Dass Georg Heym trotz seines literarischen Talents dem Publikum heute unbekannt ist, hat einen simplen Grund: Er starb mit nur 24 Jahren bei einem Schlittschuhunfall, als er einem ins Eis eingebrochenen Freund helfen wollte. Schon seine literarischen Phantasien drehten sich oft um den Tod und dessen
Ausweglosigkeit. Düster sind diese Geschichten, so düster, dass Ernst Rowohlt von ihnen zwar…mehrDass Georg Heym trotz seines literarischen Talents dem Publikum heute unbekannt ist, hat einen simplen Grund: Er starb mit nur 24 Jahren bei einem Schlittschuhunfall, als er einem ins Eis eingebrochenen Freund helfen wollte. Schon seine literarischen Phantasien drehten sich oft um den Tod und dessen Ausweglosigkeit. Düster sind diese Geschichten, so düster, dass Ernst Rowohlt von ihnen zwar fasziniert war, die Publikation aber ablehnte, da er fürchtete, keine Käufer zu finden. Das war 1911, wenige Monate vor Heyms Unfalltod. Einige der Prosastücke veröffentlichte Rowohlt dann postum doch noch, aber Heym blieb nur als Lyriker einigermaßen in Erinnerung.
„Die Sektion“ versammelt sowohl Kurzgeschichten aus dieser Erstpublikation als auch bisher unbekannte Werke aus dem Nachlass. Heym erweist sich hier als ein Meister des Unheimlichen, dem es mit Worten mühelos gelingt, eine unterschwellige Bedrohung aufzubauen, ohne das eigentliche Grauen beim Namen zu nennen. Dabei nimmt er oft eine ungewöhnliche Opferperspektive ein, sei es, dass er die Wonnen einer Leiche bei der Leichenöffnung beschreibt oder ein fiktives Tagebuch Ernest Shackletons findet, das eine ganz andere, schauerliche Geschichte von dessen Südpolexpedition erzählt und selbst seine Version des ersten Liebeskummers ist weniger tragisch als besessen dämonisch. Heym gehört stilistisch zu den Expressionisten und seine oftmals verzerrte oder ins Extreme gesteigerte Wahrnehmung bestimmt die Erzählweise. Aussichtslos wie Kafka, grausam wie Poe, dabei mit einer ganz eigenen Musik der Sprache, die rhythmisch und präzise schwingt. Auffällig ist das enorm reichhaltige Vokabular und hohe Bildungsniveau, das ich einem 23-Jährigen nicht zugetraut hätte. Die Geschichten weisen jedenfalls stilistisch und inhaltlich weit in eine Zukunft, die Heym niemals haben würde. Aus ihm wäre ohne Zweifel ein Erzähler von Rang geworden, hätte er nur lange genug gelebt.
(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)