Magisterarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 17 auf 20, Université Paris-Sorbonne (Paris IV) (U.F.R. d'Etudes Germaniques), Sprache: Deutsch, Abstract: Als es darum ging, ein Thema zu finden, mit dem man sich gut und gerne fast ein ganzes Jahr aus purem Interesse zu beschäftigen vorstellen konnte, fiel mein Augenmerk auf den Bereich Literatur, im Folgenden auf die Autorin Marie Luise Kaschnitz (1901 - 1974). Vor fünf Jahren hatte ich das erste Mal einige ihrer Kurzgeschichten gelesen und diese sofort gemocht. Ihrem Blick auf die Welt, den Menschen darin und ihrer besonderen Art, auf seidenem Faden zwischen Phantastischem und Realem zu tanzen, fühlte und fühle ich mich noch immer verbunden. Mein persönliches Interesse gilt weniger der Person Kaschnitz als viel mehr ihren Erzählungen, ihrem Vermögen, durch völlig eigenen Stil den Leser ihrer Kurzprosa in einen Sog aus scheinbar Realistischem und realistisch anmutend Unwirklichem hineinzuziehen und durch das bloße Vorführen eines Einzelschicksals mehr als nur das, nämlich etwas, das über diese Singularität hinausgeht, zu treffen. Sie selbst notiert in ihren Aufzeichnungen Wohin denn ich folgendes zum Thema Schreiben: „Darum die für alle Schreibenden bestehende Verlockung, nicht so sehr um sich als in sich hinein zu blicken, wo ja dieses alles, die Fremdheit der Geschlechter, die Heimatlosigkeit der Liebe, das Lebenwollen um jeden Preis, auch zu finden ist. Die Wiederholung des hundertmal und vielleicht hundertmal schon besser Gesagten erscheint uns gerechtfertigt, vorausgesetzt, dass das Alte neu gesehen wird und dass die eigenen Worte wirklich die eigenen Worte sind.“ Und genau das tut sie, Altes neu sagen, oder es vielleicht auch nur exakter ausdrücken und beschreiben. Mit ihren Worten. Sie erfindet weder die Liebe noch den Tod neu, aber durch ihre Fähigkeit, sich selbst treu zu bleiben und sich so auszudrücken wie es ihr eigen ist, schafft sie es, den Leser das Leben durch ihre Augen sehen zu lassen, die Welt mit ihrem aufmerksamen Blick zu betrachten und intelligent und phantasiereich zu reflektieren, was nicht nur schwarz oder weiß zu nennen ist. Diese Fähigkeit, ihre Leser zu solch differenzierter Reflexion anzuregen, macht Marie Luise Kaschnitz für mich zu einer aus unserer Zeit nicht mehr wegzudenkenden Autorin, die vielschichtigen Stoff geboten hat für mannigfaltige Interpretation und Identifikation.