Was wurde eigentlich aus Bibi Blocksbergs Bruder Boris? Wieso steckten sich im vorletzten Jahrhundert junge Frauen in der Dunkelheit gerne spitze Nadeln in den Mund? Was hindert so manchen daran, ein großer Liebhaber zu sein? Und von welchem Lebewesen ist im Folgenden die Rede? Seit Tagen schon warte ich dass sie zurückkehrt aus der Flamme, geheilt von ihrer gefährlichen Neigung. Antwort auf diese und viele weitere Fragen gibt Clemens J. Setz in seinem Gedichtbuch >Die Vogelstraußtrompete<. Genauso wie für seine Romane und Erzählungen gilt auch für seine mal unheimlichen, mal abgründig-zärtlichen Verse: »Man kommt nicht heil davon weg. Es herrscht Suchtgefahr.« Andreas Platthaus, FAZ
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Von Clemens Setz' Roman "Indigo" war Michael Buselmeier begeistert, die Gedichte in "Die Vogelstraußtrompete" scheinen ihm zu gefallen, auch wenn nicht ganz klar ist, ob er die "esoterische Aura des Übergescheiten" mitsamt den typischen Einsamkeitserfahrungen, die "Ästhetisierung des unheilen Lebens" und die "jugendliche Arroganz" nur positiv bewertet. Jedenfalls erzählen Setz' Gedichte Geschichten, verrät der Rezensent, sie sind keine reinen Wort- oder Formspielereien. Weder folgen sie rigoros klassischen Formvorgaben, noch brechen sie offen mit ihnen, erklärt Buselmeier. Besonders schön findet der Rezensent Setz' kleine Variante des Ikarus-Mythos: "Sie bringen mir Wachs und Plastilin / und lassen mich kleine Dinge draus machen / in der Ergotherapie (...) / und ich bastle ihnen ein neues / kleines Männchen in einem Verlies, / mit einer winzigen Fliegerbrille / anstelle der alten Augen."
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2014Siebenmal vom Blitz getroffen
Wahre Geschichten, poetisch gefasst: Sein erster Gedichtband zeigt den Grazer Erzähler Clemens J. Setz von vertrauter Seite und doch ganz neu.
In Vasaris letzter Fassung von "Leben des Michelangelo" wird die berühmte (vor einigen Jahren von Martin Warnke in seinem Aufsatz "Schneedenkmäler" kommentierte) Anekdote berichtet, wonach der junge Piero de' Medici (der Sohn des Lorenzo il Magnifico), als es in einem Winter in Florenz schneite, Michelangelo aufforderte, eine Schneeskulptur zu bauen. Da der Schnee sich nicht lange hielt, gibt es offenbar nicht einmal eine Zeichnung dieser "wunderschönen" Flüchtigkeit, wie es in der rühmenswerten Wagenbach-Ausgabe sämtlicher Viten Vasaris heißt. Ein unbekanntes Meisterwerk. Gab es die Schneeplastik überhaupt, oder handelt es sich um eine erfundene Allegorie der Vergänglichkeit, die wiederum entweder auf das mangelnde Mäzenatentum des unzuverlässigen Piero bezogen werden kann oder auf dessen instabilen Ruhm?
Ein Gedicht im ersten Gedichtband des Grazer Erzählers Clemens J. Setz heißt "Überaus schön" und beschreibt genau diese Szene: wie Michelangelo im Innenhof des Medici-Palasts seinen Schneemann baut, von dem nichts übrig blieb als ebendiese von Ascanio Condivi dem Vasari erzählte Anekdote.
