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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Schön beißend: Eine Anthologie mit Texten der feministischen Zeitschrift "Die Schwarze Botin"
"Die Schwarze Botin" war eine Zeitschrift für die wenigsten - und nur wenige erinnern sich an sie. Und die es tun, werden heute noch wütend, oder sie grinsen schelmisch. Bloß zwischen 1976 und 1980 mischten diese Hefte die Szene mittels beißender Kritik am Mainstreamfeminismus auf. Hinter ihnen steckte ein lesbisches Liebespaar, und als diese Beziehung zerbrach, war das Projekt am Ende. Eine Miniepisode in einer Teilöffentlichkeit also. Kann es da interessieren, eine Anthologie ihrer Beiträge zu lesen, wie sie jetzt samt ausführlicher Einleitung von Vojin Sasa Vukadinovic und einem Nachwort von Christiane Ketteler und Magnus Klaue vorliegt?
Es kann, denn die Lektüre dieser radikalsten aller Zeitschriften der westdeutschen Frauenbewegung ist aufregend. Zum einen, weil ihre Autorinnen bekannt und berühmt waren oder wurden. Nur einige Namen: Gabriele Goettle, Elfriede Jelinek, Silvia Bovenschen, Gisela Elsner, Ursula Krechel, Gisela von Wysocki, Gerburg Treusch-Dieter, Elisabeth Lenk, Rita Bischof. Zum anderen - und das ist von größerem Gewicht und von höchster Aktualität - stand "Die Schwarze Botin" für eine Kritik von Identitätspolitik. Das heißt, sie war der Ansicht, dass die Unterdrückung von Frauen nicht mit einer Politik beantwortet werden sollte, die das Frausein idealisiert.
Die schwarzen Botinnen trugen dabei ihre Vorbehalte in einer Weise vor, die nicht unbedingt das Gespräch, sondern die Abgrenzung suchte. Das erste Wort hatte Gabriele Goettle: "Schleim oder nicht Schleim, das ist hier die Frage." Sie stichelte gegen "Neue Weiblichkeit", wie sie Vera Stefans "Häutungen" oder Alice Schwarzers "Emma" propagierten. Sie empfahl Mitdenken statt Mitfühlen, Negativität statt Identifikation, Individualität statt Schwesternschaft. Das galt in der Regel als arrogant und sollte es auch sein. Literatur lebt von Provokation und witziger Polemik. Diese jedoch erfolgte durchaus aus feministischer Perspektive, aus dem Inneren der Bewegung also. Dass Frauen sich Freiräume schaffen mussten, vertraten auch die Macherinnen des Avantgarde-Journals. Mit der männerdominierten Klassenkampflinken arbeiteten sie schon gar nicht zusammen, auch nicht mit ihrem weiblichen Personal. Das war keine Frage der Biologie, sondern eine politische.
Diese Anthologie taucht ein in ein West-Berliner Milieu der siebziger Jahre und bestaunt scharfzüngige Auseinandersetzungen, aber auch abseitige künstlerische und schriftstellerische Versuche und Kommentare zum Zeitgeschehen wie dem Deutschen Herbst oder der Iranischen Revolution. Die Reflexionen zum "Faschismus" dokumentieren erste Versuche, wegzukommen von der traditionslinken These der Kapitalherrschaft über die Arbeiterbewegung. Sie sind aber selbst noch wilde Suchbewegungen, in einer Zeit, als in Deutschland die Hollywood-Fernsehserie "Holocaust" lief. Man kann dem Artikel von Goettle über "Tele-Visionen" geradezu den emotionalen Puls ertasten, wie genervt sie einerseits von der Seifenoper und ihrem Effekt ist, aber gleichzeitig nun selbst beginnt, sich mit der NS-Geschichte zu beschäftigen, und alles liest, was zum Beispiel Hannah Arendt dazu geschrieben hat.
Der Glutkern der Zeitschrift ist aber die Verweigerung weiblicher Identitätspolitik, die als Widerstand und Organisierung gegen Diskriminierung begonnen hatte. Es folgten natürlich die üblichen Auseinandersetzungen, die auch jüdische, schwarze und andere Dissidenten ihrer Communitys führ(t)en - nämlich ob man sich als das wehrt, als was man angegriffen wird, und falls ja, ob man sich dann positiv auf diese Zuschreibung bezieht. Goettle meinte: "Die Frauen haben sich schlecht beraten lassen, als sie anfingen zu glauben, daß alles, was Frauen denken, sprechen, schreiben und arbeiten, unter dem Aspekt einer Neuen Weiblichkeit für die Emanzipation brauchbar, wenn nicht gar gut sei."
Der instruktiven Einleitung ist zu entnehmen, dass die Zeitschrift entstand, weil Goettle ihrer Freundin Brigitte Classen mit diesem Projekt aus kleinen Texten aus der Schreibblockade helfen wollte, in die diese durch den Riesentext ihrer Dissertation geraten war. Und dass der Name der "Schwarzen Botin" eine Verulkung des "Schwarzwälder Boten" war. Gleichwohl schwang in ihm die Aura der Todesbringerin mit oder zumindest die der schlechten Nachricht, dass Tarotkarten, Pendel und Hexenkult nicht zur Emanzipation, sondern zum Irrationalismus der Selbstmystifikation führen. Diese Gegen-"Emma" startete mit immerhin dreitausend Exemplaren, aber um den Vertrieb kümmerte sich niemand. Doch konnte sie immer damit rechnen, dass sich irgendwer über die "schwarze Idiotin" aufregte. Solange das geschah, lebte sie. Nur als Gabriele Goettle beschloss, nach dem Ende ihrer Beziehung zu Classen etwas anderes zu machen, passierte nichts - weil keine Bewegung hinter der Zeitschrift stand, noch nicht einmal ein "Wir", sondern nur Individualisten. Aber gerade deshalb, wegen ihres Eigensinns und der literarischen Qualität, kann man die Texte heute noch mit Gewinn, Gelächter und Genuss lesen.
JÖRG SPÄTER
"Die Schwarze Botin". Ästhetik, Kritik, Polemik, Satire 1976-1980.
Hrsg. von Vojin Sasa Vukadinovic. Wallstein Verlag, Göttingen 2020. 512 S., Abb., geb., 36,- [Euro].
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