Der Kampf Europas mit dem Osmanischen Reich Über Jahrhunderte schickten die Sultane ihr Heer nach Europa. Sie machten dem Oströmischen Reich 1453 durch die Eroberung Konstantinopels ein Ende und blieben danach bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts auf dem Balkan präsent. Doch das lag nicht, wie so oft behauptet, am stetigen Imperativ des Heiligen Krieges. Klaus-Jürgen Bremm zeigt mit seinem Buch, dass die Kriege vielmehr aus Gründen der Staatsräson und der Expansion geführt wurden. Er analysiert die Bündnisse der europäischen Mächte mit den Herrschern am Bosporus und stellt zudem die damals in Europa vorherrschenden ›Türkenbilder‹ in allen Einzelheiten dar. - Das Osmanische Reich - ein elementarer Teil der Geschichte Europas bis zum I. Weltkrieg - Von Klaus-Jürgen Bremm, Publizist und Spezialist für Militärgeschichte - Detaillierte Betrachtung der Türkenkriege vom 16. bis zum 19. Jahrhundert - Zwei Mal erfolglos: die Belagerung Wiens durch das osmanische Heer - Luthers ›Türkenschriften‹ und der ›kranke Mann am Bosporus‹: der Blick Europas auf die TürkenOsmanen in Europa - Das Zeitalter der Türkenkriege Die Soldaten der osmanischen Armee schienen über Jahrhunderte eine massive Bedrohung Europas darzustellen. An den Kriegen waren alle europäischen Mächte beteiligt - Ungarn, Polen, das Haus Habsburg, das Heilige Römische Reich, Frankreich und Russland. Klaus-Jürgen Bremm zeichnet den Weg der Osmanen durch diese kriegerische Epoche nach - von den Türkenbelagerungen Wiens bis zum ›Kranken Mann am Bosporus‹. Ein großes Geschichtspanorama, das die Türkenkriege und die stetige Bedrohung Ost- und Zentraleuropas durch das Osmanische Reich über zweieinhalb Jahrhunderte kenntnisreich analysiert!
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2021Der Feind als inneres Erlebnis
Klaus-Jürgen Bremm erzählt von den Kriegen Europas gegen das Osmanische Reich.
Von Andreas Kilb
Am 12. September 2002 veröffentlichte Hans-Ulrich Wehler in der Wochenzeitung Die Zeit einen Text unter der Überschrift "Das Türkenproblem". Darin warnte der Doyen der Bielefelder Historikerschule in dramatischen Worten vor einem EU-Beitritt der Türkei. Die Regierung in Ankara habe ein "bestürzendes Demokratiedefizit" und werde von einer Welle des islamischen Fundamentalismus überrollt. Zudem habe ihr geschichtlicher Vorgänger, das Osmanische Reich, "rund 450 Jahre lang gegen das christliche Europa nahezu unablässig Krieg" geführt. Eine solche "Inkarnation der Gegnerschaft" könne kein Teil der europäischen Staatengemeinschaft werden.
Es wäre interessant zu erfahren, ob Klaus-Jürgen Bremm Wehlers Aufsatz kannte, bevor er mit der Arbeit an seinem Buch begann, oder ob er ihn erst im Verlauf seiner Recherchen entdeckt hat. Jedenfalls grundiert die Frage, ob die Osmanen und ihr Erbe, der türkische Nationalstaat, in irgendeiner Weise zu Europa gehören, seine gesamte Darstellung, auch wenn er sich erst im Schlusskapitel explizit mit ihr auseinandersetzt. Aber so uneindeutig wie seine Antwort auf Wehler - einerseits sei der kulturelle Austausch zwischen Europäern und Osmanen "recht mager" gewesen, andererseits spreche dieser Befund nicht unbedingt gegen einen Beitritt der Türkei - fällt auch seine historische Analyse aus. Vielleicht muss das so sein.
Jedenfalls erscheint es unvermeidlich, wenn man sich wie Bremm auf einen militär- und realgeschichtlichen Überblick beschränkt. Auf vierhundert Textseiten handelt "Die Türken vor Wien" nahezu ausschließlich von Feldzügen, Belagerungen und Verträgen. Dagegen ist nichts zu sagen, solange der Rahmen, in dem sich das Kriegsgeschehen bewegt, klar erkennbar ist. Aber Bremms Schilderung der historischen Hintergründe ist zugleich über- und unterkomplex, sie setzt viel Zusatzwissen voraus, ohne grundlegend neue Erkenntnisse bereitzuhalten.
