Der deutsche Widerstand gegen Hitlers Diktatur hatte viele Gesichter. Eines der markantesten ist die Gruppe "Weiße Rose"? unter ihnen die Studenten Hans und Sophie Scholl, die nach 1945 zu Helden der frühen Bundesrepublik wurden. Ihr Mut, den sie mit dem Leben bezahlten, machte sie zu Vorbildern einer ganzen Generation. Wie lassen sich die verschiedenen Persönlichkeiten der Gruppe charakterisieren? Was waren ihre zentralen Motive? Und wie sah die politische und militärische Situation 1942/43 aus, auf die sie reagierten? Der Historiker und NS-Forscher Wolfgang Benz gibt einen kompakten Überblick über das Geschehen, frei von Glorifizierung und Heroisierung.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.11.2017NEUE TASCHENBÜCHER
Konzentrat auf hundert Seiten -
Wolfgang Benz über die Weiße Rose
Schlager, die Peanuts, die Royals und die Weiße Rose haben gemeinsam, dass man beim Reclam-Verlag meint, sie auf 100 Seiten umfassend erklären zu können. Seit vergangenem Jahr erscheinen in einer eigenen Reihe zu allen möglichen Themen kleine bunte Taschenbücher, deren einzige Gemeinsamkeit die immer gleiche Länge ist. Stutzig macht an dieser Reihe die Starrheit und die profillose Themenauswahl von Asterix bis Zen. Auch für Homöopathie wirbt ein Band völlig unverdünnt. Warum die Reihe trotzdem in vielen Fällen funktioniert, zeigen Büchlein wie das von Wolfgang Benz über die Weiße Rose.
Die Geschichte der bekanntesten deutschen Widerstandsgruppe im Dritten Reich in einem solchen engen Format darzustellen, wirkt auf den ersten Blick vermessen und fast bestätigt das Kapitel, in dem auf sieben Seiten das Jahrzehnt von der Machtergreifung bis zur Verhaftung der Mitglieder der Weißen Rose in München abgehandelt wird, diese Befürchtung. Es zeigt aber auch, dass dieses kleine Format die Autoren ungemein fordert, wenn es sie zu oft stark komprimierter Argumentation und klaren Einschränkungen zwingt. Benz geht mit diesen Limitierungen fast virtuos um, ordnet die Kapitel nicht chronologisch sondern pragmatisch nach Themen wie den Flugblättern, den Nachwirkungen und dem Freundeskreis der Weißen Rose. Nach dem groben Überblick der ersten Seiten geht er an den richtigen Stellen in die Tiefe, wie bei den Scheinprozessen gegen die Geschwister Scholl und ihre Mitstreiter. Details wie der Freispruch des Chemikers Falk Harnack, der wahrscheinlich nur erteilt wurde, um den Eindruck eines weit verbreiteten Widerstandsnetzes zu zerstreuen, verraten nebenbei viel über die NS-Justiz. Ein ganzes Kapitel ist der schwierigen Frage nach dem selten behandelten Verhältnis der Gruppe zu den Juden gewidmet, denen wohl besonders Alexander Schmorell und Hans Scholl eher indifferent gegenüberstanden. Benz analysiert, wie und wieso der Mythos um die Gruppe entstand, ohne ihren Einsatz und ihr Opfer zu schmälern. NICOLAS FREUND
Wolfgang Benz: Die Weiße Rose.
Reclam Verlag, Ditzingen 2017.
100 Seiten, 10 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Konzentrat auf hundert Seiten -
Wolfgang Benz über die Weiße Rose
Schlager, die Peanuts, die Royals und die Weiße Rose haben gemeinsam, dass man beim Reclam-Verlag meint, sie auf 100 Seiten umfassend erklären zu können. Seit vergangenem Jahr erscheinen in einer eigenen Reihe zu allen möglichen Themen kleine bunte Taschenbücher, deren einzige Gemeinsamkeit die immer gleiche Länge ist. Stutzig macht an dieser Reihe die Starrheit und die profillose Themenauswahl von Asterix bis Zen. Auch für Homöopathie wirbt ein Band völlig unverdünnt. Warum die Reihe trotzdem in vielen Fällen funktioniert, zeigen Büchlein wie das von Wolfgang Benz über die Weiße Rose.
Die Geschichte der bekanntesten deutschen Widerstandsgruppe im Dritten Reich in einem solchen engen Format darzustellen, wirkt auf den ersten Blick vermessen und fast bestätigt das Kapitel, in dem auf sieben Seiten das Jahrzehnt von der Machtergreifung bis zur Verhaftung der Mitglieder der Weißen Rose in München abgehandelt wird, diese Befürchtung. Es zeigt aber auch, dass dieses kleine Format die Autoren ungemein fordert, wenn es sie zu oft stark komprimierter Argumentation und klaren Einschränkungen zwingt. Benz geht mit diesen Limitierungen fast virtuos um, ordnet die Kapitel nicht chronologisch sondern pragmatisch nach Themen wie den Flugblättern, den Nachwirkungen und dem Freundeskreis der Weißen Rose. Nach dem groben Überblick der ersten Seiten geht er an den richtigen Stellen in die Tiefe, wie bei den Scheinprozessen gegen die Geschwister Scholl und ihre Mitstreiter. Details wie der Freispruch des Chemikers Falk Harnack, der wahrscheinlich nur erteilt wurde, um den Eindruck eines weit verbreiteten Widerstandsnetzes zu zerstreuen, verraten nebenbei viel über die NS-Justiz. Ein ganzes Kapitel ist der schwierigen Frage nach dem selten behandelten Verhältnis der Gruppe zu den Juden gewidmet, denen wohl besonders Alexander Schmorell und Hans Scholl eher indifferent gegenüberstanden. Benz analysiert, wie und wieso der Mythos um die Gruppe entstand, ohne ihren Einsatz und ihr Opfer zu schmälern. NICOLAS FREUND
Wolfgang Benz: Die Weiße Rose.
Reclam Verlag, Ditzingen 2017.
100 Seiten, 10 Euro.
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