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der anderen
Wie soll man mit der AfD umgehen?
Attackieren, argumentieren,
totschweigen? Die Bücher von
Christoph Butterwegge und Timo Lochocki
geben Antworten
VON JENS SCHNEIDER
Musste es so kommen? Und, wichtiger noch, muss es so weiter gehen mit der AfD, ist der Aufstieg der immer weiter nach rechts driftenden Partei unabwendbar? In fünf Jahren hat die zunächst von einem kleinen Kreis konservativer Außenseiter gegründete Partei geschafft, was in Deutschland als unmöglich galt: Sie hat sich etabliert, im Bundestag, bald wohl in allen Landtagen. Erfolgreiche Rechtspopulisten, das kannten die Nachbarn, in Frankreich, den Niederlanden oder Österreich. Hierzulande kamen solche Parteien auf, zogen in Landtage ein, verschwanden wieder. Es gab ein Gefühl der Sicherheit, dass so eine Kraft keinen Platz fände rechts der Union.
Vielleicht erklärt auch das die Ratlosigkeit im Umgang mit ihrem Auftreten. Hilflos wirken die meisten Reaktionen – etwa die Ignoranz der Kanzlerin, die selbst im Bundestag stets tut, als gäbe es die 92 rechten Abgeordneten nicht, und das, obwohl sie sinnbildlich inzwischen als politischer Ballast längst auch an ihrem Kabinettstisch sitzen: Gäbe es die AfD nicht, so hätte zum Beispiel Bundesinnenminister Horst Seehofer die Regierung im Frühsommer gewiss nicht mit seinem sogenannten Masterplan in eine Zerreißprobe geführt. Die deutsche Politik hat sich in einem Ausmaß verändert, das nicht den 12,6 Prozent entspricht, mit denen die AfD in den Bundestag einzog. Das ist eine der Erkenntnisse der beiden bemerkenswerten Bücher, um die es hier gehen soll: Der Erfolg der AfD markiert einen Umbruch des Parteiensystems, konstatieren Christoph Butterwegge und seine Mitautoren in ihrer Analyse „Rechtspopulisten im Parlament“.
Die AfD macht Beute, indem sie die anderen verändert, wie Timo Lochocki in seinem Buch „Die Vertrauensformel“ feststellt: „Rechtspopulisten entfalten ihre Wirkung so gut wie nie über Regierungsbeteiligungen, sondern meist indirekt, indem sie die nationale Themensetzung und die Positionen etablierter Parteien beeinflussen.“ Die anderen Parteien verändern unter dem Eindruck der Rechtspopulisten die Debatte oder die Gesetze.
Immerhin fünf Jahre hatten die anderen Parteien schon Zeit, um über Gegenstrategien nachzudenken. Aber es reicht selten über Ignoranz, Empörung und Entsetzen angesichts der Grenzüberschreitungen von AfD-Politikern hinaus. Wenn im Bundestag der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs diese Gegner mit dem Ausruf „Hass macht hässlich!“ beschimpft, ist das eine Selbstinszenierung, die letztlich die AfD zum Mittelpunkt des Geschehens macht und dem Geschäft der Rechtsaußen dient, die sich gern als Opfer einer Diffamierungskampagne inszenieren. Gibt es keine Ideen für einen klugen Umgang mit der AfD, sollte man nicht zumindest lernen, wie es nicht geht? Aus zwei sehr verschiedenen Richtungen kommend helfen diese zwei Bücher, den Erfolg der AfD zu begreifen, wobei Lochocki sogar eine spannende „Vertrauensformel“ entwickelt, mit der die AfD ausgebremst werden könne. Seine Botschaft: Es musste nicht so kommen und muss nicht so weiter gehen.
Was aber ist da gekommen? Eine erste Bilanz des Auftretens der AfD in Landtagen und dem Bundestag ziehen mit einem Blick von links die Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge, Gudrun Hentges sowie Gerd Wiegel, Referent der Fraktion der Linken im Bundestag, in ihrer Analyse. Ihre Perspektive ist so eindeutig wie ihre Haltung zur AfD. Das tut dem Buch nicht immer gut, etwa wenn aufgrund von einzelnen Indizien Vorahnungen über ein neurechtes Netzwerk rund um die Partei geraunt werden. Insgesamt aber ordnen die Autoren klug ein, was sie über die Parlamentsarbeit der AfD gesammelt haben.
