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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
als Luft
Norbert Scheuers Roman
„Die Sprache der Vögel“ ist ein
schwerelos schönes Buch über die
Rettung aus Katastrophen
VON CHRISTOPH SCHRÖDER
Der erzählerische Impuls von Norbert Scheuers neuem Roman liegt in Kall in der Eifel, genauer gesagt: im Café eines Supermarktes. Dort, so schreibt Scheuer im Nachwort, habe sich im Winter 2005/2006 regelmäßig eine auffällige Person aufgehalten, ein bärtiger junger Mann im Bundeswehrparka, neben sich auf der Bank eine Schildkröte, eine Vierzehenschildkröte, wie er auf Nachfrage erklärte. „Der Mann“, schreibt Scheuer, „hatte ein beträchtliches biologisches Wissen.“ Und eine Geschichte. Die Geschichte seiner Monate als Soldat in Afghanistan. Eines Tages war der Mann verschwunden, so plötzlich, wie er aufgetaucht war. Doch man muss ihm dankbar sein, dass er einer der Auslöser war für den Roman „Die Sprache der Vögel“, ein nur auf den ersten Blick unspektakuläres Buch, das erfreulicherweise für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert ist.
Norbert Scheuer, 1951 in Prüm in der Westeifel geboren, ist ein Autor der leisen, behutsamen Annäherungen, der Umkreisungen, dessen Herz an den Träumern und Außenseitern hängt. Paul Arimond ist so einer. Schon in der Schule hat er, wie seine Lehrerin sich später erinnern wird, aus dem Fenster gestarrt und Vögel gezeichnet. Die Begeisterung für die friedliche Passion der Ornithologie hat Paul von seinem Vater vermittelt bekommen; nun, im frühen Erwachsenenalter, wird sie zu seinem Rettungsanker. Um 1780 herum hatte sich Pauls Ururgroßvater Ambrosius nach Afghanistan aufgemacht, um die dortige Tierwelt zu studieren.
Im Jahr 2003 ist ihm Paul dorthin gefolgt, als Sanitätsobergefreiter der Bundeswehr. Das Afghanistan der Gegenwart, das die Bilder der Medien vermitteln, ist ein Land im Krieg, voller Gewalt, Zerstörung und Leid. All das wird bei Norbert Scheuer nicht ausgeblendet. Er hat über sein Thema recherchiert und gelesen. Die gedehnte Zeit des Lagerlebens, die Mischung aus gespannter Ruhe bis zum nächsten Außeneinsatz und unausgesprochener Angst – all das findet sich hier, ohne politisch bewertet zu werden.
Doch es gibt einen Gegenentwurf, und das ist die Natur, und zwar nicht nur in jenem arkadischen Zustand, in dem Ambrosius sie in seinem Reisebericht beschrieben hat; eine Welt von prachtvoller Fülle, sondern vor allem in Pauls Beobachtungen der Vogelwelt. Es ist Ausdruck feiner Ironie, dass in Afghanistan die Eingesperrten nicht die Vögel, sondern die Menschen sind, abgeriegelt durch Schutzwälle, Stacheldraht und Sicherheitszonen. Jenseits des Zauns liegt ein See, dem Pauls ganzes Interesse gilt und an dem die Vögel nisten; Tiere mit so klingenden Namen wie Rotstirngirlitz, Moabsperling, Blauracke, Leierschwanz, Goldammer oder Säbelschnäbler. Doch der See bleibt verbotene Zone, der Gang dorthin wäre ein Sicherheitsrisiko. Paul wird, so viel wird verraten, seinen Weg dennoch finden.
„Die Sprache der Vögel“ ist ein Buch der Schönheit und der Katastrophen, wobei beides nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang steht (das wäre Kitsch), sondern als Kontrapunkte innerhalb eines großen Bildes in eine spannungsreiche Beziehung gesetzt wird. Der Roman ist raffiniert konstruiert: Pauls Aufzeichnungen aus Afghanistan mitsamt den in einer von Paul aus der Materialnot heraus entwickelten Maltechnik entstandenen Zeichnungen der Vögel werden in einem Krankenhaus in der Eifel eher zufällig durch einen Stubengenossen Pauls an dessen ehemalige Lehrerin übergeben, so dass der Leser zumindest zwei Informationen hat: Paul hat überlebt, aber etwas ist mit ihm geschehen.
Neben den detaillierten Erzählungen der Vogelbeobachtungen entrollt sich aus den Tagebuchnotizen bruchstückhaft eine heillose Vorgeschichte, die letztendlich Pauls Zustand erklärt: Da schreibt ein Mann, dessen Seelenleben labil und der „sich selbst ein Rätsel“ ist.
Es geht um die Mutter, die irgendwann die Familie verlassen hat, um reumütig zurückzukehren; um den Vater, der von der Brücke gesprungen ist, um ein letztes Mal zu fliegen; um die Schwester, die sozial abgestürzt ist; um Pauls besten Freund, der bei einem von Paul verursachten Unfall einen Gehirnschaden davongetragen hat; und um Pauls Freundin, die ihn nicht mehr ertragen wollte.
