Die Welt nach dem Ende der Welt Ein Mann und ein Kind schleppen sich durch ein verbranntes Amerika. Nichts bewegt sich in der zerstörten Landschaft, nur die Asche schwebt im Wind. Es ist eiskalt, der Schnee schimmert grau. Sie haben kaum etwas bei sich: ihre Kleider am Leib, einen Einkaufswagen mit der nötigsten Habe und einen Revolver mit zwei Schuss Munition. Ihr Ziel ist die Küste, obwohl sie nicht wissen, was sie dort erwartet. Die Geschichte der beiden ist eine düstere Parabel auf das Leben, und sie erzählt von der herzzerreißenden Liebe eines Vaters zu seinem Sohn.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.06.2008Es gibt keine Götter, nur noch Propheten
Mit John Updike und Philip Roth hat Cormac McCarthy nur eines gemein: Auch der große Apokalyptiker der amerikanischen Literatur hätte den Nobelpreis für sein Werk längst verdient.
Von Hubert Spiegel
Hieronymus Bosch hat sich geirrt. Die Hölle ist kein Ort unvorstellbaren Schreckens, an dem böse Fabelwesen Unaussprechliches tun. Cormac McCarthy weiß es besser. Die Hölle ist die Welt, wie wir sie kennen, mit einem einzigen Unterschied: Es ist alles aus dieser Welt verschwunden, was sich aus der Hoffnung speist und deshalb Hoffnung gibt.
Davon, von den Rückzugsgefechten der Hoffnung, handeln fast alle Bücher dieses großen amerikanischen Autors, der den Nobelpreis nicht weniger verdient hätte als John Updike oder Philip Roth. Mit dem einen verbindet ihn indes ebensowenig wie mit dem anderen. Die ironische Beschreibung amerikanischer Großstadtidentitäten ist ihm fremd. Nichts scheint ihn weniger zu beschäftigen als Ostküstenintellektuelle oder Mittelstandsdramen um Seitensprünge und Immobilienkäufe. Was McCarthy an der amerikanischen Gegenwart interessiert, ist vor allem der Boden, auf dem sie gewachsen ist. McCarthy gräbt tief, er wühlt im Urgrund des amerikanischen Traums. Was er dort findet, sind Schreckensbilder sinnloser, lustvoll begangener Gewalt, der ewige Vater-Sohn-Konflikt und der mal archaisch-erhaben, dann wieder kindlich-naiv anmutende Glaube an eine Welt, in der Gut und Böse, Hell und Dunkel unablässig miteinander ringen. Für McCarthy ist das ein Kampf, der älter ist als die Menschheit und länger als diese bestehen wird.
Dass der Tod und das Sterben der Finsternis Nahrung geben, ist ein Gedanke des Mystikers Jakob Böhme, den McCarthy seinem 1985 im Original und elf Jahre später in deutscher Übersetzung erschienenem Roman "Die Abendröte im Westen" vorangestellt hat, jenem Buch, das seinen Weltruhm begründete. Sheriff Bell, die Hauptfigur in McCarthys Roman "Kein Land für alte Männer", wird den Namen des Philosophen nie gehört haben, aber was Böhme damit gemeint hat, dürfte Bell auf Anhieb verstehen, auch wenn er es nicht erklären könnte. "Ich glaub', die Wahrheit ist immer einfach. Das muss sie auch sein. Sie muss so einfach sein, dass ein Kind sie versteht. Sonst wär's zu spät. Bis man dahinter gestiegen ist, wär's zu spät." Mit dem Fall, den Bell zu lösen hat, verhält sich die Sache indes ganz anders, und wie McCarthy hier den Plot eines Drogenthrillers metaphysisch überhöht, zeigt, dass der mittlerweile fünfundsiebzig Jahre alte Autor die handwerklichen Tugenden des Spannungsaufbaus durchaus nicht geringschätzt.
