Die heute schon spürbaren und die schlimmstmöglichen Folgen der Klimaerwärmung sind das Thema des Journalisten David Wallace-Wells in diesem spektakulären Report. Wie kann und wird das Leben auf der Erde in nur 40, 50, 60 Jahren aussehen? Sicher ist: Heutige Teenager und Kinder werden noch erleben, wie sich die Bedingungen für die Menschheit auf der Erde dramatisch verschlechtern, sie werden erleben, wie sie in Teilen unbewohnbar wird. Wallace-Wells macht die vielen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die die Mehrheit der Menschen oft gar nicht erreichen, begreifbar, ja fühlbar. Und am Ende steht die drängende Frage: Haben wir überhaupt noch eine Chance, das Unheil abzuwenden?
Ein polarisierendes, aufrüttelndes und fesselndes Debattenbuch zu einem Thema, das der Menschheit zunehmend unter den Nägeln brennt.
Ein polarisierendes, aufrüttelndes und fesselndes Debattenbuch zu einem Thema, das der Menschheit zunehmend unter den Nägeln brennt.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.10.2019„Wir bewegen uns nach wie vor in die falsche Richtung“
David Wallace-Wells hat in seinem aktuellen Buch sehr eindringlich die Folgen der Klimakatastrophe beschrieben. Ein Gespräch
Im Juli 2017 erschien im New York Magazine ein Artikel über den Klimawandel. David Wallace-Wells beschrieb darin die desaströsen Folgen der Erderwärmung. Auf den Erfolg des Artikels folgte das Buch: „The Uninhabitable Earth“. Es erschien Anfang 2019 und ist seit dem Sommer in deutscher Übersetzung verfügbar. Gestützt auf wissenschaftliche Quellen prognostiziert Wallace-Wells darin die Auswirkungen des Klimawandels auf unsere Gesundheit und Ernährung, auf die Ozeane, die Luft und die Wirtschaft. Und er denkt darüber nach, wie wir diese Katastrophe am besten kommunizieren können.
SZ: Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg ist gerade in den USA, Sie haben sie getroffen und interviewt. Thunberg sagt, dass die älteren Generationen ihre Kinder verraten haben. Hat sie recht?
David Wallace-Wells: Absolut. Als ich 1982 geboren wurde, war das Klima einigermaßen stabil. Heute, 37 Jahre später, steht die Welt am Rande der Klimakatastrophe. Unter anderem wegen all der Entwicklungen, die seitdem zu meinem Vorteil getätigt wurden. Dasselbe trifft auf alle Menschen in den Industrienationen zu, wir alle haben von den Produktionsweisen, Wirtschaftssystemen und Energieträgern profitiert, die das Klima unseres Planeten nun zu zerstören drohen. Wenn wir alle so konsumieren würden wie ein Europäer im Jahr 1970, wären wir heute ganz woanders.
Und der Rest der Welt trägt keine Schuld? Was ist mit Ländern wie China?
Die Schuldfrage ist sehr kompliziert, und die Verantwortlichkeit verteilt sich auf verschiedene Akteure über einen langen Zeitraum. Aber ja, ein großer Teil der Emissionen der vergangenen 30 Jahre geht auch auf die Industrialisierung der Entwicklungsländer zurück. Das ist eigentlich positiv, denn es gibt weniger Armut, viele Menschen führen ein besseres und gesünderes Leben. Rückblickend werden wir kaum sagen, diese Menschen hätten besser darauf verzichtet. Aber in Zukunft müssen wir den Kurs ändern.
Sie waren weder ein Klimaaktivist noch ein Klimajournalist. Wieso liegt Ihnen das Thema jetzt so sehr am Herzen?
2016 fiel mir auf, dass man immer mehr über den Klimawandel berichtet. Darum habe ich angefangen, mich damit zu beschäftigen, doch hatte ich schnell den Eindruck, dass nicht ehrlich genug berichtet wurde. Vor allem drei große Irrtümer wurden verbreitet, an die ich bis dahin auch geglaubt hatte.
Welche Irrtümer waren das?
