Zwei junge Menschen verwandeln sich in Waschbären. Thomas Brussig macht daraus einen hoch komischen Gesellschaftsroman. Bräsenfelde ist ein Kaff in der Provinz, das man sich ungefähr so vorstellen muss, wie es heißt. Und dennoch begibt sich dort Aufregendes, Weltbewegendes: In der Waschanlage einer Tankstelle verwandeln sich Fibi und Aram, zwei übermütige Jugendliche in Waschbären. Was wie ein Witz anmutet, den niemand glauben kann, wird unabweisbare Realität, der man sich stellen muss. Keine kleine Zumutung für ihre Familien, die Mitschüler und vor allem für sich selbst. Hält dieser Blödsinn einer medizinischen Untersuchung stand? Beim Veterinär? Oder beim Kinderarzt? Was sagt der Genetiker? Wie steht es um die juristischen Implikationen? Menschenrechte? Kinderrechte? Tierrechte? Geht das wieder weg? Und wenn nicht, lässt sich das Wunder touristisch nutzen, finanziell? Auf jeden Fall muss das ganze medial groß aufgezogen werden. Bald reisen Reporterteams aus aller Welt an, Stars und Sternchen kommen in die von Fibi moderierte tägliche Show, um sich von einem Waschbären befragen zu lassen. Aber was wird aus Fibi und Aram? Thomas Brussig entwickelt aus einer phantastischen, aberwitzigen Ausgangssituation einen spannenden Roman, der mit großer Souveränität über unsere moderne Gegenwart erzählt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.02.2020Sei fortan ein Waschbärwesen
Humor aus Bräsenfeld: Was möchte uns Thomas Brussig mit seiner Romanfarce "Die Verwandelten" sagen?
Hoppla, da traut sich einer was! Als deutscher Schriftsteller ein Buch namens "Die Verwandelten" zu schreiben, selbst mit mehr als hundert Jahren Abstand zu Kafkas "Verwandlung", das will etwas heißen. Oder zumindest suggerieren, dass es etwas heißt. Auch wenn dann gar nicht so heiß gegessen wird, wie die Sache angerührt erscheint.
Immerhin, der Autor der "Verwandelten" ist Thomas Brussig. Mit seinem Debüt "Helden wie wir" schrieb er 1995 den ersten Roman über die deutsche Wiedervereinigung, der ein Bestseller wurde, vor allem seiner Schelmenstruktur wegen. Vier Jahre später kam zum zehnjährigen Jubiläum des Mauerfalls nicht nur die Verfilmung dieses Buchs, sondern auch "Sonnenallee" ins Kino, zu dem Brussig gemeinsam mit dem Regisseur Leander Haußmann und Detlef Buck das Drehbuch (und gleich noch einen Roman) verfasst hatte. Dann wechselte der 1964 in Ost-Berlin geborene Schriftsteller von seinem früheren Stammverlag Volk und Welt zu S. Fischer, doch obwohl er dort zwanzig Jahre lang regelmäßig weitere Bücher publizierte, stellte sich der große Anfangserfolg nicht wieder ein. Nun nimmt Brussig bei Wallstein einen neuen Anlauf, und wenn es nach der Geschichte ginge, die sein neuer Roman erzählt, dürfte einem Publikumsrenner nichts im Wege stehen. Denn was erwartet man von Brussig? Eine amüsant erzählte Geschichte vor dem Hintergrund ostdeutscher Befindlichkeit.
Und hier ist sie: "Die Verwandelten", das sind die in einem mecklenburgischen Kaff namens Bräsenfeld lebenden Teenager Phoebe Hüveland, genannt Fibi, und Aram Stein. Im Internet stoßen sie auf die Anleitung eines Comedians, wie man vom Menschen zum Waschbären wird: Man futtert Beeren in einer Autowaschanlage. Billigster Schenkelklopfhumor. Das Problem ist nur, dass Fibi und Aram tatsächlich Waschbären werden, als sie diese Anleitung in ein Filmchen für ihr gemeinsames Videoblog umsetzen wollen. Fibi kann immerhin noch sprechen, Aram nicht einmal mehr das. Beider Familien sind verblüfft, aber nicht fassungslos. Schließlich steckt in der Sache eine gute Story, also viel Geld. Vater Hüveland ist zudem Bürgermeister von Bräsenfeld und wittert Massentourismus.
