"Mit sprachlicher Virtuosität mischt Fridolin Schley Geschichte, Bilder und Quellen zu einem literarischen Sturm aus Fragen." (Lena Gorelik) über Ernst von Weizsäcker und die Nürnberger Prozesse.
1947, die Nürnberger Prozesse: Einer der Angeklagten ist Ernst von Weizsäcker, SS-General und Spitzendiplomat unter Ribbentrop. Zu seinen Verteidigern zählt auch sein Sohn Richard, der vier Jahrzehnte später als Bundespräsident in seiner Rede vom 8. Mai über Kriegsschuld und die Befreiung Deutschlands vom Nazi-Gräuel sprechen wird. Eine historische Konstellation, die man kaum erfinden könnte: Hier stoßen – verkörpert in Vater und Sohn – das alte, schuldverstrickte Deutschland und die gerade erwachende Bundesrepublik aufeinander. In seinem literarischen Psychogramm tastet sich Fridolin Schley an die historischen Figuren heran und umkreist dabei die großen Fragen nach Gut und Böse, Schuld und Unschuld, emotionaler und moralischer Verpflichtung.
1947, die Nürnberger Prozesse: Einer der Angeklagten ist Ernst von Weizsäcker, SS-General und Spitzendiplomat unter Ribbentrop. Zu seinen Verteidigern zählt auch sein Sohn Richard, der vier Jahrzehnte später als Bundespräsident in seiner Rede vom 8. Mai über Kriegsschuld und die Befreiung Deutschlands vom Nazi-Gräuel sprechen wird. Eine historische Konstellation, die man kaum erfinden könnte: Hier stoßen – verkörpert in Vater und Sohn – das alte, schuldverstrickte Deutschland und die gerade erwachende Bundesrepublik aufeinander. In seinem literarischen Psychogramm tastet sich Fridolin Schley an die historischen Figuren heran und umkreist dabei die großen Fragen nach Gut und Böse, Schuld und Unschuld, emotionaler und moralischer Verpflichtung.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.08.2021Was haben Sie im "Dritten Reich" getan?
Fridolin Schley erzählt, wie Richard von Weizsäcker versuchte, seinen Vater zu verstehen.
Die Rede, die Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 zum vierzigsten Jahrestag des Kriegsendes in Europa hielt, war eine erinnerungspolitische Zäsur, die damals vielen im Lande nicht schmeckte. Zweieinhalb Jahre hatten sie auf die von Helmut Kohl angekündigte geistig-moralische Wende gewartet - und dann das: Der Tag der Kapitulation sei ein Tag der Befreiung gewesen, sagte der Bundespräsident. Für nicht weniger Irritation sorgte seine Feststellung, die Verbrechen der nationalsozialistischen Herrschaft seien nicht zu trennen vom Willen der Mehrheit der Deutschen, sie nicht zur Kenntnis zu nehmen: "Wer seine Ohren und Augen aufmachte, wer sich informieren wollte, dem konnte nicht entgehen, dass Deportationszüge rollten." Damit lag die Beweislast nicht mehr bei den Opfern. Jeder Deutsche, der das "Dritte Reich" bewusst erlebt hatte, musste jetzt glaubhaft machen, tatsächlich nichts gewusst zu haben.
Kritiker der Rede vertieften sich damals umgehend in Weizsäckers Familiengeschichte. Hatte nicht sein Vater, Ernst von Weizsäcker, als Staatssekretär im Auswärtigen Amt von 1938 bis 1943 zu den höchsten Beamten des "Dritten Reiches" gezählt? Im sogenannten Wilhelmstraßen-Prozess war er im April 1949 zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden. Der Sohn, Jurastudent im fünften Semester, hatte die Verteidigung vor dem Nürnberger Militärtribunal als Hilfsanwalt unterstützt, der von ihm als Zumutung empfundene Prozess lag seither wie ein Schatten über ihm. War es denkbar, dass der Bundespräsident mit seiner Rede das Schicksal des Vaters auf die gesamte Nation zu übertragen suchte, indem er das Trauma der Weizsäckers - mitgegangen, mitgefangen - zum Dilemma aller Deutschen erklärte?
Fridolin Schleys Roman "Die Verteidigung" spielt während jener anderthalb Jahre in Nürnberg, in denen der achtundzwanzigjährige Richard von Weizsäcker versuchte, die Dokumente der Anklage Punkt für Punkt zu entschärfen. Die Abläufe im Auswärtigen Amt seien komplex gewesen, in jedem einzelnen Fall gelte es, den besonderen Druck zu berücksichtigen, unter dem sein Vater gestanden habe. Wenn der Chefankläger Robert Kempner aber an einem bestimmten Punkt mit der stets gleichen Frage aufwartete, ob die Paraphe auf einem Schriftstück nun von Ernst von Weizsäcker stamme oder nicht, blieb diesem oft nichts als der Hinweis, die Qualität der Kopien sei zu schlecht, als dass er eine eindeutige Antwort geben könne, dafür müsste man ihm schon die Originale vorlegen: "Grundsätzlich war ich nur Briefträger in all den scheußlichen Angelegenheiten."
Der Wilhelmstraßen-Prozess sei "eine gigantische Materialschlacht" gewesen, die sich Anklage und Verteidigung geliefert hätten, wird Richard von Weizsäcker fünfzig Jahre später in seinen Erinnerungen schreiben und durchblicken lassen, dass 39 000 Seiten Beweismaterial mitnichten geeignet waren, die Entscheidungen, für die sein Vater zur Rechenschaft gezogen wurde, richtig zuzuordnen. Was der Wahrheitsfindung vor allem im Wege gestanden habe, sei das Ausmaß der Verbrechen gewesen: "Was über das Schicksal der Juden in den Vernichtungslagern bekannt wurde, erschütterte die ganze Welt. Es musste im Mittelpunkt der Nürnberger Prozesse stehen und zu Anklagen von ungeheurem Ausmaß führen." Man beachte die Setzung des Adjektivs. Ungeheuer ist nicht "das Schicksal der Juden", ungeheuer ist das Ausmaß der Anklagen, in deren Mittelpunkt sein Vater stand. Da "die ganze Welt" erschüttert war, schließt der Satz Vater und Sohn vermutlich mit ein - nur steht das da so nicht. Das "Ich" hat sich selten geschämt.
Im März 1942 musste der Staatssekretär Weizsäcker zur geplanten Deportation von sechstausend staatenlosen Juden aus Paris nach Auschwitz Stellung nehmen. Vonseiten des Auswärtigen Amts bestünden keine Bedenken, hieß es in der Vorlage des zuständigen Referatsleiters; Weizsäcker überkamen aber offenbar doch Bedenken, denn er formulierte neu: Das Auswärtige Amt erhebe keinen Einspruch. Wer solche Klippen sprachlich meistert, kann für die Brutalität der antijüdischen Maßnahmen des Regimes insgesamt nicht unempfindlich gewesen sein. Warum also blieb der Vater so lange auf seinem Posten? Während es in den von ihm abgezeichneten Rundschreiben, Schnellbriefen, Aktennotizen immer häufiger um das Eine ging - die Ausgrenzung, Abschiebung und Liquidierung der Juden Europas -, glaubte er offenbar, Schlimmeres verhindern oder wenigstens in Einzelfällen helfen zu können.
Schley ist, das liest man seinem Roman ab, überzeugt, dass selbst dem Sohn mitunter Zweifel gekommen sein müssen. Nicht am guten Willen und der grundsätzlichen Anständigkeit des Vaters, wohl aber an dessen politischer Urteilskraft. Konnte Ernst von Weizsäcker wirklich so blind gewesen sein, die Mechanismen der Vernichtungspolitik, zu denen regelmäßig eben auch die Zustimmung des Auswärtigen Amts gehörte, nicht zu durchschauen? Der Autor versetzt den Leser in die Situation des verzweifelten Sohnes, der seinem Vater um jeden Preis glauben will. Richard von Weizsäcker versucht im Roman unaufhörlich, die Zwangslagen des Vaters zu rekonstruieren und sich dessen Gewissensnöte auszumalen, scheitert aber ein ums andere Mal, weil sich das Verbleiben im Amt bis in den Sommer 1943 nach ethischen Kriterien einfach nicht rechtfertigen ließ.