Erstens: die Geschwindigkeit des Klimawandels. Ich dachte, die Erwärmung sei ein Prozess, der sich über Jahrhunderte erstreckt, dass wir also viel Zeit haben, eine Lösung zu finden. Doch die Hälfte der CO&sub2;-Emissionen der Menschheitsgeschichte wurden in den vergangenen 30 Jahren ausgestoßen, wir können die Auswirkungen in Echtzeit verfolgen. Zweitens: der Umfang. Lange wurde vor allem über den Anstieg des Meeresspiegels gesprochen, was den Eindruck erweckte, man sei sicher, wenn man nicht an der Küste lebt. Aber der Klimawandel hat viel mehr Auswirkungen, er betrifft uns alle, die Armen mehr als die Reichen, aber dennoch alle. Und er wird nicht nur unser Wetter und unsere Wirtschaft verändern, sondern auch, wie wir uns selber in der Welt und in der Geschichte verorten. Und drittens: die Ernsthaftigkeit. Bis vor etwa einem Jahr haben Wissenschaftler über den Schwellenwert von zwei Grad Erwärmung wie von einem Szenario des schlimmsten anzunehmenden Falles gesprochen. Vom heutigen Standpunkt aus ist das eher das Best-Case-Szenario.
Wie sieht dieses Best-Case-Szenario aus?
Bei zwei Grad Erwärmung wäre es in den meisten Städte im Nahen Osten und in Südasien im Sommer so heiß, dass man nicht draußen sein könnte, ohne einen Hitzschlag oder gar den Tod zu riskieren. Auf Dauer würden das arktische und antarktische Eis schmelzen und der Meeresspiegel dramatisch ansteigen, zwei Drittel der großen Städte weltweit würden überflutet. Ein UN-Report, der im kommenden Monat veröffentlicht wird, schätzt, dass die Schäden durch Stürme und den Meeresspiegelanstieg um ein Hundertfaches steigen werden und 280 Millionen Menschen ihr Zuhause verlieren. Bis zum Jahr 2050 könnte es eine Milliarde Klimaflüchtlinge geben. Jenseits der zwei Grad wären die Folgen noch dramatischer. Trotzdem informieren weder Wissenschaftler noch Journalisten oder Aktivisten darüber, wie das Leben auf der Erde dann aussehen würde, obwohl dieser Anstieg fast unvermeidbar ist.
Wieso wurde darüber nicht gesprochen?
Die Wissenschaftler wollten die Öffentlichkeit nicht verängstigen. Sie dachten, dass sie die Menschen nur dann mobilisieren können, wenn sie optimistische, hoffnungsvolle Botschaften verbreiten. Wissenschaftler sind eher vorsichtige Menschen, die sich auf Fakten fokussieren, es widerstrebt ihnen, etwas zu äußern, was als Übertreibung ausgelegt werden könnte. Hinzu kommt, dass viele von ihnen, vor allem in den USA, immer wieder mit den Interessen der Industrien und mit Klimawandel-Leugnern zu kämpfen hatten und dadurch zurückhaltender geworden sind.
2017 haben Sie den Artikel „The Uninhabitable Earth“ über die Folgen des Klimawandels geschrieben. Damals hat man Ihnen Panikmache vorgeworfen, beim gleichnamigen Buch ist das jetzt nicht anders. Setzen Sie auf Angst als Motor?
Es ist unstrittig, dass Angst Menschen mobilisieren und motivieren kann. Mir selber ging es so, als ich mich näher mit dem Klimawandel beschäftigt habe. Man sieht es auch an der Geschichte der Umweltbewegung. Der Klimawandel sollte natürlich nicht nur auf Angst basierend kommuniziert werden, aber Wissenschaftler und Aktivisten haben zu lange darauf verzichtet, diesen Hebel zu betätigen. Es hat zum Beispiel einen riesigen Unterschied gemacht, dass der UN-Sonderbericht „1,5 °C globale Erwärmung“ aus dem vergangenen Jahr sehr viel alarmistischer war als alle Berichte zuvor und auch in den Medien genauso aufgegriffen wurde.
In den letzten eineinhalb Jahren ist Bewegung in die Klimapolitik gekommen.
Die Entwicklung ist wirklich beispiellos. Greta Thunbergs Klimaprotest hat Millionen junger Menschen inspiriert, die EU hat beschlossen, ein Viertel ihres Budgets für das Klima auszugeben, Bewegungen wie „Extinction Rebellion“ und „Sunrise Movement“ sind entstanden, das britische Parlament hat den Klimanotstand ausgerufen und will die Emissionen bis 2050 auf null senken, Finnland und Dänemark haben sich das sogar noch früher als Ziel gesetzt. In der Vorwahlkampagne der US-Demokraten ist das Klima ein Top-Thema, 2016 hat noch niemand danach gefragt.
