Der Schauspieler, der Dirigent, der Chirurg und der Jurist: ein Porträt der kulturellen Elite im Dritten Reich Der Rang dieser vier Männer ist bis heute unbestritten - und doch waren sie Teil der kulturellen Elite im Dritten Reich, ausgezeichnet mit dem Ehrentitel des «Preußischen Staatsrats»: Carl Schmitt, der brillante Jurist und Staatsrechtler, der den Nazis half, die Verfassung systematisch auszuhöhlen; der große Dirigent und Komponist Wilhelm Furtwängler, der sich auf die Immunität einer «reinen» Musik berief; Gustaf Gründgens, der schillernde Künstler, der ohne die Protektion Hermann Görings verloren gewesen wäre; schließlich der berühmte Chirurg Ferdinand Sauerbruch, der als unantastbar galt, während sich in seinem Haus auch die Attentäter des 20. Juli trafen. Wie konnte es dazu kommen, dass sich diese Männer, herausragende Vertreter des gebildeten Bürgertums in Deutschland, mit dem Nationalsozialismus einließen? Helmut Lethen zeichnet ein faszinierendes Porträt der «Staatsräte». Er erzählt von Verführbarkeit und Unterdrückung, Opportunismus und Auflehnung, und mehr noch: Er versammelt Gründgens, Furtwängler, Sauerbruch und Schmitt zu imaginären Gesprächen. Aus den Geschichten und Gedanken der vier präpariert Lethen die Physiognomie einer Diktatur - und zeigt das komplizierte Verhältnis der geistigen Elite zur Macht.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2018Gefährliche Theorien gehören auf die Bühne
Professor Schmitt war an intellektueller Brillanz kaum zu überbieten: Helmut Lethen zieht vier Antihelden der Hitler-Zeit in fiktive Geistergespräche.
Von Florian Meinel
Die Ideengeschichte der NS-Diktatur zu schreiben, gilt manchen schon an sich als moralisch zweifelhaft, anderen bloß als unergiebig, ist aber zunächst einmal ein großes methodisches Problem. Alle Quellen, mit denen sich arbeiten lässt, entstammen einer Umwelt aus Gewalt, Kontrolle, Anpassung und Verstellung. Briefe wurden mitgelesen, Gespräche im Halbschatten hinterlassen keine Quellen. Der Germanist Helmut Lethen hat das Problem in seinem Buch über Elite im Dritten Reich formal auf spektakuläre Weise gelöst. Durch eine Technik der literarischen Kollage, halb Montage, halb Erfindung, verschafft er sich Zutritt zu den intellektuellen Nischen der Hitlerzeit und lässt vier Antihelden Geistergespräche führen, die niemals stattgefunden haben. Im Mittelpunkt des Buches stehen Gustaf Gründgens, Wilhelm Furtwängler und zwei Professoren: der Chirurg Ferdinand Sauerbruch, berühmt als Erfinder der Eisernen Lunge, und Carl Schmitt, bis zu seiner Absetzung durch die SS im Jahr 1936 für die staatsrechtliche Schauseite des NS-Regimes zuständig.
Edelnazis also und mit Ausnahme Schmitts an Politik kaum interessiert, Opportunisten aber allesamt: "Solitäre ihrer Zunft, Exzentriker in jedem Fall. Alle vier hatten einen hohen Unterhaltungswert im Dritten Reich. Nach dem Krieg zehrten sie von der Behauptung ihrer Unschuld." Alle vier gehörten, und davon lebt die hintergründige Groteske, die Lethen inszeniert, dem Preußischen Staatsrat an, einer pompösen Einrichtung Hermann Görings, die ihren Mitgliedern weismachen sollte, der Führer sei an ihrem Rat interessiert. Trotzig bekannte Schmitt noch 1951 seinen Stolz, "dass ich Preußischer Staatsrat bin und kein Nobelpreisträger". Ganze vier Sitzungen hat der Staatsrat absolviert, die letzte Mitte 1936. Heraus kam nichts.
Der literarische Reiz der Anordnung von vier Personen liegt seit den Wahlverwandtschaften darin, dass sie sich in sechs Zweierverbindungen zerlegen lässt. Die beiden Künstler. Die beiden Wissenschaftler. Oder: Sauerbruch und Furtwängler, die beiden Virtuosen. Oder: Schmitt und Gründgens, die sich die Welt als Theater dachten: "Lebensgefährliche Theorien gehören auf die Bühne", lässt Lethen seinen Gründgens Schmitts Begriff des Politischen kommentieren.
