Berlin Babylon: Die einen feiern, die anderen verrecken. Die Weimarer Republik neigt sich ihrem Ende zu, Nazis und Kommunisten kämpfen um die Macht und Kommissar Ariel Spiro sucht den Mörder zweier Männer, die niemand zu vermissen scheint. Berlin tanzt auf dem Vulkan. Glitzernde Tanzpaläste, wilde Partys, Drogen, sexuelle Freizügigkeit - die deutsche Hauptstadt gilt zur Zeit der Weimarer Republik als eine der aufregendsten Städte Europas. Russische Emigranten, darunter Schriftsteller, Gelehrte, Politiker und Anarchisten, haben nach der Revolution in Berlin Zuflucht gefunden vor dem Zugriff der sowjetischen Geheimpolizei. Mittendrin Kommissar Ariel Spiro, den zwei Giftmorde ins russische Milieu führen. Und dann ist da noch Nike, seine große Liebe, die ihn um Hilfe bei der Suche nach ihrem neuen Freund Anton bittet. Unversehens geraten beide in einen Strudel aus Politik und Gewalt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.09.2019So viele lose Enden und Sackgassen
Krimis in Kürze: Selim Özdogan, Kerstin Ehmer und Wolfgang Kaes
Der Schock kommt schnell, auf der zweiten Seite, und er trägt schwarze Jeans und Air Jordan 33. Siebzehn Jahre nach einem One-Night-Stand erfährt Nizar Benali, "Online-Detektiv" und Ex-Dealer, dass er einen Sohn hat: Lesane, benannt nach dem bürgerlichen Namen des erschossenen Rappers Tupac Shakur. Um das komplizierte Verhältnis von Vater und Sohn, um Drogenhandel im Darknet, um Rap, Familie, Loyalität und wie man am Ende dem Knast entgeht dreht sich alles in Selim Özdogans Kriminalroman "Der die Träume hört" (Edition Nautilus, 288 S., br., 18,- [Euro]).
Es ist ein hartes Buch, das aus seiner Härte nie eine Pose macht und sie schon gar nicht mit Coolness verwechselt. Die Sprache ist knapp und nicht um jeden Preis auf Milieu getrimmt, die Dialoge sind schnell, mal wie ein Schlagabtausch, mal wie das Passspiel beim Basketball, aus dem Özdogan auch die eine oder andere existentielle Metapher gewinnt. Nizar hatte mal davon geträumt, Profi zu werden, es hat nicht gereicht. Aber er hat es immerhin geschafft, aus Westmarkt wegzukommen, wo er in einer türkischstämmigen Pflegefamilie aufgewachsen ist. Es ist ein fiktiver Kiez, irgendwo im Ruhrgebiet, Oberhausen ist nicht weit. Nizar ist ein Kämpfer, der einstecken kann, er kennt die Tricks und Wege im Drogengeschäft, aber er ist nicht glücklich damit, sein Gewissen lässt ihn nicht in Ruhe.
Und er weiß: "Wir würden Westmarkt nie aus unseren Knochen und Köpfen kriegen." Aber seine Straßentauglichkeit ist nützlich, weil sein Sohn richtig Mist gemacht hat und bei einem örtlichen Großdealer verschuldet ist. Dass er ihn da wieder herausholen will, obwohl das sehr riskant und sein Sohn nicht gerade kooperativ ist, betrachtet Nizar als eine Art Wiedergutmachung, von der er sich bis zum Schluss nicht abbringen lässt.
Dass Kerstin Ehmer mit ihrem Mann seit vielen Jahren in Berlin eine Bar betreibt, dass sie als Mode- und Porträtfotografin gearbeitet hat, ist ihrem Buch "Die schwarze Fee" (Pendragon, 400 S., br., 18,- [Euro]) gut bekommen. Nicht nur, weil es meist die richtigen Getränke gibt, vom Absinth bis zum Champagner, sondern vor allem, weil sie ein gutes Auge hat für Details, die eine Szene, ein Milieu auf einen Schlag beleuchten und so das Berlin der zwanziger Jahre aufleben lassen. Das Elend, die Armut, den Dreck einer Hinterhauswohnung im Wedding, die von Syphilis zerfressenen Körper auf einer Station im Krankenhaus, die Kneipen russischer Emigranten oder das Restaurant im Adlon.
