»Ihr müsst miteinander reden«, fordert Christine, und Manz weiß: Seine Frau hat recht. Seit Julias Scheidung ist die Stimmung zwischen ihm und seiner jüngsten Tochter eisig. Dabei eifert Julia ihrem Vater beruflich nach: Als Anwältin ist auch sie täglich mit Verbrechen befasst. Um die Wogen zu glätten, erkundigt sich Manz nach Julias Arbeit und stellt fest: Mit ihrer aktuellen Klientin hatte er selbst schon zu tun, in den siebziger Jahren in Berlin. Damals hat diese Sabine Schöffling im Fall eines ermordeten Fünfzehnjährigen eine zweifelhafte Rolle gespielt. Soll Manz seine Tochter warnen? Doch Ratschläge will Julia sicher nicht von ihrem Vater – schon seine Kommentare zur Erziehung von Enkelin Emma sind ihr lästig. Bei Manz selbst setzt die ganze Sache Erinnerungen in Gang: an den Fall, der sich im Umfeld der reformpädagogischen Elisabeth-Rotten-Schule ereignete, an sein damaliges Leben, als Christine gerade mit Julia schwanger war, und an seine eigene Kindheit im Berlin der Nachkriegszeit.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2022Fälle und Zufälle
Krimis in Kürze: Dunne, Weiden und Wittekindt
Recherche im Dienst der Literatur kann schon sehr hart sein und Opfer verlangen. Ellen Dunne, gebürtige Salzburgerin und seit vielen Jahren in Irland lebend, ist für ihren neuen Roman "Boom Town Blues" (Haymon, 320 S., br., 13,95 Euro) zum ersten Mal in die Irische See gestiegen, weil ihre Heldin Patsy Logan das am Ende tut. Niemand weiß, ob das Buch ohne dieses eisige Bad ein ganz anderes geworden wäre - so wie es ist, hat die Erfahrung aber auch nicht geschadet.
Es ist Patsy Logans dritter Auftritt, ihre Ehe in München ist mürbe, ihre berufliche Situation beim LKA stagniert, eine "Bildungskarenz" bei der Cousine in Dublin, wo Logans väterliche Familie herstammt, soll helfen. Auf Umwegen wird sie mit einem Giftmord in der österreichischen Botschaft befasst. Undiplomatisch wie gewohnt legt sie sich mit dem ermittelnden Inspektor an und geht lieber eigene Wege.
Zwischen die Passagen mit Patsy setzt Dunne immer wieder kurze Kapitel, in denen jemand zu Tode kommt oder in hässliche Nöte gerät. Aus diesen Schicksalen kristallisiert sich allmählich heraus, dass es hier auch um die Folgen von Finanzkrise und Boom geht, um das Geschäft mit faulen Immobilienkrediten, das einige Leute sehr reich gemacht und andere ruiniert hat. Ellen Dunne erzählt davon lässig, mit gutem Gespür für Spannung und einem angemessen schwarzen Humor.
Viel mehr Autoren als Tony Hillerman fallen einem nicht ein, wenn man nach Kriminalromanen sucht, die im Milieu der indigenen Nationen in den Vereinigten Staaten spielen. Die Lücke lässt sich schließen mit dem Roman von David Heska Wanbli Weiden. Er ist Anwalt und Autor, er gehört zur Nation der Lakota, besser bekannt als Sioux, und er kennt sich aus mit den ökonomischen und sozialen Verhältnissen in der Rosebud Reservation im Bundesstaat South Dakota.
Der Protagonist von "Winter Counts" (Polar, 460 S., br., 16 Euro) heißt Virgil Wounded Horse, er lebt von Gelegenheitsjobs, er zieht seinen vierzehnjährigen Neffen groß - und er ist so eine Art Terminator: Wo amerikanische Justiz und Stammesrat sich für unzuständig erklären, nimmt er im Auftrag der Geschädigten das Recht in die Hand und straft nach eigenem Ermessen.
Einen Auftragsschläger zum zentralen Akteur zu machen ist kein geringes Risiko. Doch Weidens Porträt dieses gebrochenen Helden ist von Anfang an nuancenreich und voller Ambivalenzen. Als sein Neffe mit Heroin erwischt wird, will Virgil die Sache allein aufklären, obwohl natürlich ein Drogenring, der von Denver aus operiert und seine Kuriere ins Reservat schickt, mindestens eine Nummer zu groß ist für ihn.
"Winter Counts" ist nicht gerade filigran erzählt, das Buch hat auch ein paar Längen, aber man bleibt dabei, weil Weiden einen nüchternen Blick, der zugleich voller Anteilnahme ist, auf die Indigenen in der und vor allem am Rande der amerikanischen Gesellschaft richtet. Ein Blick, der nichts mit der guten alten Indianer-Mythologie zu tun hat, der jederzeit den nötigen Respekt erweist und in all dem, was er von dieser Welt erzählt, nie schulbuchhaft wird.
Es ist beruhigend, wenn man den neuen Roman von Matthias Wittekindt nach der letzten Seite zuklappt, dass es weitergehen wird. Auf der Homepage des Autors ist zu lesen, dass er den vierten Band schon abgeschlossen habe. "Die Schülerin" (Kampa, 368 S., geb., 19,90 Euro) ist der zweite Fall von Kriminaldirektor A. D. Manz (siehe F.A.Z. vom 6. April 2021). Es ist der Blick zurück eines alten Kriminalers von Mitte siebzig, der mit seiner Frau in Dresden lebt. Der durch Zufälle auf alte Fälle gelenkt wird und in dieser Bewegung zwischen Gegenwart und Vergangenheit zugleich seine Familiengeschichte reflektiert. Und das Besondere an diesen Büchern ist, dass ihren Kern jeweils ein Gerichtsprozess bildet, über den Wittekindt gelesen oder den er verfolgt hat.