Eine Mediensatire also, die Thomas Brussig erzählt. Und ein Provinzroman. Und eine Generationenfarce. Und natürlich selbst auch Schenkelklopfhumor, wenn Fibi als Waschbär in die Familie zurückkehrt und dort neue Essmanieren vorführt oder twerkend die Hüften schwingt. Brussig delektiert sich an der Absurdität der Situation, und zugleich wird doch mit Aram ohne große Worte eine traurige Gegenfigur aufgebaut, die mangels Sprechvermögen nicht fernsehtauglich und also auch nicht gut verwertbar ist. Die resultierenden Konflikte zwischen den Familien Hüveland und Stein liegen auf der Hand, aber da verschenkt Brussig einiges an Potential seiner Geschichte und setzt lieber aufs Burleske, in Ansätzen auch aufs Gesellschaftskritische, wenn er die redaktionelle Behandlung der Waschbärensensation in Zeitungen und Sendeanstalten oder die anwaltliche Beratung von Familie Hüveland weitaus breiter schildert als die Enttäuschungen bei den Steins. Zumal dann noch eine kleine Andeutung, dass Arams Vater Sympathien fürs extrem rechte politische Spektrum hegen könnte, eine neue Spur aufmacht, die aber ins Leere läuft, weil der Roman ihr einfach nicht mehr weiter nachgeht. Gleiches gilt bezeichnenderweise auch für eine syrische Flüchtlingsfamilie, die Brussig gerade mal für eine Rahmung des Geschehens nutzt.
Angesiedelt ist das Ganze in der nahen Zukunft, Handlungszeitpunkt sind die Jahre 2023 bis 2026. Warum, ist unerfindlich, denn nichts am Erzählten benötigt diesen zeitlichen Vorgriff. Im Gegenteil: Wenn eine Szene mit der Ästhetik von Rama-Frühstückswerbung verglichen wird, sind wir wohl eher in Vorwendezeiten als im Mecklenburg von morgen. Und Brussigs Humor ist ohnehin recht bräsig. Als zur Auswertung von Fibis Handydaten ein Spezialist mit BND-Vergangenheit zu Rate gezogen werden soll, wird dessen Werdegang vom Kontaktmann so resümiert: "Der ist nur unter einem Vowand aussortiert worden, nachdem sich ne behinderte Ostfrau beworben hatte, eine Bewerbung, die drei Quoten bedient, Ostquote, Frauenquote, Behindertenquote. Da wird jeder Personalchef schwach. Um an der Abfindung zu sparen, wurde was mit Alkohol konstruiert. Der Deal war, dass er sich dagegen nicht wehrt, dafür aber als fester Freier lukrative Aufträge zugeschustert bekommt. Nun haben Sie die ganze Geschichte." Und Hand aufs Herz, die ist ganz schön schlecht.
