Der rundliche Rheinländer Altfried Janich findet nach der Wiedervereinigung eine Stelle im »Ostschloss«, einem alten Barockbau, der neuerdings eine psychiatrische Anstalt beherbergt. Hier hält er es für seine Aufgabe, seinen Patienten gegenüber die Sonnenposition einzunehmen, ihnen eine Orientierung zu geben. Als sein Freund Odilo durch einen rätselhaften Autounfall zu Tode kommt, gerät er selbst auf die Nachtseite der Dinge. Patienten rücken ihm zu nahe, Erinnerungen bedrängen ihn, seine Familiengeschichte holt ihn ein. Alle Geschichten seines Lebens scheinen hier zu enden, und bald stellt sich die Gewissheit ein, dass er aus dem Schloss nicht mehr wegkommen wird. Ein Roman über die Macht der Zeit, über Erinnerung und zeitlose Verbundenheit. Ein Roman über fragile Identitäten, über den schönen Schein und die Suche nach dem inneren Licht – funkelnd, glasklar und von subtiler Spannung.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2013Alles ist erleuchtet
Wie viele Metaphern für Licht passen in einen Roman? Der Rekordversuch von Marion Poschmann
Dieser Roman, der auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises steht und mit dem die 44-jährige Suhrkamp-Autorin in der vergangenen Woche den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis gewonnen hat, wurde seit seinem Erscheinen gelobt, wo immer von ihm die Rede war. "Sonnenposition" von Marion Poschmann, hieß es, sei einer der sprachmächtigsten und kunstvollsten Romane des Herbstes, der zeige, was eine Lyrikerin als Prosaautorin zu leisten vermöge. Mit ihm schenke Poschmann, eine Romantikerin, eine Schriftstellerin, der es ums Ganze gehe, um eine Universalpoesie, die Poetisierung der Welt in all ihren Erscheinungen, den Dingen ein inneres Leuchten. Die Autorin wurde für bezaubernde Wortschöpfungen wie "Pyramidenschweigsamkeit" gepriesen und für gewichtig poetisierte Kapitelüberschriften: "Glühbirnengleichnis", "Tapeten eines Lebens", "Flüssigstrümpfe", "Die Schönheit des Staubs" oder "Blumenmumien".
"Sonnenposition" hat, da gibt es keinen Zweifel, eine besondere lyrische Kraft: "Die Sonne bröckelt", heißt der erste Satz des Romans, mit dem ein Metaphernfeld angerissen wird, das die ganze Komposition durchzieht. Es geht um Licht und Finsternis, um Aufklärung und Romantik, Tag und Nacht. Wobei mit der bröckelnden Sonne am Anfang nicht etwa ein Himmelsgestirn gemeint ist, sondern die brüchige Stuckdecke im Speisesaal jener Psychiatrie, in der der rheinländische Held Altfried Janich nach der Wiedervereinigung eine Stellung findet.
Als Therapeut versucht er, für seine Patienten wie die Sonne zu sein, ihnen die Orientierung wiederzugeben, die sie, stressbedingt, durch die deutsche Einheit verloren haben. Er sieht sich in eine "sonnenkönighafte Lage" gebracht, die ins Wanken gerät, als sein Freund Odilo bei einem Autounfall ums Leben kommt, ein Fachmann für Biolumineszenz, der sein Leben verliert, weil er ohne Licht gefahren ist. Von Erinnerungen bedrängt, gerät Altfried selbst auf die Nachtseite des Lebens. Ihm kommt die "Position des generellen Überblicks" abhanden.
Marion Poschmann scheint gar nicht genug kriegen zu können von ihren Hell- und Dunkel-Metaphern, strickt ein dichtes Gewebe von Bezügen, von Doppelsonnen, Nebensonnen, Irrlichtern, Leuchtmäusen, Sonnensteinen, Leuchtquallen, Polarlichtern und sonstigen Lichtquellen, die gegen die Finsternis an- und in sie hineinblenden. So schiebt sich die Sprache des Romans vor die Handlung.
