»Bei dem Ort habe ich an Griffen gedacht, wo ich herkomme, an die Straße, die nach Süden, in ein Dorf namens Ruden, führt. ... Im Stück ist die Straße außer Betrieb, ein Wächter sitzt dort, es ist sein Reich, keiner darf dort hinein. Die Unschuldigen kommen daher, sind unschuldig, machen jedoch einen Haufen Scheiß. Es sind nicht die alten Bösewichte, die alles absichtlich machen, sondern sie wissen nicht, was sie tun, wie Jesus sagt: Herr, verzeih ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun! Ich bin eher der Meinung: Herr, verzeih ihnen nicht! Es gibt jedenfalls Konfrontationen der Figuren, ganz lustige, scharfe und traumhafte, wie es meine Art ist. Dann geht es ordentlich los, aber dann höre ich wieder auf, weil ich finde, es nicht interessant, nur draufzuschlagen. ... Der Held heißt >Ich<, er ist eine Mittelgestalt zwischen Caliban und Prospero, ein Monstrum, ein Irrer, ein Tier und zugleich ein Zauberer. Es gibt auch zwei Frauen in dem Stück, die >Unbekannte< und die >Andere<, diese ist ein bisschen wie Lady Macbeth. Sie ist die Frau des Anführers der Unschuldigen, letzten Endes schreit sie vorlauter Jammer, aber sie geht nicht zugrunde, sie geht nur weg.«
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.07.2015Der Himmel und ich, wir zwei schwofen!
Dramatischer Traumtanz: Peter Handke bringt wieder die Pferdestärken seiner Phantasie auf die Straße. Handlung gibt es wenig in seinem surrealen Prosa-Schauspiel, dafür ulkige Schimpftiraden.
Wer den Namen Peter Handke hört, denkt vielleicht nicht zuerst an Humor und Leichtigkeit. Das mag auch an zu vielen Dokumentarfilmen und Homestorys liegen, die diesen Schriftsteller als grüblerischen Pilzesammler darstellen oder beim Betrachten schrumpliger Äpfel in seinem Pariser Garten. Bei Handke denkt man an Spracharbeit, Schwerstarbeit, Ringen mit Worten, und natürlich an seine legendäre Drohung, auf Begriffe zu schießen, sobald sie am Horizont auftauchen.
Wie anders, wie spielerisch leicht wirkt dagegen sein neuestes Werk: "Der Himmel und ich, wir zwei schwofen!", ruft darin jemand. Es ist ein Sprachtanz unter ziemlich heiterem Himmel, den Handke hier aufführt: "Schauspiel in vier Jahreszeiten" nennt sich das im Untertitel, aber ob das wirklich Drama oder doch Epos ist, lässt sich gar nicht so leicht sagen. Denn das Ich, das dort spricht, kann sich selbst nicht entscheiden, es spaltet sich in "Ich, der Dramatische" und "Ich, der Epische" und gerät darüber mit sich selbst in Streit.
Das klingt nun schon wieder kompliziert, aber wissen muss man ja eigentlich nur, dass bei Handke wie eh und je die Wirklichkeit erst im Sprechen entsteht: Man hört live dabei zu, man beobachtet den Dichter im Moment seiner Inspiration: "Kommen lassen. Anfliegen lassen. Träumen lassen. Hellträumen. Umfassend träumen. Verbindlich!" Was Handke hier zu Beginn macht, kann man wie eine Art Umkehrung von Kafkas "Wunsch, Indianer zu werden" verstehen: In dieser Prosaskizze, wir erinnern uns, endet auf kürzester Sprachstrecke der träumerische Wunsch, wild durch die Gegend zu reiten, in einer Desillusionierung, denn plötzlich gibt es keine Sporen und auch keine Zügel mehr.
Handke dagegen illusioniert: "Und da kommt sie, da erscheint sie, da fliegt sie mich an, da erstreckt sie sich, die Landstraße, vorderhand leer. Und indem ich mir das laut vorerzähle, ist die Straße auch schon bevölkert in mir, der ICH am Rand der Straße daherschlendere, vorderhand allein."
Aber das bleibt nicht lange so, denn zu dem schelmischen Ich-Erzählerduo gesellt sich bald weiteres Personal, so natürlich noch ein "Doppelgänger" (alte Märchen und manche frühere Handke-Texte lassen grüßen), dann eine Gruppe der "Unschuldigen", dann wird es auch tatsächlich noch indianisch, denn es treten ein "Häuptling" und eine "Häuptlingin" auf und schließlich die große "Unbekannte von der Landstraße", eine veritable Traumfrau zunächst, die sich dem gestaltenden Träumer unter der Hand verformt. Aber so genau unterscheiden muss man diese Figuren vielleicht gar nicht, es sind Stimmen im Chor eines modernen Splitter-Ichs, Gespinste, die vor den Augen des Lesers erst ersonnen und gesponnen werden, und darin ist Handke schon lange ein Meister. In seinem "Don Juan, (erzählt von ihm selbst)" (2004) etwa hat er das schon sehr amüsant vorgeführt. Hier nun gibt es ein noch wilderes und freieres Durcheinanderpurzeln von Erfahrungen des wie immer mit dem Autor biographisch enggeführten Ich-Erzählers, von imaginierten Streitgesprächen über Fragen der Rechtschreibung und sogar surrealistisch anmutenden Passagen des assoziativen Schreibens - man könnte dieses Werk wohl auch ein Gedicht nennen.
