Studienarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 2, Universität zu Köln (Institut für Deutsche Sprache und Literatur der Universität zu Köln), Veranstaltung: KZ- und Holocaustliteratur, Sprache: Deutsch, Abstract: Andrzej Szczypiorski nimmt in dem Roman „Die Schöne Frau Seidenman“ die Zeit von den Jahren der Beherrschung Polens durch die Nationalsozialisten, über die Zeit der russischen Besetzung, bis hin zur Verhängung des Kriegszustandes durch Jaruzelski ins Visier. Er fokussiert seine Aufmerksamkeit jedoch nicht auf die Geschichte an sich, sondern beschreibt in den 21 Kapiteln mehr als zwanzig unterschiedliche ganz normale Menschen, die in die Geschehnisse der Okkupation verstrickt sind. Die verschiedenen deutschen, polnischen und jüdischen Lebensschicksaale, die sich im Laufe der Handlung überkreuzen und zwar um den Knotenpunkt der Rettung der schönen Jüdin, werden nicht nach Klischeevorstellungen dargestellt. In dem Roman gibt es einen Deutschen, der Polen liebt, viele fromme Polen, die die malträtierten Juden neugierig anglotzen und einen Juden ohne Gewissen, der seine Landsmänner verrät, um sein eigenes Leben zu retten. Der Autor wirft dabei die Frage nach der individuellen Schuld vor dem Hintergrund des kollektiven Verbrechens auf. Aus dem breiten Panorama, verschiedenen Lebensschicksaalen und Handlungen, rücken zwei Fäden in den Vordergrund: die Rettungsaktion von Irma Seidenman und von Joasia Fichtelbaum. Das Thema dieser Hausarbeit beschränkt sich jedoch auf einen besonderen Aspekt der vielen aufgeworfenen Fragen, nämlich auf die Spiegelung der deutsch-polnischen Verhältnisse. Den Hintergrund für die Interpretation liefert die Weltanschauung von Szczypiorski, sein ethisches Wertesystem und der Glaube an Gott. Der Weg zu Gott führt, ihm zufolge, nur über Nächstenliebe, deren Objekt jedes menschliche Wesen ist. Daraus resultiert auch das Bedürfnis andere nicht rücksichtslos zu beurteilen, sondern sie zu verstehen, selbst wenn sie Verbrecher sind. Liebe, Freiheit des menschlichen Individuums, Toleranz sowie tiefer Humanismus determinierten seine Welt. Sie bestimmen auch seine Darstellungsweise der Polen, Deutschen und Juden im besetzten Warschau. Seine Lebensphilosophie führt auch zur Überprüfung der polnischen nationalen Mythen, zur Auseinandersetzung mit den polnischen Phobien gegenüber anderen Nationen (ganz besonders mit dem Antisemitismus) sowie zum Streben nach einer Versöhnung mit Deutschen, Juden, Ukrainern, Litauern, Weißrussen und Tschechen.