Keine Lügen mehr, keine Geheimnisse, keine Geschichten Es ist Zeit für die Wahrheit! Ein Schriftsteller, er heißt Eshkol Nevo, beantwortet eine Reihe von Leserfragen. Eine Aufgabe, die er sonst mit Routine erledigt. Aber das Leben dieses Mannes Mitte 40 ist aus den Fugen geraten: Seine Ehe droht in die Brüche zu gehen, seine Tochter distanziert sich von ihm, eine politisch fragwürdige Auftragsarbeit beschädigt seinen Ruf, sein bester Freund liegt im Sterben. Zum ersten Mal blickt er ehrlich und schonungslos auf sein Leben. Denn die Zeit ist gekommen, sich der erhellenden, traurigen, nackten Wahrheit zu stellen - über seine Liebe, Familie, Freundschaft. Über sich selbst.
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buecher-magazin.deEshkol Nevo, Jahrgang 1971, geboren und aufgewachsen in Jerusalem, ist einer der wichtigsten Autoren Israels. Immer wieder hat er sich mit der politischen Situation seines Landes befasst. In seinem jüngsten Werk geht er einen völlig anderen Weg – zumindest auf den ersten Blick. Das Buch, als Roman avisiert, berichtet von einem Schriftsteller namens Eshkol Nevo, der sich mit fast 50 Jahren seinem Leben ohne die gewohnten Ausreden stellt. Er beantwortet eine Reihe von Leserfragen, die zum Teil ohne jede Hemmung die Details seines Werdegangs, seines Schreibens, aber auch zu seinem Privatleben erkunden. Der Autor ist es gewohnt, die berühmte Frage „Wie kam es dazu“ in immer neuen Varianten zu beantworten. Doch in diesem Fall will er erstmals ohne Verschleierung und ohne Schönreden zu seinem Leben Stellung beziehen. Er steht vor einem absoluten Umbruch. Sein bester Freund liegt im Sterben, seine Ehe ist in einer tiefen Krise, seine ältere Tochter hat ihr Kindervertrauen in den einst vergötterten Vater verloren. Und auch das Schreiben fällt ihm in diesen politisch unruhigen und unehrlichen Zeiten immer schwerer. Und so beginnt der Autor einen Prozess der Selbstfindung und der Neuorientierung. Für den Leser manches Mal sicherlich ebenso schmerzlich wie für den Schriftsteller.
© BÜCHERmagazin, Margarete von Schwarzkopf (mvs)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.06.2020Manischer Hang zum Geschichtenerzählen entfremdet
Dramen der Autorschaft: Eshkol Nevo schildert die Lebenskrise eines israelischen Schriftstellers
Vor Jahren hat Botho Strauß einmal geschrieben, er wolle nicht mehr von "Fachwerkhäusern" oder "Klinkerbauten" lesen, sondern nur noch vom Haus oder von den Häusern. Erzählen als Beschränkung aufs Wesentliche. Der israelische Autor Eshkol Nevo ist ein ganz anderes Naturell. Aus ihm sprudeln die Geschichten und die phantasievollen Beschreibungen. Der Held seines Romans "Die Wahrheit ist . . ." erinnert sich, in einer schicksalsschweren Stunde Tee aus einem Metallhalm getrunken zu haben, der am Ende einen Löffel zum Umrühren hatte. Nun ist die Wahrheit einer Erzählung nicht erkennungsdienstlich festzustellen. Ob der Löffel lang oder kurz oder gar nicht vorhanden war, muss niemanden kümmern, solange das unkonventionelle Detail der Erzählung etwas hinzufügt.
Den Alltag durch die schriftstellerische Phantasie zu überflügeln ist das Prinzip des Erzählers von Eshkol Nevo. Literatur hat für ihn kompensatorischen Charakter, und sie eignet sich deshalb als Therapie, um festgefahrene Lebenssituationen zu überwinden. Der Roman hat eine vertrackte Komposition. Der Protagonist, ein Schriftsteller um die vierzig in einer Lebens- und Schreibkrise, hat sich vorgenommen, reinen Tisch zu machen. Sein letzter Ausweg ist der Fragebogen eines Online-Redakteurs, den er ausnahmsweise ehrlich, ohne Ausflüchte und Imagekorrekturen, beantworten will. Er nimmt sich dabei alle Freiheiten, so dass in einem weiten Bogen seine Biographie entsteht, bis zu jenem Punkt in der Gegenwart, an dem sich kein Ausweg mehr abzeichnet.
Bald wird klar: Der Grund für die Entfremdung von seiner Familie ist sein manischer Hang zum Geschichtenerzählen. Seine Frau nimmt ihm übel, sich erkennbar verfremdet in seinen Romanen wiederzufinden, seine älteste Tochter flieht aus demselben Grund ins Internat und verhängt eine Kontaktsperre, nimmt sich aber selbst die Freiheit, in ihrem Blog ausführlich über ihre Eltern zu berichten.
