Xi Jinping - der mächtigste Mann in China seit Mao - höchste Zeit zu wissen, was er denkt! Er ist der mächtigste Mann der Welt: Chinas Staatschef hat eine Machtfülle erreicht wie vor ihm nur Mao Zedong, er ist Staatschef auf Lebenszeit. Sein »Gedankengut für das neue Zeitalter des Sozialismus chinesischer Prägung« ist die neue Leitlinie, Kritik an Xi gilt als verfassungswidrig. Sicher ist: Xi Jinping wird nicht nur China in den nächsten Dekaden lenken und leiten, er wird unser aller Zukunft bestimmen. Höchste Zeit also, uns mit seiner Sicht auf die Welt vertraut zu machen! Der langjährige China-Experte Kerry Brown erklärt kompakt auf 160 Seiten, was und wie Xi Jinping denkt: wie er die Armut bekämpfen, den Klimawandel abwenden, mittels Big Data, die Überwachung vervollständigen will, und was er von China erwartet - und wie weit er gehen würde, um dieses zu verteidigen. Kurz: alles, was wir über das neue China und seinen Herrscher Xi Jinping wissen müssen.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.08.2018Chinas Herrscher und sein Deuter
Kerry Brown porträtiert den Staatspräsidenten Xi Jinping – und lässt dabei die nötige Distanz vermissen. Zudem hat die Aktualität das Buch längst überholt
Im Jahr 2016 hat Kerry Brown, „einer unserer scharfsinnigsten und genauesten ausländischen Beobachter in China“, wie ein Reporter der BBC meinte, ein wichtiges Buch geschrieben. In „CEO, China: The Rise of Xi Jinping“ erfuhr man erstmals Substanzielles zum Werdegang des neuen chinesischen Staatspräsidenten: Seine Kindheit als Sohn von Xi Zhongxun, einer der sogenannten acht Unsterblichen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh). Seine Verschickung aufs Land, wo er – wie viele andere seiner Zeitgenossen – als Jugendlicher damit konfrontiert werden sollte, wie Chinas Bauern leben. Seine Rückkehr nach Peking sechs Jahre später. Sein Studium als Chemieingenieur. Seine wundersame Wandlung zum Politiker. Seine Freunde, seine Feinde und sein offenbar unaufhaltsamer Aufstieg.
Beim Lesen des Buches, das auf Deutsch nie erschienen ist, wurde jedem kritischen Chinabeobachter klar, dass Brown, Professor für Chinastudien am King’s College in London, sehr nah dran ist; er hat Xi sogar schon einmal getroffen, 2007 war das, in Shanghai. Wer könnte so etwas von sich schon behaupten? Ein Kritiker der South China Morning Post nannte es zwar zu liebedienerisch und ehrfürchtig gegenüber seinem Sujet. Doch immerhin half das Buch, den plötzlich als Chinas Führer aufgetauchten großen Unbekannten Xi Jinping einzuordnen.
Zwei Jahre später – die Position Xis in der Kommunistischen Partei ist mittlerweile so gefestigt, dass er zum Parteiführer auf Lebenszeit ernannt wurde und damit eine Machtfülle besitzt wie weiland Mao Zedong – erscheint nun ein anderes Buch auf Deutsch, Kerry Browns „Die Welt des Xi Jinping“, eine Übersetzung des im Frühjahr herausgekommenen „The World of Xi Jinping“. Und man ist enttäuscht. Brown sieht sich in diesem Buch in erster Linie als Chinaerklärer und damit als KPCh-Erklärer. Das ist ja bestimmt nichts Ehrenrühriges. Nur man kann es auch zu weit treiben, indem man sich die Sicht der KPCh zu eigen macht. Der Autor geht der Propaganda immer wieder auf den Leim, und man fragt sich, ob das System hat oder eher Nachlässigkeit ist. Oder ob unter Chinakennern diese – vorsichtig ausgedrückt – realpolitische Weltsicht mittlerweile vorherrscht.