Doch Wahlverwandtschaften ergeben sich nicht. Die Gespräche gelingen nicht, Lethen verweigert seinen Figuren jede Allianz oder Vertrautheit. Vier Egomanen stellen im Laufe der Jahre fest, wie ihr Gerede von der Volksgemeinschaft sie zum Zentrum monadenhafter "Zersetzungsgemeinschaften" gemacht hat. Wer es nicht gleich beim ersten Lesen merkt, den stößt Lethen durch etwas gewollte Witze mit der Nase drauf: So wird Schmitts Monolog über die existentielle Unterscheidung von Freund und Feind von Emmy Göring unterbrochen, die Gründgens' entlaufenen Terrier namens Heros sucht. Nur mit Randfiguren außerhalb des Quartetts findet manchmal so etwas wie echte Verständigung statt, etwa zwischen Schmitt und dem preußischen Finanzminister Johannes Popitz, dem kunstsinnigen Spitzenbeamten, der schließlich als Einziger von seinem Gewissen überwältigt wird. Doch gerade in der Beziehung zu Popitz wird die Darstellung theoriegeschichtlich verblüffend schwach. Nach Lethen verband Schmitt und Popitz "ihre Idee des Staats". Im Gegenteil war der Etatist Popitz von Schmitt vor allem wegen der Radikalität fasziniert, mit der jener schon Mitte der zwanziger Jahre die Möglichkeit des Etatismus in der Moderne bestritten hatte.
Warum also diese vier? Thematisches Interesse hat Lethen nur an dreien von ihnen: an Gründgens, Sauerbruch und Schmitt. Sie sind Veteranen der Neuen Sachlichkeit und hatten, jeder auf seine Weise, jene Zwischenkriegslandschaft der Kälte und der Verstellung mitgestaltet, deren Entzifferung Lethen vor mehr als zwanzig Jahren berühmt gemacht hat: Gründgens gestaltete in der Figur Mephistos die Maske der Amoral und verrät den anderen drei Staatsräten jetzt deren Geheimnis: "Künstlichkeit ist der kürzeste Umweg direkt zum Herzen der Menschen."
Schmitt fand die Formel von der Feindschaft als Kriterium einer Politik der Kälte und Distanz. Sauerbruch schuf in Prothesen und Operationstechnik neue Verbindungen zwischen Körpern und metallischer Apparatur. Nichts davon bei Furtwängler. Nähern die drei sich in ihren Gesprächen dem Kern ihres Lebensproblems, dem Zerfall der neusachlichen Masken im Inferno des Weltkriegs, redet Furtwängler schon von "werthaltigen Energien", von Gemeinschaft, Innigkeit und Süße. Seine Gesprächspartner finden ihn idiotisch und peinlich, bis ein Luftangriff auf Berlin dem Gespräch ein Ende setzt. Überhaupt beglaubigt Lethen seine montierten Unterredungen etwas zu oft durch hinzu gedichtete Oberschichtenstaffage. Diener bringen immerzu Champagner und fahren die Herren in Cabriolets herum, und auch in der Trümmergesellschaft der Nachkriegszeit trifft man sich in Gründgens' Düsseldorfer Hotelsuite.
Carl Schmitt ist bei alledem die völlig dominierende Figur in einem dadurch sehr ungleichen Quartett. Seine Geistesblitze und Assoziationen tragen die Gespräche fort, nur seine Urteile verbreiten so etwas wie intellektuelle Brillanz, während die drei anderen ihm im Grunde nie ganz folgen können. Man fragt sich bisweilen, warum Lethen so sehr auf die Form des Gesprächs setzt, wo doch nur einer seiner Protagonisten ihr gewachsen ist. Selbst Gründgens erscheint in der Aussprache über die Feindschaft eher als Kompendium der Sekundärliteratur zu Schmitt denn als ebenbürtiger Geist. Natürlich liegt das auch an der Quellenlage, die bei Schmitt ungleich besser ist als bei den anderen. Doch war über Furtwängler und Sauerbruch wirklich nur so wenig zu ermitteln?
