Ein hochaktuelles Buch, das drängende gesellschaftspolitische Fragen stellt und Visionen davon entwickelt, wie wir Gelerntes verlernen und Miteinander anders denken können: indem wir einander Räume schaffen, Sprache finden, mit Offenheit und Neugier begegnen.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Hadija Haruna-Oelker will Unterschiede feiern - und wirbt dafür, sich gegenseitig Türen zu öffnen
Dürfen weiße Schauspieler schwarze Rollen spielen? Dürfen weiße Menschen Dreadlocks tragen? Darf man noch fragen: "Wo kommst du her?" Hadija Haruna-Oelker ist als schwarze Journalistin und Autorin immer wieder mit solchen Fragen konfrontiert. Zuletzt etwa, nachdem sie, gemeinsam mit anderen, das Gedicht "The Hill We Climb" der afroamerikanischen Lyrikerin Amanda Gorman ins Deutsche übersetzt hatte, das diese bei der Vereidigung Joe Bidens im Januar 2021 vorgetragen hatte. Schnell schwappte eine Debatte aus den Niederlanden nach Deutschland über, entzündet durch die Kritik daran, dass dort zunächst eine weiße Person für die Übersetzung ausgewählt worden war. In hitzigen Gesprächsrunden, Zeitungskommentaren und Meinungsbeiträgen auf Social Media wurde daraufhin vor allem eine Frage diskutiert: Dürfen weiße Menschen jetzt keine schwarzen Autorinnen mehr übersetzen?
Haruna-Oelker hält von solchen Pro-Contra-Debatten nur wenig. Es werde "aneinander vorbeigeschrien und -geschrieben und medial ein vermeintlicher Kulturkampf inszeniert, bei dem das Publikum aufgefordert ist, sich auf die eine oder andere Seite zu schlagen", schreibt sie in ihrem Buch "Die Schönheit der Differenz. Miteinander anders denken", mit dem sie ebensolchen Dynamiken entgegenwirken will. Als Einladung möchte sie ihr Buch verstanden wissen für alle, die "über die Zustände unserer Gesellschaft nachdenken wollen", dabei aber "andere Antworten suchen als die gängigen Bestandsaufnahmen über Spaltung, Grabenkämpfe oder Generationenkonflikte". Die Autorin bespricht auf mehr als 500 Seiten eine ganze Palette von Themen wie Rassismus, Gender, Klasse oder Behinderung und hat sich dabei vor allem eines vorgenommen: Sie will für und nicht gegen etwas anschreiben - was im Umkehrschluss aber nicht bedeutet, dass sie Probleme nicht benennt.
"Wir sind unterschiedlich. Das festzustellen ist nicht verwerflich, das Problem beginnt dann, wenn wir unseren Differenzen mit Abwertung begegnen", schreibt Haruna-Oelker, die als Tochter eines ghanaischen Vaters und einer deutschen Mutter in den 1990er-Jahren in Frankfurt aufwuchs. In den zehn Kapiteln ihres Buches nimmt sie Perspektiven von Menschen in den Blick, die aus unterschiedlichsten Gründen diskriminiert werden, wirbt für mehr Interesse und Offenheit füreinander und sucht nach Wegen, das Miteinander zu verbessern. Der Versuch, "den anderen einen Platz zu schaffen, damit alle dabei sind", sei zwar immer auch mit Reibung verbunden, denn mehr Gleichberechtigung für die einen bedeute auf der anderen Seite auch Verzicht, über den in einer Gesellschaft miteinander verhandelt und diskutiert werden müsse. Die Perspektiven der anderen "in uns zu tragen" könne man aber lernen, ist Haruna-Oelker überzeugt, auch wenn es dabei mitunter holpert und kracht.
Von positiven Erfahrungen mit solchen Auseinandersetzungen kann die Autorin selbst berichten, etwa im Zuge einer Talk-Runde mit dem ehemaligen Präsidenten des Deutschen Bundestages und SPD-Politiker Wolfgang Thierse. Haruna-Oelker hatte einen Gastbeitrag Thierses in der F.A.Z. gelesen, dem sie nicht zustimmte, und wollte sich mit ihm darüber unterhalten. Heraus kam ein erfolgreiches Gespräch, das die Autorin als gegensätzlich zu den vielen aufgeladenen Diskussionen beschreibt, aus denen sowohl Teilnehmer als auch das Publikum "nicht schlauer, sondern eingefahrener in ihrer Position" herausgehen. Stattdessen entstand eine Begegnung mit genügend Zeit, der Bereitschaft, einander zuzuhören, und dem Bedürfnis, den anderen verstehen zu wollen.
Von persönlichen Erfahrungen berichtet die 42 Jahre alte Haruna-Oelker in ihrem Buch immer wieder - wenn auch nicht immer von positiven. In die ausführlichen theoretischen Abschnitte verwebt sie Teile ihrer eigenen Geschichte, erzählt von frühen rassistischen Erfahrungen und der fehlenden Sprache dafür, dem Druck der Eltern, in der Schule fleißiger und besser sein zu müssen als die anderen Kinder, um Vorurteilen entgegenzuwirken, oder davon, wie oft sie sich als Jugendliche unter Tränen Filme über die Sklaverei ansah und einen tief sitzenden Schmerz verspürte, den sie nicht verstand. Wie sie später die Bezeichnung "Mischling" für sich ablegte oder wie sie gegen Ende ihres Studiums zum ersten Mal nach Ghana, das Heimatland ihres Vaters, reiste und so das fehlende Teil ihres "inneren Puzzles" zusammenfügte.
Neben ihren Erfahrungen als von Rassismus betroffene schwarze Frau erzählt Haruna-Oelker aber auch aus anderen Perspektiven - etwa aus der einer nichtbehinderten Person, der dadurch viele Diskriminierungserfahrungen erspart worden sind. Für ihre Cousine mit Hörbehinderung habe sie als Kind hingegen nur wenig Verständnis gehabt, schreibt die Autorin, und dass die nach einer Operation dann auch noch jeden Tag ein Eis ins Krankenhaus geliefert bekommen habe, habe in ihr vor allem eines ausgelöst: Eifersucht. Auch über die vielen Begriffe der Jugendsprache, mit denen sie über Jahre hinweg Menschen mit einer Spastik beleidigt hatte, habe sie sich erst spät Gedanken gemacht - und dabei schmerzlich lernen müssen, "auszuhalten, dass ich in bester Absicht Fehler mache, die andere verletzen". Als Reflexion ohne Selbstgeißelung beschreibt Haruna-Oelker solche inneren Prozesse, für die sie sich mehr Raum in unserer Gesellschaft wünscht. Wer bereit sei, Dinge lernen, aber auch verlernen zu wollen, und dabei die Angst ablegen könne, etwas falsch zu machen, sei schon mal auf einem guten Weg. Denn, so Haruna-Oelker: "Wir können uns gegenseitig Türen öffnen." FRANCA WITTENBRINK
Hadija Haruna-Oelker: Die Schönheit der Differenz. Miteinander anders denken.
btb Verlag, München 2022.
560 S., 24,- Euro.
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