Natürlich ist es in der heutigen Zeit wichtig zu wissen, wie die Partei denkt, die über 1,3 Milliarden Chinesen herrscht. Und Brown gibt auch viele interessante Einsichten, vor allem, was die Strategie und Taktik hinter Xi Jinping sein könnte. 2017 beispielsweise hat Xi in einem Buch beschrieben, wie er in einer Höhle im abgelegenen Gebiet von Yan’an in der Provinz Sha’anxi lebte – just dort, wohin es Mao Zedong auf dem legendären „Langen Marsch“ verschlagen hatte. Das solle in Chinesen die Vorstellung erwecken, „dass er irgendwie das Recht erworben hat, das hohe Amt einzunehmen“. Die Hagiografie sei: Er war erfolgreich und hat sich den Respekt und die Bewunderung der Bauern verdient.
Doch muss sich der Leser leider immer wieder selbst daran erinnern: Die KPCh ist nicht China, und sie spricht nicht für „die Chinesen“. Brown gelingt eine solche Distanzierung nicht. Zwar weist er am Ende darauf hin, „seit Xi an der Macht ist, gibt es ein Verschwinden en gros jeder echten Reformneigung“ sowie ein „nahezu vollständiges Fehlen jeder echten Debatte“. Und in dieser „Atmosphäre des weitgehenden Schweigens sind Zivilgesellschaftsaktivisten, Menschenrechtsanwälte und andere brutaler Behandlung ausgesetzt“.
Doch er findet viel zu selten diesen Mut. Xi-Jinping- oder KPCh-Sprech durchziehen das ganze Buch. So heißen die Studentenunruhen von 1989 in Deutschland – und nicht nur in Deutschland – Tian’anmen-Massaker und verweisen damit auf die Täter als Täter und nicht auf die Opfer als Täter, so wie es die chinesische Propaganda macht. Tibet, Taiwan, Xinjiang, Überwachungsstaat, all das kommt nicht oder nur am Rande oder, wie Xinjiang oder gar Tibet, nur unter dem Stichwort „Terrorismus“ vor. Und: Den 2017 verstorbenen Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo nur einmal zu erwähnen und zwar in einem Satz, der ihn als Kronzeugen für Xis Politik dastehen lässt, ist geradezu perfide.
Ganz besonders ärgerlich aber ist, dass die Leser nicht ernst genommen werden. Da erscheint im August 2018 ein Buch über Xi Jinping, in dem immer wieder behauptet wird, Xi wolle sich nicht die ganze Macht nehmen, der Vergleich mit Mao sei in etwa so „sinnvoll, wie Donald Trump als George Washington der heutigen USA zu bezeichnen“. Dabei hat er sich die Macht längst genommen. Und zwar nicht im Juli, sondern im März. Diese Entwicklung in ein verschämtes „Nachwort für die deutsche Ausgabe“ zu packen, mit dem Hinweis darauf, in China gehe eben alles so schnell, ist – man verzeihe den Ausdruck – unredlich. Der Wissensdurst über Xi Jinping wird so tatsächlich in „CEO, China“ besser gestillt.
EDELTRAUD RATTENHUBER
Kerry Brown:
Die Welt des Xi Jinping.
Alles, was man über das neue China wissen muss. Aus dem Englischen von Brigitte Höhenrieder.
S. Fischer Verlage Frankfurt 2018. 160 Seiten, 16 Euro.
E-Book: 14,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Kerry Brown porträtiert den Staatspräsidenten Xi Jinping – und lässt dabei die nötige Distanz vermissen. Zudem hat die Aktualität das Buch längst überholt
Im Jahr 2016 hat Kerry Brown, „einer unserer scharfsinnigsten und genauesten ausländischen Beobachter in China“, wie ein Reporter der BBC meinte, ein wichtiges Buch geschrieben. In „CEO, China: The Rise of Xi Jinping“ erfuhr man erstmals Substanzielles zum Werdegang des neuen chinesischen Staatspräsidenten: Seine Kindheit als Sohn von Xi Zhongxun, einer der sogenannten acht Unsterblichen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh). Seine Verschickung aufs Land, wo er – wie viele andere seiner Zeitgenossen – als Jugendlicher damit konfrontiert werden sollte, wie Chinas Bauern leben. Seine Rückkehr nach Peking sechs Jahre später. Sein Studium als Chemieingenieur. Seine wundersame Wandlung zum Politiker. Seine Freunde, seine Feinde und sein offenbar unaufhaltsamer Aufstieg.