Oder musste Carl Schmitt deswegen im Zentrum stehen, weil Lethen eine Parabel über Moral, Feigheit und den Zugang zum Machthaber schreiben wollte? Die Staatsräte haben ja Epigonen, die sich heute mit Phrasen der Zwischenkriegszeit als Ratgeber eines neuen Brutalismus zu empfehlen pflegen. Was werden sie aus diesem Buch lernen? Dass die ruhmreichen Vier statt das Ohr des Machthabers nur ein paar Annehmlichkeiten gewannen und in Filterblasen der Egomanie endeten, dürfte die Neue Rechte, die derzeit noch nach einem Ausweg aus der Filterblase sucht, wenig beeindrucken.
Helmut Lethen: "Die Staatsräte". Elite im Dritten Reich: Gründgens, Furtwängler, Sauerbruch, Schmitt.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2018. 352 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Professor Schmitt war an intellektueller Brillanz kaum zu überbieten: Helmut Lethen zieht vier Antihelden der Hitler-Zeit in fiktive Geistergespräche.
Von Florian Meinel
Die Ideengeschichte der NS-Diktatur zu schreiben, gilt manchen schon an sich als moralisch zweifelhaft, anderen bloß als unergiebig, ist aber zunächst einmal ein großes methodisches Problem. Alle Quellen, mit denen sich arbeiten lässt, entstammen einer Umwelt aus Gewalt, Kontrolle, Anpassung und Verstellung. Briefe wurden mitgelesen, Gespräche im Halbschatten hinterlassen keine Quellen. Der Germanist Helmut Lethen hat das Problem in seinem Buch über Elite im Dritten Reich formal auf spektakuläre Weise gelöst. Durch eine Technik der literarischen Kollage, halb Montage, halb Erfindung, verschafft er sich Zutritt zu den intellektuellen Nischen der Hitlerzeit und lässt vier Antihelden Geistergespräche führen, die niemals stattgefunden haben. Im Mittelpunkt des Buches stehen Gustaf Gründgens, Wilhelm Furtwängler und zwei Professoren: der Chirurg Ferdinand Sauerbruch, berühmt als Erfinder der Eisernen Lunge, und Carl Schmitt, bis zu seiner Absetzung durch die SS im Jahr 1936 für die staatsrechtliche Schauseite des NS-Regimes zuständig.
Edelnazis also und mit Ausnahme Schmitts an Politik kaum interessiert, Opportunisten aber allesamt: "Solitäre ihrer Zunft, Exzentriker in jedem Fall. Alle vier hatten einen hohen Unterhaltungswert im Dritten Reich. Nach dem Krieg zehrten sie von der Behauptung ihrer Unschuld." Alle vier gehörten, und davon lebt die hintergründige Groteske, die Lethen inszeniert, dem Preußischen Staatsrat an, einer pompösen Einrichtung Hermann Görings, die ihren Mitgliedern weismachen sollte, der Führer sei an ihrem Rat interessiert. Trotzig bekannte Schmitt noch 1951 seinen Stolz, "dass ich Preußischer Staatsrat bin und kein Nobelpreisträger". Ganze vier Sitzungen hat der Staatsrat absolviert, die letzte Mitte 1936. Heraus kam nichts.
Der literarische Reiz der Anordnung von vier Personen liegt seit den Wahlverwandtschaften darin, dass sie sich in sechs Zweierverbindungen zerlegen lässt. Die beiden Künstler. Die beiden Wissenschaftler. Oder: Sauerbruch und Furtwängler, die beiden Virtuosen. Oder: Schmitt und Gründgens, die sich die Welt als Theater dachten: "Lebensgefährliche Theorien gehören auf die Bühne", lässt Lethen seinen Gründgens Schmitts Begriff des Politischen kommentieren.
Doch Wahlverwandtschaften ergeben sich nicht. Die Gespräche gelingen nicht, Lethen verweigert seinen Figuren jede Allianz oder Vertrautheit. Vier Egomanen stellen im Laufe der Jahre fest, wie ihr Gerede von der Volksgemeinschaft sie zum Zentrum monadenhafter "Zersetzungsgemeinschaften" gemacht hat. Wer es nicht gleich beim ersten Lesen merkt, den stößt Lethen durch etwas gewollte Witze mit der Nase drauf: So wird Schmitts Monolog über die existentielle Unterscheidung von Freund und Feind von Emmy Göring unterbrochen, die Gründgens' entlaufenen Terrier namens Heros sucht. Nur mit Randfiguren außerhalb des Quartetts findet manchmal so etwas wie echte Verständigung statt, etwa zwischen Schmitt und dem preußischen Finanzminister Johannes Popitz, dem kunstsinnigen Spitzenbeamten, der schließlich als Einziger von seinem Gewissen überwältigt wird. Doch gerade in der Beziehung zu Popitz wird die Darstellung theoriegeschichtlich verblüffend schwach. Nach Lethen verband Schmitt und Popitz "ihre Idee des Staats". Im Gegenteil war der Etatist Popitz von Schmitt vor allem wegen der Radikalität fasziniert, mit der jener schon Mitte der zwanziger Jahre die Möglichkeit des Etatismus in der Moderne bestritten hatte.