Wie manches in "Die Verwandelten", aber denn doch nicht alles. Was für Brussigs Roman einnimmt, ist die Selbstverständlichkeit, mit der die absurde Ausgangssituation behandelt wird. Was in der Autowaschanlage passiert ist, wird erzählt, aber nie erklärt - das hat Brussig von Kafka gelernt. Zwar gibt es wissenschaftliche Untersuchungen zu Fibis Verwandlung, aber was dabei herauskommt, klingt so: "Obwohl wir rein materiell oder eben anatomisch nichts Menschliches an ihr finden konnten, ist sie von der Identität, vom Selbstverständnis her ein Mensch. Sie beschreibt zwar, dass sie unter bestimmten Voraussetzungen seelisch-mental zu einem Waschbären wird und sich in dieser Identität auch wohlfühlt. Aber das passiert nur, wenn sie nicht menschlich angesprochen, angeregt, eingebunden, gefordert wird. Das heißt, das Menschliche kann mit ihr jederzeit, in jedem Augenblick erarbeitet werden. Unterbleibt dies, wird sie phasenweise zum Waschbären." Allerdings sieht sie immer so aus. Da haben es die Juristen leichter, wie Vater Hüveland feststellt: "Bevor ich bei Professor Ahlert war, dachte ich, eine Waschbärenverwandlung ist ein einziger Kladderadatsch, aber je länger du ihm zuhörst, desto mehr bist du überzeugt, dass unsere Gesetze auch darauf vorbereitet sind, dass sich Minderjährige in Waschbären verwandeln."
In solchen Momenten, wo ein tiergewordener Mensch zur willkommenen Einnahmequelle für andere wird, erreicht "Die Verwandelten" ein hohes Unterhaltungsniveau. Bei den Klischeefiguren dieser anderen büßt der Roman es dann aber wieder ein (die macht- und sexgeile lesbische Fensehintendantin, der strunzdumme Comedian). Brussigs Humor ist reaktionär, wogegen gar nichts zu sagen wäre, wenn daraus etwas für die Handlung folgte - und wäre es nur so etwas wie Weltekel. Doch alle machen ihren Frieden mit den Umständen. Bis auf Aram, der zum Schluss, dem besten Teil der "Verwandelten", sein eigenes Schicksal findet. Damit sollen "Die Verwandelten" wenn auch nicht zur Groteske, so doch zumindest noch zur Tragikomödie werden. Aber dafür hätte sich wohl auch der Autor Thomas Brussig verwandeln müssen.
ANDREAS PLATTHAUS
Thomas Brussig: "Die Verwandelten".
Roman.
Wallstein Verlag, Göttingen 2020. 328 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Humor aus Bräsenfeld: Was möchte uns Thomas Brussig mit seiner Romanfarce "Die Verwandelten" sagen?
Hoppla, da traut sich einer was! Als deutscher Schriftsteller ein Buch namens "Die Verwandelten" zu schreiben, selbst mit mehr als hundert Jahren Abstand zu Kafkas "Verwandlung", das will etwas heißen. Oder zumindest suggerieren, dass es etwas heißt. Auch wenn dann gar nicht so heiß gegessen wird, wie die Sache angerührt erscheint.
Immerhin, der Autor der "Verwandelten" ist Thomas Brussig. Mit seinem Debüt "Helden wie wir" schrieb er 1995 den ersten Roman über die deutsche Wiedervereinigung, der ein Bestseller wurde, vor allem seiner Schelmenstruktur wegen. Vier Jahre später kam zum zehnjährigen Jubiläum des Mauerfalls nicht nur die Verfilmung dieses Buchs, sondern auch "Sonnenallee" ins Kino, zu dem Brussig gemeinsam mit dem Regisseur Leander Haußmann und Detlef Buck das Drehbuch (und gleich noch einen Roman) verfasst hatte. Dann wechselte der 1964 in Ost-Berlin geborene Schriftsteller von seinem früheren Stammverlag Volk und Welt zu S. Fischer, doch obwohl er dort zwanzig Jahre lang regelmäßig weitere Bücher publizierte, stellte sich der große Anfangserfolg nicht wieder ein. Nun nimmt Brussig bei Wallstein einen neuen Anlauf, und wenn es nach der Geschichte ginge, die sein neuer Roman erzählt, dürfte einem Publikumsrenner nichts im Wege stehen. Denn was erwartet man von Brussig? Eine amüsant erzählte Geschichte vor dem Hintergrund ostdeutscher Befindlichkeit.