Beim Lesen des Buches, das auf Deutsch nie erschienen ist, wurde jedem kritischen Chinabeobachter klar, dass Brown, Professor für Chinastudien am King’s College in London, sehr nah dran ist; er hat Xi sogar schon einmal getroffen, 2007 war das, in Shanghai. Wer könnte so etwas von sich schon behaupten? Ein Kritiker der South China Morning Post nannte es zwar zu liebedienerisch und ehrfürchtig gegenüber seinem Sujet. Doch immerhin half das Buch, den plötzlich als Chinas Führer aufgetauchten großen Unbekannten Xi Jinping einzuordnen.
Zwei Jahre später – die Position Xis in der Kommunistischen Partei ist mittlerweile so gefestigt, dass er zum Parteiführer auf Lebenszeit ernannt wurde und damit eine Machtfülle besitzt wie weiland Mao Zedong – erscheint nun ein anderes Buch auf Deutsch, Kerry Browns „Die Welt des Xi Jinping“, eine Übersetzung des im Frühjahr herausgekommenen „The World of Xi Jinping“. Und man ist enttäuscht. Brown sieht sich in diesem Buch in erster Linie als Chinaerklärer und damit als KPCh-Erklärer. Das ist ja bestimmt nichts Ehrenrühriges. Nur man kann es auch zu weit treiben, indem man sich die Sicht der KPCh zu eigen macht. Der Autor geht der Propaganda immer wieder auf den Leim, und man fragt sich, ob das System hat oder eher Nachlässigkeit ist. Oder ob unter Chinakennern diese – vorsichtig ausgedrückt – realpolitische Weltsicht mittlerweile vorherrscht.
Natürlich ist es in der heutigen Zeit wichtig zu wissen, wie die Partei denkt, die über 1,3 Milliarden Chinesen herrscht. Und Brown gibt auch viele interessante Einsichten, vor allem, was die Strategie und Taktik hinter Xi Jinping sein könnte. 2017 beispielsweise hat Xi in einem Buch beschrieben, wie er in einer Höhle im abgelegenen Gebiet von Yan’an in der Provinz Sha’anxi lebte – just dort, wohin es Mao Zedong auf dem legendären „Langen Marsch“ verschlagen hatte. Das solle in Chinesen die Vorstellung erwecken, „dass er irgendwie das Recht erworben hat, das hohe Amt einzunehmen“. Die Hagiografie sei: Er war erfolgreich und hat sich den Respekt und die Bewunderung der Bauern verdient.
Doch muss sich der Leser leider immer wieder selbst daran erinnern: Die KPCh ist nicht China, und sie spricht nicht für „die Chinesen“. Brown gelingt eine solche Distanzierung nicht. Zwar weist er am Ende darauf hin, „seit Xi an der Macht ist, gibt es ein Verschwinden en gros jeder echten Reformneigung“ sowie ein „nahezu vollständiges Fehlen jeder echten Debatte“. Und in dieser „Atmosphäre des weitgehenden Schweigens sind Zivilgesellschaftsaktivisten, Menschenrechtsanwälte und andere brutaler Behandlung ausgesetzt“.
Doch er findet viel zu selten diesen Mut. Xi-Jinping- oder KPCh-Sprech durchziehen das ganze Buch. So heißen die Studentenunruhen von 1989 in Deutschland – und nicht nur in Deutschland – Tian’anmen-Massaker und verweisen damit auf die Täter als Täter und nicht auf die Opfer als Täter, so wie es die chinesische Propaganda macht. Tibet, Taiwan, Xinjiang, Überwachungsstaat, all das kommt nicht oder nur am Rande oder, wie Xinjiang oder gar Tibet, nur unter dem Stichwort „Terrorismus“ vor. Und: Den 2017 verstorbenen Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo nur einmal zu erwähnen und zwar in einem Satz, der ihn als Kronzeugen für Xis Politik dastehen lässt, ist geradezu perfide.