In der Eröffnungsszene sitzt Richard von Weizsäcker einigermaßen zuversichtlich auf der Zuschauertribüne und verfolgt, wie sich der Gerichtssaal allmählich füllt: "Anstatt sich auf die Eröffnung und mögliche Widerworte zu konzentrieren, wird Richard sich fragen, ob sie alle hier im Saal nicht letztlich bloß Beteiligte am großen Drama der Geschichte sind, das sie zugleich übermannt." Am Ende, nach 250 Seiten, hat er "mit dem Vater, den er glaubte retten zu müssen, in Wahrheit die ganze Zeit gerungen". Um Worte, um Zeichen, um versteckte Andeutungen, mit denen der Vater seine Verteidigung hätte erleichtern können. Aber der blieb stolz und unzugänglich. Er schäme sich für das, was er "angerichtet" habe, notierte er einmal auf einem Zettel. "Richard wünschte, der Vater hätte nicht auch das in Anführungszeichen gesetzt."
Mit sicherem Gespür für den historischen Kontext, unter Verzicht auf überflüssige romanhafte Ausschmückung und ohne das moralische Auftrumpfen der Nachgeborenen entfaltet Fridolin Schley ein inneres Zwiegespräch von bedrückender Intensität. Mit seiner Entscheidung, sich an die Prozessakten zu halten und Richard von Weizsäckers Fragen an den Vater in erster Linie aus den in Nürnberg präsentierten Dokumenten zu entwickeln, ist der Autor ein hohes Risiko eingegangen. Je selbstbewusster der Vater die Motive seines Handelns vorträgt, desto hilfloser wirkt er. Aber soll der Sohn den Stab über ihn brechen, nur weil er seine Einflussmöglichkeiten maßlos überschätzte und nicht genügend Fantasie aufbrachte für das abgrundtief Böse in Hitler?
Am Ende versteht der Sohn den Vater so wenig wie zu Beginn des Verfahrens, aber er ist ihm nähergekommen - "umso mehr, als seine Taten ihn befremden". Der Leser, der sich auf die verstörende Dialektik dieser Perspektive einlässt, wird durch die Lektüre reich belohnt. Und kommt an einen Punkt, wo er ahnt, dass für den späteren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker der 8. Mai nichts anderes sein konnte als ein Tag der Befreiung - der Befreiung vom Alb eines übermächtigen, uneinsichtigen, schrecklich geliebten Vaters. THOMAS KARLAUF
Fridolin Schley: "Die Verteidigung". Roman.
Hanser Berlin Verlag, Berlin 2021. 272 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Fridolin Schley erzählt, wie Richard von Weizsäcker versuchte, seinen Vater zu verstehen.
Die Rede, die Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 zum vierzigsten Jahrestag des Kriegsendes in Europa hielt, war eine erinnerungspolitische Zäsur, die damals vielen im Lande nicht schmeckte. Zweieinhalb Jahre hatten sie auf die von Helmut Kohl angekündigte geistig-moralische Wende gewartet - und dann das: Der Tag der Kapitulation sei ein Tag der Befreiung gewesen, sagte der Bundespräsident. Für nicht weniger Irritation sorgte seine Feststellung, die Verbrechen der nationalsozialistischen Herrschaft seien nicht zu trennen vom Willen der Mehrheit der Deutschen, sie nicht zur Kenntnis zu nehmen: "Wer seine Ohren und Augen aufmachte, wer sich informieren wollte, dem konnte nicht entgehen, dass Deportationszüge rollten." Damit lag die Beweislast nicht mehr bei den Opfern. Jeder Deutsche, der das "Dritte Reich" bewusst erlebt hatte, musste jetzt glaubhaft machen, tatsächlich nichts gewusst zu haben.
Kritiker der Rede vertieften sich damals umgehend in Weizsäckers Familiengeschichte. Hatte nicht sein Vater, Ernst von Weizsäcker, als Staatssekretär im Auswärtigen Amt von 1938 bis 1943 zu den höchsten Beamten des "Dritten Reiches" gezählt? Im sogenannten Wilhelmstraßen-Prozess war er im April 1949 zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden. Der Sohn, Jurastudent im fünften Semester, hatte die Verteidigung vor dem Nürnberger Militärtribunal als Hilfsanwalt unterstützt, der von ihm als Zumutung empfundene Prozess lag seither wie ein Schatten über ihm. War es denkbar, dass der Bundespräsident mit seiner Rede das Schicksal des Vaters auf die gesamte Nation zu übertragen suchte, indem er das Trauma der Weizsäckers - mitgegangen, mitgefangen - zum Dilemma aller Deutschen erklärte?
Fridolin Schleys Roman "Die Verteidigung" spielt während jener anderthalb Jahre in Nürnberg, in denen der achtundzwanzigjährige Richard von Weizsäcker versuchte, die Dokumente der Anklage Punkt für Punkt zu entschärfen. Die Abläufe im Auswärtigen Amt seien komplex gewesen, in jedem einzelnen Fall gelte es, den besonderen Druck zu berücksichtigen, unter dem sein Vater gestanden habe. Wenn der Chefankläger Robert Kempner aber an einem bestimmten Punkt mit der stets gleichen Frage aufwartete, ob die Paraphe auf einem Schriftstück nun von Ernst von Weizsäcker stamme oder nicht, blieb diesem oft nichts als der Hinweis, die Qualität der Kopien sei zu schlecht, als dass er eine eindeutige Antwort geben könne, dafür müsste man ihm schon die Originale vorlegen: "Grundsätzlich war ich nur Briefträger in all den scheußlichen Angelegenheiten."
Der Wilhelmstraßen-Prozess sei "eine gigantische Materialschlacht" gewesen, die sich Anklage und Verteidigung geliefert hätten, wird Richard von Weizsäcker fünfzig Jahre später in seinen Erinnerungen schreiben und durchblicken lassen, dass 39 000 Seiten Beweismaterial mitnichten geeignet waren, die Entscheidungen, für die sein Vater zur Rechenschaft gezogen wurde, richtig zuzuordnen. Was der Wahrheitsfindung vor allem im Wege gestanden habe, sei das Ausmaß der Verbrechen gewesen: "Was über das Schicksal der Juden in den Vernichtungslagern bekannt wurde, erschütterte die ganze Welt. Es musste im Mittelpunkt der Nürnberger Prozesse stehen und zu Anklagen von ungeheurem Ausmaß führen." Man beachte die Setzung des Adjektivs. Ungeheuer ist nicht "das Schicksal der Juden", ungeheuer ist das Ausmaß der Anklagen, in deren Mittelpunkt sein Vater stand. Da "die ganze Welt" erschüttert war, schließt der Satz Vater und Sohn vermutlich mit ein - nur steht das da so nicht. Das "Ich" hat sich selten geschämt.
Im März 1942 musste der Staatssekretär Weizsäcker zur geplanten Deportation von sechstausend staatenlosen Juden aus Paris nach Auschwitz Stellung nehmen. Vonseiten des Auswärtigen Amts bestünden keine Bedenken, hieß es in der Vorlage des zuständigen Referatsleiters; Weizsäcker überkamen aber offenbar doch Bedenken, denn er formulierte neu: Das Auswärtige Amt erhebe keinen Einspruch. Wer solche Klippen sprachlich meistert, kann für die Brutalität der antijüdischen Maßnahmen des Regimes insgesamt nicht unempfindlich gewesen sein. Warum also blieb der Vater so lange auf seinem Posten? Während es in den von ihm abgezeichneten Rundschreiben, Schnellbriefen, Aktennotizen immer häufiger um das Eine ging - die Ausgrenzung, Abschiebung und Liquidierung der Juden Europas -, glaubte er offenbar, Schlimmeres verhindern oder wenigstens in Einzelfällen helfen zu können.