Von Handlung zu sprechen wäre übertrieben, auch der Ort ist kein kleinerer als das Universum der Literatur. Es ist unklar, in welchem Land diese Landstraße liegt, ob sie "La strada. La carretera. Magistrala" ist oder "Tariq hamm". In diesem Universum wispert der Wind Shakespeare-Zitate und solche aus alten deutschen Schlagern, dann wieder ertönt große Oper: Eine Frau "lacht ein Koloraturlachen", der Erzähler singt plötzlich die Vogelfänger-Arie. Manchmal hat man auch das Gefühl, dass hier jemand Handkes mittlerweile großes Werk noch einmal nachträumt, durcheinander- und zusammenträumt, freudianisch gesagt: verschiebt und verdichtet. Wir bewegen uns zwischen Oberursel und Alaska, und lauter kleine Anspielungen auf frühere Werke sind eingestreut: "Freude, holder Niemandsfunken", ruft da einer, der wenig später in der dunklen Nacht aus seinem stillen Haus tritt. Und manchmal darf man sogar vermuten, dass Handke seine eigene Sprachkritik auf die Schippe nimmt, karikiert als Klugscheißerei der Ewiggestrigen, wenn jemand etwa salbadert: "Semikolon: Das Unwort des Jahres. Dagegen Strichpunkt: Das Wort sagt mir zu. Strichpunkt. Nur ist der Strichpunkt abgeschafft. Und das scharfe ,s' ist abgeschafft. Und Pommerland ist abgebrannt."
Es wäre natürlich noch kein richtiges Handke-Werk, wenn darin nicht auch Wut steckte. Sie richtet sich gegen die anonyme Masse der "Unschuldigen", die zu allem eine mutige Meinung haben, aber sich nie die Hände schmutzig machen. Der Erzähler verflucht diese Unschuldigen als Menschenplage, ihm wäre es viel lieber, sie wären Erzbösewichte.
Die regelrechte Lust am Schimpfen, die er dabei entwickelt, ist das Unterhaltsamste an diesem Buch: Als "Hirnschrott", "Zwetschgenröster", "Menschengewordene Fischgrätmuster" und "tätowierte Schwimmlehrer" werden die Unschuldigen geschmäht, schließlich auch als "Pack! Doppelpack! Tetrapack!". Dem gegenüber steht - alte Vorliebe des Autors für Western-Filme - der einsame Desperado, der Irrläufer. Aber verletzen kann das Geschimpfe eigentlich nur diesen selbst, befindet sich doch der Erzähler erklärtermaßen nur "im dramatischen Selbstgespräch", in dem er letztlich sein Heil vermutet.
JAN WIELE
Peter Handke: "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße". Ein Schauspiel in vier Jahreszeiten.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 177 S., br., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dramatischer Traumtanz: Peter Handke bringt wieder die Pferdestärken seiner Phantasie auf die Straße. Handlung gibt es wenig in seinem surrealen Prosa-Schauspiel, dafür ulkige Schimpftiraden.
Wer den Namen Peter Handke hört, denkt vielleicht nicht zuerst an Humor und Leichtigkeit. Das mag auch an zu vielen Dokumentarfilmen und Homestorys liegen, die diesen Schriftsteller als grüblerischen Pilzesammler darstellen oder beim Betrachten schrumpliger Äpfel in seinem Pariser Garten. Bei Handke denkt man an Spracharbeit, Schwerstarbeit, Ringen mit Worten, und natürlich an seine legendäre Drohung, auf Begriffe zu schießen, sobald sie am Horizont auftauchen.
Wie anders, wie spielerisch leicht wirkt dagegen sein neuestes Werk: "Der Himmel und ich, wir zwei schwofen!", ruft darin jemand. Es ist ein Sprachtanz unter ziemlich heiterem Himmel, den Handke hier aufführt: "Schauspiel in vier Jahreszeiten" nennt sich das im Untertitel, aber ob das wirklich Drama oder doch Epos ist, lässt sich gar nicht so leicht sagen. Denn das Ich, das dort spricht, kann sich selbst nicht entscheiden, es spaltet sich in "Ich, der Dramatische" und "Ich, der Epische" und gerät darüber mit sich selbst in Streit.
Das klingt nun schon wieder kompliziert, aber wissen muss man ja eigentlich nur, dass bei Handke wie eh und je die Wirklichkeit erst im Sprechen entsteht: Man hört live dabei zu, man beobachtet den Dichter im Moment seiner Inspiration: "Kommen lassen. Anfliegen lassen. Träumen lassen. Hellträumen. Umfassend träumen. Verbindlich!" Was Handke hier zu Beginn macht, kann man wie eine Art Umkehrung von Kafkas "Wunsch, Indianer zu werden" verstehen: In dieser Prosaskizze, wir erinnern uns, endet auf kürzester Sprachstrecke der träumerische Wunsch, wild durch die Gegend zu reiten, in einer Desillusionierung, denn plötzlich gibt es keine Sporen und auch keine Zügel mehr.