Ganz besonders ärgerlich aber ist, dass die Leser nicht ernst genommen werden. Da erscheint im August 2018 ein Buch über Xi Jinping, in dem immer wieder behauptet wird, Xi wolle sich nicht die ganze Macht nehmen, der Vergleich mit Mao sei in etwa so „sinnvoll, wie Donald Trump als George Washington der heutigen USA zu bezeichnen“. Dabei hat er sich die Macht längst genommen. Und zwar nicht im Juli, sondern im März. Diese Entwicklung in ein verschämtes „Nachwort für die deutsche Ausgabe“ zu packen, mit dem Hinweis darauf, in China gehe eben alles so schnell, ist – man verzeihe den Ausdruck – unredlich. Der Wissensdurst über Xi Jinping wird so tatsächlich in „CEO, China“ besser gestillt.
EDELTRAUD RATTENHUBER
Kerry Brown:
Die Welt des Xi Jinping.
Alles, was man über das neue China wissen muss. Aus dem Englischen von Brigitte Höhenrieder.
S. Fischer Verlage Frankfurt 2018. 160 Seiten, 16 Euro.
E-Book: 14,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.01.2019Andocken möglichst ohne Anpassen
Europa und China waren einander nie so nah - und doch so fern
Der Anstieg multidimensionaler und globaler Verbindungen ist ein ebenso bekanntes wie zentrales Merkmal der gegenwärtigen Weltpolitik. Niemals zuvor in der Geschichte der internationalen Beziehungen ist Europa China und China Europa so nah gewesen wie heute. Diese Verbundenheit wird sichtbar im Warenhandel, dem Ausbau der eurasischen Transportwege oder dem Tourismus. Die Schwierigkeiten dieser Beziehungen zeigen sich dagegen in der Kritik an den schnell wachsenden chinesischen Investitionen in europäische Unternehmen oder an dem selbstbewussten Auftreten und den Ideen chinesischer Regierungsvertreter im Ausland, allen voran des Staatspräsidenten und Parteichefs Xi Jinping.
Mit Xis Amtsantritt hat sich die Politik Chinas deutlich verändert. Der Unterschied zu seinem Vorgänger Hu Jintao liegt darin, dass die Diskussion über das Für und Wider von Chinas "Teilnahme" an der liberalen internationalen Ordnung in den Hintergrund tritt. Unter Xi Jinping wird der eigene Aufstieg längst im Zusammenhang mit einer tiefgreifenden Veränderung des globalen Systems oder sogar einer Umgestaltung globaler Werte gesehen. Im Zentrum steht dabei nicht die Schaffung einer Parallelordnung. Das Ziel ist vielmehr, den chinesischen Einfluss in möglichst vielen Dimensionen und neuen wie alten politischen Arenen zum Tragen zu bringen. Unter Xis Führung verfolgt China seine eigene Politik globaler Verbindungen. Ein wichtiger Bestandteil dieser Politik ist das "Andocken" Chinas an bestehende Elemente des internationalen Systems, ohne freilich das eigene politische System und besonders die Kommunistische Partei zu stark anpassen zu müssen. Gleichzeitig versucht die chinesische Regierung über Kanäle wie die "Belt and Road"-Initiative (BRI) oder das Forum für China-Afrika-Kooperation (FOCAC) andere Akteure an China anzudocken.