Bei einem missglückten Drogendeal kommen alle Beteiligten ums Leben. In der Wüste stehen die riesigen Geländewagen mit durchschossenen Scheiben, ihre Insassen liegen blutüberströmt im Sand, einer von ihnen hat sich mit dem Koffer voller Geld noch ein gutes Stück davonschleppen können, bevor er verblutet ist. Als der junge Moss bei der Jagd zufällig auf die Spuren des Gemetzels stößt nimmt er sofort Witterung auf. Der Vietnam-Veteran sucht und findet den Koffer, und von nun an ist der Jäger der Gejagte. Auf seiner Spur sind die mexikanischen Dealer, ihre texanischen Geschäftspartner, Sheriff Bell sowie ein Auftragskiller namens Anton Chigurh, ein selbsternannter Todesengel, der wie alle gewalttätigen Figuren McCarthys einen auffälligen Hang zum Philosophieren hat: Sie tun Böses und reden darüber, knapp, lakonisch, enigmatisch. So kommt es zu mitunter recht hohl klingenden Sentenzen ebenso wie zu Dialogen von beklemmender Intensität, etwa wenn Chigurh Moss am Telefon einen Deal anbietet: Wenn er ihm das Geld freiwillig übergibt, so der Killer, werde er nur Moss töten, dessen junge Frau aber verschonen. Als Moss längst tot ist, taucht Chigurh bei der Witwe auf: "Sie haben meinem Mann Ihr Wort gegeben, dass Sie mich umbringen? - Ja. - Er ist tot. Mein Mann ist tot. - Ja, aber ich nicht. - Toten schuldet man nichts. - Chigurh legte den Kopf leicht schräg. Ach nein?, sagte er. - Wie kann man ihnen etwas schulden? - Wie kann man ihnen etwas schuldig bleiben?"
Chigurh ist das dunkle Zentrum des Romans, den die Coen-Brüder kongenial verfilmt haben. Wer den Film mit dem Buch vergleicht, wird feststellen, dass die Kürzungen die Stärken des Buches hervorheben und die wesentliche Schwäche verdecken. Sie liegt in dem schlichten Moralismus, der aus den kursiv gesetzten Monologe des Sheriffs spricht: es ist, als ob McCarthy einen großen Schweiger laut denken ließe. Das würde nicht einmal Clint Eastwood verkraften.
"Kein Land für alte Männer", in diesem Frühjahr in der souveränen Übersetzung von Nikolaus Stingl erschienen, stammt aus dem Jahr 2005. Ein Jahr danach erschien "Die Straße", das auf Deutsch bereits im letzten Jahr vorlag. Mag sein, dass die Reihenfolge vom Erscheinungsdatum des oscarprämierten Films abhängig gemacht wurde. "Kein Land für alte Männer" ist als Film beeindruckend, der Roman gehört nicht jedoch nicht zu McCarthys stärksten Büchern. Anders verhält es sich mit seinem letzten Buch: "Die Straße" ist ein Meisterwerk, vielleicht das Beste, was er je geschrieben hat. Denn McCarthy beschreibt hier die Welt nach ihrem Untergang und geht damit an die äußersten Grenzen des Beschreibbaren.
Die Welt ist verbrannt, verkohlt, entseelt. Die Bäume sind tot, die Wälder leer, kein Vogel am Himmel. In den Straßen liegen mumifizierte Leichen, auf den Highways sitzen in ihren längst verrosteten Autos verdörrte Leichen, Opfer einer Jahre zurückliegenden Katastrophe, die fast alles menschliche Leben ausgelöscht hat. Die Überlebenden ziehen plündernd durch verwüstete, unfruchtbare Landstriche und kämpfen um die immer seltener werdenden Vorräte, die in den verlassenen Häusern noch zu finden sind. Das einzige, was das Überleben sichern kann, sind die Relikte einer untergegangenen Zivilsation, ihre Blechkonserven und Einmachgläser. Wo sie nicht zu finden sind, herrscht Kannibalismus.
Durch diese trostlose Welt ziehen ein Mann und ein Junge, Vater und Sohn. Sie haben keine Namen und nur ein Ziel, den Süden, das Meer. Die Mutter des Jungen hat sich umgebracht, den Vater, kaum weniger todessehnsüchtig, hält nur noch die Sorge um den Jungen aufrecht. Spärlich sind die Erinnerungen des Mannes an das Leben vor der Katastrophe, und fast unmöglich ist es, dem Jungen davon zu erzählen. Die Vergangenheit ist ausgelöscht und mit ihr die Zukunft: "Frage: Worin unterscheidet sich, was niemals sein wird, von dem, was niemals war?"
