Ich war noch nie in Oslo, doch nach der Lektüre dieses Romans kommt es mir so vor, als hätte ich einige Wochen dort verbracht – und das obwohl die Geschichte in der Nachkriegszeit spielt. Dabei lernte ich die Stadt auf eine besondere Weise kennen, und zwar aus der Sicht verschiedener Charaktere.
Dazu zählt beispielsweise der siebenjährige Jesper Kristoffersen, der sich mit dem schwerhörigen Sohn…mehrIch war noch nie in Oslo, doch nach der Lektüre dieses Romans kommt es mir so vor, als hätte ich einige Wochen dort verbracht – und das obwohl die Geschichte in der Nachkriegszeit spielt. Dabei lernte ich die Stadt auf eine besondere Weise kennen, und zwar aus der Sicht verschiedener Charaktere. Dazu zählt beispielsweise der siebenjährige Jesper Kristoffersen, der sich mit dem schwerhörigen Sohn eines Schlachters anfreundet und Klavierstunden nimmt. Seine Mutter engagiert sich beim Roten Kreuz, während sein Vater an einer Ausstellung zum 900-jährigen Stadtjubiläum arbeitet.
Wir lernen die Sehnsüchte und Sorgen weiterer Bewohner kennen wie die eines Pianisten, eines Arztes oder einer Witwe, deren Wege sich in dem Roman kreuzen. Dabei gelingt es Lars Saabye Christensen, fließend von der Perspektive einer Figur zur nächsten zu wechseln und uns durch ihre Schicksale zu navigieren, wobei der Fokus auf den hochsensiblen Jesper liegt. Er ist buchstäblich so nah an den Figuren, dass man das Gefühl hat, man begleite sie auf dem Weg zur Schule, zur Kirche oder in den Park. Dabei nutzt der Autor jede Gelegenheit, um Straßen, Plätze, Geschäfte oder Lokale genauestens wiederzugeben, selbst die wechselnden Stimmungen in der jeweiligen Jahreszeit. Nicht nur Bilder, sondern auch Geräusche und Töne spielen eine wichtige Rolle.
Nach leichten Anlaufschwierigkeiten tauchte ich immer mehr in diesen Kosmos ein, den Christensen mal melancholisch, mal poetisch, mal äußerst humorvoll beschreibt. Sehr amüsant fand ich die Szene, in der die Familie Kristoffersen ganz aus dem Häuschen ist, weil sie ihr langersehntes Telefon bekommen und angestrengt überlegen, wen sie als erstes anrufen könnten. Jedes Kapitel endet mit dem Protokoll einer Sitzung des Roten Kreuzes, was einen guten Einblick in die Nöte der Stadt gibt, mit der Zeit aber auch etwas ermüdend ist.
Man sollte sich Zeit nehmen für die knapp fünfhundert Seiten, auf denen sich zwar nicht viel ereignet, die uns jedoch dank Christensens besonderer Ausdruckskraft und scharfer Beobachtungsgabe eine interessante Milieustudie und eine lohnenswerte Lektüre beschert.