Die Strategie des Andockens wird ergänzt durch das zunehmend aktive, erfolgreiche und lautstarke Auftreten Chinas in den zentralen globalen Organisationen wie den Vereinten Nationen, der Internationalen Organisation für erneuerbare Energie (IRENA) oder der ICANN, die für die globale Koordination aller Namen im Internet zuständig ist. Dies ist auf das chinesische Konzept der "internationalen Diskursmacht" zurückzuführen, die sich von einer politischen Machtausübung auf Basis kultureller Attraktivität ("soft power") deutlich distanziert. "Diskursmacht" zielt darauf ab, die Fähigkeit der chinesischen Regierung zu stärken, eigene politische Narrative international salonfähig zu machen. So soll durch die Etablierung eines eigenen "internationalen Diskurssystems", also einer eigenen "Sprache", die Welt in einem chinesischen Sinne strukturiert werden.
Diese veränderte Logik der chinesischen Politik unterstreicht, wie wichtig es ist, die Debatten innerhalb Chinas sowie die handelnden Personen und ihr spezifisches Vokabular offenzulegen. Um also verstehen zu können, wie sich das "neue"China an die Welt andocken will, müssen wir unseren Blick zunächst auf die Sprache Xi Jinpings richten. Der renommierte China-Kenner und Politikwissenschaftler Kerry Brown trifft mit seinem kleinen Buch also den Nerv der Zeit. Brown liefert einen kurzen Abriss über Xis Persönlichkeit, seine Herkunft, seinen Werdegang innerhalb der Kommunistischen Partei und ordnet dann hauptsächlich die Inhalte von Xi Jinpings Reden in den größeren Kontext der gegenwärtigen chinesischen Politik ein.
Dies mag selbst geübten Lesern und Leserinnen an manchen Stellen zu kurz gegriffen erscheinen; aber dieses Buch hat nicht den Anspruch, ein Lehrbuch über die Kommunistische Partei oder das politische System Chinas zu sein, es ist vielmehr eine knapp formulierte Entstehungsgeschichte von Xis Gedankengut, die Lust auf mehr macht.
Dabei sind gerade zwei Erkenntnisse auch im Hinblick auf Chinas globale Politik besonders interessant. So betont Kerry Brown, dass Xi vor allem deshalb mächtig ist, weil "die Partei mächtig ist, die er anführt, und er hat keine persönliche Macht außerhalb dieser Strukturen und dieses Kontextes". Um die nationale Stärke Chinas gewährleisten zu können, ist für Xi also zentral, die politische Macht der Kommunistischen Partei zu konsolidieren. Dies ist auch relevant für die Beziehungen zwischen Europa und China. Denn die Regeln und Normen der KP werden im Rahmen des strategischen Andockens zunehmend internationalisiert, so dass sich unter anderem die rechtliche Natur von Verbindungen mit China (z. B. für ausländische Unternehmen) mit der Zeit verändern kann.
Zum anderen betont Brown die Hybridität der Xi-Jinping-Ideen in Bereichen wie den Auslandsbeziehungen, der Wirtschaft und den administrativen und politischen Reformen. Diese Hybridität spiegelt sich auch in der außenpolitischen Sprache Chinas wider. So wird in Peking sorgfältig überlegt, welche Konzepte und Ideen der westlich-liberalen Weltordnung mit Chinas eigenem Diskurssystem in Verbindung gesetzt werden können. Neutralere Begriffe wie "Offenheit" oder Chinas Bemühungen gegen "Deglobalisierung" fungieren dabei nicht nur als Scharnier zwischen unterschiedlichen politischen Werteordnungen. Anders als bei stärker vordefinierten Termini wie "Demokratie", oder "Menschenrechte" sieht China hier die Möglichkeit, die Verwendung dieser neueren Begriffe auch im Westen zu prägen. Entscheidend ist außerdem, dass Chinas Stärke genutzt wird, um normative Annäherungen (nach Möglichkeit) auf eine Richtung - hin zu Kompatibilität mit China - zu beschränken, während öffentlich möglichst breites Engagement und Offenheit signalisiert wird. Beide Beispiele unterstreichen, dass Kerry Browns Buch ein gelungener Einstieg ist, um die normativen Wirkkräfte chinesischer Politik in Ansätzen nachvollziehen zu können, und dies nicht nur den innenpolitischen Kontext betreffend, sondern auch bezüglich Chinas globaler Verbindungspolitik.