Und hier ist sie: "Die Verwandelten", das sind die in einem mecklenburgischen Kaff namens Bräsenfeld lebenden Teenager Phoebe Hüveland, genannt Fibi, und Aram Stein. Im Internet stoßen sie auf die Anleitung eines Comedians, wie man vom Menschen zum Waschbären wird: Man futtert Beeren in einer Autowaschanlage. Billigster Schenkelklopfhumor. Das Problem ist nur, dass Fibi und Aram tatsächlich Waschbären werden, als sie diese Anleitung in ein Filmchen für ihr gemeinsames Videoblog umsetzen wollen. Fibi kann immerhin noch sprechen, Aram nicht einmal mehr das. Beider Familien sind verblüfft, aber nicht fassungslos. Schließlich steckt in der Sache eine gute Story, also viel Geld. Vater Hüveland ist zudem Bürgermeister von Bräsenfeld und wittert Massentourismus.
Eine Mediensatire also, die Thomas Brussig erzählt. Und ein Provinzroman. Und eine Generationenfarce. Und natürlich selbst auch Schenkelklopfhumor, wenn Fibi als Waschbär in die Familie zurückkehrt und dort neue Essmanieren vorführt oder twerkend die Hüften schwingt. Brussig delektiert sich an der Absurdität der Situation, und zugleich wird doch mit Aram ohne große Worte eine traurige Gegenfigur aufgebaut, die mangels Sprechvermögen nicht fernsehtauglich und also auch nicht gut verwertbar ist. Die resultierenden Konflikte zwischen den Familien Hüveland und Stein liegen auf der Hand, aber da verschenkt Brussig einiges an Potential seiner Geschichte und setzt lieber aufs Burleske, in Ansätzen auch aufs Gesellschaftskritische, wenn er die redaktionelle Behandlung der Waschbärensensation in Zeitungen und Sendeanstalten oder die anwaltliche Beratung von Familie Hüveland weitaus breiter schildert als die Enttäuschungen bei den Steins. Zumal dann noch eine kleine Andeutung, dass Arams Vater Sympathien fürs extrem rechte politische Spektrum hegen könnte, eine neue Spur aufmacht, die aber ins Leere läuft, weil der Roman ihr einfach nicht mehr weiter nachgeht. Gleiches gilt bezeichnenderweise auch für eine syrische Flüchtlingsfamilie, die Brussig gerade mal für eine Rahmung des Geschehens nutzt.
Angesiedelt ist das Ganze in der nahen Zukunft, Handlungszeitpunkt sind die Jahre 2023 bis 2026. Warum, ist unerfindlich, denn nichts am Erzählten benötigt diesen zeitlichen Vorgriff. Im Gegenteil: Wenn eine Szene mit der Ästhetik von Rama-Frühstückswerbung verglichen wird, sind wir wohl eher in Vorwendezeiten als im Mecklenburg von morgen. Und Brussigs Humor ist ohnehin recht bräsig. Als zur Auswertung von Fibis Handydaten ein Spezialist mit BND-Vergangenheit zu Rate gezogen werden soll, wird dessen Werdegang vom Kontaktmann so resümiert: "Der ist nur unter einem Vowand aussortiert worden, nachdem sich ne behinderte Ostfrau beworben hatte, eine Bewerbung, die drei Quoten bedient, Ostquote, Frauenquote, Behindertenquote. Da wird jeder Personalchef schwach. Um an der Abfindung zu sparen, wurde was mit Alkohol konstruiert. Der Deal war, dass er sich dagegen nicht wehrt, dafür aber als fester Freier lukrative Aufträge zugeschustert bekommt. Nun haben Sie die ganze Geschichte." Und Hand aufs Herz, die ist ganz schön schlecht.