Man darf vermuten, dass Clemens J. Setz, ein kluger und gelehrter Sammler von vielversprechenden Anekdoten, die Geschichte vom Schneemann deshalb aufgefallen ist, weil er sich keine Illusionen über die Haltbarkeit poetischer Texte in dieser Welt macht. Einen "Moses" der Poesie wird es sobald nicht wieder geben. Aber dieser Illusionsverlust gibt ihm andererseits die Freiheit, vieles auszuprobieren: Lieder, Sonette, Sestinen, aber auch Gedichte im Stil "Vermischter Nachrichten", die historisch verbürgte Begebenheiten durch eine kleine Drehung in ein besonderes Licht rücken. Sie handeln zum Beispiel von dem unglücklichen Franz Reichelt, der 1912 mit einem Fallschirm vom Eiffelturm sprang und entsetzlich zerschellte. Oder von Henry Bergh, der zu Recht dafür berühmt wurde, dass die turnspit dogs abgeschafft wurden, Hunde, die in Restaurants den ganzen Tag in einer Art Tretmühle rennen mussten, um den Bratenspieß rotieren zu lassen - sie wurden zu Berghs Schrecken durch schwarze Kinder ersetzt. Oder Setz berichtet vom Schicksal des Roy C. Sullivan, einem park ranger aus Virginia, der siebenmal vom Blitz getroffen wurde und überlebte, sich dann aber das Leben nahm, weil seine Frau ihn verlassen hatte. Oder schließlich vom bitteren Schicksal des Bobby Leach aus Cornwall, der sich 1911 in einem Stahlfass die Niagarafälle hinuntertreiben ließ, ohne weiteren Schaden zu nehmen, später dagegen auf einer Orangenschale ausrutschte und an den Folgen dieses Sturzes verstarb.
Unnötig zu sagen, dass (fast) alle diese wahren Geschichten tödlich enden. Ihren Witz beziehen sie natürlich aus dem protokollarischen Ton und dem Buster-Keaton-haften Ernst, mit dem sie vorgetragen werden.
Aber am Ende sind die Gedichte am schönsten, die nicht etwas Gefundenes durch ein geschicktes Arrangement ausstellen, sondern den eigenen Erfindungen trauen. Mein Lieblingsgedicht in diesem Buch ist eine poetische Reflexion über ein Gemälde von Willem de Kooning (Untitled XIII, 1985):
Manchmal, wenn ein Mann älter wird,
wird er leicht wie ein Lichtfleck
auf einem geräuschlosen Sofa,
leicht wie der gelbe Schopf
eines weißen Aras,
leicht wie
der schrumpfende Atemfleck
auf einem angehauchten Spiegel, leicht
wie die Reste von Girlanden
eines großen Fests,
leicht wie die Reflexion
eines Fensterquadrats aus Sonnenlicht
auf der Glashaut einer Seifenblase.
Seine Pfleger heben ihn hoch
und ziehen ihn hinter sich her
wie einen kleinen Ballon,
trösten ihn,füttern ihn,
lassen ihn einen
Rundflug machen auf dem Balkon,
einen Pinselstrich auf dem verschneiten
Hintergrund des Gartens.
MICHAEL KRÜGER
Clemens J. Setz:
"Die Vogelstraußtrompete". Gedichte.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 88 S., geb., 16,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wahre Geschichten, poetisch gefasst: Sein erster Gedichtband zeigt den Grazer Erzähler Clemens J. Setz von vertrauter Seite und doch ganz neu.
In Vasaris letzter Fassung von "Leben des Michelangelo" wird die berühmte (vor einigen Jahren von Martin Warnke in seinem Aufsatz "Schneedenkmäler" kommentierte) Anekdote berichtet, wonach der junge Piero de' Medici (der Sohn des Lorenzo il Magnifico), als es in einem Winter in Florenz schneite, Michelangelo aufforderte, eine Schneeskulptur zu bauen. Da der Schnee sich nicht lange hielt, gibt es offenbar nicht einmal eine Zeichnung dieser "wunderschönen" Flüchtigkeit, wie es in der rühmenswerten Wagenbach-Ausgabe sämtlicher Viten Vasaris heißt. Ein unbekanntes Meisterwerk. Gab es die Schneeplastik überhaupt, oder handelt es sich um eine erfundene Allegorie der Vergänglichkeit, die wiederum entweder auf das mangelnde Mäzenatentum des unzuverlässigen Piero bezogen werden kann oder auf dessen instabilen Ruhm?