Diesmal vertritt Manz' Tochter, mit der er einiges zu klären hätte, als Anwältin eine Frau, die als Schülerin vor Jahrzehnten in einem Fall von Manz auftauchte, bei einem Mord an einem Fünfzehnjährigen im Umfeld einer reformpädagogischen Schule. Viel mehr muss man gar nicht sagen. Wittekindts kühler, präziser Stil, der so gut zu seinem Manz passt, begleitet einen souverän und sicher durch die Geschichte. PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Dunne, Weiden und Wittekindt
Recherche im Dienst der Literatur kann schon sehr hart sein und Opfer verlangen. Ellen Dunne, gebürtige Salzburgerin und seit vielen Jahren in Irland lebend, ist für ihren neuen Roman "Boom Town Blues" (Haymon, 320 S., br., 13,95 Euro) zum ersten Mal in die Irische See gestiegen, weil ihre Heldin Patsy Logan das am Ende tut. Niemand weiß, ob das Buch ohne dieses eisige Bad ein ganz anderes geworden wäre - so wie es ist, hat die Erfahrung aber auch nicht geschadet.
Es ist Patsy Logans dritter Auftritt, ihre Ehe in München ist mürbe, ihre berufliche Situation beim LKA stagniert, eine "Bildungskarenz" bei der Cousine in Dublin, wo Logans väterliche Familie herstammt, soll helfen. Auf Umwegen wird sie mit einem Giftmord in der österreichischen Botschaft befasst. Undiplomatisch wie gewohnt legt sie sich mit dem ermittelnden Inspektor an und geht lieber eigene Wege.
Zwischen die Passagen mit Patsy setzt Dunne immer wieder kurze Kapitel, in denen jemand zu Tode kommt oder in hässliche Nöte gerät. Aus diesen Schicksalen kristallisiert sich allmählich heraus, dass es hier auch um die Folgen von Finanzkrise und Boom geht, um das Geschäft mit faulen Immobilienkrediten, das einige Leute sehr reich gemacht und andere ruiniert hat. Ellen Dunne erzählt davon lässig, mit gutem Gespür für Spannung und einem angemessen schwarzen Humor.
Viel mehr Autoren als Tony Hillerman fallen einem nicht ein, wenn man nach Kriminalromanen sucht, die im Milieu der indigenen Nationen in den Vereinigten Staaten spielen. Die Lücke lässt sich schließen mit dem Roman von David Heska Wanbli Weiden. Er ist Anwalt und Autor, er gehört zur Nation der Lakota, besser bekannt als Sioux, und er kennt sich aus mit den ökonomischen und sozialen Verhältnissen in der Rosebud Reservation im Bundesstaat South Dakota.
Der Protagonist von "Winter Counts" (Polar, 460 S., br., 16 Euro) heißt Virgil Wounded Horse, er lebt von Gelegenheitsjobs, er zieht seinen vierzehnjährigen Neffen groß - und er ist so eine Art Terminator: Wo amerikanische Justiz und Stammesrat sich für unzuständig erklären, nimmt er im Auftrag der Geschädigten das Recht in die Hand und straft nach eigenem Ermessen.
Einen Auftragsschläger zum zentralen Akteur zu machen ist kein geringes Risiko. Doch Weidens Porträt dieses gebrochenen Helden ist von Anfang an nuancenreich und voller Ambivalenzen. Als sein Neffe mit Heroin erwischt wird, will Virgil die Sache allein aufklären, obwohl natürlich ein Drogenring, der von Denver aus operiert und seine Kuriere ins Reservat schickt, mindestens eine Nummer zu groß ist für ihn.
"Winter Counts" ist nicht gerade filigran erzählt, das Buch hat auch ein paar Längen, aber man bleibt dabei, weil Weiden einen nüchternen Blick, der zugleich voller Anteilnahme ist, auf die Indigenen in der und vor allem am Rande der amerikanischen Gesellschaft richtet. Ein Blick, der nichts mit der guten alten Indianer-Mythologie zu tun hat, der jederzeit den nötigen Respekt erweist und in all dem, was er von dieser Welt erzählt, nie schulbuchhaft wird.
Es ist beruhigend, wenn man den neuen Roman von Matthias Wittekindt nach der letzten Seite zuklappt, dass es weitergehen wird. Auf der Homepage des Autors ist zu lesen, dass er den vierten Band schon abgeschlossen habe. "Die Schülerin" (Kampa, 368 S., geb., 19,90 Euro) ist der zweite Fall von Kriminaldirektor A. D. Manz (siehe F.A.Z. vom 6. April 2021). Es ist der Blick zurück eines alten Kriminalers von Mitte siebzig, der mit seiner Frau in Dresden lebt. Der durch Zufälle auf alte Fälle gelenkt wird und in dieser Bewegung zwischen Gegenwart und Vergangenheit zugleich seine Familiengeschichte reflektiert. Und das Besondere an diesen Büchern ist, dass ihren Kern jeweils ein Gerichtsprozess bildet, über den Wittekindt gelesen oder den er verfolgt hat.
Diesmal vertritt Manz' Tochter, mit der er einiges zu klären hätte, als Anwältin eine Frau, die als Schülerin vor Jahrzehnten in einem Fall von Manz auftauchte, bei einem Mord an einem Fünfzehnjährigen im Umfeld einer reformpädagogischen Schule. Viel mehr muss man gar nicht sagen. Wittekindts kühler, präziser Stil, der so gut zu seinem Manz passt, begleitet einen souverän und sicher durch die Geschichte. PETER KÖRTE
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