Das liegt nicht zuletzt an den Dimensionen des Themas, dem sich der Autor widmet. Eine fundierte Darstellung der Beziehungen zwischen dem Osmanischen Reich und den europäischen Mächten in den fünf Jahrhunderten von der Eroberung Konstantinopels bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs würde in diesem Format auch akademische Historiker überfordern. Bremm, der eher populärwissenschaftlich arbeitet, sucht einen Mittelweg zwischen den monographischen Erzählungen bei Roger Crowley oder Ekkehard Eickhoff und dem strukturgeschichtlichen Ansatz von Braudel. Da beides schwerlich zusammenpasst, wirkt seine eigene Darstellung oft uneinheitlich, sie springt zwischen den verschiedenen Kriegszonen im Mittelmeer, auf dem Balkan und im Schwarzen Meer hin und her. Die Pointe des Konflikts, die politische Asymmetrie zwischen dem auf Ausdehnung angelegten Osmanischen Imperium und den zur Besitzstandswahrung geneigten Grenzmächten Habsburg und Venedig, entgeht Bremm dabei ebenso wie die strukturellen Ursachen des Niedergangs der türkischen Militärmaschinerie nach der gescheiterten zweiten Belagerung von Wien 1683.
Man kann dieses Buch innerhalb der Grenzen, die es sich selbst gezogen hat, allerdings auch als Nachschlagewerk benutzen. Dann findet man darin einige interessante Schlaglichter auf die neuerdings mit aktivistischem Furor ausgetragene Debatte über das angeblich koloniale Machtverhältnis zwischen Europa und der "Hohen Pforte" in Istanbul. Dazu gehört der Hinweis auf die bis ins neunzehnte Jahrhundert fortgesetzte Sklavenjagd nordafrikanischer Piraten auf die christliche Bevölkerung mediterraner Küstenregionen ebenso wie die Darstellung des politischen Umschwungs nach 1830, als der Fortbestand des osmanischen Staates zum Grundsatz westeuropäischer Diplomatie wurde. Die "parasitäre Existenz" (Bremm) am Bosporus wurde so zum stabilisierenden Faktor. Darüber hätte man gern mehr gelesen. Aber Populärgeschichte hat ihren Preis.
Klaus-Jürgen Bremm: "Die Türken vor Wien". Zwei Weltmächte im Ringen um Europa.
WBG/Theiss Verlag, Darmstadt 2021. 432 S., Abb., geb., 29,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Klaus-Jürgen Bremm erzählt von den Kriegen Europas gegen das Osmanische Reich.
Von Andreas Kilb
Am 12. September 2002 veröffentlichte Hans-Ulrich Wehler in der Wochenzeitung Die Zeit einen Text unter der Überschrift "Das Türkenproblem". Darin warnte der Doyen der Bielefelder Historikerschule in dramatischen Worten vor einem EU-Beitritt der Türkei. Die Regierung in Ankara habe ein "bestürzendes Demokratiedefizit" und werde von einer Welle des islamischen Fundamentalismus überrollt. Zudem habe ihr geschichtlicher Vorgänger, das Osmanische Reich, "rund 450 Jahre lang gegen das christliche Europa nahezu unablässig Krieg" geführt. Eine solche "Inkarnation der Gegnerschaft" könne kein Teil der europäischen Staatengemeinschaft werden.
Es wäre interessant zu erfahren, ob Klaus-Jürgen Bremm Wehlers Aufsatz kannte, bevor er mit der Arbeit an seinem Buch begann, oder ob er ihn erst im Verlauf seiner Recherchen entdeckt hat. Jedenfalls grundiert die Frage, ob die Osmanen und ihr Erbe, der türkische Nationalstaat, in irgendeiner Weise zu Europa gehören, seine gesamte Darstellung, auch wenn er sich erst im Schlusskapitel explizit mit ihr auseinandersetzt. Aber so uneindeutig wie seine Antwort auf Wehler - einerseits sei der kulturelle Austausch zwischen Europäern und Osmanen "recht mager" gewesen, andererseits spreche dieser Befund nicht unbedingt gegen einen Beitritt der Türkei - fällt auch seine historische Analyse aus. Vielleicht muss das so sein.