Wie unsichtbare Schatten ziehen die beiden voran, immer auf der Hut, denn jede Begegnung kann zu einem Kampf auf Leben und Tod werden. Eine Patrone steckt noch im Revolver des Vaters, sie ist für den Jungen bestimmt, der sich damit umbringen soll, wenn sie in die Hände von Kannibalen fallen. Jedes Haus, in dem sie nach Nahrung suchen, kann zur Todesfalle werden, jede Konserve, die sie finden, kann andere anlocken, die für einen Bissen töten würden. Als sie einen mit Vorräten randvoll gefüllten unterirdischen kleinen Bunker finden, glauben sie sich im Paradies. Es ist die Angst, die sie nach wenigen Tagen daraus vertreibt.
Die Gespräche zwischen Vater und Sohn kreisen um die Angst und die Rituale, die ersonnen werden, sie zu vertreiben. Immer wieder fragt der Junge seinen Vater, ob sie noch "die Guten" seien, ob noch ihre Verabredung gilt, dass sie eher verhungern, als einen anderen Menschen zu essen, dass sie diejenigen sind, die "das Feuer bewahren". Es sind dies die schlichten Glaubenssätze einer zweiköpfigen Religionsgemeinschaft. Ihr Credo: Überleben und dabei das Bewusstsein dafür bewahren, dass der Unterschied zwischen Gut und Böse dauerhafter sein sollte als die eigene Existenz.
"Wenn alle weg sind, wird alles besser", sagt ein alter Mann, den sie auf der Straße treffen. Der Junge bittet den Vater, dem Alten zu helfen. Als Gegenleistung bekommen sie eine Lebensweisheit: "Es gibt keinen Gott, und wir sind seine Propheten." Das ist nur eines der gezielt gestreuten Signale, mit denen McCarthy seiner Apokalypse eine dezidiert metaphysische Unterströmung verleiht. Nach und nach erhält der Junge die Konturen einer Erlöserfigur, auch wenn der Alte nicht daran glaubt: "Wo keine Menschen leben können, ergeht es Göttern nicht besser". Das gilt, wenn man Cormac McCarthy glauben will, für die Welt ebenso wie für die Hölle.
- Cormac McCarthy: "Kein Land für alte
Männer". Roman. Aus dem Amerikanischen
von Nikolaus Stingl. Rowohlt Verlag,
Reinbek 2008. 284 S., geb., 19,90 [Euro].
- Cormac McCarthy: "Die Straße". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2007. 253 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit John Updike und Philip Roth hat Cormac McCarthy nur eines gemein: Auch der große Apokalyptiker der amerikanischen Literatur hätte den Nobelpreis für sein Werk längst verdient.
Von Hubert Spiegel
Hieronymus Bosch hat sich geirrt. Die Hölle ist kein Ort unvorstellbaren Schreckens, an dem böse Fabelwesen Unaussprechliches tun. Cormac McCarthy weiß es besser. Die Hölle ist die Welt, wie wir sie kennen, mit einem einzigen Unterschied: Es ist alles aus dieser Welt verschwunden, was sich aus der Hoffnung speist und deshalb Hoffnung gibt.
Davon, von den Rückzugsgefechten der Hoffnung, handeln fast alle Bücher dieses großen amerikanischen Autors, der den Nobelpreis nicht weniger verdient hätte als John Updike oder Philip Roth. Mit dem einen verbindet ihn indes ebensowenig wie mit dem anderen. Die ironische Beschreibung amerikanischer Großstadtidentitäten ist ihm fremd. Nichts scheint ihn weniger zu beschäftigen als Ostküstenintellektuelle oder Mittelstandsdramen um Seitensprünge und Immobilienkäufe. Was McCarthy an der amerikanischen Gegenwart interessiert, ist vor allem der Boden, auf dem sie gewachsen ist. McCarthy gräbt tief, er wühlt im Urgrund des amerikanischen Traums. Was er dort findet, sind Schreckensbilder sinnloser, lustvoll begangener Gewalt, der ewige Vater-Sohn-Konflikt und der mal archaisch-erhaben, dann wieder kindlich-naiv anmutende Glaube an eine Welt, in der Gut und Böse, Hell und Dunkel unablässig miteinander ringen. Für McCarthy ist das ein Kampf, der älter ist als die Menschheit und länger als diese bestehen wird.