Bedeutet der Fortschritt auch, dass Sie Ihr Buch jetzt schon aktualisieren müssen?
Ich habe gerade in einem Nachwort für eine Taschenbuchausgabe geschrieben, dass man den Eindruck haben kann, es ginge politisch in die richtige Richtung. Aber auch, dass 2018 das Jahr mit den meisten CO&sub2;-Emissionen seit Beginn der Messungen war. Wir bewegen uns also nicht nur nicht schnell genug in die richtige, sondern nach wie vor in die falsche Richtung. Keine der großen Industrienationen erfüllt die Pariser Klimaziele, sie werden überhaupt nur von Marokko und Gambia eingehalten. Doch wir müssen unsere Emissionen bis 2030 halbieren. Das bedeutet Reduktion in allen Bereichen, Energie, Verkehr, öffentliche Infrastruktur, Landwirtschaft, Industrie, und es erfordert eine weltweite Anstrengung. Die UN sagen: eine Mobilisierungskraft wie während des Zweiten Weltkriegs. Der Klimawandel wird das bestimmende Element des 21. Jahrhunderts sein, so wie es die Moderne für das 19. oder der industrielle Kapitalismus für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war.
Viele Menschen nehmen die Rettung des Klimas persönlich. In manchen Kreisen herrscht beinahe eine Art Wettbewerb um das „nachhaltigste Leben“. Hilft das?
Es ist nie falsch, verantwortungsvoll zu leben, und es ist gut, wenn das Umfeld mitbekommt, dass einem dieses Thema wichtig ist. Letztlich wird so ja auch der Politik signalisiert, dass es eine Wählerschaft gibt, die sich eine konsequente Klimapolitik und verantwortungsvolles Handeln wünscht. Aber rein mathematisch ist es einfach so, dass individuelle Handlungen bei einer Krise solchen Ausmaßes kaum einen Effekt haben. Selbst eine globale Bewegung für Veganismus oder gegen Flugreisen würde nicht ausreichen. Was wir brauchen, ist eine ganz neue Politik. Darum glaube ich, dass es letztlich der Sache schadet, wenn man so hohe individuelle Standards setzt. Dadurch wird zu vielen Menschen signalisiert, dass sie unverantwortlich handeln, wenn sie nicht CO&sub2;-neutral leben – und das in einer Welt, die ihnen das bisher unmöglich macht. Doch der Wandel, den wir brauchen, ist enorm. Wir benötigen extrem viel Unterstützung.
Trotz der katastrophalen Aussichten haben Sie noch Hoffnung. Wie das?
Zum einen, weil ich es für eine moralische Pflicht halte, das Ausmaß des Leids zu minimieren. Dafür braucht es ein gewisses Maß an Hoffnung. Zum anderen ist es eine Frage der Perspektive. Wenn man bloß hofft, dass Klima zu erhalten, wie es heute ist, bei 1,1 Grad Erwärmung, dann kann man aufgeben. Das ist schlicht nicht möglich. Aktuell sind wir auf dem Weg zu vier Grad noch in diesem Jahrhundert. Aber wir können noch sehr viel tun, um das zu vermeiden, ich denke auch, dass wir die Maßnahmen ergreifen werden. Ob wir dann bei 3,2 Grad landen oder bei 2,5 oder, im Falle eines Erfolgs, bei zwei Grad, ist offen, weil es allein davon abhängt, was wir tun und was wir lassen. In jedem Fall werden die Menschen in Zukunft in einer komplett durch den Klimawandel veränderten Welt leben, mit einem nie gesehenen Ausmaß an Leid. Aber sie werden nicht in einer „Mad Max“-Welt leben, sondern sich an den Klimawandel anpassen. Vor dem Hintergrund dessen, welche schrecklichen Auswirkungen er haben wird, mag das jetzt pervers oder grotesk klingen. Aber für mich wäre das tatsächlich eine hoffnungsvolle Aussicht.
INTERVIEW: NADJA SCHLÜTER
Selbst eine globale Bewegung
gegen Flugreisen
würde nicht ausreichen
Von David Wallace-Wells ist erschienen:
„Die unbewohnbare Erde – Leben nach der
Erderwärmung“.