Schley ist, das liest man seinem Roman ab, überzeugt, dass selbst dem Sohn mitunter Zweifel gekommen sein müssen. Nicht am guten Willen und der grundsätzlichen Anständigkeit des Vaters, wohl aber an dessen politischer Urteilskraft. Konnte Ernst von Weizsäcker wirklich so blind gewesen sein, die Mechanismen der Vernichtungspolitik, zu denen regelmäßig eben auch die Zustimmung des Auswärtigen Amts gehörte, nicht zu durchschauen? Der Autor versetzt den Leser in die Situation des verzweifelten Sohnes, der seinem Vater um jeden Preis glauben will. Richard von Weizsäcker versucht im Roman unaufhörlich, die Zwangslagen des Vaters zu rekonstruieren und sich dessen Gewissensnöte auszumalen, scheitert aber ein ums andere Mal, weil sich das Verbleiben im Amt bis in den Sommer 1943 nach ethischen Kriterien einfach nicht rechtfertigen ließ.
In der Eröffnungsszene sitzt Richard von Weizsäcker einigermaßen zuversichtlich auf der Zuschauertribüne und verfolgt, wie sich der Gerichtssaal allmählich füllt: "Anstatt sich auf die Eröffnung und mögliche Widerworte zu konzentrieren, wird Richard sich fragen, ob sie alle hier im Saal nicht letztlich bloß Beteiligte am großen Drama der Geschichte sind, das sie zugleich übermannt." Am Ende, nach 250 Seiten, hat er "mit dem Vater, den er glaubte retten zu müssen, in Wahrheit die ganze Zeit gerungen". Um Worte, um Zeichen, um versteckte Andeutungen, mit denen der Vater seine Verteidigung hätte erleichtern können. Aber der blieb stolz und unzugänglich. Er schäme sich für das, was er "angerichtet" habe, notierte er einmal auf einem Zettel. "Richard wünschte, der Vater hätte nicht auch das in Anführungszeichen gesetzt."
Mit sicherem Gespür für den historischen Kontext, unter Verzicht auf überflüssige romanhafte Ausschmückung und ohne das moralische Auftrumpfen der Nachgeborenen entfaltet Fridolin Schley ein inneres Zwiegespräch von bedrückender Intensität. Mit seiner Entscheidung, sich an die Prozessakten zu halten und Richard von Weizsäckers Fragen an den Vater in erster Linie aus den in Nürnberg präsentierten Dokumenten zu entwickeln, ist der Autor ein hohes Risiko eingegangen. Je selbstbewusster der Vater die Motive seines Handelns vorträgt, desto hilfloser wirkt er. Aber soll der Sohn den Stab über ihn brechen, nur weil er seine Einflussmöglichkeiten maßlos überschätzte und nicht genügend Fantasie aufbrachte für das abgrundtief Böse in Hitler?
Am Ende versteht der Sohn den Vater so wenig wie zu Beginn des Verfahrens, aber er ist ihm nähergekommen - "umso mehr, als seine Taten ihn befremden". Der Leser, der sich auf die verstörende Dialektik dieser Perspektive einlässt, wird durch die Lektüre reich belohnt. Und kommt an einen Punkt, wo er ahnt, dass für den späteren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker der 8. Mai nichts anderes sein konnte als ein Tag der Befreiung - der Befreiung vom Alb eines übermächtigen, uneinsichtigen, schrecklich geliebten Vaters. THOMAS KARLAUF
Fridolin Schley: "Die Verteidigung". Roman.
Hanser Berlin Verlag, Berlin 2021. 272 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Rezensent Hans von Trotha empfindet es als Glück, dass sich Fridolin Schley dieser Geschichte angenommen hat. Wie Richard von Weizsäcker 1948 den eigenen Vater bei den Nürnberger Prozessen verteidigte, was er dabei dachte und wie sein Vater agierte, erzählt der Autor laut Trotha retrospektiv als Geschichte über Schuld, Verantwortung und Gerechtigkeit, geschickt mit Erwartungen spielend, kafkaesk, nicht als historischen Roman. Schleys dezente Kontextualisierungen und der Einbezug von Dokumenten in den Text gehen dem Rezensenten durch Mark und Bein. Die Enttäuschung des Rezensenten darüber, dass Richard von Weizsäcker über seine Erfahrungen im Prozess nie Zeugnis ablegte, scheint das Buch zu mindern.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.08.2021„Das ist ein Epochenwechsel“
Fridolin Schley erzählt in seinem Roman „Die Verteidigung“ vom Prozess gegen den NS-Elitebürokraten Ernst von Weizsäcker.
Ein Gespräch über den Hashtag „Nazihintergrund“ und die Frage, ob Erinnerung und Tabus mit den Zeitzeugen verschwinden
INTERVIEW: MARIE SCHMIDT
Der Schriftsteller Fridolin Schley führt in seinem Roman „Die Verteidigung“ eine deutsche Szene vor: Der spätere Bundespräsident Richard von Weizsäcker ist Assistent der Verteidigung seines Vaters beim größten der zwölf Nürnberger Nachfolgeprozesse, der von 1947 bis 1949 dauerte. Ernst von Weizsäcker war ein hoher Diplomat gewesen und es unter dem NS-Regime geblieben. 1938 trat er in die NSDAP ein, wurde Mitglied der SS und Staatssekretär. Dies alles, so verteidigte er sich, um eine Art verdeckten Widerstand zu leisten und den Kriegsausbruch zu verhindern. Vor Gericht legte man ihm Akten über die Deportation von Juden vor, die er mit seiner Paraphe „W.“ abgezeichnet hatte. Wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde er zu sieben Jahren Haft verurteilt, kam allerdings schon 1950 frei und starb ein Jahr später. 2010 brachte der Bericht einer unabhängigen Historikerkommission über die Rolle des Auswärtigen Amtes im Dritten Reich weitere Details ans Licht, etwa wie sich Ernst von Weizsäcker für die Ausbürgerung Thomas Manns verwendet hatte. Richard von Weizsäcker blieb dabei, sein Vater sei daran gescheitert, aus dem Inneren des Systems Widerstand zu leisten. Berühmt wurde indes seine Rede von 1985 zum Gedenken an den 8. Mai 1945, den er darin einen Tag der Befreiung nannte. „Schauen wir“, sagte er, „so gut wir es können, der Wahrheit ins Auge.“
SZ: Herr Schley, viele Leserinnen und Leser werden Richard von Weizsäcker als elder statesman noch vor Augen haben. Wie schreibt man über so eine Figur?
Fridolin Schley: Das Buch ist an den realen Richard von Weizsäcker angelehnt, ich habe mir angesehen, was ich über ihn in dieser Zeit finden konnte. Aber sein Charakter ist trotzdem in erster Linie eine Kunstfigur, aus vielen Einflüssen angereichert. Zumal Weizsäcker in seinen eigenen Aufzeichnungen äußerst diskret war, was sein Innenleben und das Verhältnis zum Vater während des Prozesses angeht. Er sagte in seiner Autobiografie und in Interviews aber doch, der Prozess sei eine doppelte Lernerfahrung gewesen. Zum einen hätten die Menschen dort am Gericht das, was wir heute selbstverständlich wissen sollten über Holocaust und Drittes Reich, jeden Tag neu aus den Akten erfahren. Und dann habe er, Richard, seinen Vater dort erst richtig kennengelernt.
Und war mit der Schuld konfrontiert, die Elitebürokraten wie der Vater auf sich geladen haben. Ohne deren Verwaltungsarbeit, zitieren Sie im Roman den Ankläger Robert Kempner, wären der Angriffskrieg und die Vernichtung der Juden nicht möglich gewesen.
Zu der Frage hat sich Richard von Weizsäcker aber lebenslang zurückgehalten und seinen Vater weiter nach ähnlichen Mustern verteidigt wie vor Gericht. Dieser Teil meines Romans, die Entwicklung des Sohns, ist weitgehend spekulativ. Dass sein Bild differenzierter war als seine öffentlichen Äußerungen dazu, möchte ich annehmen, wenn ich seine Reden und seinen nachdenklichen Zugang in Betracht ziehe. Aber ob er den inneren Prozess, den ich andeute, wirklich durchgemacht hat, weiß ich letztlich nicht. Ich habe mir die literarische Freiheit genommen, es so zu beschreiben.