Dass der Tod und das Sterben der Finsternis Nahrung geben, ist ein Gedanke des Mystikers Jakob Böhme, den McCarthy seinem 1985 im Original und elf Jahre später in deutscher Übersetzung erschienenem Roman "Die Abendröte im Westen" vorangestellt hat, jenem Buch, das seinen Weltruhm begründete. Sheriff Bell, die Hauptfigur in McCarthys Roman "Kein Land für alte Männer", wird den Namen des Philosophen nie gehört haben, aber was Böhme damit gemeint hat, dürfte Bell auf Anhieb verstehen, auch wenn er es nicht erklären könnte. "Ich glaub', die Wahrheit ist immer einfach. Das muss sie auch sein. Sie muss so einfach sein, dass ein Kind sie versteht. Sonst wär's zu spät. Bis man dahinter gestiegen ist, wär's zu spät." Mit dem Fall, den Bell zu lösen hat, verhält sich die Sache indes ganz anders, und wie McCarthy hier den Plot eines Drogenthrillers metaphysisch überhöht, zeigt, dass der mittlerweile fünfundsiebzig Jahre alte Autor die handwerklichen Tugenden des Spannungsaufbaus durchaus nicht geringschätzt.
Bei einem missglückten Drogendeal kommen alle Beteiligten ums Leben. In der Wüste stehen die riesigen Geländewagen mit durchschossenen Scheiben, ihre Insassen liegen blutüberströmt im Sand, einer von ihnen hat sich mit dem Koffer voller Geld noch ein gutes Stück davonschleppen können, bevor er verblutet ist. Als der junge Moss bei der Jagd zufällig auf die Spuren des Gemetzels stößt nimmt er sofort Witterung auf. Der Vietnam-Veteran sucht und findet den Koffer, und von nun an ist der Jäger der Gejagte. Auf seiner Spur sind die mexikanischen Dealer, ihre texanischen Geschäftspartner, Sheriff Bell sowie ein Auftragskiller namens Anton Chigurh, ein selbsternannter Todesengel, der wie alle gewalttätigen Figuren McCarthys einen auffälligen Hang zum Philosophieren hat: Sie tun Böses und reden darüber, knapp, lakonisch, enigmatisch. So kommt es zu mitunter recht hohl klingenden Sentenzen ebenso wie zu Dialogen von beklemmender Intensität, etwa wenn Chigurh Moss am Telefon einen Deal anbietet: Wenn er ihm das Geld freiwillig übergibt, so der Killer, werde er nur Moss töten, dessen junge Frau aber verschonen. Als Moss längst tot ist, taucht Chigurh bei der Witwe auf: "Sie haben meinem Mann Ihr Wort gegeben, dass Sie mich umbringen? - Ja. - Er ist tot. Mein Mann ist tot. - Ja, aber ich nicht. - Toten schuldet man nichts. - Chigurh legte den Kopf leicht schräg. Ach nein?, sagte er. - Wie kann man ihnen etwas schulden? - Wie kann man ihnen etwas schuldig bleiben?"
Chigurh ist das dunkle Zentrum des Romans, den die Coen-Brüder kongenial verfilmt haben. Wer den Film mit dem Buch vergleicht, wird feststellen, dass die Kürzungen die Stärken des Buches hervorheben und die wesentliche Schwäche verdecken. Sie liegt in dem schlichten Moralismus, der aus den kursiv gesetzten Monologe des Sheriffs spricht: es ist, als ob McCarthy einen großen Schweiger laut denken ließe. Das würde nicht einmal Clint Eastwood verkraften.
"Kein Land für alte Männer", in diesem Frühjahr in der souveränen Übersetzung von Nikolaus Stingl erschienen, stammt aus dem Jahr 2005. Ein Jahr danach erschien "Die Straße", das auf Deutsch bereits im letzten Jahr vorlag. Mag sein, dass die Reihenfolge vom Erscheinungsdatum des oscarprämierten Films abhängig gemacht wurde. "Kein Land für alte Männer" ist als Film beeindruckend, der Roman gehört nicht jedoch nicht zu McCarthys stärksten Büchern. Anders verhält es sich mit seinem letzten Buch: "Die Straße" ist ein Meisterwerk, vielleicht das Beste, was er je geschrieben hat. Denn McCarthy beschreibt hier die Welt nach ihrem Untergang und geht damit an die äußersten Grenzen des Beschreibbaren.
