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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Die Geschichte der Treuhand ist inzwischen umfassend erforscht. Nicht zuletzt durch die wissenschaftlichen Studien, die beim Institut für Zeitgeschichte in München entstanden sind, sind die wichtigsten Aspekte auf Quellenbasis recherchiert: die Wirtschaftsverwaltung in der Übergangsphase von der DDR-Agonie zur Marktwirtschaft, die Gründungsgeschichte und schließlich die heftigen politischen Kontroversen über die Arbeit und das Erbe der Treuhandanstalt.
Es ist ausgesprochen verdienstvoll, in einem Interviewband 17 wichtige Akteure der Treuhand zu Wort kommen zu lassen. Diese Innenansichten geben dem kalt-anonymen Projekt der Privatisierung ein menschliches Antlitz. Die Abwicklung maroder Betriebe, zugleich die praktische Aufbauarbeit erfolgte durch west- und einige ostdeutsche Experten. Die meisten waren Industriemanager, die in Führungspositionen bei westdeutschen Konzernen tätig gewesen waren und internationale Erfahrungen gesammelt hatten, es fanden sich aber auch jüngere Experten, die gerade erst deutsche, österreichische und schweizerische Universitäten verlassen hatten. Die lebensgeschichtlichen Hintergründe hätten unterschiedlicher nicht sein können. Sie reichten vom Pfarrersohn, der mit der Lektüre von Autoren der Frankfurter Schule wie Adorno und Horkheimer groß geworden war, bis zu Betriebswirten, die bei Investmentbanken Karriere gemacht hatten. Aus den DDR-Verwaltungen wurden ebenfalls Treuhand-Mitarbeiter eingestellt.
Es war allerdings gar nicht einfach, geeignetes Personal ohne Stasi-Vergangenheit zu finden. Die SED-Diktatur hatte natürlich verstanden, viele der besten Köpfe für die Tätigkeit als "Inoffizielle Mitarbeiter" zu rekrutieren. Diejenigen, die aus DDR-Institutionen zur Treuhandanstalt kamen, hatten mitunter den Eindruck, hinter den smarten Westdeutschen anzustehen. Brigitta Kauers, die später Referentin im Bundesfinanzministerium wurde, erinnert sich: "Die Ostdeutschen mussten beweisen, dass sie schon von den Bäumen runter waren und mit Messer und Gabel essen konnten."
Durch die Einführung der D-Mark zum 1. Juli 1990 verlor die ostdeutsche Wirtschaft endgültig den letzten Rest ihrer Wettbewerbsfähigkeit, um die es sowieso schlecht bestellt gewesen war. Fast alle Interviewpartner berichten davon, geradezu ins kalte Wasser geworfen worden zu sein. Fehler und Pannen waren angesichts der ungeheuren Aufgaben kaum zu verhindern, wie Alexander Koch hervorhebt, einer der Protagonisten aus dem Treuhand-Vorstand: "Über den Wechsel vom Kapitalismus zum Sozialismus gibt es zwanzig Meter Literatur. Den umgekehrten Weg, wie man aus einem sozialistischen, halb kommunistischen Land und einer entsprechenden Wirtschaft wieder ein funktionierendes, liberales, in Gottes Namen kapitalistisches Geschehen macht - das konnte man nirgends nachlesen. Das mussten wir uns alles erfragen und erforschen und ertasten."