Zugleich sind Sie in Ihrem Urteil über den Fall sehr klar, der Roman ist von dem Wissen und den Maßstäben aus erzählt, die man heute hat.
Es ging mir nicht darum, etwas zu enthüllen, das historische Material ist ja lange bekannt. Oder zu moralisieren, das tut Literatur eigentlich nie gut. Ein klassisches Reenactment, das sich anmaßen würde, in die Personen hineinzukriechen, zu zeigen, wie sie sich damals gefühlt haben müssen, könnte nur schiefgehen. Andererseits wäre es eine Bankrotterklärung an die Literatur, sich ganz auf den Unsagbarkeitstopos zurückzuziehen. Das ist ein Dilemma beim Schreiben, das ich versucht habe, in der Form aufzugreifen. Durch eine bewegliche Perspektive, die mal sinnlich nah in den Gerichtssaal geht, sich dann aber wieder zurückzieht und eine essayistische Stimme annimmt.
Hat Ihnen das genau zitierende, dokumentarische Verfahren Nähe und Distanz erleichtert?
Zuerst dachte ich, ich schaue mir nur das Nötigste an. Aber die Wirklichkeit ist so schlagend in dem Fall, ich wollte dann doch alles lesen, was es dazu gibt. Die Frage ist, wie man das in einem Roman lebendig werden lassen kann, ohne dabei gewesen zu sein und ohne zu behaupten, so und so sei es gewesen. Ich habe zum Beispiel versucht, die Sinneseindrücke nachzuvollziehen. Räume genau studieren, Aufnahmen anhören: Wie haben die Stimmen geklungen, wie hat der Richter gesprochen? Ich hatte eine großartige Rechercheurin, Laura Velte, die mir viele Bilder aus der Zeit besorgt hat. Die habe ich mir immer wieder angesehen und Details herausgegriffen. Ich erfinde nicht so gut. Mir fällt meist nicht im engeren Sinne etwas ein, mir fällt eher etwas auf. Ich habe den Stoff aber erstmal lange liegen lassen, weil ich keine richtige Form dafür fand.
Was hat Sie dazu gebracht, das Buch doch noch zu schreiben?
Vor allem Leseerfahrungen. Ich saß in einem Café in Sendling und las „Die Gedächtnislosen“ von Géraldine Schwarz. Kurz zuvor hatte ich etwas von Éric Vuillard gelesen, der einen poetischeren Ansatz hat als ich und sich zutraut, mit leichtem Federstrich in drei Zeilen verdichtet ein sehr komplexes Jahrhundertgeschehen zu erklären. Als Verfahren liegt mir das eher fern, aber der starke Glaube dahinter an die Kraft der Literatur hat mich fasziniert. Ohnehin war es die Zeit, als wieder stärker darüber diskutiert wurde, wie sich Literatur und Geschichtsschreibung vertragen. Plötzlich verband sich das alles zu den formalen Ideen, die den Roman jetzt prägen.
Sie haben über W.G. Sebald promoviert, wie wichtig ist der für Sie?
Ich werde manchmal als Sebald-Verächter zitiert, was mir eigentlich fremd ist. Noch im Studium habe ich teilweise versucht, zu schreiben wie er. Dann habe ich mich stärker mit seinem essayistischen und akademischen Werk, seinen Polemiken beschäftigt und in meiner Dissertation eine kritische Sicht eingenommen, auch auf den Sebald-Hype, der nach seinem Tod losbrach. Aber seine doppelte Skepsis gegenüber Reenactment und Unsagbarkeit, seine Suche nach einer brüchigen Form, die die eigenen Zweifel mittransportiert, dafür ist er berühmt, und da fühle ich mich ihm auch verbunden. In der Frage, wie man noch über den Holocaust schreiben kann, wenn die letzten Zeitzeugen gestorben sind, berufen sich viele auf ihn. Das ist ein Epochenwechsel.
Die Zeitzeugen sind nicht mehr da, aber die Lücken in ihren Geschichten haben wir womöglich geerbt. Ihre Erzählung von der Verteidigung Ernst von Weizsäckers lässt an die These der Mitscherlichs und anderer denken, die Deutschen hätten die Zerstörung ihres grandiosen Selbstbildes, die Tatsache, dass sie mit zu Verbrechern geworden waren, nie einsehen können.
Ich bin vorsichtig, was solche Großthesen angeht. Ich glaube, es gibt heute andere Defizite, die vielleicht aus den alten Tabus erwachsen sind, aber nicht mehr dieselben. Es ist erschreckend, dass nur drei, vier Generationen nach dem Holocaust den Statistiken zufolge viele Schülerinnen und Schüler nicht mehr wissen, was Auschwitz ist. Oder dass die neue Rechte wieder mit Sprachstrategien kommt, die auf eine Verwischung von Opfer- und Täterpositionen hinarbeitet. Oder man nötige Vereinbarungen über den Wahrheitsbegriff und wissenschaftliche Erkenntnisse infrage stellt, weil wieder alles Mögliche anders „gefühlt“ wird. Solche Fragen haben mich bei dem Roman beschäftigt, ich wollte kein abgekapseltes historisches Buch schreiben. Ich habe vergleichbare Muster in dem Prozess wiedergefunden, in einigen Strategien der Verteidigung etwa, die bei allen Beweisen, die auf dem Tisch lagen, immer das „Wesen“ von Ernst von Weizsäcker beschwor, das lauter und anständig sei. Man müsse die Akten und Details beiseite lassen, der Mensch und seine eigentlich edle Gesinnung zählten doch.
Wie verhielt sich denn der Mensch zur Anklage?
Ernst von Weizsäcker hatte seinen Anteil daran, dass er von vielen zum Märtyrer stilisiert wurde. Und er war sich sicher, die Geschichte würde erkennen, dass wer für sein Gewissen einstehe, sich eben möglicherweise opfern müsse. In seiner Zelle schrieb er, er bange um die Gesellschaft, weil der Prozess gegen ihn nicht mehr dem Hitler-Geist nachspüre, sondern nur noch seinen Werkzeugen. Die Vorstellung also einer geschlossenen Machtclique, der gegenüber seinesgleichen nur ausgelieferte, tapfer ausharrende Beamte gewesen seien, die nun von den rachsüchtigen Siegern vorgeführt wurden. Zum Glück hat die Geschichte die umgekehrte Erkenntnis gewonnen, das will ich zumindest hoffen. Dass die bequeme Trennung zwischen wenigen wirklich Schuldigen, den „tragisch verstrickten“ Vielen und dem „verführten“ Rest des Volkes nicht aufgeht. Wobei dieser Entschuldungsimpuls auch in der berühmten Weizsäcker-Rede noch teilweise anklingt.
Hitler habe „das ganze Volk zum Werkzeug“ seines Hasses gegen die Juden gemacht, sagte da der Sohn Richard, vierzig Jahre nach Kriegsende als Bundespräsident. Das ist jetzt auch schon wieder fast vierzig Jahre her. Wie klingt diese Rede heute?
Sie war in ihrer Zeit wichtig, die Formel vom „Tag der Befreiung“ hat ja etwas ausgelöst. Aber heute liest sich schon das starke Betonen der deutschen Perspektive schwierig, fast wie mit dem Impetus: Wir erklären jetzt mal den anderen, wie das war mit uns und der Schuld. Die Klammer zwischen der Verteidigung vor Gericht und der berühmten Rede ist aus literarischer Sicht natürlich reizvoll. Ich habe sie aber nicht stärker gemacht, weil sie schnell zu einseitig als große Linie gedeutet wird: Weizsäcker habe doch noch die Schuld seines Vaters eingestanden. Oder auch umgekehrt: Er habe seinen Vater als Einzelnen noch einmal exkulpiert, auf Kosten des wackeren deutschen Volkes, das nun stellvertretend aufarbeiten solle. Beides ist mir fremd. Wenn es so einfach wäre, wäre es uninteressant, einen Roman darüber zu schreiben. Ich wollte das Nichtaufgelöste, Ambivalente erhalten.