Jedenfalls erscheint es unvermeidlich, wenn man sich wie Bremm auf einen militär- und realgeschichtlichen Überblick beschränkt. Auf vierhundert Textseiten handelt "Die Türken vor Wien" nahezu ausschließlich von Feldzügen, Belagerungen und Verträgen. Dagegen ist nichts zu sagen, solange der Rahmen, in dem sich das Kriegsgeschehen bewegt, klar erkennbar ist. Aber Bremms Schilderung der historischen Hintergründe ist zugleich über- und unterkomplex, sie setzt viel Zusatzwissen voraus, ohne grundlegend neue Erkenntnisse bereitzuhalten.
Das liegt nicht zuletzt an den Dimensionen des Themas, dem sich der Autor widmet. Eine fundierte Darstellung der Beziehungen zwischen dem Osmanischen Reich und den europäischen Mächten in den fünf Jahrhunderten von der Eroberung Konstantinopels bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs würde in diesem Format auch akademische Historiker überfordern. Bremm, der eher populärwissenschaftlich arbeitet, sucht einen Mittelweg zwischen den monographischen Erzählungen bei Roger Crowley oder Ekkehard Eickhoff und dem strukturgeschichtlichen Ansatz von Braudel. Da beides schwerlich zusammenpasst, wirkt seine eigene Darstellung oft uneinheitlich, sie springt zwischen den verschiedenen Kriegszonen im Mittelmeer, auf dem Balkan und im Schwarzen Meer hin und her. Die Pointe des Konflikts, die politische Asymmetrie zwischen dem auf Ausdehnung angelegten Osmanischen Imperium und den zur Besitzstandswahrung geneigten Grenzmächten Habsburg und Venedig, entgeht Bremm dabei ebenso wie die strukturellen Ursachen des Niedergangs der türkischen Militärmaschinerie nach der gescheiterten zweiten Belagerung von Wien 1683.
Man kann dieses Buch innerhalb der Grenzen, die es sich selbst gezogen hat, allerdings auch als Nachschlagewerk benutzen. Dann findet man darin einige interessante Schlaglichter auf die neuerdings mit aktivistischem Furor ausgetragene Debatte über das angeblich koloniale Machtverhältnis zwischen Europa und der "Hohen Pforte" in Istanbul. Dazu gehört der Hinweis auf die bis ins neunzehnte Jahrhundert fortgesetzte Sklavenjagd nordafrikanischer Piraten auf die christliche Bevölkerung mediterraner Küstenregionen ebenso wie die Darstellung des politischen Umschwungs nach 1830, als der Fortbestand des osmanischen Staates zum Grundsatz westeuropäischer Diplomatie wurde. Die "parasitäre Existenz" (Bremm) am Bosporus wurde so zum stabilisierenden Faktor. Darüber hätte man gern mehr gelesen. Aber Populärgeschichte hat ihren Preis.
Klaus-Jürgen Bremm: "Die Türken vor Wien". Zwei Weltmächte im Ringen um Europa.
WBG/Theiss Verlag, Darmstadt 2021. 432 S., Abb., geb., 29,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als Nachschlagewerk in Sachen Europa und das Osmanische Reich taugt dem Rezensenten Andreas Kilb das Buch von Klaus-Jürgen Bremm durchaus. Als ernsthafte geschichtliche Analyse und realhistorischer Überblick mit militärischer Perspektive findet Kilb den Band kritikwürdig. Das liegt daran, dass der Autor sich laut Kilb vor allem auf Belagerungen, Verträge und Feldzüge bezieht und beim Leser einiges an Vorkenntnissen voraussetzt, ohne selbst neue Erkenntnisse zu bieten. Kilb ahnt, dass sich der Autor übernimmt, wenn er die Beziehung zwischen Istanbul und Europa über fünf Jahrhunderte verfolgen möchte. Ferner passt der Mix aus Monografie und Strukturgeschichte nicht recht zusammen, findet der Rezensent. Das ständige Hin-und-her zwischen den Kriegsschauplätzen lässt dem Autor die "Pointe des Konflikts" entgleiten, bedauert Kilb.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Bremm »entwirft ein grandioses Geschichtspanorama von Luthers abschätzigen 'Türkenschriften' bis hin zum 'Kranken Mann am Bosporus', die beiden Belagerungen Wiens sind dabei Höhepunkte.« Münzen Revue »Man kann das Buch innerhalb der Grenzen, die es sich selbst gezogen hat, auch als Nachschlagewerk benutzen.« Frankfurter Allgemeine Zeitung