NADINE GODEHARDT/
PAUL J. KOHLENBERG
Kerry Brown: Die Welt des Xi Jinping. Alles, was man über das neue China wissen muss.
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2018. 160 S.,16,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Europa und China waren einander nie so nah - und doch so fern
Der Anstieg multidimensionaler und globaler Verbindungen ist ein ebenso bekanntes wie zentrales Merkmal der gegenwärtigen Weltpolitik. Niemals zuvor in der Geschichte der internationalen Beziehungen ist Europa China und China Europa so nah gewesen wie heute. Diese Verbundenheit wird sichtbar im Warenhandel, dem Ausbau der eurasischen Transportwege oder dem Tourismus. Die Schwierigkeiten dieser Beziehungen zeigen sich dagegen in der Kritik an den schnell wachsenden chinesischen Investitionen in europäische Unternehmen oder an dem selbstbewussten Auftreten und den Ideen chinesischer Regierungsvertreter im Ausland, allen voran des Staatspräsidenten und Parteichefs Xi Jinping.
Mit Xis Amtsantritt hat sich die Politik Chinas deutlich verändert. Der Unterschied zu seinem Vorgänger Hu Jintao liegt darin, dass die Diskussion über das Für und Wider von Chinas "Teilnahme" an der liberalen internationalen Ordnung in den Hintergrund tritt. Unter Xi Jinping wird der eigene Aufstieg längst im Zusammenhang mit einer tiefgreifenden Veränderung des globalen Systems oder sogar einer Umgestaltung globaler Werte gesehen. Im Zentrum steht dabei nicht die Schaffung einer Parallelordnung. Das Ziel ist vielmehr, den chinesischen Einfluss in möglichst vielen Dimensionen und neuen wie alten politischen Arenen zum Tragen zu bringen. Unter Xis Führung verfolgt China seine eigene Politik globaler Verbindungen. Ein wichtiger Bestandteil dieser Politik ist das "Andocken" Chinas an bestehende Elemente des internationalen Systems, ohne freilich das eigene politische System und besonders die Kommunistische Partei zu stark anpassen zu müssen. Gleichzeitig versucht die chinesische Regierung über Kanäle wie die "Belt and Road"-Initiative (BRI) oder das Forum für China-Afrika-Kooperation (FOCAC) andere Akteure an China anzudocken.
Die Strategie des Andockens wird ergänzt durch das zunehmend aktive, erfolgreiche und lautstarke Auftreten Chinas in den zentralen globalen Organisationen wie den Vereinten Nationen, der Internationalen Organisation für erneuerbare Energie (IRENA) oder der ICANN, die für die globale Koordination aller Namen im Internet zuständig ist. Dies ist auf das chinesische Konzept der "internationalen Diskursmacht" zurückzuführen, die sich von einer politischen Machtausübung auf Basis kultureller Attraktivität ("soft power") deutlich distanziert. "Diskursmacht" zielt darauf ab, die Fähigkeit der chinesischen Regierung zu stärken, eigene politische Narrative international salonfähig zu machen. So soll durch die Etablierung eines eigenen "internationalen Diskurssystems", also einer eigenen "Sprache", die Welt in einem chinesischen Sinne strukturiert werden.
Diese veränderte Logik der chinesischen Politik unterstreicht, wie wichtig es ist, die Debatten innerhalb Chinas sowie die handelnden Personen und ihr spezifisches Vokabular offenzulegen. Um also verstehen zu können, wie sich das "neue"China an die Welt andocken will, müssen wir unseren Blick zunächst auf die Sprache Xi Jinpings richten. Der renommierte China-Kenner und Politikwissenschaftler Kerry Brown trifft mit seinem kleinen Buch also den Nerv der Zeit. Brown liefert einen kurzen Abriss über Xis Persönlichkeit, seine Herkunft, seinen Werdegang innerhalb der Kommunistischen Partei und ordnet dann hauptsächlich die Inhalte von Xi Jinpings Reden in den größeren Kontext der gegenwärtigen chinesischen Politik ein.