Die Ambivalenz entsteht auch, weil man sieht, wie viele, die später in der Bundesrepublik wichtige Rollen spielten, für Ernst von Weizsäcker aussagten. Auch die deutsche Presse schrieb für ihn und gegen die Legitimität der Nachfolgeprozesse.
Bei vielen, die für ihn ausgesagt oder über ihn geschrieben haben, wirkt es, als verteidigten sie auch sich selbst und ihren sozialen Stand. Man hat das Gefühl, da werden Pfründe verteidigt, da bringt man sich für das kommende Land in Stellung. Und womöglich ist der Reflex dahinter zumindest strukturell vergleichbar mit der Empörung, die losschlug, als vor einigen Monaten der Hashtag „Nazihintergrund“ ins Spiel kam.
Damit versuchten Künstlerinnen und Autoren, die sich über den Begriff Migrationshintergrund ärgern, zu provozieren. Und uns dazu zu bringen, uns mal wieder mit deutschen Familiengeschichten auseinanderzusetzen.
Über die Nazi-Großeltern spricht man immer noch nicht gerne. Ich merke an meiner eigenen Familie, wie unwillkürlich Mythen verteidigt werden. Eine Hemmung, genau nachzuforschen und zu fragen, habe ich auch an mir selbst beobachtet.
Darf man Sie nach Ihren Großeltern fragen?
Ich habe meine Großväter nicht mehr gekannt. Aber es wurden eigentlich nur positive Geschichten von ihnen erzählt. Einer war Chefarzt, Parteimitglied, irgendwann auch SS-Mitglied, Arzt auf einem Kriegsschiff. Und es hieß, klar, er habe schon mitgemacht, aber in seinem Krankenhaus eben auch Juden geschützt, die abgeholt werden sollten. Er ist dann tatsächlich entnazifiziert worden, wohl weil einige für ihn ausgesagt haben. Vor ein paar Jahren habe ich, sozusagen auf den letzten Drücker, mit jemandem gesprochen, der das noch beurteilen konnte. Ich muss mich auch fragen, warum ich dafür erst vierzig werden musste. Es klang dann alles gar nicht mehr so gut, eher als habe mein Großvater seine Frau losgeschickt: Klapper mal die Juden ab, wer da für mich aussagen kann. Ich kann das historisch nicht nachprüfen, nur die Versionen nebeneinander stellen und erkennen, dass es wahrscheinlich nicht genau so war, wie ich es jahrzehntelang gehört habe.
Gibt es in der offiziellen Erinnerungskultur überhaupt eine Erinnerung an Täterschaft und Mitläufertum?
Ich finde es zunächst richtig, dass man da die Opfer in den Vordergrund stellt, die es ja lange schwer hatten, überhaupt gehört zu werden. Aber es entsteht leicht eine gewisse Bequemlichkeit durch das Delegieren an Gedenktage und Gedenkstätten, man verwahrt das an sicheren Orten. Spätestens jetzt, da die Zeitzeugen sterben, muss man sich fragen, wie geht es weiter mit der Erinnerungspraxis? Kann man die Oral History der letzten Jahrzehnte in neuer Form fortsetzen, wenn die Nachgeborenen die alten Geschichten recherchieren, Zweifeln nachgehen, neue Offenheit schaffen. Ohne die Täterschaftsseite wird das nicht gehen. Wann, wenn nicht jetzt, ist so ein Denkanstoß wie der mit dem „Nazihintergrund“ wichtig?
Wir sind in der Selbstbefragung heute wahrscheinlich relativ großzügig, weil nicht mehr unser ganzes Selbstbild in Gefahr ist.
Es darf auch nicht zu einer Selbstgenügsamkeit führen, die sagt, ich erzähl jetzt mal, was meine Großväter gemacht haben, und bin damit mächtig fortschrittlich und auf der moralisch sicheren Seite. Sondern die Frage muss sein, was das für unser konkretes Verhalten jetzt heißt, zum Beispiel gegenüber Menschen, die schutzbedürftig zu uns kommen. Oder wenn es wieder judenfeindliche Demonstrationen gibt, einen stark ansteigenden, mindestens latenten Antisemitismus, der empirisch nachweisbar ist, eine rechtsradikale Partei im Bundestag. Kein schlechter Zeitpunkt, um sich mal sein Erbe anzugucken.
„Mir fällt meist nicht im
engeren Sinne etwas ein,
mir fällt eher etwas auf“
„Über die Nazi-Großeltern
spricht man immer noch
nicht gerne“
Ernst von Weizsäcker (rechts) 1948 in Nürnberg vor dem amerikanischen Militärgericht. Im sogenannten Wilhelmstraßen-Prozess, dem Fall XI der Nachfolgeprozesse, waren vor allem Männer angeklagt, die während der NS-Zeit hohe Posten in verschiedenen Ministerien gehabt hatten.
Foto: SZ Photo
Fridolin Schley, 1976 in München geboren, wurde 2001 mit dem Roman „Verloren, mein Vater“ bekannt.
Foto: J.Brückner
Fridolin Schley:
Die Verteidigung. Roman. Hanser Berlin, Berlin 2021. 272 Seiten, 18 Euro.
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Fridolin Schley erzählt in seinem Roman „Die Verteidigung“ vom Prozess gegen den NS-Elitebürokraten Ernst von Weizsäcker.
Ein Gespräch über den Hashtag „Nazihintergrund“ und die Frage, ob Erinnerung und Tabus mit den Zeitzeugen verschwinden
INTERVIEW: MARIE SCHMIDT
Der Schriftsteller Fridolin Schley führt in seinem Roman „Die Verteidigung“ eine deutsche Szene vor: Der spätere Bundespräsident Richard von Weizsäcker ist Assistent der Verteidigung seines Vaters beim größten der zwölf Nürnberger Nachfolgeprozesse, der von 1947 bis 1949 dauerte. Ernst von Weizsäcker war ein hoher Diplomat gewesen und es unter dem NS-Regime geblieben. 1938 trat er in die NSDAP ein, wurde Mitglied der SS und Staatssekretär. Dies alles, so verteidigte er sich, um eine Art verdeckten Widerstand zu leisten und den Kriegsausbruch zu verhindern. Vor Gericht legte man ihm Akten über die Deportation von Juden vor, die er mit seiner Paraphe „W.“ abgezeichnet hatte. Wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde er zu sieben Jahren Haft verurteilt, kam allerdings schon 1950 frei und starb ein Jahr später. 2010 brachte der Bericht einer unabhängigen Historikerkommission über die Rolle des Auswärtigen Amtes im Dritten Reich weitere Details ans Licht, etwa wie sich Ernst von Weizsäcker für die Ausbürgerung Thomas Manns verwendet hatte. Richard von Weizsäcker blieb dabei, sein Vater sei daran gescheitert, aus dem Inneren des Systems Widerstand zu leisten. Berühmt wurde indes seine Rede von 1985 zum Gedenken an den 8. Mai 1945, den er darin einen Tag der Befreiung nannte. „Schauen wir“, sagte er, „so gut wir es können, der Wahrheit ins Auge.“
SZ: Herr Schley, viele Leserinnen und Leser werden Richard von Weizsäcker als elder statesman noch vor Augen haben. Wie schreibt man über so eine Figur?
Fridolin Schley: Das Buch ist an den realen Richard von Weizsäcker angelehnt, ich habe mir angesehen, was ich über ihn in dieser Zeit finden konnte. Aber sein Charakter ist trotzdem in erster Linie eine Kunstfigur, aus vielen Einflüssen angereichert. Zumal Weizsäcker in seinen eigenen Aufzeichnungen äußerst diskret war, was sein Innenleben und das Verhältnis zum Vater während des Prozesses angeht. Er sagte in seiner Autobiografie und in Interviews aber doch, der Prozess sei eine doppelte Lernerfahrung gewesen. Zum einen hätten die Menschen dort am Gericht das, was wir heute selbstverständlich wissen sollten über Holocaust und Drittes Reich, jeden Tag neu aus den Akten erfahren. Und dann habe er, Richard, seinen Vater dort erst richtig kennengelernt.