Ludwig Buchverlag,
366 Seiten, 18,00 €
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
David Wallace-Wells hat in seinem aktuellen Buch sehr eindringlich die Folgen der Klimakatastrophe beschrieben. Ein Gespräch
Im Juli 2017 erschien im New York Magazine ein Artikel über den Klimawandel. David Wallace-Wells beschrieb darin die desaströsen Folgen der Erderwärmung. Auf den Erfolg des Artikels folgte das Buch: „The Uninhabitable Earth“. Es erschien Anfang 2019 und ist seit dem Sommer in deutscher Übersetzung verfügbar. Gestützt auf wissenschaftliche Quellen prognostiziert Wallace-Wells darin die Auswirkungen des Klimawandels auf unsere Gesundheit und Ernährung, auf die Ozeane, die Luft und die Wirtschaft. Und er denkt darüber nach, wie wir diese Katastrophe am besten kommunizieren können.
SZ: Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg ist gerade in den USA, Sie haben sie getroffen und interviewt. Thunberg sagt, dass die älteren Generationen ihre Kinder verraten haben. Hat sie recht?
David Wallace-Wells: Absolut. Als ich 1982 geboren wurde, war das Klima einigermaßen stabil. Heute, 37 Jahre später, steht die Welt am Rande der Klimakatastrophe. Unter anderem wegen all der Entwicklungen, die seitdem zu meinem Vorteil getätigt wurden. Dasselbe trifft auf alle Menschen in den Industrienationen zu, wir alle haben von den Produktionsweisen, Wirtschaftssystemen und Energieträgern profitiert, die das Klima unseres Planeten nun zu zerstören drohen. Wenn wir alle so konsumieren würden wie ein Europäer im Jahr 1970, wären wir heute ganz woanders.
Und der Rest der Welt trägt keine Schuld? Was ist mit Ländern wie China?
Die Schuldfrage ist sehr kompliziert, und die Verantwortlichkeit verteilt sich auf verschiedene Akteure über einen langen Zeitraum. Aber ja, ein großer Teil der Emissionen der vergangenen 30 Jahre geht auch auf die Industrialisierung der Entwicklungsländer zurück. Das ist eigentlich positiv, denn es gibt weniger Armut, viele Menschen führen ein besseres und gesünderes Leben. Rückblickend werden wir kaum sagen, diese Menschen hätten besser darauf verzichtet. Aber in Zukunft müssen wir den Kurs ändern.
Sie waren weder ein Klimaaktivist noch ein Klimajournalist. Wieso liegt Ihnen das Thema jetzt so sehr am Herzen?
2016 fiel mir auf, dass man immer mehr über den Klimawandel berichtet. Darum habe ich angefangen, mich damit zu beschäftigen, doch hatte ich schnell den Eindruck, dass nicht ehrlich genug berichtet wurde. Vor allem drei große Irrtümer wurden verbreitet, an die ich bis dahin auch geglaubt hatte.
Welche Irrtümer waren das?
Erstens: die Geschwindigkeit des Klimawandels. Ich dachte, die Erwärmung sei ein Prozess, der sich über Jahrhunderte erstreckt, dass wir also viel Zeit haben, eine Lösung zu finden. Doch die Hälfte der CO&sub2;-Emissionen der Menschheitsgeschichte wurden in den vergangenen 30 Jahren ausgestoßen, wir können die Auswirkungen in Echtzeit verfolgen. Zweitens: der Umfang. Lange wurde vor allem über den Anstieg des Meeresspiegels gesprochen, was den Eindruck erweckte, man sei sicher, wenn man nicht an der Küste lebt. Aber der Klimawandel hat viel mehr Auswirkungen, er betrifft uns alle, die Armen mehr als die Reichen, aber dennoch alle. Und er wird nicht nur unser Wetter und unsere Wirtschaft verändern, sondern auch, wie wir uns selber in der Welt und in der Geschichte verorten. Und drittens: die Ernsthaftigkeit. Bis vor etwa einem Jahr haben Wissenschaftler über den Schwellenwert von zwei Grad Erwärmung wie von einem Szenario des schlimmsten anzunehmenden Falles gesprochen. Vom heutigen Standpunkt aus ist das eher das Best-Case-Szenario.
Wie sieht dieses Best-Case-Szenario aus?