Darum, "wie" etwas gesagt wird, und nicht, "was" gesagt wird, scheint es hier vorrangig zu gehen: "Auf dem Computerbildschirm legte Odilo die Dunkelbilder übereinander. Das Dunkelfeld wies erhebliche Unregelmäßigkeiten auf, es zeigte verzitterte Wellen wie auf einer Meeresoberfläche bei wenig Wind. Er lud das Biolumineszenzbild hoch und subtrahierte von diesem das gemittelte Dunkelbild. Das Lichtsignal brach ellipsenförmig aus der Schwärze; kein Mond, eher ein Loch, ein Glutkern, der sich vorfrißt und alles zu entzünden droht; ein Loch, das den Blick, der vom Schwarz abprallte und auf sich selbst zurückgeworfen wurde, in sich hineinzog, in eine gleißende äußerste Ferne", liest man da. Oder: "Sie vermeinte, ein indirektes Licht zu sehen, von einer verborgenen Quelle auf die Oberfläche des Wassers geworfen, aber es kam von unten. Lichtgespinste unter Wasser, ein unwirkliches Licht, als sähe sie ihre Augenlider von innen."
Und da liegt dann auch das Problem. Zwar ist das Ganze aufwendig, fleißig, vielschichtig, kunstvoll und natürlich auch intelligent zusammenkomponiert. Es berührt nur nicht. Es wirkt in seiner ganzen prätentiös-lyrischen Sprachzauberei aufdringlich, immerzu bedeutungsschwer, bis einem die ewige Licht- und Finsternisgeschichte - so originell sind diese Metaphern ja nun auch wieder nicht! - anfängt, auf die Nerven zu gehen.
"Sonnenposition" mag als Komposition und ausgefeiltes Sprachfeuerwerk mit seinen barocken Adjektivausschweifungen und seiner Metapherndichte auf den ersten Blick besonders literarisch anmuten. Doch trägt der Roman das Literarische effekthascherisch und aufdringlich vor sich her. Marion Poschmann schreibt mit einem besonders ausgeprägten Kunstwillen. Wörter wie "gleißend", "Lichtgespinste", "Hirngespinste", "Traumgebilde", die "flirrenden Wolken" oder das "nichtige Dunkel", das jemand zu sehen "vermeint" - sie wirken an so vielen Stellen im Roman wie eine Karikatur dessen, was man sich unter "Literatur" oder "Poesie" vorstellen könnte, gehen aber über das bloße Stereotyp oft nicht hinaus.
Dass diese Art des Schreibens unter Literaturkritikern und in Literaturpreisjurys so beliebt ist, während Romane, die in einer eher amerikanischen Tradition stehen, mit einer direkten, unverstellten oder hart analytischen Sprache erzählt sind, für Literaturpreise oft nicht in Frage kommen, ist deprimierend. "Marion Poschmann ist eine Meisterin der Camouflage und der Mimikry, der Spiegelung und Täuschung, der Dialektik des Sich-Zeigens und des Verbergens", hieß es diese Woche in der Begründung der Jury des Raabe-Literaturpreises für Marion Poschmann. Sie schreibe eine Prosa, die "beim lauten Lesen ihr sprachliches Aroma ganz besonders entfaltet". Am Ende kriegt jede Literaturkritik eben die Literatur, die sie verdient.
JULIA ENCKE
Marion Poschmann: "Die Sonnenposition". Suhrkamp, 340 Seiten, 19,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie viele Metaphern für Licht passen in einen Roman? Der Rekordversuch von Marion Poschmann
Dieser Roman, der auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises steht und mit dem die 44-jährige Suhrkamp-Autorin in der vergangenen Woche den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis gewonnen hat, wurde seit seinem Erscheinen gelobt, wo immer von ihm die Rede war. "Sonnenposition" von Marion Poschmann, hieß es, sei einer der sprachmächtigsten und kunstvollsten Romane des Herbstes, der zeige, was eine Lyrikerin als Prosaautorin zu leisten vermöge. Mit ihm schenke Poschmann, eine Romantikerin, eine Schriftstellerin, der es ums Ganze gehe, um eine Universalpoesie, die Poetisierung der Welt in all ihren Erscheinungen, den Dingen ein inneres Leuchten. Die Autorin wurde für bezaubernde Wortschöpfungen wie "Pyramidenschweigsamkeit" gepriesen und für gewichtig poetisierte Kapitelüberschriften: "Glühbirnengleichnis", "Tapeten eines Lebens", "Flüssigstrümpfe", "Die Schönheit des Staubs" oder "Blumenmumien".