Und war mit der Schuld konfrontiert, die Elitebürokraten wie der Vater auf sich geladen haben. Ohne deren Verwaltungsarbeit, zitieren Sie im Roman den Ankläger Robert Kempner, wären der Angriffskrieg und die Vernichtung der Juden nicht möglich gewesen.
Zu der Frage hat sich Richard von Weizsäcker aber lebenslang zurückgehalten und seinen Vater weiter nach ähnlichen Mustern verteidigt wie vor Gericht. Dieser Teil meines Romans, die Entwicklung des Sohns, ist weitgehend spekulativ. Dass sein Bild differenzierter war als seine öffentlichen Äußerungen dazu, möchte ich annehmen, wenn ich seine Reden und seinen nachdenklichen Zugang in Betracht ziehe. Aber ob er den inneren Prozess, den ich andeute, wirklich durchgemacht hat, weiß ich letztlich nicht. Ich habe mir die literarische Freiheit genommen, es so zu beschreiben.
Zugleich sind Sie in Ihrem Urteil über den Fall sehr klar, der Roman ist von dem Wissen und den Maßstäben aus erzählt, die man heute hat.
Es ging mir nicht darum, etwas zu enthüllen, das historische Material ist ja lange bekannt. Oder zu moralisieren, das tut Literatur eigentlich nie gut. Ein klassisches Reenactment, das sich anmaßen würde, in die Personen hineinzukriechen, zu zeigen, wie sie sich damals gefühlt haben müssen, könnte nur schiefgehen. Andererseits wäre es eine Bankrotterklärung an die Literatur, sich ganz auf den Unsagbarkeitstopos zurückzuziehen. Das ist ein Dilemma beim Schreiben, das ich versucht habe, in der Form aufzugreifen. Durch eine bewegliche Perspektive, die mal sinnlich nah in den Gerichtssaal geht, sich dann aber wieder zurückzieht und eine essayistische Stimme annimmt.
Hat Ihnen das genau zitierende, dokumentarische Verfahren Nähe und Distanz erleichtert?
Zuerst dachte ich, ich schaue mir nur das Nötigste an. Aber die Wirklichkeit ist so schlagend in dem Fall, ich wollte dann doch alles lesen, was es dazu gibt. Die Frage ist, wie man das in einem Roman lebendig werden lassen kann, ohne dabei gewesen zu sein und ohne zu behaupten, so und so sei es gewesen. Ich habe zum Beispiel versucht, die Sinneseindrücke nachzuvollziehen. Räume genau studieren, Aufnahmen anhören: Wie haben die Stimmen geklungen, wie hat der Richter gesprochen? Ich hatte eine großartige Rechercheurin, Laura Velte, die mir viele Bilder aus der Zeit besorgt hat. Die habe ich mir immer wieder angesehen und Details herausgegriffen. Ich erfinde nicht so gut. Mir fällt meist nicht im engeren Sinne etwas ein, mir fällt eher etwas auf. Ich habe den Stoff aber erstmal lange liegen lassen, weil ich keine richtige Form dafür fand.
Was hat Sie dazu gebracht, das Buch doch noch zu schreiben?
Vor allem Leseerfahrungen. Ich saß in einem Café in Sendling und las „Die Gedächtnislosen“ von Géraldine Schwarz. Kurz zuvor hatte ich etwas von Éric Vuillard gelesen, der einen poetischeren Ansatz hat als ich und sich zutraut, mit leichtem Federstrich in drei Zeilen verdichtet ein sehr komplexes Jahrhundertgeschehen zu erklären. Als Verfahren liegt mir das eher fern, aber der starke Glaube dahinter an die Kraft der Literatur hat mich fasziniert. Ohnehin war es die Zeit, als wieder stärker darüber diskutiert wurde, wie sich Literatur und Geschichtsschreibung vertragen. Plötzlich verband sich das alles zu den formalen Ideen, die den Roman jetzt prägen.
Sie haben über W.G. Sebald promoviert, wie wichtig ist der für Sie?
Ich werde manchmal als Sebald-Verächter zitiert, was mir eigentlich fremd ist. Noch im Studium habe ich teilweise versucht, zu schreiben wie er. Dann habe ich mich stärker mit seinem essayistischen und akademischen Werk, seinen Polemiken beschäftigt und in meiner Dissertation eine kritische Sicht eingenommen, auch auf den Sebald-Hype, der nach seinem Tod losbrach. Aber seine doppelte Skepsis gegenüber Reenactment und Unsagbarkeit, seine Suche nach einer brüchigen Form, die die eigenen Zweifel mittransportiert, dafür ist er berühmt, und da fühle ich mich ihm auch verbunden. In der Frage, wie man noch über den Holocaust schreiben kann, wenn die letzten Zeitzeugen gestorben sind, berufen sich viele auf ihn. Das ist ein Epochenwechsel.
Die Zeitzeugen sind nicht mehr da, aber die Lücken in ihren Geschichten haben wir womöglich geerbt. Ihre Erzählung von der Verteidigung Ernst von Weizsäckers lässt an die These der Mitscherlichs und anderer denken, die Deutschen hätten die Zerstörung ihres grandiosen Selbstbildes, die Tatsache, dass sie mit zu Verbrechern geworden waren, nie einsehen können.
Ich bin vorsichtig, was solche Großthesen angeht. Ich glaube, es gibt heute andere Defizite, die vielleicht aus den alten Tabus erwachsen sind, aber nicht mehr dieselben. Es ist erschreckend, dass nur drei, vier Generationen nach dem Holocaust den Statistiken zufolge viele Schülerinnen und Schüler nicht mehr wissen, was Auschwitz ist. Oder dass die neue Rechte wieder mit Sprachstrategien kommt, die auf eine Verwischung von Opfer- und Täterpositionen hinarbeitet. Oder man nötige Vereinbarungen über den Wahrheitsbegriff und wissenschaftliche Erkenntnisse infrage stellt, weil wieder alles Mögliche anders „gefühlt“ wird. Solche Fragen haben mich bei dem Roman beschäftigt, ich wollte kein abgekapseltes historisches Buch schreiben. Ich habe vergleichbare Muster in dem Prozess wiedergefunden, in einigen Strategien der Verteidigung etwa, die bei allen Beweisen, die auf dem Tisch lagen, immer das „Wesen“ von Ernst von Weizsäcker beschwor, das lauter und anständig sei. Man müsse die Akten und Details beiseite lassen, der Mensch und seine eigentlich edle Gesinnung zählten doch.
Wie verhielt sich denn der Mensch zur Anklage?
Ernst von Weizsäcker hatte seinen Anteil daran, dass er von vielen zum Märtyrer stilisiert wurde. Und er war sich sicher, die Geschichte würde erkennen, dass wer für sein Gewissen einstehe, sich eben möglicherweise opfern müsse. In seiner Zelle schrieb er, er bange um die Gesellschaft, weil der Prozess gegen ihn nicht mehr dem Hitler-Geist nachspüre, sondern nur noch seinen Werkzeugen. Die Vorstellung also einer geschlossenen Machtclique, der gegenüber seinesgleichen nur ausgelieferte, tapfer ausharrende Beamte gewesen seien, die nun von den rachsüchtigen Siegern vorgeführt wurden. Zum Glück hat die Geschichte die umgekehrte Erkenntnis gewonnen, das will ich zumindest hoffen. Dass die bequeme Trennung zwischen wenigen wirklich Schuldigen, den „tragisch verstrickten“ Vielen und dem „verführten“ Rest des Volkes nicht aufgeht. Wobei dieser Entschuldungsimpuls auch in der berühmten Weizsäcker-Rede noch teilweise anklingt.
