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Tim Spector entlarvt Ernährungsmythen
Der Verzehr des schlüpfrigen Aals zeitige schlüpfrige Gedanken, und das Sich-Einverleiben von Körperteilen anderer Lebewesen belebe die analogen eigenen, soll heißen, Hirn mit Ei befördere die Intelligenz des Essers, so wie Stierhoden und Hahnenkämme seiner Männlichkeit aufhelfen: Die zwei Dutzend "Mythen" rund um unsere Ernährung, die Tim Spector auf den Prüfstand stellt, haben nichts mit solcherlei irrationalen Vorstellungen zu tun, es sind dies vielmehr gängige Irrlehren auf der Höhe des medizinischen Wissens unserer Zeit - vermeintlich.
Die Hälfte seiner Entlarvungen ist Schnee von gestern. Es hat sich längst herumgesprochen, dass nichts dran ist an Mythen wie "Alkohol ist in jeder Menge schädlich", "Mit künstlichen Süßstoffen versetzte, ,zuckerfreie' ,Diät'-Lebensmittel und -Getränke sind unbedenklich und helfen beim Abnehmen", "Kaffee ist gesundheitsschädlich" oder "Veganismus ist die gesündeste Ernährungsform überhaupt". Die andere Hälfte betrifft immer noch als Lehrmeinung kursierende Empfehlungen und Warnungen, die indessen, so der Professor für genetische Epidemiologie am Londoner King's College und Experte für personalisierte Medizin, aufgrund mangelhafter Forschungsdesigns und fehlinterpretierter Daten nicht haltbar sind. So zum Beispiel: "Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages", "Fisch ist immer eine gesunde Wahl" und "Wir sollten alle weniger Salz essen".
Aber auch hier: nichts, was nicht auch schon in Udo Pollmers und Susanne Warmuths im Jahr 2000 erschienenen "Lexikon der populären Ernährungsirrtümer", Untertitel: "Mißverständnisse, Fehlinterpretationen und Halbwahrheiten von Alkohol bis Zucker", nachzulesen gewesen wäre. Einzig das Darmmikrobiom - ausführlich gewürdigt in der Auseinandersetzung mit dem "Mythos: Lebensmittel beeinflussen nur die körperliche Gesundheit, nicht die geistige" - war damals noch kein Thema. Wie Spector sahen Pollmer und Warmuth den Grundfehler zahlreicher ernährungswissenschaftlich unterfütterter Verbrauchertipps in fehlinterpretierten Studienergebnissen, meist aus statistischen Korrelationen konstruierte ursächliche Zusammenhänge. Und wie Spector sahen sie den Grund für das Scheitern pauschaler Ernährungsempfehlungen im Versuch, die ganze Menschheit über einen Kamm zu scheren. Allein: "Die eine ,gesunde Ernährung' für alle ist eine Illusion." Nichts Neues also? Nun, das Kind hat jetzt halt einen Namen: personalisierte, individualisierte Ernährung.
Pollmer und Warmuth plädierten für Gelassenheit angesichts der Verlockungen der Nahrungsmittelindustrie und der durch honorige Institutionen von der Weltgesundheitsorganisation abwärts lancierten Empfehlungen und Warnungen. Ganz nach dem Motto "Die gesicherten Erkenntnisse von heute sind die großen Irrtümer von morgen" war ein Tipp von ihnen zu haben: beim Essen darauf zu achten, was einem bekommt und guttut. Genau das ist auch der Tenor von Spectors Buch, und genau darauf hebt, anders als der marktschreierische Titel der deutschen Ausgabe, der Titel des englischsprachigen Originals ab: "Spoon-Fed. Why Almost Everything We've Been Told About Food Is Wrong". "To spoon-feed somebody" heißt in der übertragenen Bedeutung so viel wie: jemandem etwas vorkauen, jemandem etwas eintrichtern, jemanden bevormunden. Spector warnt vor Ernährungsdogmen ebenso wie vor Panikmache und rät vor allem dazu, "herauszufinden, was Ihnen ganz persönlich guttut".
Führt all das in die kulinarische Unbehaustheit? Keine Bange, anders als Pollmer und Warmuth plaudert Spector im Kapitel "Fazit", Untertitel "So ernähren Sie sich richtig", aus dem Nähkästchen, und er steht auch nicht an, eine bewusst vage gehaltene, "einfache, klare Botschaft, die vermutlich niemals veralten wird", zu verkünden: "Ernähren Sie sich abwechslungsreich, hauptsächlich vegetarisch und möglichst ohne Zusatzstoffe." Diese Botschaft wird hier selbstverständlich ganz ohne Gewähr nur wiedergegeben. WALTER SCHÜBLER
Tim Spector: "Die Wahrheit über unser Essen". Warum fast alles, was man uns über Ernährung erzählt, falsch ist.
Aus dem Englischen von Petra Huber und Sara Riffel. Dumont Verlag, Köln 2022. 350 S., geb., 25,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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