Warum also diese vier? Thematisches Interesse hat Lethen nur an dreien von ihnen: an Gründgens, Sauerbruch und Schmitt. Sie sind Veteranen der Neuen Sachlichkeit und hatten, jeder auf seine Weise, jene Zwischenkriegslandschaft der Kälte und der Verstellung mitgestaltet, deren Entzifferung Lethen vor mehr als zwanzig Jahren berühmt gemacht hat: Gründgens gestaltete in der Figur Mephistos die Maske der Amoral und verrät den anderen drei Staatsräten jetzt deren Geheimnis: "Künstlichkeit ist der kürzeste Umweg direkt zum Herzen der Menschen."
Schmitt fand die Formel von der Feindschaft als Kriterium einer Politik der Kälte und Distanz. Sauerbruch schuf in Prothesen und Operationstechnik neue Verbindungen zwischen Körpern und metallischer Apparatur. Nichts davon bei Furtwängler. Nähern die drei sich in ihren Gesprächen dem Kern ihres Lebensproblems, dem Zerfall der neusachlichen Masken im Inferno des Weltkriegs, redet Furtwängler schon von "werthaltigen Energien", von Gemeinschaft, Innigkeit und Süße. Seine Gesprächspartner finden ihn idiotisch und peinlich, bis ein Luftangriff auf Berlin dem Gespräch ein Ende setzt. Überhaupt beglaubigt Lethen seine montierten Unterredungen etwas zu oft durch hinzu gedichtete Oberschichtenstaffage. Diener bringen immerzu Champagner und fahren die Herren in Cabriolets herum, und auch in der Trümmergesellschaft der Nachkriegszeit trifft man sich in Gründgens' Düsseldorfer Hotelsuite.
Carl Schmitt ist bei alledem die völlig dominierende Figur in einem dadurch sehr ungleichen Quartett. Seine Geistesblitze und Assoziationen tragen die Gespräche fort, nur seine Urteile verbreiten so etwas wie intellektuelle Brillanz, während die drei anderen ihm im Grunde nie ganz folgen können. Man fragt sich bisweilen, warum Lethen so sehr auf die Form des Gesprächs setzt, wo doch nur einer seiner Protagonisten ihr gewachsen ist. Selbst Gründgens erscheint in der Aussprache über die Feindschaft eher als Kompendium der Sekundärliteratur zu Schmitt denn als ebenbürtiger Geist. Natürlich liegt das auch an der Quellenlage, die bei Schmitt ungleich besser ist als bei den anderen. Doch war über Furtwängler und Sauerbruch wirklich nur so wenig zu ermitteln?
Oder musste Carl Schmitt deswegen im Zentrum stehen, weil Lethen eine Parabel über Moral, Feigheit und den Zugang zum Machthaber schreiben wollte? Die Staatsräte haben ja Epigonen, die sich heute mit Phrasen der Zwischenkriegszeit als Ratgeber eines neuen Brutalismus zu empfehlen pflegen. Was werden sie aus diesem Buch lernen? Dass die ruhmreichen Vier statt das Ohr des Machthabers nur ein paar Annehmlichkeiten gewannen und in Filterblasen der Egomanie endeten, dürfte die Neue Rechte, die derzeit noch nach einem Ausweg aus der Filterblase sucht, wenig beeindrucken.
Helmut Lethen: "Die Staatsräte". Elite im Dritten Reich: Gründgens, Furtwängler, Sauerbruch, Schmitt.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2018. 352 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sein Leben lang hat Lethen sich mit den schillernden Figuren der Zwanziger- und Dreißigerjahre beschäftigt. Die Staatsräte ist eine Art Vermächtnis ... ein scharfer Angriff auf eine zentrale rechte Lebenslüge. Der Spiegel