Mut durch Glauben
Elly Haller aus dem deutschen Schwenningen wird 1938 nach Wien entsendet, um ihrer kranken Tante Julie zu helfen. Dort gewinnt sie in der Jüdin Lea Grünfeld eine liebe Freundin und lernt die „Schwedische Mission“ in der Seegasse kennen, wo Theologin Margarete Hoffer regelmäßig
Bibelstunden abhält. Als die Schikanen gegenüber der jüdischen Bevölkerung immer größer werden und…mehrMut durch Glauben
Elly Haller aus dem deutschen Schwenningen wird 1938 nach Wien entsendet, um ihrer kranken Tante Julie zu helfen. Dort gewinnt sie in der Jüdin Lea Grünfeld eine liebe Freundin und lernt die „Schwedische Mission“ in der Seegasse kennen, wo Theologin Margarete Hoffer regelmäßig Bibelstunden abhält. Als die Schikanen gegenüber der jüdischen Bevölkerung immer größer werden und schließlich auch Ellys Onkel treffen, kehrt das junge Mädchen wieder in seine Heimat zurück. Dort trifft Elly drei Jahre später abermals auf Margarete Hoffer, welche als „Vikarin auf Kriegsdauer“ in Schwenningen eingesetzt wird und sich der Fluchthilfe verschreibt.
Elly und ihre Familie liefern eine gelungene fiktive Rahmenhandlung für das Wirken von Margarete Hoffer, welche durch ihren Glauben und ihr Tun auch andere Menschen dazu inspiriert, nicht wegzusehen. Und das, obwohl ihre beiden Brüder für den Nationalsozialismus brennen. Umfassende Recherchen lassen etliche historische Figuren wieder lebendig, das Leid im Krieg spürbar werden. Und doch sind Menschlichkeit, Nächstenliebe und Hilfestellung selbst in solch herausfordernden Zeiten nicht überall ein Fremdwort. Hoffer und ihre Unterstützer in der Württembergischen Pfarrhauskette sehen sich allerdings nicht als Helden, sondern leben „nur“ das, was ihren Werten entspricht, auch wenn sie stets mit einem Bein im KZ stehen.
Kann man sich als Leser in diese Zeit hineinversetzen? Kann man ein Gefühl dafür entwickeln, ob man genug Mut aufbringen würde, um sich „auf die Seite der Verlierer“ zu stellen? Nun, das muss auch nicht sein. Es ist durchaus verständlich, wie Angst prägt und Menschen dazu veranlasst, sich anzupassen, nicht auffallen zu wollen. Aber vergessen, vergessen sollte man nie! Und genau das ist auch einer der Gründe, warum Brigitte Liebelt sich mit dieser Thematik beschäftigt, reale Schicksale aus Archiven gesucht hat, mit Nachfahren von Betroffenen gesprochen hat, um all das zu einer faszinierenden Geschichte rund um Vikarin Margarete Hoffer zusammenzustellen. Für meinen Geschmack fließt ein bisschen zu viel Politisches und Kirchengeschichtliches in die Handlung ein, dennoch sind die genannten Details nicht völlig uninteressant. Auch der Vikarin selbst hätte man ein wenig mehr Raum zugestehen können, zuweilen hat man das Gefühl, dass Elly allein die Hauptrolle im Geschehen einnimmt. Andererseits ist dadurch natürlich Hoffers positiver Einfluss sehr deutlich zu erkennen.
Stilistisch angenehm zu lesen, Kapitelanfänge sorgfältig mit zeitgenössischen religiösen Zitaten versehen und ein Geschehen, welches durch Personenverzeichnis und Nachwort bestens abgerundet wird – so kann dem Vergessen auf breiter Basis entgegengewirkt werden. Ich empfehle „Die Vikarin“ gerne weiter.