"Sonnenposition" hat, da gibt es keinen Zweifel, eine besondere lyrische Kraft: "Die Sonne bröckelt", heißt der erste Satz des Romans, mit dem ein Metaphernfeld angerissen wird, das die ganze Komposition durchzieht. Es geht um Licht und Finsternis, um Aufklärung und Romantik, Tag und Nacht. Wobei mit der bröckelnden Sonne am Anfang nicht etwa ein Himmelsgestirn gemeint ist, sondern die brüchige Stuckdecke im Speisesaal jener Psychiatrie, in der der rheinländische Held Altfried Janich nach der Wiedervereinigung eine Stellung findet.
Als Therapeut versucht er, für seine Patienten wie die Sonne zu sein, ihnen die Orientierung wiederzugeben, die sie, stressbedingt, durch die deutsche Einheit verloren haben. Er sieht sich in eine "sonnenkönighafte Lage" gebracht, die ins Wanken gerät, als sein Freund Odilo bei einem Autounfall ums Leben kommt, ein Fachmann für Biolumineszenz, der sein Leben verliert, weil er ohne Licht gefahren ist. Von Erinnerungen bedrängt, gerät Altfried selbst auf die Nachtseite des Lebens. Ihm kommt die "Position des generellen Überblicks" abhanden.
Marion Poschmann scheint gar nicht genug kriegen zu können von ihren Hell- und Dunkel-Metaphern, strickt ein dichtes Gewebe von Bezügen, von Doppelsonnen, Nebensonnen, Irrlichtern, Leuchtmäusen, Sonnensteinen, Leuchtquallen, Polarlichtern und sonstigen Lichtquellen, die gegen die Finsternis an- und in sie hineinblenden. So schiebt sich die Sprache des Romans vor die Handlung.
Darum, "wie" etwas gesagt wird, und nicht, "was" gesagt wird, scheint es hier vorrangig zu gehen: "Auf dem Computerbildschirm legte Odilo die Dunkelbilder übereinander. Das Dunkelfeld wies erhebliche Unregelmäßigkeiten auf, es zeigte verzitterte Wellen wie auf einer Meeresoberfläche bei wenig Wind. Er lud das Biolumineszenzbild hoch und subtrahierte von diesem das gemittelte Dunkelbild. Das Lichtsignal brach ellipsenförmig aus der Schwärze; kein Mond, eher ein Loch, ein Glutkern, der sich vorfrißt und alles zu entzünden droht; ein Loch, das den Blick, der vom Schwarz abprallte und auf sich selbst zurückgeworfen wurde, in sich hineinzog, in eine gleißende äußerste Ferne", liest man da. Oder: "Sie vermeinte, ein indirektes Licht zu sehen, von einer verborgenen Quelle auf die Oberfläche des Wassers geworfen, aber es kam von unten. Lichtgespinste unter Wasser, ein unwirkliches Licht, als sähe sie ihre Augenlider von innen."
Und da liegt dann auch das Problem. Zwar ist das Ganze aufwendig, fleißig, vielschichtig, kunstvoll und natürlich auch intelligent zusammenkomponiert. Es berührt nur nicht. Es wirkt in seiner ganzen prätentiös-lyrischen Sprachzauberei aufdringlich, immerzu bedeutungsschwer, bis einem die ewige Licht- und Finsternisgeschichte - so originell sind diese Metaphern ja nun auch wieder nicht! - anfängt, auf die Nerven zu gehen.
"Sonnenposition" mag als Komposition und ausgefeiltes Sprachfeuerwerk mit seinen barocken Adjektivausschweifungen und seiner Metapherndichte auf den ersten Blick besonders literarisch anmuten. Doch trägt der Roman das Literarische effekthascherisch und aufdringlich vor sich her. Marion Poschmann schreibt mit einem besonders ausgeprägten Kunstwillen. Wörter wie "gleißend", "Lichtgespinste", "Hirngespinste", "Traumgebilde", die "flirrenden Wolken" oder das "nichtige Dunkel", das jemand zu sehen "vermeint" - sie wirken an so vielen Stellen im Roman wie eine Karikatur dessen, was man sich unter "Literatur" oder "Poesie" vorstellen könnte, gehen aber über das bloße Stereotyp oft nicht hinaus.