Bei zwei Grad Erwärmung wäre es in den meisten Städte im Nahen Osten und in Südasien im Sommer so heiß, dass man nicht draußen sein könnte, ohne einen Hitzschlag oder gar den Tod zu riskieren. Auf Dauer würden das arktische und antarktische Eis schmelzen und der Meeresspiegel dramatisch ansteigen, zwei Drittel der großen Städte weltweit würden überflutet. Ein UN-Report, der im kommenden Monat veröffentlicht wird, schätzt, dass die Schäden durch Stürme und den Meeresspiegelanstieg um ein Hundertfaches steigen werden und 280 Millionen Menschen ihr Zuhause verlieren. Bis zum Jahr 2050 könnte es eine Milliarde Klimaflüchtlinge geben. Jenseits der zwei Grad wären die Folgen noch dramatischer. Trotzdem informieren weder Wissenschaftler noch Journalisten oder Aktivisten darüber, wie das Leben auf der Erde dann aussehen würde, obwohl dieser Anstieg fast unvermeidbar ist.
Wieso wurde darüber nicht gesprochen?
Die Wissenschaftler wollten die Öffentlichkeit nicht verängstigen. Sie dachten, dass sie die Menschen nur dann mobilisieren können, wenn sie optimistische, hoffnungsvolle Botschaften verbreiten. Wissenschaftler sind eher vorsichtige Menschen, die sich auf Fakten fokussieren, es widerstrebt ihnen, etwas zu äußern, was als Übertreibung ausgelegt werden könnte. Hinzu kommt, dass viele von ihnen, vor allem in den USA, immer wieder mit den Interessen der Industrien und mit Klimawandel-Leugnern zu kämpfen hatten und dadurch zurückhaltender geworden sind.
2017 haben Sie den Artikel „The Uninhabitable Earth“ über die Folgen des Klimawandels geschrieben. Damals hat man Ihnen Panikmache vorgeworfen, beim gleichnamigen Buch ist das jetzt nicht anders. Setzen Sie auf Angst als Motor?
Es ist unstrittig, dass Angst Menschen mobilisieren und motivieren kann. Mir selber ging es so, als ich mich näher mit dem Klimawandel beschäftigt habe. Man sieht es auch an der Geschichte der Umweltbewegung. Der Klimawandel sollte natürlich nicht nur auf Angst basierend kommuniziert werden, aber Wissenschaftler und Aktivisten haben zu lange darauf verzichtet, diesen Hebel zu betätigen. Es hat zum Beispiel einen riesigen Unterschied gemacht, dass der UN-Sonderbericht „1,5 °C globale Erwärmung“ aus dem vergangenen Jahr sehr viel alarmistischer war als alle Berichte zuvor und auch in den Medien genauso aufgegriffen wurde.
In den letzten eineinhalb Jahren ist Bewegung in die Klimapolitik gekommen.
Die Entwicklung ist wirklich beispiellos. Greta Thunbergs Klimaprotest hat Millionen junger Menschen inspiriert, die EU hat beschlossen, ein Viertel ihres Budgets für das Klima auszugeben, Bewegungen wie „Extinction Rebellion“ und „Sunrise Movement“ sind entstanden, das britische Parlament hat den Klimanotstand ausgerufen und will die Emissionen bis 2050 auf null senken, Finnland und Dänemark haben sich das sogar noch früher als Ziel gesetzt. In der Vorwahlkampagne der US-Demokraten ist das Klima ein Top-Thema, 2016 hat noch niemand danach gefragt.
Bedeutet der Fortschritt auch, dass Sie Ihr Buch jetzt schon aktualisieren müssen?
Ich habe gerade in einem Nachwort für eine Taschenbuchausgabe geschrieben, dass man den Eindruck haben kann, es ginge politisch in die richtige Richtung. Aber auch, dass 2018 das Jahr mit den meisten CO&sub2;-Emissionen seit Beginn der Messungen war. Wir bewegen uns also nicht nur nicht schnell genug in die richtige, sondern nach wie vor in die falsche Richtung. Keine der großen Industrienationen erfüllt die Pariser Klimaziele, sie werden überhaupt nur von Marokko und Gambia eingehalten. Doch wir müssen unsere Emissionen bis 2030 halbieren. Das bedeutet Reduktion in allen Bereichen, Energie, Verkehr, öffentliche Infrastruktur, Landwirtschaft, Industrie, und es erfordert eine weltweite Anstrengung. Die UN sagen: eine Mobilisierungskraft wie während des Zweiten Weltkriegs. Der Klimawandel wird das bestimmende Element des 21. Jahrhunderts sein, so wie es die Moderne für das 19. oder der industrielle Kapitalismus für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war.