Wie manches in "Die Verwandelten", aber denn doch nicht alles. Was für Brussigs Roman einnimmt, ist die Selbstverständlichkeit, mit der die absurde Ausgangssituation behandelt wird. Was in der Autowaschanlage passiert ist, wird erzählt, aber nie erklärt - das hat Brussig von Kafka gelernt. Zwar gibt es wissenschaftliche Untersuchungen zu Fibis Verwandlung, aber was dabei herauskommt, klingt so: "Obwohl wir rein materiell oder eben anatomisch nichts Menschliches an ihr finden konnten, ist sie von der Identität, vom Selbstverständnis her ein Mensch. Sie beschreibt zwar, dass sie unter bestimmten Voraussetzungen seelisch-mental zu einem Waschbären wird und sich in dieser Identität auch wohlfühlt. Aber das passiert nur, wenn sie nicht menschlich angesprochen, angeregt, eingebunden, gefordert wird. Das heißt, das Menschliche kann mit ihr jederzeit, in jedem Augenblick erarbeitet werden. Unterbleibt dies, wird sie phasenweise zum Waschbären." Allerdings sieht sie immer so aus. Da haben es die Juristen leichter, wie Vater Hüveland feststellt: "Bevor ich bei Professor Ahlert war, dachte ich, eine Waschbärenverwandlung ist ein einziger Kladderadatsch, aber je länger du ihm zuhörst, desto mehr bist du überzeugt, dass unsere Gesetze auch darauf vorbereitet sind, dass sich Minderjährige in Waschbären verwandeln."
In solchen Momenten, wo ein tiergewordener Mensch zur willkommenen Einnahmequelle für andere wird, erreicht "Die Verwandelten" ein hohes Unterhaltungsniveau. Bei den Klischeefiguren dieser anderen büßt der Roman es dann aber wieder ein (die macht- und sexgeile lesbische Fensehintendantin, der strunzdumme Comedian). Brussigs Humor ist reaktionär, wogegen gar nichts zu sagen wäre, wenn daraus etwas für die Handlung folgte - und wäre es nur so etwas wie Weltekel. Doch alle machen ihren Frieden mit den Umständen. Bis auf Aram, der zum Schluss, dem besten Teil der "Verwandelten", sein eigenes Schicksal findet. Damit sollen "Die Verwandelten" wenn auch nicht zur Groteske, so doch zumindest noch zur Tragikomödie werden. Aber dafür hätte sich wohl auch der Autor Thomas Brussig verwandeln müssen.
ANDREAS PLATTHAUS
Thomas Brussig: "Die Verwandelten".
Roman.
Wallstein Verlag, Göttingen 2020. 328 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2020Freibrief zur Verantwortungslosigkeit
In Thomas Brussigs „Die Verwandelten“ werden zwei Teenager zu Waschbären
Zwei Jugendliche, die sechzehn Jahre alte Fibi und ihr Freund Aram, vergnügen sich mit Mutproben. Eines Tages kommen sie auf die Idee, sich in einer Autowaschanlage einseifen und rundum bürsten zu lassen. Das Experiment hinterlässt sie fleckenlos, bloß haben sich die beiden dabei in Waschbären verwandelt. Fibi – typisch Mädchen! – hat ihr Sprachvermögen nicht verloren, Aram wohl. Allzu viel hat er seinen Eltern ohnedies nicht zu sagen, Fußball ist ihm wichtiger. Dieses Faible hat er mit seinem Schöpfer Thomas Brussig, Initiator der „Deutschen Fußballnationalmannschaft der Schriftsteller“, gemeinsam.
Thomas Brussig hat sich mit geschmeidigem Witz und Romanen, die vornehmlich von den Ostdeutschen und der „Zone“ handeln, international Beliebtheit erworben, und auch mit der Verfilmung von „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“. Sein neues Buch „Die Verwandelten“ ist zwar ostdeutsch grundiert, handelt aber vor allem von der Pubertät. Als Geschenk für Kinder ist es zu empfehlen, desgleichen für Ältere, die damit liebäugeln, sich so aufzuführen wie die zwei Waschbären.