Die Welt ist verbrannt, verkohlt, entseelt. Die Bäume sind tot, die Wälder leer, kein Vogel am Himmel. In den Straßen liegen mumifizierte Leichen, auf den Highways sitzen in ihren längst verrosteten Autos verdörrte Leichen, Opfer einer Jahre zurückliegenden Katastrophe, die fast alles menschliche Leben ausgelöscht hat. Die Überlebenden ziehen plündernd durch verwüstete, unfruchtbare Landstriche und kämpfen um die immer seltener werdenden Vorräte, die in den verlassenen Häusern noch zu finden sind. Das einzige, was das Überleben sichern kann, sind die Relikte einer untergegangenen Zivilsation, ihre Blechkonserven und Einmachgläser. Wo sie nicht zu finden sind, herrscht Kannibalismus.
Durch diese trostlose Welt ziehen ein Mann und ein Junge, Vater und Sohn. Sie haben keine Namen und nur ein Ziel, den Süden, das Meer. Die Mutter des Jungen hat sich umgebracht, den Vater, kaum weniger todessehnsüchtig, hält nur noch die Sorge um den Jungen aufrecht. Spärlich sind die Erinnerungen des Mannes an das Leben vor der Katastrophe, und fast unmöglich ist es, dem Jungen davon zu erzählen. Die Vergangenheit ist ausgelöscht und mit ihr die Zukunft: "Frage: Worin unterscheidet sich, was niemals sein wird, von dem, was niemals war?"
Wie unsichtbare Schatten ziehen die beiden voran, immer auf der Hut, denn jede Begegnung kann zu einem Kampf auf Leben und Tod werden. Eine Patrone steckt noch im Revolver des Vaters, sie ist für den Jungen bestimmt, der sich damit umbringen soll, wenn sie in die Hände von Kannibalen fallen. Jedes Haus, in dem sie nach Nahrung suchen, kann zur Todesfalle werden, jede Konserve, die sie finden, kann andere anlocken, die für einen Bissen töten würden. Als sie einen mit Vorräten randvoll gefüllten unterirdischen kleinen Bunker finden, glauben sie sich im Paradies. Es ist die Angst, die sie nach wenigen Tagen daraus vertreibt.
Die Gespräche zwischen Vater und Sohn kreisen um die Angst und die Rituale, die ersonnen werden, sie zu vertreiben. Immer wieder fragt der Junge seinen Vater, ob sie noch "die Guten" seien, ob noch ihre Verabredung gilt, dass sie eher verhungern, als einen anderen Menschen zu essen, dass sie diejenigen sind, die "das Feuer bewahren". Es sind dies die schlichten Glaubenssätze einer zweiköpfigen Religionsgemeinschaft. Ihr Credo: Überleben und dabei das Bewusstsein dafür bewahren, dass der Unterschied zwischen Gut und Böse dauerhafter sein sollte als die eigene Existenz.
"Wenn alle weg sind, wird alles besser", sagt ein alter Mann, den sie auf der Straße treffen. Der Junge bittet den Vater, dem Alten zu helfen. Als Gegenleistung bekommen sie eine Lebensweisheit: "Es gibt keinen Gott, und wir sind seine Propheten." Das ist nur eines der gezielt gestreuten Signale, mit denen McCarthy seiner Apokalypse eine dezidiert metaphysische Unterströmung verleiht. Nach und nach erhält der Junge die Konturen einer Erlöserfigur, auch wenn der Alte nicht daran glaubt: "Wo keine Menschen leben können, ergeht es Göttern nicht besser". Das gilt, wenn man Cormac McCarthy glauben will, für die Welt ebenso wie für die Hölle.
- Cormac McCarthy: "Kein Land für alte
Männer". Roman. Aus dem Amerikanischen
von Nikolaus Stingl. Rowohlt Verlag,
Reinbek 2008. 284 S., geb., 19,90 [Euro].
- Cormac McCarthy: "Die Straße". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2007. 253 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Zärtlichkeit, die angesichts der unwiderruflichen Zerstörungen ihre ganze Kraft entfaltet, erhebt McCarthys neuen Roman bisweilen in himmlische Höhen ... Ein soghaft faszinierendes Werk! Der Spiegel