Dies mag selbst geübten Lesern und Leserinnen an manchen Stellen zu kurz gegriffen erscheinen; aber dieses Buch hat nicht den Anspruch, ein Lehrbuch über die Kommunistische Partei oder das politische System Chinas zu sein, es ist vielmehr eine knapp formulierte Entstehungsgeschichte von Xis Gedankengut, die Lust auf mehr macht.
Dabei sind gerade zwei Erkenntnisse auch im Hinblick auf Chinas globale Politik besonders interessant. So betont Kerry Brown, dass Xi vor allem deshalb mächtig ist, weil "die Partei mächtig ist, die er anführt, und er hat keine persönliche Macht außerhalb dieser Strukturen und dieses Kontextes". Um die nationale Stärke Chinas gewährleisten zu können, ist für Xi also zentral, die politische Macht der Kommunistischen Partei zu konsolidieren. Dies ist auch relevant für die Beziehungen zwischen Europa und China. Denn die Regeln und Normen der KP werden im Rahmen des strategischen Andockens zunehmend internationalisiert, so dass sich unter anderem die rechtliche Natur von Verbindungen mit China (z. B. für ausländische Unternehmen) mit der Zeit verändern kann.
Zum anderen betont Brown die Hybridität der Xi-Jinping-Ideen in Bereichen wie den Auslandsbeziehungen, der Wirtschaft und den administrativen und politischen Reformen. Diese Hybridität spiegelt sich auch in der außenpolitischen Sprache Chinas wider. So wird in Peking sorgfältig überlegt, welche Konzepte und Ideen der westlich-liberalen Weltordnung mit Chinas eigenem Diskurssystem in Verbindung gesetzt werden können. Neutralere Begriffe wie "Offenheit" oder Chinas Bemühungen gegen "Deglobalisierung" fungieren dabei nicht nur als Scharnier zwischen unterschiedlichen politischen Werteordnungen. Anders als bei stärker vordefinierten Termini wie "Demokratie", oder "Menschenrechte" sieht China hier die Möglichkeit, die Verwendung dieser neueren Begriffe auch im Westen zu prägen. Entscheidend ist außerdem, dass Chinas Stärke genutzt wird, um normative Annäherungen (nach Möglichkeit) auf eine Richtung - hin zu Kompatibilität mit China - zu beschränken, während öffentlich möglichst breites Engagement und Offenheit signalisiert wird. Beide Beispiele unterstreichen, dass Kerry Browns Buch ein gelungener Einstieg ist, um die normativen Wirkkräfte chinesischer Politik in Ansätzen nachvollziehen zu können, und dies nicht nur den innenpolitischen Kontext betreffend, sondern auch bezüglich Chinas globaler Verbindungspolitik.
NADINE GODEHARDT/
PAUL J. KOHLENBERG
Kerry Brown: Die Welt des Xi Jinping. Alles, was man über das neue China wissen muss.
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2018. 160 S.,16,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Mit seinem ersten Buch über Xi Jinping hatte sich der britische Sinologe Kerry Brown einen gewissen Ruf unter China-Kennern erworben, weiß Rezensentin Edeltraud Rattenhuber, die jedoch von den vielgelobten scharfsinnigen Beobachtungen im vorliegenden Band wenig entdeckt. Viel zu distanzlos findet sie dieses Buch über den chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping, das sich die Rhetorik der KP sträflich zu eigen mache. Immer wieder gehe Brown der Propoganda auf den Leim, meint die Rezensentin, leider ohne dies an konkreten Beispielen zu zeigen. Schließlich fragt Rattenhuber bestürzt, ob sich die apologetische Sicht unter China-Experten als "realpolitisch" durchgesetzt hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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eine knapp formulierte Entstehungsgeschichte von Xis Gedankengut, die Lust auf mehr macht. Nadine Godehardt / Paul J. Kohlenberg Frankfurter Allgemeine Zeitung 20190129