Dass diese Art des Schreibens unter Literaturkritikern und in Literaturpreisjurys so beliebt ist, während Romane, die in einer eher amerikanischen Tradition stehen, mit einer direkten, unverstellten oder hart analytischen Sprache erzählt sind, für Literaturpreise oft nicht in Frage kommen, ist deprimierend. "Marion Poschmann ist eine Meisterin der Camouflage und der Mimikry, der Spiegelung und Täuschung, der Dialektik des Sich-Zeigens und des Verbergens", hieß es diese Woche in der Begründung der Jury des Raabe-Literaturpreises für Marion Poschmann. Sie schreibe eine Prosa, die "beim lauten Lesen ihr sprachliches Aroma ganz besonders entfaltet". Am Ende kriegt jede Literaturkritik eben die Literatur, die sie verdient.
JULIA ENCKE
Marion Poschmann: "Die Sonnenposition". Suhrkamp, 340 Seiten, 19,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Marion Poschmann ist eines der großen Talente ihrer Generation, soviel steht für Susanne Mayer fest, und mit ihrem neuen Roman "Die Sonnenposition" hat sie das erneut unter Beweis gestellt. Zwei Helden hat diese Geschichte, berichtet Mayer: Altfried, ein westdeutscher Psychiater, ist nach der Wende in den Osten gegangen, um dort zu arbeiten; Odilo ist einer seiner ehemaligen Patienten und zu Beginn des Buches bereits tödlich verunglückt; Altfried erzählt von ihrer Freundschaft, die nie wirklich eine war, von seiner Heimat Bonn, von dem Schlösschen in Ostdeutschland, in dem er als Psychiater seinen eigenen Kosmos geschaffen hat, in dem er für seine Patienten die Sonnenposition einnimmt, wie die Rezensentin schreibt: Alles kreist um ihn und er sieht alles. Poschmann wechselt zwischen dem bedrückenden "Sound der Pharmaindustrie" und ihrer eigenen bildreichen Sprache hin und her, berichtet Mayer. Aber auch die Lyrikerin gibt sich zu erkennen, verrät die Rezensentin, zum Beispiel wenn Poschmann "Wolkenfetzen von widerlicher Unentschlossenheit" beschreibt, und in diesen Momenten will Mayer das Buch gar nicht mehr zuklappen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.10.2013Feuerwerk vor verlöschendem Grau
Marion Poschmann erzählt von einem Psychiater, der unmerklich auf die
Nachtseite hinübergleitet. Ihr Roman „Die Sonnenposition“ hinterlässt eine herrliche Leuchtspur
VON KRISTINA MAIDT-ZINKE
Die Welt als Irrenhaus, das Irrenhaus als Welt: Längst leben wir in Zeiten, in denen dieser literarische Topos fast banal anmutet. Gleichwohl ist bei der jüngeren deutschen Schrifstellergeneration so etwas wie ein Boom des Anstaltsromans zu beobachten. Unlängst veröffentlichte Joachim Meyerhoff, Sohn eines Psychiaters und Klinikdirektors, seine Erinnerungen an eine Kindheit im Kuckucksnest, und im vorigen Jahr erschien Angelika Meiers dystopische Wolkenkuckucksheim-Vision „Heimlich, heimlich mich vergiss“, erzählt aus der Sicht eines Klinikarztes. Diese Perspektive hat auch Marion Poschmann, Jahrgang 1969, für ihren Roman „Die Sonnenposition“ gewählt. Aber damit endet schon das Déjà-vu, denn Poschmanns Werk, für den Deutschen Buchpreis nominiert und soeben mit dem Wilhelm-Raabe-Literaturpreis ausgezeichnet, überstrahlt in seiner Mach- und Eigenart so ziemlich alles, was in den letzten Jahren an deutschsprachiger Prosa auf uns gekommen ist.