Die Elternpaare der beiden nehmen die Verwandlung ohne Weiteres hin: Der Unterschied zwischen ihren Menschenkindern und den Waschbären haut sie nicht vom Hocker. Enttäuschend für Fibis Vater, Bürgermeister in seiner Ortschaft, ist bloß, dass die Tochter als Waschbär wohl kaum Apfelkönigin werden kann. Außerdem legt der Vater Wert auf einen ordentlichen Rahmen: „Wir sind Familie Hüveland, wir sind zivilisierte Menschen. Wir werden jeden Morgen und jeden Abend gemeinsam essen.“ Nö, sagt Fibi: „Ich fresse“, und das dann eben, wann es ihr passt.
Arams Vater ignoriert die Verwandlung des Sohnes, so wie großmütige Eltern über die Allüren Pubertierender mal liebevoll, dann wieder ignorant hinwegsehen. Dumm ist bloß, dass Aram bis zum Probespiel bei der Auswahl für die HSV-Nachwuchsmannschaft partout Waschbär bleibt: Er kann zwar auch als Tier ziemlich gut kicken. Vater und Sohn merken aber, dass der aufrechte Gang beim Fußballspielen denn doch hilfreich ist.
Fibis Eltern interessieren sich angelegentlich für Töchterleins neue Gestalt. Die Mutter, eine Psychologin, will das Waschbärendasein verstehen und den damit einhergehenden Empfindungen auf den Grund gehen. Fibi für ihren Teil geht dem Inhalt von Sitzpolstern auf den Grund. Sie erklärt: „Solange man sich mit mir beschäftigt, bin ich zivilisiert.“ Anderenfalls und um sich nicht zu langweilen, zerfetzt sie gern Polster. Des Weiteren verkündet sie, sobald sie wie ein Mensch denke, wolle sie nicht für ihre Handlungen als Waschbär Rede und Antwort stehen. Das quittiert der Vater mit einem Hmpf: Sie wolle wohl „einen Freibrief zur Verantwortungslosigkeit“.
Der Vater macht sich viele Gedanken, sowohl im Hinblick auf Fibis Karriere als Apfelkönigin, wie auch die Frage betreffend, ob man ihre Verwandlung touristisch ausschlachten könne. Des Weiteren stellt er Nachforschungen an, wie es zu der Verwandlung gekommen sei und wie sie rückgängig gemacht werden könne. In der Folge treten allerlei Personen auf, die vor allem dazu da sind, das Spektakel fortzuspinnen. So wenig der Vater mit seinen Recherchen Erfolg hat, so wenig Fortune hat der Roman: Die Geschichte vertangelt sich zunehmend im Aberwitzigen, was mitunter nicht mehr witzig ist, sondern bemüht wirkt. Irgendwie, so der Eindruck, soll der Roman nun zu einem runden Ende kommen. Aber nicht jeden hängen gebliebenen Faden hätte Brussig aufgreifen müssen. Die Ausgangsidee ist so komisch und ihre anfängliche Entwicklung so gut gelungen: Er hätte einfach irgendwann alle ins Bett beziehungsweise zum Containern auf Waschbärenart in die nächste Mülltonne schicken können.
Das ist aber letztlich nicht wichtig. Die Lektüre macht auf den ersten zweihundert Seiten nicht zuletzt deshalb Spaß, weil Brussig das Umgangsdeutsche virtuos beherrscht. Auch schöne oder abstruse Wörter fallen ihm ein, zum Beispiel „Tussengeschnatter“, „liebesfilmpeinlich“, „Weltgesellschaftsfrontdienstler“, „Büromöbelnutzungsdauerrichtlinien“. Und hier eine Information für alle, die es noch nicht gewusst haben: Das Wort „Sensation“, englisch ausgesprochen, schreibt man „ßenßejschen“.
FRANZISKA AUGSTEIN
Thomas Brussig: Die Verwandelten. Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 2020. 328 Seiten, 20 Euro.