Hitler habe „das ganze Volk zum Werkzeug“ seines Hasses gegen die Juden gemacht, sagte da der Sohn Richard, vierzig Jahre nach Kriegsende als Bundespräsident. Das ist jetzt auch schon wieder fast vierzig Jahre her. Wie klingt diese Rede heute?
Sie war in ihrer Zeit wichtig, die Formel vom „Tag der Befreiung“ hat ja etwas ausgelöst. Aber heute liest sich schon das starke Betonen der deutschen Perspektive schwierig, fast wie mit dem Impetus: Wir erklären jetzt mal den anderen, wie das war mit uns und der Schuld. Die Klammer zwischen der Verteidigung vor Gericht und der berühmten Rede ist aus literarischer Sicht natürlich reizvoll. Ich habe sie aber nicht stärker gemacht, weil sie schnell zu einseitig als große Linie gedeutet wird: Weizsäcker habe doch noch die Schuld seines Vaters eingestanden. Oder auch umgekehrt: Er habe seinen Vater als Einzelnen noch einmal exkulpiert, auf Kosten des wackeren deutschen Volkes, das nun stellvertretend aufarbeiten solle. Beides ist mir fremd. Wenn es so einfach wäre, wäre es uninteressant, einen Roman darüber zu schreiben. Ich wollte das Nichtaufgelöste, Ambivalente erhalten.
Die Ambivalenz entsteht auch, weil man sieht, wie viele, die später in der Bundesrepublik wichtige Rollen spielten, für Ernst von Weizsäcker aussagten. Auch die deutsche Presse schrieb für ihn und gegen die Legitimität der Nachfolgeprozesse.
Bei vielen, die für ihn ausgesagt oder über ihn geschrieben haben, wirkt es, als verteidigten sie auch sich selbst und ihren sozialen Stand. Man hat das Gefühl, da werden Pfründe verteidigt, da bringt man sich für das kommende Land in Stellung. Und womöglich ist der Reflex dahinter zumindest strukturell vergleichbar mit der Empörung, die losschlug, als vor einigen Monaten der Hashtag „Nazihintergrund“ ins Spiel kam.
Damit versuchten Künstlerinnen und Autoren, die sich über den Begriff Migrationshintergrund ärgern, zu provozieren. Und uns dazu zu bringen, uns mal wieder mit deutschen Familiengeschichten auseinanderzusetzen.
Über die Nazi-Großeltern spricht man immer noch nicht gerne. Ich merke an meiner eigenen Familie, wie unwillkürlich Mythen verteidigt werden. Eine Hemmung, genau nachzuforschen und zu fragen, habe ich auch an mir selbst beobachtet.
Darf man Sie nach Ihren Großeltern fragen?
Ich habe meine Großväter nicht mehr gekannt. Aber es wurden eigentlich nur positive Geschichten von ihnen erzählt. Einer war Chefarzt, Parteimitglied, irgendwann auch SS-Mitglied, Arzt auf einem Kriegsschiff. Und es hieß, klar, er habe schon mitgemacht, aber in seinem Krankenhaus eben auch Juden geschützt, die abgeholt werden sollten. Er ist dann tatsächlich entnazifiziert worden, wohl weil einige für ihn ausgesagt haben. Vor ein paar Jahren habe ich, sozusagen auf den letzten Drücker, mit jemandem gesprochen, der das noch beurteilen konnte. Ich muss mich auch fragen, warum ich dafür erst vierzig werden musste. Es klang dann alles gar nicht mehr so gut, eher als habe mein Großvater seine Frau losgeschickt: Klapper mal die Juden ab, wer da für mich aussagen kann. Ich kann das historisch nicht nachprüfen, nur die Versionen nebeneinander stellen und erkennen, dass es wahrscheinlich nicht genau so war, wie ich es jahrzehntelang gehört habe.
Gibt es in der offiziellen Erinnerungskultur überhaupt eine Erinnerung an Täterschaft und Mitläufertum?
Ich finde es zunächst richtig, dass man da die Opfer in den Vordergrund stellt, die es ja lange schwer hatten, überhaupt gehört zu werden. Aber es entsteht leicht eine gewisse Bequemlichkeit durch das Delegieren an Gedenktage und Gedenkstätten, man verwahrt das an sicheren Orten. Spätestens jetzt, da die Zeitzeugen sterben, muss man sich fragen, wie geht es weiter mit der Erinnerungspraxis? Kann man die Oral History der letzten Jahrzehnte in neuer Form fortsetzen, wenn die Nachgeborenen die alten Geschichten recherchieren, Zweifeln nachgehen, neue Offenheit schaffen. Ohne die Täterschaftsseite wird das nicht gehen. Wann, wenn nicht jetzt, ist so ein Denkanstoß wie der mit dem „Nazihintergrund“ wichtig?
Wir sind in der Selbstbefragung heute wahrscheinlich relativ großzügig, weil nicht mehr unser ganzes Selbstbild in Gefahr ist.
Es darf auch nicht zu einer Selbstgenügsamkeit führen, die sagt, ich erzähl jetzt mal, was meine Großväter gemacht haben, und bin damit mächtig fortschrittlich und auf der moralisch sicheren Seite. Sondern die Frage muss sein, was das für unser konkretes Verhalten jetzt heißt, zum Beispiel gegenüber Menschen, die schutzbedürftig zu uns kommen. Oder wenn es wieder judenfeindliche Demonstrationen gibt, einen stark ansteigenden, mindestens latenten Antisemitismus, der empirisch nachweisbar ist, eine rechtsradikale Partei im Bundestag. Kein schlechter Zeitpunkt, um sich mal sein Erbe anzugucken.
„Mir fällt meist nicht im
engeren Sinne etwas ein,
mir fällt eher etwas auf“
„Über die Nazi-Großeltern
spricht man immer noch
nicht gerne“
Ernst von Weizsäcker (rechts) 1948 in Nürnberg vor dem amerikanischen Militärgericht. Im sogenannten Wilhelmstraßen-Prozess, dem Fall XI der Nachfolgeprozesse, waren vor allem Männer angeklagt, die während der NS-Zeit hohe Posten in verschiedenen Ministerien gehabt hatten.
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Fridolin Schley, 1976 in München geboren, wurde 2001 mit dem Roman „Verloren, mein Vater“ bekannt.
Foto: J.Brückner
Fridolin Schley:
Die Verteidigung. Roman. Hanser Berlin, Berlin 2021. 272 Seiten, 18 Euro.
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"'Die Verteidigung' gehört zu den aufwühlendsten Büchern dieses Herbstes. Es führt in atemberaubender Verdichtung jenen Moment vor Augen, in dem in Deutschland aus Wissenden angeblich Unwissende wurden." Julia Encke, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 15.08.21
"Der Roman hat eine unglaubliche Leidenschaft. Eine Leidenschaft der Aufklärung, der Nuance, des genauen Hinsehens. ... Wer ein bisschen für das Abenteuer des Denkens und Mitfühlens und nicht für schnellfertiges Denken gemacht ist, der wird ein riesiges Vergnügen daran haben. ... Und er wird eine sehr schwierige Situation der deutschen Geschichte so genau verstehen, wie man es bisher nicht konnte. Fridolin Schley geht näher heran als jeder andere bisher." Andreas Isenschmid, 3sat/Kulturzeit, 27.08.2021
"Mit sicherem Gespür für den historischen Kontext, unter Verzicht auf überflüssige romanhafte Ausschmückung und ohne das moralische Auftrumpfen der Nachgeborenen entfaltet Fridolin Schley ein inneres Zwiegespräch von bedrückender Intensität. ... Der Leser, der sich auf die verstörende Dialektik dieser Perspektive einlässt, wird durch die Lektüre reich belohnt." Thomas Karlauf, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.08.2021
"Eine atmosphärisch dichte Erzählung, die einerseits eng an den gesicherten Fakten und Dokumenten bleibt, andererseits aber kräftig Gebrauch macht von der dem Literaten ... jederzeit offenstehenden Möglichkeit, zu spekulieren und zu psychologisieren. Das Ergebnis ist beachtlich."