Dabei verheißt die Inhaltsangabe keine besonders aufregende, schon gar keine erhebende Lektüre. In einem maroden, zur Heil- und Pflegeanstalt umgewidmeten Barockschloss in Ostdeutschland findet der dickliche junge Rheinländer Altfried Janich nach der Wiedervereinigung eine Stelle als Klinikpsychiater. Er möchte seinen Patienten gegenüber die „Sonnenposition“ einnehmen, ihnen ein Zentralgestirn im Anstaltsalltag sein, für die Aufhellung ihres Gemüts sorgen. Bedrängt von Erinnerungen, die um seine Familiengeschichte und den Unfalltod seines Jugendfreundes Odilo kreisen, verliert er jedoch selbst zunehmend die Orientierung und den Kontakt zur Realität. Unmerklich gleitet er auf die „Nachtseite“ hinüber, bis ihm dämmert, dass das Schloss seine Endstation sein wird.
Dieser Anstaltsroman ist zugleich ein Wende-Epos, denn die meisten Insassen der prachtvoll bröckelnden Klapsmühle, sind „Wendeopfer“, die auf den Untergang der DDR mit mehr oder weniger bizarren Wahnsyndromen reagieren. Es wird aber auch grausige Nazi-Geschichte aufgearbeitet, denn Altfried Janichs Vater war als Kriegswaise in Schloss Sonnenstein bei Pirna interniert, der berüchtigten NS-Tötungsanstalt für psychisch Kranke, hervorgegangen aus einer Nervenheilanstalt. In jener wiederum hatte Ende des 19. Jahrhunderts der Jurist Daniel Paul Schreber, Sohn des „schwarzen Pädagogen“ und Kleingarten-Propheten Moritz Schreber, als Patient einen Teil der Erfahrungen gesammelt, die er in seinem 1903 erschienenen Buch „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“ niederlegte.
Das ganze Repertoire also, in Janichs Jugendreminiszenzen noch erweitert um die dunkle Seite rheinischen Bieder-Frohsinns und im Klappentext kondensiert zum Zeigefinger-Hinweis „Ein Roman über Deutschland aus der Sicht der Kriegsenkel“. Das Verrückte ist (hier passt das Wort), dass Marion Poschmann den finsteren und schwer lastenden Stoff restlos in leuchtende poetische Substanz verwandelt, ohne ihn verschwinden zu lassen. Dieses Kunststück vollbringt sie mit den Mitteln einer Sprache, in die ihre ganze Erfahrung als Lyrikerin einfließt, und eines Formbewusstseins, das sich in ihren vorausgegangenen Prosaarbeiten ankündigte und jetzt zu wunderbarer Kompromisslosigkeit herangereift ist.
Zugleich nimmt sie Motive aus früheren Romanen wieder auf, entwickelt sie weiter oder wendet sie ins Gegenteil. Ließ sie im „Schwarzweißroman“ (2005) die Erzählerin von West nach Ost reisen, um in der nur aus Schwarz und Weiß und harten Linien bestehenden Welt Sibiriens alle Farben hinter sich zu lassen, und versenkte sie die Heldin der „Hundenovelle“ (2008) im glitzernden Rabenschwarz der Melancholie, nimmt sie Altfried Janichs West-Ost-Bewegung zum Anlass, ein Feuerwerk morbid-barocker Farben und Formen zu entfalten, das ein „verlöschendes, alles auslöschendes Grau“ kontrastierend begleitet.
Das Phänomen der Biolumineszenz, für das sie sich schon in ihrem Debütroman „Baden bei Gewitter“ (2002) interessierte, macht sie nun als Forschungsobsession des genial verschrobenen Odilo zum schillernden, metaphorisch aufgeladenen Thema: Die Sucht, in Tierkörpern das durch den Zerfall von „Luciferasen“ bewirkte Leuchten zu erzeugen, verleiht dem Freund, von dem Altfried sich „mottenhaft“ angezogen fühlte, die Aura des gefallenen Engels, der zugleich Lichtbringer und Fürst der Finsternis ist.
Die eigenwillige, formal ungemein wirkungsvolle Erzähltechnik Marion Poschmanns besteht darin, dass Figuren, Orte, Verhältnisse nicht direkt geschildert, sondern durch Camouflage charakterisiert werden – durch ein irisierendes, ornamentierendes Umspielen und Umhüllen mit Metaphern und Motivfragmenten, deren Bruchkanten sich zu vielfältig wechselnden Bildern und Gestalten zusammensetzen. Immer wieder wird der Erzählfluss unterbrochen durch das quasi-lyrische Verfahren der systematischen Wortfeld-Erkundung oder aber der listenhaften Aufzählung, die sich dann überraschend organisch in das durchrhythmisierte Sprachgeflecht einfügt. Ob es sich dabei um Tapetenmuster als Epochensymptome handelt oder um die Fallgeschichten der Wendegeschädigten – stets schwebt über allem eine spinnwebzarte Ironie, ein Hauch barocker Vanitas-Erfahrung, graziös in die glanzlose Gegenwart hinübergeleitet.