Trotz Volker Kutscher und "Babylon Berlin", trotz der Inflation historischer Kriminalromane über die Weimarer Republik wird man der Szenerie bei Ehmer nicht überdrüssig. Was auch daran liegt, dass sie sich nicht auf die Perspektive ihres Kommissars Ariel Spiro beschränkt, der schon in "Der weiße Affe" aus Wittenberge in die Hauptstadt kam. Ehmer erzählt, wie man bei Filmen gern sagt, eher character driven als plot driven, mit einer Dringlichkeit, die sich durch das historische Präsens ergibt. So wird der Roman zu einer lockeren Montage verschiedener Perspektiven. Über jedem Kapitel steht der Name der zentralen Person, und wenn die Szenen oft schnell abbrechen, liegt das nicht am Cliffhangerprinzip, sondern an Ehmers Gespür für Timing.
Die Sprache ist leicht, elegant und bildhaft, mal andeutend, mal drastisch genau. Nur selten verrutscht eine Metapher oder wird zu blumig. Natürlich gibt es auch Morde, Ermittlungen und eine Lösung, auch Liebe, Politik und ein paar Nazis, aber worauf es ankommt in dieser kleinen Rhapsodie der Großstadt, das ist die Atmosphäre.
Bei Wolfgang Kaes, dem gelernten Reporter und Journalisten, fehlt diese Leichtfüßigkeit. Dafür bekommt man die minutiöse Genauigkeit einer langen Recherche, die auch zu gewissen Redundanzen führt. Oder zumindest zu einem Mangel an Verdichtung. "Endstation" (Rowohlt, 432 S., br., 16,99 [Euro]) erzählt vom kaltgestellten Zielfahnder Thomas Mohr, den man nach einem dienstwegfernen Einsatz gegen einen Albaner-Paten zum Leiter und einzigen Mitarbeiter einer Abteilung für Cold Cases gemacht hat. Der erste Fall, den er sich vom Aktenstapel greift: der fünf Jahre zurückliegende Tod eines Studenten, bei dem die zuständigen Ermittler nicht nur geschlampt, sondern, wie Mohr schnell spürt, vorsätzlich nicht ermittelt haben.
Kaes' Vorbild für Mohr könnte, was Hartnäckigkeit und Obsessivität angeht, Michael Connellys Harry Bosch sein, auch wenn das Kölner Umland den Vergleich mit Los Angeles nicht aushält. Connellys Drive hat das Buch auch nicht, aber man bleibt dabei, weil sehr bald klar ist, dass hier nicht ein haarsträubend konstruierter Plot gelöst wird wie ein Sudoku-Rätsel, sondern dass sich Kaes mehr für lose Enden und Sackgassen, für die Fehlbarkeit und Unvollständigkeit jeder Ermittlung interessiert. So oft erlebt man das nicht.
PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Selim Özdogan, Kerstin Ehmer und Wolfgang Kaes
Der Schock kommt schnell, auf der zweiten Seite, und er trägt schwarze Jeans und Air Jordan 33. Siebzehn Jahre nach einem One-Night-Stand erfährt Nizar Benali, "Online-Detektiv" und Ex-Dealer, dass er einen Sohn hat: Lesane, benannt nach dem bürgerlichen Namen des erschossenen Rappers Tupac Shakur. Um das komplizierte Verhältnis von Vater und Sohn, um Drogenhandel im Darknet, um Rap, Familie, Loyalität und wie man am Ende dem Knast entgeht dreht sich alles in Selim Özdogans Kriminalroman "Der die Träume hört" (Edition Nautilus, 288 S., br., 18,- [Euro]).
Es ist ein hartes Buch, das aus seiner Härte nie eine Pose macht und sie schon gar nicht mit Coolness verwechselt. Die Sprache ist knapp und nicht um jeden Preis auf Milieu getrimmt, die Dialoge sind schnell, mal wie ein Schlagabtausch, mal wie das Passspiel beim Basketball, aus dem Özdogan auch die eine oder andere existentielle Metapher gewinnt. Nizar hatte mal davon geträumt, Profi zu werden, es hat nicht gereicht. Aber er hat es immerhin geschafft, aus Westmarkt wegzukommen, wo er in einer türkischstämmigen Pflegefamilie aufgewachsen ist. Es ist ein fiktiver Kiez, irgendwo im Ruhrgebiet, Oberhausen ist nicht weit. Nizar ist ein Kämpfer, der einstecken kann, er kennt die Tricks und Wege im Drogengeschäft, aber er ist nicht glücklich damit, sein Gewissen lässt ihn nicht in Ruhe.