Norbert Frei, Süddeutsche Zeitung, 13.08.2021
"In diesem ungeheuer dicht erzählten und lesenswerten Roman verschlägt es einem immer wieder die Sprache. Vor allem aber wird deutlich, es gibt nicht die Erinnerung, auf die sich irgendwann alle verständigen." Andreas Wirtensohn, WDR3, 28.12.2021
"Es ist, als habe Kafka nicht nur bei der Architektur des riesigen Justizpalasts sondern auch bei der des Verfahrens Pate gestanden, wenn Fridolin Schley davon erzählt. ... Die Dezenz, mit der Fridolin Schley seine Bögen schlägt, hat etwas Meisterliches. Und die Verbindungen, die er uns aus seinem Text herauslesen lässt, verleihen dem Roman seine eigentlich spannende Dimension. ... Es ist schade, ja ein Verlust für die deutsche Gesellschaft, dass Richard von Weizsäcker seine wahren Gedanken zu dieser Verteidigung nie hat teilen wollen. Für die deutsche Literatur unserer Tage war es eine Chance und Dank der Tatsache, dass Fridolin Schley sie ergriffen hat, so etwas wie ein Glück." Hans von Trotha, Deutschlandfunk, 28.09.2021
"'Die Verteidigung' ist ein Balanceakt zwischen Fakten und Fiktion, ein Justizdrama als Docufiction, ein Vater-Sohn-Szenario als Kammerspiel, das jede besserwisserische, anmaßende Geste vermeidet, das Fakten anbietet, aber eine gültige Wahrheit nie behauptet, Aufklärung im besten Sinne, in einer Zeit, in der es kaum noch Zeitzeugen gibt, von einem Autor der Urenkelgeneration, ein Generationenbuch also, ein Zwiegespräch zwischen den Generationen. Großartig!" Cornelia Zetzsche, BR Bayern2, 07.12.2021
"Schley, der an mehreren Stellen Bruchstücke aus der Rede in den Bewusstseinsstrom des jungen Richard ein ießen lässt, kommt ohne jede wohlfeile moralische Überlegenheitspose des Nachgeborenen aus. In einer Zeit, in der Rufe nach neuen Formen der Gedenkkultur immer lauter werden, ist Die Verteidigung ein längst überfälliger Beitrag. Nicht nur weil darin kurzweilig und akribisch ein in die Gegenwart hineinwirkender Schlüsselmoment der deutschen Geschichte versinnbildlicht wird. Zudem wird mit unverbrauchten Mitteln eine alte, dennoch häufig verkannte Wahrheit demonstriert: 'Verstehen' und nuancierter psychologischer Nachvollzug bedeuten eben nicht automatisch zu entschuldigen. Vielmehr wird dadurch erst jene Distanz erzeugt, ohne die Erkenntnis nicht zu haben ist." Marianna Lieder, Zeit Online, 28.09.2021
"Es ist dies kein historischer, wohl aber ein historisch gründlich recherchierter, ein feinsinniger und intelligenter Roman, der seine Leser sensibel sowie mit hohem Respekt vor dem ehemaligen Bundespräsidenten mitnimmt in dessen inneres Zwiegespräch und innere Zwiespältigkeiten über Schuld und Gerechtigkeit, Verantwortung und Pflicht, Wahrheit und Lebenslüge. Richard von Weizsäcker hat sich zeitlebens nie öffentlich über seine Erfahrungen im Prozess geäußert. Für Fridolin Schley war diese Leerstelle eine Chance. Er hat sie gut genutzt." Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung, 30.01.2022
"Fridolin Schleys kluger, psychologisch feinfühliger und genau recherchierter historischer Dokumentarroman ist ein Gerichtssaal-Drama, das das 'große Drama der Geschichte' und das der Beteiligung daran verhandelt. ...Der Autor konfrontiert uns mit der Frage, wie der Einzelne und seine Familie mit der Schuld umgehen, die Weizsäcker durch seine Mitarbeit im nationalsozialistischen Verbrechensapparat auf sich geladen hatte. Fridolin Schley schreibt kühl, präzise und ohne jeden moralischen Überlegenheitsgestus des Nachgeborenen. 'Die Verteidigung' zeigt uns das Ringen um die Wahrheit als lebenslangen Prozess." Jurybegründung Tukan-Preis 2021
"[E]ine wirklich atemberaubende und hoch literarische Annäherung an dieses Vater-Sohn-Verhältnis. ... Schley gelingt ein wirklich dicht komponierter Text." Natascha Freundel, RBB Kultur, 19.01.2022
"Ein virtuos gewebtes Netz aus Fakt und Fiktion. Richards Fragen sind letztlich unsere. Das macht 'Die Verteidigung' gerade heute, wo die letzten Zeitzeugen bald gestorben sein werden und nach neueren Studien immer weniger Jugendliche über den Nationalsozialismus und seine Menschheitsverbrechen Bescheid wissen, zu einem eminent wichtigen Buch." Florian Welle, Münchener Feuilleton, Dezember 2021
"'Die Verteidigung' basiert auf einem beachtlichen Quellenstudium. Damit versetzt uns Fridolin Schley in die moralische Kälte der Nachkriegsgesellschaft: In atmosphärischer Dichte erleben wir, wie die gesellschaftlichen Eliten die Vergangenheit verdrehen und von Weizsäcker und sich selbst zu Widerstandskämpfern stilisieren." Eva Schmidt, ZDF, 12.12.2021
"Ein Stück Zeitgeschichte verlebendigt ... Schley schildert die zunehmenden Zweifel Richards an der Unschuld des lavierenden Vaters - und macht deutlich, wie schwierig die Suche nach einer Wahrheit ist." Antje Weber, Süddeutsche Zeitung, 10.12.2021
"Wie Fridolin Schley die Räume der Vergangenheit mit Leben füllt, und wie er sich dort im Denken der Weizsäckers und der damaligen Zeit umsieht, das ist hochspannend. Und dass er für den Wechsel aus erzählerischen und essayistischen Passagen den richtigen Rhythmus findet, macht seinen Roman auch sprachlich zu einem Genuss." Wolfgang Popp, ORF Ö1, 27.08.2021
"Ein Roman, der nicht nur einen profunden erzählerischen Blick auf die Entstehungszeit der Bundesrepublik wirft, sondern zugleich die ganz großen Themen in den Ring schleudert: Schuld und Unschuld, Opfer- und Täterrollen, Moral und Gewissen. ... ein großartiges, herausforderndes Buch, das nicht zuletzt aufgrund seiner exzellenten Sprache besticht." Sabine Zaplin, BR24, 08.09.2021
"Für mich ist das Buch dermaßen intensiv, dermaßen berührend, dass ich sagen würde, es ist eines der besten des Herbstes." Felix Münger, SRF1, 05.10.2021
"Eine meisterhaft geformte Sprache ..., eine große schriftstellerische Leistung." Jürgen Feldhoff, Lübecker Nachrichten, 13.11.2021
"Der Roman hat eine unglaubliche Leidenschaft. Eine Leidenschaft der Aufklärung, der Nuance, des genauen Hinsehens. ... Wer ein bisschen für das Abenteuer des Denkens und Mitfühlens und nicht für schnellfertiges Denken gemacht ist, der wird ein riesiges Vergnügen daran haben. ... Und er wird eine sehr schwierige Situation der deutschen Geschichte so genau verstehen, wie man es bisher nicht konnte. Fridolin Schley geht näher heran als jeder andere bisher." Andreas Isenschmid, 3sat/Kulturzeit, 27.08.2021
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"'Die Verteidigung' basiert auf einem beachtlichen Quellenstudium. Damit versetzt uns Fridolin Schley in die moralische Kälte der Nachkriegsgesellschaft: In atmosphärischer Dichte erleben wir, wie die gesellschaftlichen Eliten die Vergangenheit verdrehen und von Weizsäcker und sich selbst zu Widerstandskämpfern stilisieren." Eva Schmidt, ZDF, 12.12.2021
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