Das Prinzip der Camouflage spiegelt sich in Doktor Janichs exzentrischem Hobby, der Jagd nach getarnten Auto-Prototypen, die unter Geheimhaltung auf Testfahrt gehen: Altfried, dessen Name „Elfenfürst“ bedeutet, lauert den sogenannten „Erlkönigen“ auf, der Wortbedeutung nach ebenfalls Elfenherrschern, und er versucht dabei, sich seiner Umgebung bis zur Unkenntlichkeit anzugleichen. Altfried Janich ist mit Sicherheit einer der unscheinbarsten Romanhelden aller Zeiten, und doch hinterlässt seine Geschichte eine Leuchtspur, wie sie literarischen Sternstunden vorbehalten ist. Seine Zwangsneurosen und seine „Gedächtnispaläste“, aber auch die Liebesaffäre zwischen seiner Schwester Mila und dem bewunderten Odilo, gipfelnd in einer Ostseereise, bei der die amphibische Sphäre der Biolumineszenz ins Bild gesetzt wird – all das ist nur Stoff, der, so will es scheinen, auf dieser Höhe der Sprachkunst auch durch jeden anderen ersetzt werden könnte.
In Altfrieds schönem Wahnschloss kann sogar der gute alte Lord Chandos noch einmal auftreten, ohne aufdringlich zu wirken: „Beständig hängt hier ein Pilzgeruch in der Luft; man hat es bisher vermieden, die Tapeten abzureißen, um zu kontrollieren, ob sich dahinter Schimmel gebildet hat. . . . Der pilzige Geruch verwandelt sich im Mund in einen modrigen Geschmack. Und es scheint, als zerfalle das Schloß in meiner Mundhöhle, als zerfalle es, je mehr ich davon spreche, immer weiter, rieselnder Putz, Sonnentrümmer, Gipspulver. Ich knirsche nachts mit den Zähnen. Ich schlafe schlecht.“
Marion Poschmann kann gut schlafen, denn bei ihr ist die Anspielung auf Hofmannsthal weder Manifest noch Koketterie: Im gleichen Maße, wie ihr fantastisches Anstaltsgebäude zerfällt, wächst beim Leser die Zuversicht, dass die Sprache als Poesie und die Literatur als Kunstform noch lange nicht abgewirtschaftet haben.
Über allem schwebt zarte Ironie,
ein Hauch von Vanitas-Erfahrung
„Die Grube eine Spielzeugwelt. Spielende Baggerfahrer, spielerisch aufleuchtende Positionslichter, modellbauhaft winzige Pkw.“ – Tagebau, Lausitz.
FOTO: GETTY IMAGES
Marion Poschmann: Die Sonnenposition. Roman. Suhrkamp Verlag,
Berlin 2013. 337 Seiten,
19,95 Euro, E-Book 16,99.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Marion Poschmann erzählt von einem Psychiater, der unmerklich auf die
Nachtseite hinübergleitet. Ihr Roman „Die Sonnenposition“ hinterlässt eine herrliche Leuchtspur
VON KRISTINA MAIDT-ZINKE
Die Welt als Irrenhaus, das Irrenhaus als Welt: Längst leben wir in Zeiten, in denen dieser literarische Topos fast banal anmutet. Gleichwohl ist bei der jüngeren deutschen Schrifstellergeneration so etwas wie ein Boom des Anstaltsromans zu beobachten. Unlängst veröffentlichte Joachim Meyerhoff, Sohn eines Psychiaters und Klinikdirektors, seine Erinnerungen an eine Kindheit im Kuckucksnest, und im vorigen Jahr erschien Angelika Meiers dystopische Wolkenkuckucksheim-Vision „Heimlich, heimlich mich vergiss“, erzählt aus der Sicht eines Klinikarztes. Diese Perspektive hat auch Marion Poschmann, Jahrgang 1969, für ihren Roman „Die Sonnenposition“ gewählt. Aber damit endet schon das Déjà-vu, denn Poschmanns Werk, für den Deutschen Buchpreis nominiert und soeben mit dem Wilhelm-Raabe-Literaturpreis ausgezeichnet, überstrahlt in seiner Mach- und Eigenart so ziemlich alles, was in den letzten Jahren an deutschsprachiger Prosa auf uns gekommen ist.