So entsteht anhand von Beispielen aus den Landtagen und dem Bundestag ein differenziertes Bild. Dazu gehört die Erkenntnis, dass die Parlamentsarbeit der vermeintlich so listigen, aber oft von Dilettanten geführten AfD weder „zentral gesteuert ist, noch vernünftig koordiniert wird“. Und obwohl eine innere Dynamik zur immer stärkeren Radikalisierung zu beobachten ist, halten die Autoren den Kampf zwischen den extremen Rechten und den moderaten Konservativen für noch nicht entschieden. Die enormen inneren Gegensätze halten die so verschiedenen Kräfte derzeit nach ihrer Einschätzung nur aus, weil sich die AfD in einem Siegesrausch befinde. Sobald Niederlagen drohen, dürften auch die Bruchstellen wieder stärker hervortreten.
Grundsätzlich aber eint die Fraktionen der AfD eine von Provokationen und minderheitenfeindlichen Inhalten geprägte Politik. Butterwegge und seine Kollegen schildern minutiös, wie die AfD mit Anträgen und Anfragen Angst vor Flüchtlingen oder auch Muslimen schürt, sie „entmenschlicht und nicht als Individuum ansieht“. Das geht in Anfragen im Parlament bis zur Verknüpfung „des Asyldiskurses mit dem Diskurs um Krankheit, Seuchen und Epidemien“. Gern in einem Ton, als ob nur einmal besorgt nachgefragt wird, werden da die Themen „Asyl“ und „Seuchen“ miteinander verbunden.
So perfide das ist, Empörung allein helfe wenig, warnen die Autoren. Man müsse die Widersprüche der AfD aufzeigen, sie argumentativ stellen. Der an der Berliner Humboldt-Universität promovierte Politikwissenschaftler Lochocki sieht den Fokus bei den anderen Parteien. Er nimmt in „Die Vertrauensformel“ deren Fehler in den Blick, sodass sich die beiden Bücher ergänzen. Lochocki sieht die Verantwortung vor allem bei CSU und CDU, die mit ihren Fehlern den Raum geöffnet hätten, in den die Rechtspopulisten stoßen konnten.
Für den Erfolg der AfD seien nicht vornehmlich die Ressentiments einer größeren Zahl von Wählern oder vielleicht demagogisches Geschick von AfD-Politiker verantwortlich. Und auch nicht, eine für ihn wichtige Beobachtung, die Flüchtlingszahlen. „Deutschland hätte 2015 circa eine Million Flüchtlinge aufnehmen können, ohne dass eine rechtspopulistische Partei davon profitiert hätte“, schreibt er und verweist auf Erkenntnisse von Wahlforschern: Es gebe in ganz Europa keinen belastbaren Zusammenhang zwischen Zuwanderungszahlen, Integrationserfolgen oder Migrationsgesetzen und den Wahlergebnissen rechtspopulistischer Parteien. Nein, ob sie an Zustimmung gewinnen, hänge allein davon ab, „wie die Volksparteien über diese Themen reden“. Hier vor allem sieht er deren Versagen.
Deutschland sei eine erfolgreiche Einwanderungsgesellschaft mit überschaubaren Herausforderungen. Nach Lochockis Beobachtung haben auch globalisierungsskeptische Wähler „nicht per se etwas gegen Migranten“, aber sie „wollen das Gefühl haben, dass Zuwanderung kontrolliert abläuft und die verantwortlichen Politiker die Sorgen der konservativen Wähler anerkennen“. Aber das sei nicht passiert, die Regierung schien im Herbst 2015 mit sich selbst beschäftigt zu sein. Sie erzeugte den Eindruck eines „Kontrollverlusts“.