„Solange man sich
mit mir beschäftigt,
bin ich zivilisiert.“
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In Thomas Brussigs „Die Verwandelten“ werden zwei Teenager zu Waschbären
Zwei Jugendliche, die sechzehn Jahre alte Fibi und ihr Freund Aram, vergnügen sich mit Mutproben. Eines Tages kommen sie auf die Idee, sich in einer Autowaschanlage einseifen und rundum bürsten zu lassen. Das Experiment hinterlässt sie fleckenlos, bloß haben sich die beiden dabei in Waschbären verwandelt. Fibi – typisch Mädchen! – hat ihr Sprachvermögen nicht verloren, Aram wohl. Allzu viel hat er seinen Eltern ohnedies nicht zu sagen, Fußball ist ihm wichtiger. Dieses Faible hat er mit seinem Schöpfer Thomas Brussig, Initiator der „Deutschen Fußballnationalmannschaft der Schriftsteller“, gemeinsam.
Thomas Brussig hat sich mit geschmeidigem Witz und Romanen, die vornehmlich von den Ostdeutschen und der „Zone“ handeln, international Beliebtheit erworben, und auch mit der Verfilmung von „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“. Sein neues Buch „Die Verwandelten“ ist zwar ostdeutsch grundiert, handelt aber vor allem von der Pubertät. Als Geschenk für Kinder ist es zu empfehlen, desgleichen für Ältere, die damit liebäugeln, sich so aufzuführen wie die zwei Waschbären.
Die Elternpaare der beiden nehmen die Verwandlung ohne Weiteres hin: Der Unterschied zwischen ihren Menschenkindern und den Waschbären haut sie nicht vom Hocker. Enttäuschend für Fibis Vater, Bürgermeister in seiner Ortschaft, ist bloß, dass die Tochter als Waschbär wohl kaum Apfelkönigin werden kann. Außerdem legt der Vater Wert auf einen ordentlichen Rahmen: „Wir sind Familie Hüveland, wir sind zivilisierte Menschen. Wir werden jeden Morgen und jeden Abend gemeinsam essen.“ Nö, sagt Fibi: „Ich fresse“, und das dann eben, wann es ihr passt.
Arams Vater ignoriert die Verwandlung des Sohnes, so wie großmütige Eltern über die Allüren Pubertierender mal liebevoll, dann wieder ignorant hinwegsehen. Dumm ist bloß, dass Aram bis zum Probespiel bei der Auswahl für die HSV-Nachwuchsmannschaft partout Waschbär bleibt: Er kann zwar auch als Tier ziemlich gut kicken. Vater und Sohn merken aber, dass der aufrechte Gang beim Fußballspielen denn doch hilfreich ist.
Fibis Eltern interessieren sich angelegentlich für Töchterleins neue Gestalt. Die Mutter, eine Psychologin, will das Waschbärendasein verstehen und den damit einhergehenden Empfindungen auf den Grund gehen. Fibi für ihren Teil geht dem Inhalt von Sitzpolstern auf den Grund. Sie erklärt: „Solange man sich mit mir beschäftigt, bin ich zivilisiert.“ Anderenfalls und um sich nicht zu langweilen, zerfetzt sie gern Polster. Des Weiteren verkündet sie, sobald sie wie ein Mensch denke, wolle sie nicht für ihre Handlungen als Waschbär Rede und Antwort stehen. Das quittiert der Vater mit einem Hmpf: Sie wolle wohl „einen Freibrief zur Verantwortungslosigkeit“.