Dabei verheißt die Inhaltsangabe keine besonders aufregende, schon gar keine erhebende Lektüre. In einem maroden, zur Heil- und Pflegeanstalt umgewidmeten Barockschloss in Ostdeutschland findet der dickliche junge Rheinländer Altfried Janich nach der Wiedervereinigung eine Stelle als Klinikpsychiater. Er möchte seinen Patienten gegenüber die „Sonnenposition“ einnehmen, ihnen ein Zentralgestirn im Anstaltsalltag sein, für die Aufhellung ihres Gemüts sorgen. Bedrängt von Erinnerungen, die um seine Familiengeschichte und den Unfalltod seines Jugendfreundes Odilo kreisen, verliert er jedoch selbst zunehmend die Orientierung und den Kontakt zur Realität. Unmerklich gleitet er auf die „Nachtseite“ hinüber, bis ihm dämmert, dass das Schloss seine Endstation sein wird.
Dieser Anstaltsroman ist zugleich ein Wende-Epos, denn die meisten Insassen der prachtvoll bröckelnden Klapsmühle, sind „Wendeopfer“, die auf den Untergang der DDR mit mehr oder weniger bizarren Wahnsyndromen reagieren. Es wird aber auch grausige Nazi-Geschichte aufgearbeitet, denn Altfried Janichs Vater war als Kriegswaise in Schloss Sonnenstein bei Pirna interniert, der berüchtigten NS-Tötungsanstalt für psychisch Kranke, hervorgegangen aus einer Nervenheilanstalt. In jener wiederum hatte Ende des 19. Jahrhunderts der Jurist Daniel Paul Schreber, Sohn des „schwarzen Pädagogen“ und Kleingarten-Propheten Moritz Schreber, als Patient einen Teil der Erfahrungen gesammelt, die er in seinem 1903 erschienenen Buch „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“ niederlegte.
Das ganze Repertoire also, in Janichs Jugendreminiszenzen noch erweitert um die dunkle Seite rheinischen Bieder-Frohsinns und im Klappentext kondensiert zum Zeigefinger-Hinweis „Ein Roman über Deutschland aus der Sicht der Kriegsenkel“. Das Verrückte ist (hier passt das Wort), dass Marion Poschmann den finsteren und schwer lastenden Stoff restlos in leuchtende poetische Substanz verwandelt, ohne ihn verschwinden zu lassen. Dieses Kunststück vollbringt sie mit den Mitteln einer Sprache, in die ihre ganze Erfahrung als Lyrikerin einfließt, und eines Formbewusstseins, das sich in ihren vorausgegangenen Prosaarbeiten ankündigte und jetzt zu wunderbarer Kompromisslosigkeit herangereift ist.
Zugleich nimmt sie Motive aus früheren Romanen wieder auf, entwickelt sie weiter oder wendet sie ins Gegenteil. Ließ sie im „Schwarzweißroman“ (2005) die Erzählerin von West nach Ost reisen, um in der nur aus Schwarz und Weiß und harten Linien bestehenden Welt Sibiriens alle Farben hinter sich zu lassen, und versenkte sie die Heldin der „Hundenovelle“ (2008) im glitzernden Rabenschwarz der Melancholie, nimmt sie Altfried Janichs West-Ost-Bewegung zum Anlass, ein Feuerwerk morbid-barocker Farben und Formen zu entfalten, das ein „verlöschendes, alles auslöschendes Grau“ kontrastierend begleitet.
Das Phänomen der Biolumineszenz, für das sie sich schon in ihrem Debütroman „Baden bei Gewitter“ (2002) interessierte, macht sie nun als Forschungsobsession des genial verschrobenen Odilo zum schillernden, metaphorisch aufgeladenen Thema: Die Sucht, in Tierkörpern das durch den Zerfall von „Luciferasen“ bewirkte Leuchten zu erzeugen, verleiht dem Freund, von dem Altfried sich „mottenhaft“ angezogen fühlte, die Aura des gefallenen Engels, der zugleich Lichtbringer und Fürst der Finsternis ist.