Die sich allmählich herausbildende Treuhand-Praxis, dort zu privatisieren, wo es möglich war, sowie zu sanieren und abzuwickeln, wo es keine andere Lösung gab, resultierte aus dem Bestreben, die neuen Länder am deutschen Exportwunder zu beteiligen und sie international wettbewerbsfähig zu machen. Die für Industriegesellschaften geradezu beispiellose Veräußerung von staatlichem Eigentum durch ein Privatisierungsprojekt war geradezu eine Pionierarbeit. Hero Brahms, von 1991 bis 1994 der Vizechef der Behörde und ehemaliger Rohwedder-Mitarbeiter bei Hoesch, nimmt kein Blatt vor den Mund. Die Treuhand war schließlich noch eine Erfindung der DDR gewesen, anfangs noch mit Leuten bestückt, die aus der SED-Nomenklatura kamen, aber "von Wirtschaft gar keine Ahnung hatten". Die 12.000 von der Treuhand verwalteten Firmen mit einer durchschnittlichen Produktivität eines Drittels westdeutscher Firmen hatten "kein Rechnungswesen, kein Marketing, kein Produkt". Den Betrieben fehlte die Innovationsfähigkeit; angesichts des völlig vernachlässigten Umweltschutzes waren hohe Folgekosten für eine Modernisierung die Norm. Kaum jemand wollte das Investitionsrisiko eingehen, denn die nicht ausgelastete westdeutsche Wirtschaft hätte Ostdeutschland auch ganz ohne DDR-Industrie versorgen können. Detlev Scheunert schildert die Paradoxien, mit denen die Treuhand umzugehen hatte: "Die Ostdeutschen wollten ihre Arbeitsplätze von der Treuhand garantiert bekommen. Gleichzeitig wollten sie aber keinen Trabi mehr kaufen und in West bezahlt werden. Die wollten ihre eigenen Produkte nicht mehr, und gleichzeitig wollten sie ihre Arbeitsplätze. Doch das war die Quadratur des Kreises."
Deutlich wird, dass es denjenigen, die zur Treuhand stießen, nicht in erster Linie um Geld oder einen Karrieresprung ging, sondern um eine geradezu patriotische Pflicht. Die meisten ahnten, dass es sich zugleich um eine Gestaltungschance wie um ein Himmelfahrtskommando handeln würde. Sie wollten für die Menschen in der ehemaligen DDR so viel wie möglich vom Volksvermögen retten und die Zukunft durch einen "Aufschwung Ost" gestalten, der nur durch ordnungspolitische Maßnahmen möglich war. Aber auch von ungewöhnlichen Fällen ist die Rede: Wie privatisiert man einen Staatszirkus mitsamt seiner Eisbären, wenn die gesamte Buchhaltung aus drei ungeordneten Schuhkartons besteht?
Dass die Treuhandanstalt in Teilen der Öffentlichkeit immer wieder den Schwarzen Peter zugeschoben bekam, hing damit zusammen, dass sie auf die emotionale Bindung vieler Mitarbeiter an ihre Betriebe und Kombinate, in denen diese teilweise Jahrzehnte gearbeitet hatten und mit deren Existenz sie verbunden waren, kaum Rücksicht nehmen konnte. Die Treuhandanstalt, Träger und Verkünder unpopulärer Entscheidungen, musste als Prügelknabe für das Desaster der Planwirtschaft herhalten, was im Grunde eine Täter-Opfer-Umkehr war.
Aus den Interviews ergibt sich ein plastisches Bild der Herkulesaufgabe. Der "real existierende Sozialismus" hatte die DDR auf den Hund gebracht. Hätten die Manager neben dem Versuch, der haushohen wirtschaftlichen Probleme Herr zu werden und Aufräumarbeit zu leisten, überhaupt Herz und Mitgefühl zeigen können? Wie sollte man sich gegenüber dem Hungerstreik von Bischofferode verhalten, mit dem einige Arbeiter den Verlust von 700 Arbeitsplätzen in einer Kaligrube verhindern wollten? Aus den Antworten lässt sich erkennen, dass die Treuhand-Akteure ihre kraft- und zeitraubende Arbeit als eine Notwendigkeit interpretierten, sogar als eine Erfolgsgeschichte, für die sie allerdings keinen Dank erwarteten. Die ehrlichen Mitteilungen, die auch für rückblickende Zweifel Platz lassen, regen zum Nachdenken an. Um noch einmal Hero Brahms zu zitieren: "Das war übrigens unser größtes Problem: Wir waren Sachwalter, wir konnten nicht mit Emotionen handeln." JOACHIM SCHOLTYSECK
Olaf Jacobs/Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (Hrsg.): Die Treuhand. Innensichten einer Behörde. Interviews.
Mitteldeutscher Verlag, Halle 2024. 428 S., 28, - Euro.
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