»Kurzweilig und mit ironisch liebevollem Blick auf ihre Protagonisten.« Berliner Morgenpost, 08.08.2021 »Dieses Buch ist ein Lesegenuss, weil es brillant geschrieben ist und betörende Bilder schafft.« BR Klassik, 24.08.2021
»Das Buch insgesamt ist so stark.« »Ein literarischer Resonanz-Roman für diese besondere Stimme.« NDR Kultur, 27.08.2021
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Eva Baronskys Roman über eine Liebe der Callas
Das Kind, das Maria Callas angeblich von Aristoteles Onassis erwartete, so berichtet Arianna Stassinopoulos in ihrer Biographie "Maria - Beyond the Legend" (1981), habe die Sängerin auf Drängen des Reeders abtreiben lassen. In dem auf Fake News basierenden Rufmord "Griechisches Feuer" von Nicholas Gage (2001) ist das Kind, das wenige Stunden nach seiner Geburt am 30. März 1960 gestorben sein soll, auf einem Foto zu sehen, ein Beweis dubioser Art. Eine neue seltsame Rolle ist diesem "heimlichen Kind der Liebe" im Roman "Die Stimme meiner Mutter" von Eva Baronsky zugewiesen. Es ist die eines allwissenden Chronisten. Der hat in seinem Leben "alles gesehen und alles gewusst". Und "als ihr ungeborener Sohn kennt er seine Mutter wie kein anderer".
Ausgestattet mit dem mythologisch hochtrabenden Namen Omero, berichtet er über die Kreuzfahrt auf der Yacht Christina, zu der Maria Callas 1959 von Aristoteles Onassis eingeladen worden war. Es war jene "Cruise 59" (inzwischen auch mit einer eigenen "Biographie" gewürdigt), bei der die liaison fatale zwischen der damals berühmtesten Frau der Welt und dem Reeder begann. Als Möchtegern-Geist der Erzählung schildert der Chronist die Gefühlsannäherungen vom ersten Kuss bis hin zu einer Nacht, in der sich das hohe Paar champagneranimiert im Rettungsboot versteckt. Es ist die Nacht, in der er, der Erzähler, selbst gezeugt wird. Und wie sagt er das dem längst verwirrten Leser? "Kein Mensch will sich seine Eltern dabei vorstellen, und ich war in diesem ersehntesten aller Augenblicke im Begriff, einer zu werden." Ach, welch dürftiger Versuch, den ersten Satz aus Laurence Sternes "Tristram Shandy" aufzunehmen, in dem der Titelheld die Frage nach dem Einfluss des Augenblicks der Zeugung auf das spätere Geschick des Menschen stellt!
In Eva Baronskys Roman identifiziert sich ihr Erzähler, der nie vom eigenen Leben spricht, erst spät mit Omero; und zum Schluss seines nur vierstündigen Lebens entscheidet er sich, nicht dem Schmerzensweg der Mutter, einem Leidensweg des Ruhms ohne Liebe, zu folgen. Er sehnt sich zurück in die Geborgenheit "an sich". In den Mutterschoß?
Der Phantasmagorie ist ein Literaturverzeichnis angefügt, ungewöhnlich für einen Roman, aber ein Hinweis auf den Steinbruch, aus dem er die Bruchstücke dieses Mosaiks gebaggert hat. "Tristram Shandy" wird darin nicht erwähnt, hingegen vier oder fünf Bücher über Maria Callas und ein Dutzend Zeugnisse aus alten Enthüllungsbüchern, die zu einem neuen Gerücht über die Sängerin metastasieren. Über jene Callas aber, die auf der Bühne das Leid und die Unterdrückung der Frau zum Ausdruck gebracht hat wie keine andere, ist nichts zu erfahren, dafür umso mehr vulgärpsychologisches Geraune über ihr Alter Ego: eine Frau, die zehn Jahre lang vom "Bacio di Tosca" gesungen hat und plötzlich erschrickt über das, "was ein Kuss mit ihrem Körper tat", und "mit einem Schlag auf ganz neue Weise verstand, welche Qualen Amelia und Tosca litten". Mit der Folgerung, dass das, was Musik vermittelt, nichts sei als "ein synthetisches Konstrukt, eine Sublimierung von Leidenschaft". Derlei Psychologie aus zweiter Hand soll wohl dazu dienen, den langen Schilderungen über das langweilige Leben der gehobenen Gesellschaft "Bedeutungsvolles" entgegenzusetzen.
Nur ist die Welt der Oper für Baronsky eine terra incognita. Sie kann das Angelesene nicht ein- oder zuordnen und betreibt Episoden-Dropping. Sie berichtet zum Beispiel von der Fehde zwischen der Sängerin und dem Intendanten der Mailänder Scala, die zu einem aus der Callas-Saga wohlbekannten Eklat führte. Der gipfelte darin, dass sie von der Bühne aus den zornrasenden Ausbruch der Anna Bolena gegen deren untreuen Ehemann als wütende Anklage in die Loge des Intendanten schleuderte. Dies geschah allerdings bei der Aufführung der Oper Donizettis und nicht, wie es hier heißt, von Bellinis "Il pirata".
Bliebe es nur bei einem solchen Abschreibefehler. Aber wie ahnungslos ist dieser Versuch, Maria Callas durch den Vergleich mit ihren Rollen zu charakterisieren - ohne Kenntnis über den Charakter der Rollen. Sie sei, heißt es, nie "eine starke Frau wie Nedda oder Mimì gewesen", sondern eine schwache wie Medea. Es sind aber Nedda und Mimì, die zu den schwachen Frauen gehören, zu den femmes fragiles, Medea hingegen zählt zum Typus der mörderisch rasenden Rächerin, wie gerade durch die Darstellungen der Callas deutlich geworden ist.
Zu den Gästen der "Cruise 59" gehörten neben der Callas und ihrem hier zum dummdreisten Pantalone verunglimpften Ehemann Meneghini auch der als mild dement karikierte Winston Churchill samt Gattin und Sekretär. Nebendarsteller aus der Welt der Glitterati haben kleine Auftritte beim Small Talk, bei denen sie den Unrat des Mundes über die Sängerin ausspeien und sie als "eine von unten" stigmatisieren. Ganz und gar unverständlich ist, dass die Autorin in ihrem Vorspruch betont, all diese "Figuren und Ereignisse" wären fiktiv und allein der Fantasie der Autorin entsprungen.
Nur einem wird gehuldigt: dem zum homerischen Heros stilisierten Onassis. Stilisiert? Nein, das ist zu hoch gegriffen für den hilflosen Versuch eines Künstler- und Gesellschaftsromans, der stelzbeinig dahertorkelt in einer geborgten höheren Sprache, die ständig in den Jargon von Herzblattgeschichten abstürzt: "Das Schiff der Reise dominierte den Hafen wie ein Wal, der sich in einen Goldfischteich verirrt hatte."
Warum endlich dieses Hirngespinst den Titel "Die Stimme meiner Mutter" bekommen hat? Wie soll man eine Antwort finden auf eine Frage, die sich die Autorin selbst nicht gestellt hat. Von der Stimme ist nirgends zu lesen - außer im Epilog. Dessen letzter Satz bringt eine tröstliche Einsicht: "Nur die Stimme meiner Mutter überlebte alles." Finem lauda! JÜRGEN KESTING.
Eva Baronsky: "Die Stimme meiner Mutter". Roman. Ecco Verlag, Hamburg 2021. 400 S., geb., 22,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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