Es ist zwar längst ein Gemeinplatz, dass es 1945 in der deutschen Literatur nicht zu einer ›Stunde Null‹, zu einem Kahlschlag, kam. Diese Einsicht hatte jedoch kaum Einfluss auf die Literaturgeschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts, die sich nach wie vor an den historischen Daten 1933 und 1945 orientiert und die Zeit zwischen ihnen ausklammert. Kontinuitäten der literarischen Moderne, die trotz Zensur und Repression über den Zeitraum der nationalsozialistischen Diktatur hinaus bestehen, werden so übersehen. Gleich auf doppelte Weise blieben viele Gedichte, Prosatexte und Hörspiele etwa von Günter Eich, Peter Huchel, Wolfgang Koeppen, Friedo Lampe, Horst Lange oder Elisabeth Langgässer aus dem literarischen Kanon ausgeschlossen: Aufgrund ihrer spezifischen Modernität und ästhetischen Komplexität waren sie zunächst nicht mit der NS-Kulturpolitik konform; nach 1945 wiederum haftete ihnen als im ›Dritten Reich‹ veröffentlichten Werken der »Geruch von Blut und Schande« an. Den vergessenen Traditionen der Moderne versucht Jörg Schuster auf die Spur zu kommen – ein Plädoyer für eine andere Form der Literaturgeschichte und für lohnenswerte literarische Wiederentdeckungen!