Die Redseligkeit des Erzählers kann das nicht stoppen. Entlang der selbstgestellten Fragen rekapituliert er die tollsten Geschichten: verflossene Liebesabenteuer, kuriose Begegnungen mit israelischen Siedlern, arabischen Taxifahrern oder skandinavischen Autoren, deren Realitätsgehalt nur zu erahnen ist. Er ist nacheinander Soldat, Psychologiestudent, Werbetexter und Verantwortlicher für den phänomenalen Aufstieg eines zwielichtigen Politikers, dem er die passenden Worte souffliert. Außerdem ist er Enkel eines früheren israelischen Premierministers. Ist dieser Autor Eshkol Nevo selbst, der Soldat, Psychologiestudent, Werbetexter und Enkel des ehemaligen Premiers Levi Eshkol? Die Suche nach dem wahren Autor und dem Authentizitätsgehalt der Geschichte mag man Literaturdetektiven überlassen. Eshkol Nevo gibt sich jedenfalls keine Mühe, die Spuren seiner Biographie zu verwischen, und macht gleichzeitig klar, dass seinem Erzähler nicht ganz zu trauen ist.
Nevo spielt auf der Klaviatur des autofiktionalen Genres, das seine Blüte ja nicht im Minderen dem Umstand verdankt, dass Schriftsteller vom Kulturbetrieb permanent zur Selbstreflexion angehalten werden und zugleich eine Markenidentität aufbauen sollen. Insofern ist es ein kluger Schachzug, den Spieß umzudrehen, sich selbst die Fragen vorzulegen und daraus den nächsten Roman zu verfertigen, der dann selbst wieder auf die Authentizität von Autor und Erzähler untersucht wird. Mehrere Passagen behandeln denn auch die Frage, wie in den Schmieden der Kreativwirtschaft das Autoren-Ego fabriziert wird. Nevo und sein Erzähler wissen als Textund Werbeprofis darum, es gelingt ihnen aber nicht immer, sich vom entsprechenden Jargon freizumachen. Und genau das ist ja das Problem des Erzählers: dass seine Worte leer, unecht geworden sind. Dass die öffentliche Beichte in Romanform ihn davon befreit, mag man bezweifeln.
Dazu gesellt sich ein Hang zur Übertreibung. Immer wieder verliert sich die Erzählung in reich ausgeschmückten Phantasien, die dem Anliegen des Erzählers, auf alle Schnörkel zu verzichten, eher im Weg stehen. Ansonsten ist die Sprache sprudelnd, die Dialoge sind scharf, die Pointen treffsicher, der Satzbau ist bewusst nachlässig, wie es sich im echten Online-Leben gehört. Zu den Stärken des Romans gehört, dass sein Erzähler zwischen allen Abenteuern weiß, worum es ihm geht: um seine Frau Dikla, eine distanzbewusste Schönheit, die sich auf die Suche nach sich selbst begeben hat, ohne ihn. Eshkol Nevo hat einen Sinn für die unüberbrückbaren Distanzen, die sich zwischen zwei Menschen einschleichen können, er schildert zart und poetisch die kleinen Annäherungen, die langsamen Abschiede, das schmerzvolle Bewusstsein der Vergeblichkeit. Die Quelle der Unlust, erfährt sein Erzähler, ist der aufgeschobene Schmerz, der im Moment der Lösung verschwindet, weil er schon vielfach durchlebt oder beschrieben worden ist.
THOMAS THIEL.
Eshkol Nevo: "Die Wahrheit ist . . ." Roman.
Aus dem Hebräischen von Markus Lemke. dtv, München 2020. 432 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dramen der Autorschaft: Eshkol Nevo schildert die Lebenskrise eines israelischen Schriftstellers
Vor Jahren hat Botho Strauß einmal geschrieben, er wolle nicht mehr von "Fachwerkhäusern" oder "Klinkerbauten" lesen, sondern nur noch vom Haus oder von den Häusern. Erzählen als Beschränkung aufs Wesentliche. Der israelische Autor Eshkol Nevo ist ein ganz anderes Naturell. Aus ihm sprudeln die Geschichten und die phantasievollen Beschreibungen. Der Held seines Romans "Die Wahrheit ist . . ." erinnert sich, in einer schicksalsschweren Stunde Tee aus einem Metallhalm getrunken zu haben, der am Ende einen Löffel zum Umrühren hatte. Nun ist die Wahrheit einer Erzählung nicht erkennungsdienstlich festzustellen. Ob der Löffel lang oder kurz oder gar nicht vorhanden war, muss niemanden kümmern, solange das unkonventionelle Detail der Erzählung etwas hinzufügt.