Handke dagegen illusioniert: "Und da kommt sie, da erscheint sie, da fliegt sie mich an, da erstreckt sie sich, die Landstraße, vorderhand leer. Und indem ich mir das laut vorerzähle, ist die Straße auch schon bevölkert in mir, der ICH am Rand der Straße daherschlendere, vorderhand allein."
Aber das bleibt nicht lange so, denn zu dem schelmischen Ich-Erzählerduo gesellt sich bald weiteres Personal, so natürlich noch ein "Doppelgänger" (alte Märchen und manche frühere Handke-Texte lassen grüßen), dann eine Gruppe der "Unschuldigen", dann wird es auch tatsächlich noch indianisch, denn es treten ein "Häuptling" und eine "Häuptlingin" auf und schließlich die große "Unbekannte von der Landstraße", eine veritable Traumfrau zunächst, die sich dem gestaltenden Träumer unter der Hand verformt. Aber so genau unterscheiden muss man diese Figuren vielleicht gar nicht, es sind Stimmen im Chor eines modernen Splitter-Ichs, Gespinste, die vor den Augen des Lesers erst ersonnen und gesponnen werden, und darin ist Handke schon lange ein Meister. In seinem "Don Juan, (erzählt von ihm selbst)" (2004) etwa hat er das schon sehr amüsant vorgeführt. Hier nun gibt es ein noch wilderes und freieres Durcheinanderpurzeln von Erfahrungen des wie immer mit dem Autor biographisch enggeführten Ich-Erzählers, von imaginierten Streitgesprächen über Fragen der Rechtschreibung und sogar surrealistisch anmutenden Passagen des assoziativen Schreibens - man könnte dieses Werk wohl auch ein Gedicht nennen.
Von Handlung zu sprechen wäre übertrieben, auch der Ort ist kein kleinerer als das Universum der Literatur. Es ist unklar, in welchem Land diese Landstraße liegt, ob sie "La strada. La carretera. Magistrala" ist oder "Tariq hamm". In diesem Universum wispert der Wind Shakespeare-Zitate und solche aus alten deutschen Schlagern, dann wieder ertönt große Oper: Eine Frau "lacht ein Koloraturlachen", der Erzähler singt plötzlich die Vogelfänger-Arie. Manchmal hat man auch das Gefühl, dass hier jemand Handkes mittlerweile großes Werk noch einmal nachträumt, durcheinander- und zusammenträumt, freudianisch gesagt: verschiebt und verdichtet. Wir bewegen uns zwischen Oberursel und Alaska, und lauter kleine Anspielungen auf frühere Werke sind eingestreut: "Freude, holder Niemandsfunken", ruft da einer, der wenig später in der dunklen Nacht aus seinem stillen Haus tritt. Und manchmal darf man sogar vermuten, dass Handke seine eigene Sprachkritik auf die Schippe nimmt, karikiert als Klugscheißerei der Ewiggestrigen, wenn jemand etwa salbadert: "Semikolon: Das Unwort des Jahres. Dagegen Strichpunkt: Das Wort sagt mir zu. Strichpunkt. Nur ist der Strichpunkt abgeschafft. Und das scharfe ,s' ist abgeschafft. Und Pommerland ist abgebrannt."
Es wäre natürlich noch kein richtiges Handke-Werk, wenn darin nicht auch Wut steckte. Sie richtet sich gegen die anonyme Masse der "Unschuldigen", die zu allem eine mutige Meinung haben, aber sich nie die Hände schmutzig machen. Der Erzähler verflucht diese Unschuldigen als Menschenplage, ihm wäre es viel lieber, sie wären Erzbösewichte.
Die regelrechte Lust am Schimpfen, die er dabei entwickelt, ist das Unterhaltsamste an diesem Buch: Als "Hirnschrott", "Zwetschgenröster", "Menschengewordene Fischgrätmuster" und "tätowierte Schwimmlehrer" werden die Unschuldigen geschmäht, schließlich auch als "Pack! Doppelpack! Tetrapack!". Dem gegenüber steht - alte Vorliebe des Autors für Western-Filme - der einsame Desperado, der Irrläufer. Aber verletzen kann das Geschimpfe eigentlich nur diesen selbst, befindet sich doch der Erzähler erklärtermaßen nur "im dramatischen Selbstgespräch", in dem er letztlich sein Heil vermutet.
JAN WIELE
Peter Handke: "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße". Ein Schauspiel in vier Jahreszeiten.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 177 S., br., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Scharfe Erkenntnis und ein zartes Gleiten der verletzten Empfindungen bilden ein faszinierendes Gefüge.« Hans-Dieter Schütt neues-deutschland.de 20150708