit man weiß, das einzige Tagebuch, das Auschwitz überlebt hat. Es ist ein literarisches Zeugnis ersten Ranges, dessen Wucht erschüttert.« Sascha Lehnartz, Welt am Sonntag »Ihre Sprache ist hochpoetisch, die Schilderungen der erschiedenen Häftlingsgruppen, ihrer Rivalitäten untereinander, der Aufseherinnen und Kapos sind präzise, manchmal sogar ins Komische überspitzt.« Stefanie Peter, Frankfurter Allgemeine Zeitung »Nie verklärend und beschönigend, dafür ganz eigen, natürlich aus der subjektiven Sicht der Schreiberin, die manchmal ganz schön bissig, oft auch witzig sein kann.« Balduin Winter, Der Freitag »Ana Novac berichtet vom Lachen in der Hölle und der Banalität des Todes. Und davon, daß Literatur beim Überleben hilft.« Carsten Hueck, Deutschlandradio »Alles, was man bisher über das Dritte Reich zu wissen glaubte, kann man hier bis zur Unerträglichkeit des Schmerzes auch fühlen.« Marica Bodrozic, ORF »Ihre Aufzeichnungen schildern den Teil des Lebens und Sterbens, der in Anne Franks Tagebuch fehlt. Dort, wo deren Aufzeichnungen enden, beginnen die der Rumänin.« Thomas Heppener, Jüdische Allgemeine »Die schönen Tage meiner Jugend sind Leidens-, Lach- und Rachebuch in einem.« Wolfgang Paterno, profil »In atemloser und zum Teil sehr poetischer Sprache bannt Ana Novac die eigene Fassungslosigkeit in das Tagebuch.« Adrian Winkler, WDR »Die Notizen werden ihr zu einer 'zweiten Haut', die 'verhindert, daß alles übrige auseinanderfällt'.« Thomas Keul, Volltext. Zeitung für Literatur