Ein Begriff, den Unionspolitiker damals prägten, der aber den Rechtspopulisten in die Hände spielte. Für das Fiasko macht Lochocki Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer verantwortlich. Beiden sei es nicht gelungen, Einigkeit in der Migrationspolitik zu demonstrieren. Wenn konservative Politiker ständig Forderungen formulieren, die von ihrer Regierung nicht umgesetzt werden, ist das fatal: Seehofer habe eine Niederlage um die andere erlitten, so Lochocki, die AfD konnte „ihr Glück kaum fassen“. Auch die SPD habe ihren Beitrag geleistet, weil sie zunehmend wie eine Partei wirke, die sich vor allem Partikularinteressen widmet – und es nicht vermochte, sozial- und wirtschaftspolitische Positionen so in den Mittelpunkt zu stellen, dass sie andere Themen verdrängt hätten. Das Thema Flüchtlinge dominierte, zum Nutzen der AfD.
Lochocki beschäftigt sich seit langem mit dem Erstarken von rechtspopulistischen Parteien in Europa, er schrieb 2014 seine Dissertation darüber. Lochocki sieht die AfD wie Butterwege, Hentges und Wiegel als Gefahr für die Demokratie. Wenn die Rechtspopulisten weiter erstarken, drohe dem Land ein „Klima des Hasses“ und politische Stagnation, weil über die wichtigen Themen nicht mehr gesprochen werde, warnt er und führt Erfahrungen aus anderen Ländern an, deren politisches System diesen Schaden bereits erlitten hat: etwa die USA, Großbritannien oder Frankreich. Nicht nur dort hätten die Etablierten durch Fehler den Weg bereitetet.
Umgekehrt nennt er als Gegenbeispiel Epochen der deutschen Geschichte, wo es gelungen sei, durch einen „bürgerlichen Kompromiss“ die Stabilität zu sichern und Rechtspopulisten abzuwehren, als ein Beispiel nennt er den Asylkompromiss von 1993. So etwas wird das Misstrauen von Liberalen wecken, die darin die unverantwortliche Preisgabe eines Grundrechts sahen. Lochocki hat da Verständnis. Er verbindet seine Analyse mit einer heiteren persönlichen Ansprache. Oft ahnt er Unmut des Lesers voraus und entschuldigt sich für die Irritation, die er leider auslösen müsse. Es komme jetzt aber darauf an, dass die Regierenden den „bürgerlichen Kompromiss“ als Idee in den Mittelpunkt stellen, um AfD-Wähler zurückzugewinnen. Dabei müsse konservativen Politikern der Union eine besondere Rolle zukommen. Und die SPD müsse ihren progressiven Flügel überzeugen, sich zurück zu halten, zugleich ihre eigentlichen Kernthemen stärken.
Das Buch mündet in leidenschaftliche Ratschläge. Ein solch umfassendes Rezept zur Heilung eines politischen Schadens ist ungewöhnlich, es fordert Widerspruch heraus. Nicht nur, weil, wie Lochocki selbst betont, die Dinge eben kompliziert sind, sondern auch, weil man sich fragen kann, wer den Nutzen in der von ihm skizzierten solidarischen Bürgergesellschaft mit einem starken Staat hätte – und ob das politische Personal von Union und SPD das überhaupt umsetzen könnte. Aber seine Ideen sollten all jenen eine Debatte wert sein, die erkannt haben, dass Ignoranz, Empörung und Entsetzen gegen Rechtspopulismus nicht reichen.
Regierende sollten den
„bürgerlichen Kompromiss“
als Idee in den Mittelpunkt
stellen, um AfD-Wähler
wieder zurückzugewinnen
Christoph Butterwegge, Gudrun Hentges,
Gerd Wiegel:
Rechtspopulisten
im Parlament. Polemik, Agitation und Propaganda der AfD. Westend-Verlag Frankfurt 2018, 256 Seiten, 20 Euro.
Timo Lochocki:
Die Vertrauensformel.
So gewinnt unsere
Demokratie ihre Wähler zurück. Herder, Freiburg 2018. 288 Seiten, 20 Euro.
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