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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Da werden Zeit und Raum mitunter zu Peanuts: Michael Borgolte legt eine
Gesamtschau des Jahrtausends zwischen 500 und 1500 vor.
Die Weltgeschichte ist als wissenschaftliches Genre in Verruf geraten. Sie sei rassistisch und eurozentristisch geprägt, heißt es oft, sie zwinge den Regionen außerhalb des nordatlantischen Raums ein Epochenmodell auf, das ihnen nicht entspreche, und verkläre brutale Eroberungskriege zu "Entdeckungen". Zugleich hat die Anzahl epochenübergreifender Geschichtsdarstellungen seit dem Ende des Kalten Krieges stark zugenommen. Es gibt geographisch, ökologisch und technologisch zentrierte Globalgeschichten, Buchreihen über Imperien und Handelswege, Religionen und Kulturen. Sie alle entsprechen einem gewachsenen Bedürfnis nach Überblick und Orientierung, das zur gängigen Kritik an historischen Verallgemeinerungen und perspektivischen Verzerrungen in einem unauflöslichen Spannungsverhältnis steht.
Diese Spannung prägt auch Michael Borgoltes Gesamtschau des Jahrtausends zwischen 500 und 1500 nach Christus. Dabei macht sich Borgolte zusätzlich angreifbar, indem er mit dem "Mittelalter" einen Begriff ins Zentrum stellt, der in der Forschung geradezu habituell umstritten ist. Dass es kein islamisches Mittelalter gab, wissen wir spätestens seit Thomas Bauer, und auch für die chinesische oder japanische Historiographie ist die europäische Epocheneinteilung wenig hilfreich. Für Borgolte freilich stellt gerade die inhaltliche Vagheit des Mittelalterbegriffs das beste Argument für dessen Anwendung dar. Eben weil ihn die Wissenschaftsdebatte bis zur Unkenntlichkeit durchlöchert habe, könne man sich seiner bedienen, um in der "konstruktiven Freiheit" globalisierter Geschichtsbilder eigene zeitliche Pflöcke einzuschlagen. Dass der Autor das Mittelalter auf den knapp neunhundert Textseiten seines Buches meistens in Anführungszeichen setzt, zeigt gleichwohl, dass er sich der Gefahren dieses begrifflichen Pragmatismus durchaus bewusst ist.
Als methodischen Leitstern hat Borgolte Johann Gustav Droysens Konzept der "untersuchenden Darstellung" gewählt. Das bedeute, so der Autor, dass die Geschichtserzählung die Geschehnisse, auf denen ihr Urteil fußt, in einer "Mimesis des Suchens und Findens" gleichsam erst unterwegs auflese und einordne. Dieser Verzicht auf vorgefasste Kategorien hat den Vorzug, dass alles, was im Licht des historischen Suchscheinwerfers auftaucht, prinzipiell gleichwertig erscheint. Der Nachteil des Verfahrens besteht allerdings darin, dass es oft gerade jene Zusammenhänge verwischt, auf die es der Globalgeschichte eigentlich ankommt. Das sieht man auch an den "Welten des Mittelalters".
Borgoltes Globus ist sozusagen halbiert. Seine Darstellung folgt dem Weltmodell des "dreigeteilten Erdkreises" aus Asien, Europa und Afrika, das zuerst in hochmittelalterlichen Illustrationen antiker Handschriften erscheint. Was jenseits dieser trikontinentalen Welt liegt - Nord- und Südamerika, Ozeanien und auch das subsaharische Afrika - wird in einem Prolog ziemlich knapp abgefertigt, denn diese "Wirklichkeiten der Fremde", so Borgolte, hatten mit dem Berichtsgebiet "Eufrasien" so gut wie keinen Kontakt. Danach folgen, passend zum dreigeteilten Erdkreis, die drei Hauptkapitel des Buches. Das erste handelt von dem, was man Realgeschichte nennen könnte, also Groß- und Kleinreichen als "Kommunikationsräumen", die beiden anderen widmen sich der Verbreitung der Religionen und dem Fernhandel.
