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Wissen ist gemacht: Burckhardt Meißner studiert die antike Technikliteratur, die von allem etwas verstand
Die Titelei dieses Buches gibt dessen Inhalt und Bedeutung nicht angemessen wieder; sie dürfte zu spezielle Vorstellungen auslösen. Denn es handelt sich hier weder um eine isolierte, partielle Literaturgeschichte noch um eine bloße Anhäufung von Erfindungen, Konstruktionen und Verbesserungen oder um eine lediglich esoterische Überlieferungsgeschichte technischen Wissens im Altertum. Es geht in dieser ausgezeichneten Habilitationsschrift des Hallenser Althistorikers Burckhardt Meißner vielmehr in durchaus origineller Weise um die Gesamtproblematik der Entstehung, Fixierung und Überlieferung technischen Wissens in der Antike, dies durchgehend unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen und politischen und historischen Zusammenhänge. Land- und Hauswirtschaft, Architektur und Mechanik wie Kriegs- und Militärwissenschaften werden dabei ebenso berücksichtigt wie die verschiedensten Sparten der Medizin, speziellste Fachschriften und Bildungskonzeptionen wie die Wertungen der großen Philosophen und des Christentums. Das Buch schlägt den weiten Bogen von Homer bis zu den frühbyzantinischen Autoren des siebten Jahrhunderts.
Nach einleitenden Erörterungen der Begrifflichkeit, des antiken Technikverständnisses und der wissenschaftsgeschichtlichen Etappen behandelt ein erster, systematischer Hauptteil Zwecke und Ziele antiker Technik, speziell die Problemkreise Technik und Bedürfnisse, Technik und Bildung, Technik zwischen Ästhetik und ökonomischer Rationalität. Im Mittelpunkt des zweiten Hauptteils stehen dann die Fragen der Mitteilung technischen Wissens. Zunächst geht es dabei um einen Überblick über die Berufsausbildung in der Antike, danach in chronologischer Reihenfolge und in sehr differenzierter Weise um die "literarische Tradierung" technischen Wissens.
Zwei Grundfragen des modernen Forschungsstandes waren für den Autor leitend. Zum einen: "Beschränkte sich die antike Technik tatsächlich auf die Verfolgung ephemerer Zwecke ohne Absicht ökonomischer Rationalisierung?" Zum anderen: "Ist wirklich nur der Hellenismus eine Zeit technologischer Innovation?" Als Resultat seiner vielfältigen Untersuchungen beharrt Meißner beim ersten Punkt mit Nachdruck darauf, dass auch für die antiken Techniken durchaus das "ökonomische Prinzip" mit seinen Zielen der Ertragsmaximierung und der Sparsamkeit im Einsatz von Energie und Materialien galt. Die Antike habe in den Techniken primär "Mittel zur Sicherung und zum Erhalt des Zivilisationsniveaus und der Lebensform" gesehen, dies insbesondere für die Oberschichten. Gleichzeitig wurden die Überwindung der Grenzen des Menschen, Autonomiegewinn, wie schon die sophistische Beurteilung der Medizin besagte, die Vergrößerung der Selbsttätigkeit des Subjekts durch die Technik erstrebt.
Dies galt sowohl für die individuellen als auch für die allgemeinen Bedürfnisse, besonders deutlich bei Wasserversorgung und Gesundheit. Zur Fach- und Formgeschichte der antiken Techniken stellt Meißner fest: "Einerseits bildeten sie literarische Traditionen heraus, lösten sich also als Regelwissen von unmittelbarer Praxis, andererseits blieb die Theoretisierung und Literarisierung auf wenige Praxisfelder beschränkt." Im zweiten Punkt gelangte der Autor - im Gegensatz zur communis opinio - zu dem Ergebnis, dass auf die beschleunigte Innovationsepoche des Hellenismus keineswegs Phasen des Stillstandes folgten. Die weitere Dynamik der technischen Entwicklungen sieht er durch Spezialisierung und Professionalisierung der Berufe, die Verbesserung der Ausbildung, die weitere Literarisierung der praktischen Disziplinen, die "Verstetigung der Wissenstradition" charakterisiert. Bemerkenswert erschienen ihm daneben nicht nur eine Popularisierung des Wissens, sondern auch das Bestreben von Angehörigen der Führungsschicht, gegenüber den verschiedensten Spezialisten - besonders im Militärwesen und in der Wasserversorgung - eigene Beurteilungskompetenz zu erwerben. Die vor allem für die römische Kaiserzeit typischen enzyklopädischen technischen und naturkundlichen Werke belegen nach Meißner "nicht mangelnde, sondern sich rasch beschleunigende Wissens- und Könnensfortschritte".
Bei aller vom Thema gebotenen Abstraktion bietet das Buch doch nicht wenige plastische Persönlichkeitsbilder und überzeugende Werkanalysen; so werden Hesiod, das Corpus Hippocraticum, Vitruv, Celsus, der ältere Plinius, Frontin, Galen und Arrian besonders eindrucksvoll gewürdigt. Eine wesentliche inhaltliche Achse des Werkes bildet der Bereich der Medizin, in dem auch "Paratechnik" (wie die Magie) berücksichtigt ist. Hier stößt man immer wieder auf aktuelle und konstante medizinische Fragen und Themen, wie auf jene nach der Standesethik und dem Selbstverständnis der Ärzte, dem Verhältnis zwischen Arzt und Patient, der Rolle von Lebensführung und Ernährung, den Problemen der Abtreibung. Galens Ideal des philosophisch gebildeten Arztes wird ebenso deutlich wie dessen Kritik am übertriebenen Gelderwerb der Mediziner. Ausbildungsprobleme und solche der kollegialen Kooperation kommen zur Sprache, auch die Phänomene der literarischen Konkurrenz und der Publikationspflicht.
Es dürfte wohl nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen geben, die an den Autor so hohe Voraussetzungen und Anforderungen stellten, wie dies hier der Fall war. Neben einer ungewöhnlichen Kenntnis der antiken Quellen und der modernen Spezialliteratur - der Inhalt der 854 Anmerkungen, die gelegentlich zu kleinen Exkursen ausufern, und die vierunddreißig eng gedruckten Seiten der Bibliographie dürften für sich selbst sprechen - bildete ein genuines Verständnis technischer Probleme eine weitere unentbehrliche Vorbedingung dieser Studien. Der Verfasser beweist zudem didaktisches und stilistisches Talent.
Vorbehalte vermögen diesen sehr positiven Gesamteindruck nicht wesentlich zu schmälern: Gelegentliche Wiederholungen waren wohl unvermeidlich; ob es richtig gewesen ist, dem Buch grundsätzlich keine Abbildungen beizugeben, sei dahingestellt. Die eher beiläufige Behandlung des gesamten nautischen Bereichs, freilich auch eine Folge der Quellenlage, bleibt zu bedauern. Überraschend ist die relativ hohe Zahl von Druckfehlern, die wohl kaum dem Verfasser zur Last zu legen sind. Dennoch: Das auch Nichtspezialisten empfehlenswerte, wertvolle Werk wird in seinem Felde für lange Zeit eine grundlegende Funktion beanspruchen dürfen.
KARL CHRIST
Burckhardt Meißner: "Die technologische Fachliteratur der Antike". Struktur, Überlieferung und Wirkung technologischen Wissens in der Antike (zirka 400 vor Christus - zirka 500 nach Christus). Akademie Verlag, Berlin 1999. 419 S., geb., 220,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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