Viele Menschen nehmen die Rettung des Klimas persönlich. In manchen Kreisen herrscht beinahe eine Art Wettbewerb um das „nachhaltigste Leben“. Hilft das?
Es ist nie falsch, verantwortungsvoll zu leben, und es ist gut, wenn das Umfeld mitbekommt, dass einem dieses Thema wichtig ist. Letztlich wird so ja auch der Politik signalisiert, dass es eine Wählerschaft gibt, die sich eine konsequente Klimapolitik und verantwortungsvolles Handeln wünscht. Aber rein mathematisch ist es einfach so, dass individuelle Handlungen bei einer Krise solchen Ausmaßes kaum einen Effekt haben. Selbst eine globale Bewegung für Veganismus oder gegen Flugreisen würde nicht ausreichen. Was wir brauchen, ist eine ganz neue Politik. Darum glaube ich, dass es letztlich der Sache schadet, wenn man so hohe individuelle Standards setzt. Dadurch wird zu vielen Menschen signalisiert, dass sie unverantwortlich handeln, wenn sie nicht CO&sub2;-neutral leben – und das in einer Welt, die ihnen das bisher unmöglich macht. Doch der Wandel, den wir brauchen, ist enorm. Wir benötigen extrem viel Unterstützung.
Trotz der katastrophalen Aussichten haben Sie noch Hoffnung. Wie das?
Zum einen, weil ich es für eine moralische Pflicht halte, das Ausmaß des Leids zu minimieren. Dafür braucht es ein gewisses Maß an Hoffnung. Zum anderen ist es eine Frage der Perspektive. Wenn man bloß hofft, dass Klima zu erhalten, wie es heute ist, bei 1,1 Grad Erwärmung, dann kann man aufgeben. Das ist schlicht nicht möglich. Aktuell sind wir auf dem Weg zu vier Grad noch in diesem Jahrhundert. Aber wir können noch sehr viel tun, um das zu vermeiden, ich denke auch, dass wir die Maßnahmen ergreifen werden. Ob wir dann bei 3,2 Grad landen oder bei 2,5 oder, im Falle eines Erfolgs, bei zwei Grad, ist offen, weil es allein davon abhängt, was wir tun und was wir lassen. In jedem Fall werden die Menschen in Zukunft in einer komplett durch den Klimawandel veränderten Welt leben, mit einem nie gesehenen Ausmaß an Leid. Aber sie werden nicht in einer „Mad Max“-Welt leben, sondern sich an den Klimawandel anpassen. Vor dem Hintergrund dessen, welche schrecklichen Auswirkungen er haben wird, mag das jetzt pervers oder grotesk klingen. Aber für mich wäre das tatsächlich eine hoffnungsvolle Aussicht.
INTERVIEW: NADJA SCHLÜTER
Selbst eine globale Bewegung
gegen Flugreisen
würde nicht ausreichen
Von David Wallace-Wells ist erschienen:
„Die unbewohnbare Erde – Leben nach der
Erderwärmung“.
Ludwig Buchverlag,
366 Seiten, 18,00 €
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Der amerikanische Journalist David Wallace-Wells vermittelt dem Rezensenten Setfan Reinecke schön eindrücklich, wie weit Wissen und Handeln in der Klimafrage auseinanderklaffen, wie fundamental also die Krise der Vernunft ist, die wir durchleben. Wenn Wallace-Wells ein Worst-Case-Szenario nach dem anderen ausbreitet, hält der Rezensent das für ein legitimes Mittel der schockierenden Aufklärung. Auch dass sich der Autor als All-American Boy präsentiert, der eigentlich auch am liebsten Burger isst, sich jetzt aber langsam doch Sorgen macht, findet der Rezensent okay. Nur die mutmachenden Appelle zwischendurch gehen Reinecke in ihrer Seichtheit auf die Nerven.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Er wirft einen düsteren Blick in die Zukunft. Keine Schwarzmalerei, sondern ein Szenario, das auf streng wissenschaftlichen Studien beruht.« ARD, ttt