Die eigenwillige, formal ungemein wirkungsvolle Erzähltechnik Marion Poschmanns besteht darin, dass Figuren, Orte, Verhältnisse nicht direkt geschildert, sondern durch Camouflage charakterisiert werden – durch ein irisierendes, ornamentierendes Umspielen und Umhüllen mit Metaphern und Motivfragmenten, deren Bruchkanten sich zu vielfältig wechselnden Bildern und Gestalten zusammensetzen. Immer wieder wird der Erzählfluss unterbrochen durch das quasi-lyrische Verfahren der systematischen Wortfeld-Erkundung oder aber der listenhaften Aufzählung, die sich dann überraschend organisch in das durchrhythmisierte Sprachgeflecht einfügt. Ob es sich dabei um Tapetenmuster als Epochensymptome handelt oder um die Fallgeschichten der Wendegeschädigten – stets schwebt über allem eine spinnwebzarte Ironie, ein Hauch barocker Vanitas-Erfahrung, graziös in die glanzlose Gegenwart hinübergeleitet.
Das Prinzip der Camouflage spiegelt sich in Doktor Janichs exzentrischem Hobby, der Jagd nach getarnten Auto-Prototypen, die unter Geheimhaltung auf Testfahrt gehen: Altfried, dessen Name „Elfenfürst“ bedeutet, lauert den sogenannten „Erlkönigen“ auf, der Wortbedeutung nach ebenfalls Elfenherrschern, und er versucht dabei, sich seiner Umgebung bis zur Unkenntlichkeit anzugleichen. Altfried Janich ist mit Sicherheit einer der unscheinbarsten Romanhelden aller Zeiten, und doch hinterlässt seine Geschichte eine Leuchtspur, wie sie literarischen Sternstunden vorbehalten ist. Seine Zwangsneurosen und seine „Gedächtnispaläste“, aber auch die Liebesaffäre zwischen seiner Schwester Mila und dem bewunderten Odilo, gipfelnd in einer Ostseereise, bei der die amphibische Sphäre der Biolumineszenz ins Bild gesetzt wird – all das ist nur Stoff, der, so will es scheinen, auf dieser Höhe der Sprachkunst auch durch jeden anderen ersetzt werden könnte.
In Altfrieds schönem Wahnschloss kann sogar der gute alte Lord Chandos noch einmal auftreten, ohne aufdringlich zu wirken: „Beständig hängt hier ein Pilzgeruch in der Luft; man hat es bisher vermieden, die Tapeten abzureißen, um zu kontrollieren, ob sich dahinter Schimmel gebildet hat. . . . Der pilzige Geruch verwandelt sich im Mund in einen modrigen Geschmack. Und es scheint, als zerfalle das Schloß in meiner Mundhöhle, als zerfalle es, je mehr ich davon spreche, immer weiter, rieselnder Putz, Sonnentrümmer, Gipspulver. Ich knirsche nachts mit den Zähnen. Ich schlafe schlecht.“
Marion Poschmann kann gut schlafen, denn bei ihr ist die Anspielung auf Hofmannsthal weder Manifest noch Koketterie: Im gleichen Maße, wie ihr fantastisches Anstaltsgebäude zerfällt, wächst beim Leser die Zuversicht, dass die Sprache als Poesie und die Literatur als Kunstform noch lange nicht abgewirtschaftet haben.
Über allem schwebt zarte Ironie,
ein Hauch von Vanitas-Erfahrung
„Die Grube eine Spielzeugwelt. Spielende Baggerfahrer, spielerisch aufleuchtende Positionslichter, modellbauhaft winzige Pkw.“ – Tagebau, Lausitz.
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Marion Poschmann: Die Sonnenposition. Roman. Suhrkamp Verlag,
Berlin 2013. 337 Seiten,
19,95 Euro, E-Book 16,99.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Ein philosophisch hochintelligenter und erzählerisch virtuoser Roman ... Über die Dämonen der Aufklärung und die Schattenzonen der menschlichen Psyche ist schon Iange kein so kluges und aufwühlendes Buch mehr geschrieben worden.« Michael Braun Neue Zürcher Zeitung 20131005