Der Vater macht sich viele Gedanken, sowohl im Hinblick auf Fibis Karriere als Apfelkönigin, wie auch die Frage betreffend, ob man ihre Verwandlung touristisch ausschlachten könne. Des Weiteren stellt er Nachforschungen an, wie es zu der Verwandlung gekommen sei und wie sie rückgängig gemacht werden könne. In der Folge treten allerlei Personen auf, die vor allem dazu da sind, das Spektakel fortzuspinnen. So wenig der Vater mit seinen Recherchen Erfolg hat, so wenig Fortune hat der Roman: Die Geschichte vertangelt sich zunehmend im Aberwitzigen, was mitunter nicht mehr witzig ist, sondern bemüht wirkt. Irgendwie, so der Eindruck, soll der Roman nun zu einem runden Ende kommen. Aber nicht jeden hängen gebliebenen Faden hätte Brussig aufgreifen müssen. Die Ausgangsidee ist so komisch und ihre anfängliche Entwicklung so gut gelungen: Er hätte einfach irgendwann alle ins Bett beziehungsweise zum Containern auf Waschbärenart in die nächste Mülltonne schicken können.
Das ist aber letztlich nicht wichtig. Die Lektüre macht auf den ersten zweihundert Seiten nicht zuletzt deshalb Spaß, weil Brussig das Umgangsdeutsche virtuos beherrscht. Auch schöne oder abstruse Wörter fallen ihm ein, zum Beispiel „Tussengeschnatter“, „liebesfilmpeinlich“, „Weltgesellschaftsfrontdienstler“, „Büromöbelnutzungsdauerrichtlinien“. Und hier eine Information für alle, die es noch nicht gewusst haben: Das Wort „Sensation“, englisch ausgesprochen, schreibt man „ßenßejschen“.
FRANZISKA AUGSTEIN
Thomas Brussig: Die Verwandelten. Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 2020. 328 Seiten, 20 Euro.
„Solange man sich
mit mir beschäftigt,
bin ich zivilisiert.“
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»ein wirkliches Vergnügen« (Ulrike Baureithel, Der Tagesspiegel, 09.02.2020) »Der Autor hat mit dieser surreal-genialen Ausgangslage (...) ein ebenso kluges, wie witziges Szenario entworfen.« (Martina Kothe, NDR »Buch des Monats«, 03.02.2020) »ein bunter, absurder, irrwitziger Roman (...), bei dem es trotz der Tiere ganz schön menschelt.« (Thorsten Mack, NDR Kulturjournal, 03.02.2020) »Eine tierisch lustige und sehr bissige Satire auf die menschliche Natur in unserer unmittelbaren Zukunft.« (Brigitte, 12.02.2020) »Die Geschichte ist ihm (Brussig) fantastisch gelungen.« (Katrin Krämer, Radio Bremen, 15.02.2020) »'Die Verwandelten' ist ein wunderbar tänzelnder Gesellschaftsroman.« (Petra Kohse, Frankfurter Rundschau, 06.02.2020) »All das bringt Spaß, weil Brussig die absurde Medienwirklichkeit offenbar bestens von innen kennt und gar nicht groß übertreiben muss, um Komik zu erzeugen.« (Thomas Borchert, dpa, 13.02.2020) »Brussigs Stärke sind die verrückten Dialoge, die Umgangssprache, und der Sound, den er verwendet. Da schreibt einer sehr direkt und mit einem Gespür für Echtheit.« (Felix Diewald, ORF fm4, 19.02.2020) »Ein verrückt anmutender Roman, der dennoch viel über unsere gesellschaftliche Realität aussagt.« (Insa Grüning, mitvergnuegen.com, 13.01.2020) »Ich habe mich köstlich amüsiert, aber ich fand manche Stellen zugleich sehr traurig.« (Frank Schmid, rbbKultur, 27.03.2020) »Bissig und mit einem aufklärerischen Impetus« (Mario Pschera, neues deutschland, 29.02.2020) »ein ziemlich kurzweiliger und überraschend realistischer Roman« (Ralf Stiftel, Westfälischer Anzeiger, 19.03.2020) »Thomas Brussigs Roman 'Die Verwandelten' ist köstlich.« (Ostthüringer Zeitung, 09./10.04.2020) »ein großer Spaß mit ernster Grundierung« (Anne Amend-Söchting, literaturkritik.de, 15.05.2020)