Und er weiß: "Wir würden Westmarkt nie aus unseren Knochen und Köpfen kriegen." Aber seine Straßentauglichkeit ist nützlich, weil sein Sohn richtig Mist gemacht hat und bei einem örtlichen Großdealer verschuldet ist. Dass er ihn da wieder herausholen will, obwohl das sehr riskant und sein Sohn nicht gerade kooperativ ist, betrachtet Nizar als eine Art Wiedergutmachung, von der er sich bis zum Schluss nicht abbringen lässt.
Dass Kerstin Ehmer mit ihrem Mann seit vielen Jahren in Berlin eine Bar betreibt, dass sie als Mode- und Porträtfotografin gearbeitet hat, ist ihrem Buch "Die schwarze Fee" (Pendragon, 400 S., br., 18,- [Euro]) gut bekommen. Nicht nur, weil es meist die richtigen Getränke gibt, vom Absinth bis zum Champagner, sondern vor allem, weil sie ein gutes Auge hat für Details, die eine Szene, ein Milieu auf einen Schlag beleuchten und so das Berlin der zwanziger Jahre aufleben lassen. Das Elend, die Armut, den Dreck einer Hinterhauswohnung im Wedding, die von Syphilis zerfressenen Körper auf einer Station im Krankenhaus, die Kneipen russischer Emigranten oder das Restaurant im Adlon.
Trotz Volker Kutscher und "Babylon Berlin", trotz der Inflation historischer Kriminalromane über die Weimarer Republik wird man der Szenerie bei Ehmer nicht überdrüssig. Was auch daran liegt, dass sie sich nicht auf die Perspektive ihres Kommissars Ariel Spiro beschränkt, der schon in "Der weiße Affe" aus Wittenberge in die Hauptstadt kam. Ehmer erzählt, wie man bei Filmen gern sagt, eher character driven als plot driven, mit einer Dringlichkeit, die sich durch das historische Präsens ergibt. So wird der Roman zu einer lockeren Montage verschiedener Perspektiven. Über jedem Kapitel steht der Name der zentralen Person, und wenn die Szenen oft schnell abbrechen, liegt das nicht am Cliffhangerprinzip, sondern an Ehmers Gespür für Timing.
Die Sprache ist leicht, elegant und bildhaft, mal andeutend, mal drastisch genau. Nur selten verrutscht eine Metapher oder wird zu blumig. Natürlich gibt es auch Morde, Ermittlungen und eine Lösung, auch Liebe, Politik und ein paar Nazis, aber worauf es ankommt in dieser kleinen Rhapsodie der Großstadt, das ist die Atmosphäre.
Bei Wolfgang Kaes, dem gelernten Reporter und Journalisten, fehlt diese Leichtfüßigkeit. Dafür bekommt man die minutiöse Genauigkeit einer langen Recherche, die auch zu gewissen Redundanzen führt. Oder zumindest zu einem Mangel an Verdichtung. "Endstation" (Rowohlt, 432 S., br., 16,99 [Euro]) erzählt vom kaltgestellten Zielfahnder Thomas Mohr, den man nach einem dienstwegfernen Einsatz gegen einen Albaner-Paten zum Leiter und einzigen Mitarbeiter einer Abteilung für Cold Cases gemacht hat. Der erste Fall, den er sich vom Aktenstapel greift: der fünf Jahre zurückliegende Tod eines Studenten, bei dem die zuständigen Ermittler nicht nur geschlampt, sondern, wie Mohr schnell spürt, vorsätzlich nicht ermittelt haben.
Kaes' Vorbild für Mohr könnte, was Hartnäckigkeit und Obsessivität angeht, Michael Connellys Harry Bosch sein, auch wenn das Kölner Umland den Vergleich mit Los Angeles nicht aushält. Connellys Drive hat das Buch auch nicht, aber man bleibt dabei, weil sehr bald klar ist, dass hier nicht ein haarsträubend konstruierter Plot gelöst wird wie ein Sudoku-Rätsel, sondern dass sich Kaes mehr für lose Enden und Sackgassen, für die Fehlbarkeit und Unvollständigkeit jeder Ermittlung interessiert. So oft erlebt man das nicht.
PETER KÖRTE
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