Ein Gedicht im ersten Gedichtband des Grazer Erzählers Clemens J. Setz heißt "Überaus schön" und beschreibt genau diese Szene: wie Michelangelo im Innenhof des Medici-Palasts seinen Schneemann baut, von dem nichts übrig blieb als ebendiese von Ascanio Condivi dem Vasari erzählte Anekdote.
Man darf vermuten, dass Clemens J. Setz, ein kluger und gelehrter Sammler von vielversprechenden Anekdoten, die Geschichte vom Schneemann deshalb aufgefallen ist, weil er sich keine Illusionen über die Haltbarkeit poetischer Texte in dieser Welt macht. Einen "Moses" der Poesie wird es sobald nicht wieder geben. Aber dieser Illusionsverlust gibt ihm andererseits die Freiheit, vieles auszuprobieren: Lieder, Sonette, Sestinen, aber auch Gedichte im Stil "Vermischter Nachrichten", die historisch verbürgte Begebenheiten durch eine kleine Drehung in ein besonderes Licht rücken. Sie handeln zum Beispiel von dem unglücklichen Franz Reichelt, der 1912 mit einem Fallschirm vom Eiffelturm sprang und entsetzlich zerschellte. Oder von Henry Bergh, der zu Recht dafür berühmt wurde, dass die turnspit dogs abgeschafft wurden, Hunde, die in Restaurants den ganzen Tag in einer Art Tretmühle rennen mussten, um den Bratenspieß rotieren zu lassen - sie wurden zu Berghs Schrecken durch schwarze Kinder ersetzt. Oder Setz berichtet vom Schicksal des Roy C. Sullivan, einem park ranger aus Virginia, der siebenmal vom Blitz getroffen wurde und überlebte, sich dann aber das Leben nahm, weil seine Frau ihn verlassen hatte. Oder schließlich vom bitteren Schicksal des Bobby Leach aus Cornwall, der sich 1911 in einem Stahlfass die Niagarafälle hinuntertreiben ließ, ohne weiteren Schaden zu nehmen, später dagegen auf einer Orangenschale ausrutschte und an den Folgen dieses Sturzes verstarb.
Unnötig zu sagen, dass (fast) alle diese wahren Geschichten tödlich enden. Ihren Witz beziehen sie natürlich aus dem protokollarischen Ton und dem Buster-Keaton-haften Ernst, mit dem sie vorgetragen werden.
Aber am Ende sind die Gedichte am schönsten, die nicht etwas Gefundenes durch ein geschicktes Arrangement ausstellen, sondern den eigenen Erfindungen trauen. Mein Lieblingsgedicht in diesem Buch ist eine poetische Reflexion über ein Gemälde von Willem de Kooning (Untitled XIII, 1985):
Manchmal, wenn ein Mann älter wird,
wird er leicht wie ein Lichtfleck
auf einem geräuschlosen Sofa,
leicht wie der gelbe Schopf
eines weißen Aras,
leicht wie
der schrumpfende Atemfleck
auf einem angehauchten Spiegel, leicht
wie die Reste von Girlanden
eines großen Fests,
leicht wie die Reflexion
eines Fensterquadrats aus Sonnenlicht
auf der Glashaut einer Seifenblase.
Seine Pfleger heben ihn hoch
und ziehen ihn hinter sich her
wie einen kleinen Ballon,
trösten ihn,füttern ihn,
lassen ihn einen
Rundflug machen auf dem Balkon,
einen Pinselstrich auf dem verschneiten
Hintergrund des Gartens.
MICHAEL KRÜGER
Clemens J. Setz:
"Die Vogelstraußtrompete". Gedichte.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 88 S., geb., 16,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Lakonisch, mit einem ironischen, humorvollen Unterton bringt Setz prosaische Stoffe und lyrische Formen, das Gewöhnliche und das Außerordentliche, das Vorder- und das hintergründig zueinander in Beziehung.« sms Neue Zürcher Zeitung 20140916