In der Aufzählung klingt das wie geballter Stoff für eine Fernsehserie – in der zurückhaltenden, tastenden, vorsichtigen und subtilen Technik aber, in der Norbert Scheuer daraus ein bewusst unkomplettes, lückenhaftes Mosaik der Trauer zusammensetzt, ist es bestechend. Die Sprache der Vögel, von der einst Ururgroßvater Ambrosius träumte und an deren intuitiver Erfassung Paul weiterwirkt, bezieht sich auf eine Verständigungsform, in der sich ausdrücken lässt, was in Sprache eigentlich nicht ausgedrückt werden kann. In diesen universalpoetischen Ansatz, der die Künste und die Naturwissenschaften zusammenführt, fügen sich die von Norbert Scheuers Sohn Erasmus angefertigten Kaffeeaquarelle der einzelnen Vogelarten, die in den Roman integriert sind, ähnlich schon wie die Zeichnungen von Fischen in den Roman „Überm Rauschen“ (2009).
Der Zoologe und Evolutionsbiologe Josef H. Reichholf, auf den Norbert Scheuer sich unter anderem bezieht, definiert in seinem Buch „Der Ursprung der Schönheit“ die Freiheit des Menschen auch als ein Resultat seiner Suche nach Schönheit. In diesem Verständnis ist auch Paul Arimond, der in ein Bundeswehrcamp eingesperrte, traumatisierte Junge aus der Eifel, ein Suchender. Die Sehnsuchtsbewegungen und Schmerzverdrängungen durchziehen als untergründige Adern das gesamte Buch und alle seine Figuren. Sie sind jederzeit spürbar, angelegt in einem ruhigen Tonfall, aus dem heraus Scheuer immer wieder in verblüffende Tiefendimensionen vorstößt. Diesen Ton hat er in all seinen Romanen erprobt, nie allerdings waren die in einen literarischen Einklang zu bringenden Gegensätze so groß wie in „Die Sprache der Vögel“, und umso staunenswerter ist das Ergebnis.
„Das Zeissglas, 7 x 50, mit dem Vater Vögel beobachtete: Beim Einstellen des Okulars gibt es eine winzige Spanne zwischen absoluter Schärfeneinstellung und dem Verwischen der Konturen – ein Moment, vergleichbar dem zwischen Wirklichkeit und Traum, Erinnern und Vergessen.“ Norbert Scheuer hat zu einem freien, schwerelosen Erzählen gefunden, zu einer Poetik des Schwebens, in der die gewichtigen Dinge aufgehoben sind.
Norbert Scheuer: Die Sprache der Vögel. Roman. Verlag C.H. Beck, München 2015. 238 Seiten, 19,95 Euro.
Parallel zu den detaillierten
Vogelbeobachtungen entrollt sich
eine heillose Vorgeschichte
Der Titel des Buches bezieht
sich auf eine Verständigungsform
jenseits der Sprache
Es ist Ausdruck feiner Ironie, dass im Afghanistan des Buches die Eingesperrten nicht die Vögel, sondern die Menschen sind.
Foto: Getty images
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Christoph Schröder, Süddeutsche Zeitung, 10. März 2015
"Eine Geschichte von Menschen und Vögeln, in der die Tragödie des Krieges nur noch als vermittelte Geschichte ins Bild rückt. Die Wucht, die die dieses stille Drama um den Sanitäter vom IV. Infanteriebataillon entfaltet, ist dafür umso stärker."
Sandra Kegel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, März 2015
"Eine solche Naturkunde des Krieges hat es noch nicht gegeben."
Iris Radisch, Die Zeit, 12. März 2015
"Einer der klügsten und feinsinnigsten Erzähler, die dieses Land derzeit hat."
Sebastian Hammelehle, KulturSpiegel, 28. Februar 2015
"Norbert Scheuers Roman besteht aus Erzählskizzen, die sich auf magische Weise zu einer Geschichte verdichten."
Oliver Creutz, Stern, 9. April 2015
"Ein Buch, das unter die Haut - und auf die Netzhaut geht."
Wolfgang Schneider, Deutschlandradio Kultur, 10. März 2015
"Ein Roman reich an Verlusten ist das, wovon vielstimmig erzählt wird. Scheuer präsentiert seine Geschichte auf mehreren Ebenen, die natürlich alle einander vielfach durchdringen."
Martin Oehlen, Frankfurter Rundschau, 4. März 2015
"Norbert Scheuer feiert in seinem grandiosen Roman 'Die Sprache der Vögel' die Kraft der Fantasie."
Meike Fessmann, Der Tagesspiegel, 8. März 2015
"Diese Prosa, die eine besondere Musikalität entfaltet, gleicht einem sachten, behutsamen Tasten, das zumeist an der Oberfläche bleibt und doch zur Essenz des Daseins vordringt."
Holger Heimann, NDR Kultur, 5. März 2015
"Ein so rätselhaftes wie fein gesponnenes Sprachkunstwerk."
Katharina Granzin, Die Tageszeitung, 10. März 2015
"Ein leises, ein gänzlich unheroisches Buch."
Sebastian Hammelehle, Spiegel Online, 2. April 2015
"Scheuer hat sicherlich viele Talente. Sein vielleicht größtes ist die Kunst der Beschreibung und Charakterisierung."
Thomas Strünkelnberg, dpa, 4. März 2015