Den Alltag durch die schriftstellerische Phantasie zu überflügeln ist das Prinzip des Erzählers von Eshkol Nevo. Literatur hat für ihn kompensatorischen Charakter, und sie eignet sich deshalb als Therapie, um festgefahrene Lebenssituationen zu überwinden. Der Roman hat eine vertrackte Komposition. Der Protagonist, ein Schriftsteller um die vierzig in einer Lebens- und Schreibkrise, hat sich vorgenommen, reinen Tisch zu machen. Sein letzter Ausweg ist der Fragebogen eines Online-Redakteurs, den er ausnahmsweise ehrlich, ohne Ausflüchte und Imagekorrekturen, beantworten will. Er nimmt sich dabei alle Freiheiten, so dass in einem weiten Bogen seine Biographie entsteht, bis zu jenem Punkt in der Gegenwart, an dem sich kein Ausweg mehr abzeichnet.
Bald wird klar: Der Grund für die Entfremdung von seiner Familie ist sein manischer Hang zum Geschichtenerzählen. Seine Frau nimmt ihm übel, sich erkennbar verfremdet in seinen Romanen wiederzufinden, seine älteste Tochter flieht aus demselben Grund ins Internat und verhängt eine Kontaktsperre, nimmt sich aber selbst die Freiheit, in ihrem Blog ausführlich über ihre Eltern zu berichten.
Die Redseligkeit des Erzählers kann das nicht stoppen. Entlang der selbstgestellten Fragen rekapituliert er die tollsten Geschichten: verflossene Liebesabenteuer, kuriose Begegnungen mit israelischen Siedlern, arabischen Taxifahrern oder skandinavischen Autoren, deren Realitätsgehalt nur zu erahnen ist. Er ist nacheinander Soldat, Psychologiestudent, Werbetexter und Verantwortlicher für den phänomenalen Aufstieg eines zwielichtigen Politikers, dem er die passenden Worte souffliert. Außerdem ist er Enkel eines früheren israelischen Premierministers. Ist dieser Autor Eshkol Nevo selbst, der Soldat, Psychologiestudent, Werbetexter und Enkel des ehemaligen Premiers Levi Eshkol? Die Suche nach dem wahren Autor und dem Authentizitätsgehalt der Geschichte mag man Literaturdetektiven überlassen. Eshkol Nevo gibt sich jedenfalls keine Mühe, die Spuren seiner Biographie zu verwischen, und macht gleichzeitig klar, dass seinem Erzähler nicht ganz zu trauen ist.
Nevo spielt auf der Klaviatur des autofiktionalen Genres, das seine Blüte ja nicht im Minderen dem Umstand verdankt, dass Schriftsteller vom Kulturbetrieb permanent zur Selbstreflexion angehalten werden und zugleich eine Markenidentität aufbauen sollen. Insofern ist es ein kluger Schachzug, den Spieß umzudrehen, sich selbst die Fragen vorzulegen und daraus den nächsten Roman zu verfertigen, der dann selbst wieder auf die Authentizität von Autor und Erzähler untersucht wird. Mehrere Passagen behandeln denn auch die Frage, wie in den Schmieden der Kreativwirtschaft das Autoren-Ego fabriziert wird. Nevo und sein Erzähler wissen als Textund Werbeprofis darum, es gelingt ihnen aber nicht immer, sich vom entsprechenden Jargon freizumachen. Und genau das ist ja das Problem des Erzählers: dass seine Worte leer, unecht geworden sind. Dass die öffentliche Beichte in Romanform ihn davon befreit, mag man bezweifeln.
Dazu gesellt sich ein Hang zur Übertreibung. Immer wieder verliert sich die Erzählung in reich ausgeschmückten Phantasien, die dem Anliegen des Erzählers, auf alle Schnörkel zu verzichten, eher im Weg stehen. Ansonsten ist die Sprache sprudelnd, die Dialoge sind scharf, die Pointen treffsicher, der Satzbau ist bewusst nachlässig, wie es sich im echten Online-Leben gehört. Zu den Stärken des Romans gehört, dass sein Erzähler zwischen allen Abenteuern weiß, worum es ihm geht: um seine Frau Dikla, eine distanzbewusste Schönheit, die sich auf die Suche nach sich selbst begeben hat, ohne ihn. Eshkol Nevo hat einen Sinn für die unüberbrückbaren Distanzen, die sich zwischen zwei Menschen einschleichen können, er schildert zart und poetisch die kleinen Annäherungen, die langsamen Abschiede, das schmerzvolle Bewusstsein der Vergeblichkeit. Die Quelle der Unlust, erfährt sein Erzähler, ist der aufgeschobene Schmerz, der im Moment der Lösung verschwindet, weil er schon vielfach durchlebt oder beschrieben worden ist.
THOMAS THIEL.
Eshkol Nevo: "Die Wahrheit ist . . ." Roman.
Aus dem Hebräischen von Markus Lemke. dtv, München 2020. 432 S., geb., 22,- [Euro].
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Es ist ganz sicher ein Vergnügen, dieses Buch zu lesen. Christine Westermann WDR 5 20200530