Für diese Gliederung gilt das Gleiche, was man über Droysens heuristisches Darstellungsprinzip sagen kann. Sie ist insofern zeitgemäß, als sie die unterschiedlichen Sphären der Macht, des Glaubens und der Ökonomie in ihrer je eigenen Logik zu Wort kommen lässt. Der Erkenntnisgewinn dieses kaleidoskopischen Verfahrens wird aber durch eine durchgängige Neigung zur Redundanz erkauft, die nicht etwa aus einer Unschärfe des begrifflichen Apparats, sondern aus den Stoffen selber rührt. Reiche, Religionen, Kriege und Handel sind eben nicht säuberlich zu trennen, sondern in ihren historischen Ausprägungen unaufhörlich aufeinander bezogen.
Das gilt für einzelne Ereignisse ebenso wie für geschichtliche Räume. Die Rebellion des An Lushan beispielsweise, mit der im Jahr 755 der Niedergang der chinesischen Tang-Dynastie begann, kommt bei Borgolte in jedem der drei Hauptkapitel vor, zunächst nur als "militärischer Aufstand", dann als "Rebellion eines türkischstämmigen Generals in chinesischen Diensten" und schließlich in ihrer ganzen zerstörerischen Tragweite für das bis dahin religiös tolerante und nach Mittelasien gut vernetzte Tang-China. Dass es sich bei allen drei Erwähnungen um denselben Vorgang handelt, muss der interessierte Leser allerdings selbst herausfinden, und auch Borgoltes Bemerkung, die Dynastie habe sich vom Kampf gegen An Lushan "nicht mehr erholt", wird durch einen Blick in die Chronologie, nach der die Tang anschließend immerhin noch eineinhalb Jahrhunderte in China regierten, nicht gerade verifiziert.
Auch das Reich von Byzanz ist eine wiederkehrende Größe in Borgoltes Erkundungen zur politischen, religiösen und ökonomischen Wirklichkeit des mittelalterlichen Jahrtausends. Aber während seine Realgeschichte von der Völkerwanderung bis zur osmanischen Eroberung Konstantinopels relativ knapp, seine Funktion als Vormacht des orthodoxen Christentums und Drehscheibe des Asienhandels um so ausführlicher ausgebreitet werden, fehlt am Ende der verbindende Gedanke, der aus den drei Aspekten ein historisches Ganzes gemacht hätte. Dabei ist die Trennung von Ost- und Westkirche, die in der Konsequenz zum Vierten Kreuzzug und zur tödlichen Schwächung des byzantinischen Kaisertums führte, ein tiefer Einschnitt in den "Welten des Mittelalters". Nur bekommt man ihre Bedeutung eben nicht zu fassen, wenn man sie ausschließlich im religiösen Kontext abhandelt.
Noch stärker fällt dieser konzeptionelle Mangel bei der Betrachtung jener Regionen auf, die als Begegnungszonen zwischen christlicher und islamischer Ökumene fungierten, sozusagen als Scharniere der trikontinentalen Welt. Zu ihnen gehören das muslimische Spanien, das in einer reduzierten Form immerhin bis 1492 überdauerte, ebenso wie das von Byzanz und Bagdad gemeinsam regierte Zypern oder das zwischen Ostrom, Islam und Abendland umstrittene Sizilien. Aber während Borgolte die nordafrikanischen Lokaldynastien der Salihiden, Idrisiden, Aghlabiden e tutti quanti geduldig durchdekliniert und auch zwischen ibaditischen, qarmatischen und hanafitischen Lesarten des Korans genau zu unterscheiden weiß, teilt er zu Sizilien nur das Nötigste und zur Geschichte von Al-Andalus und Zypern fast gar nichts mit.
Die Beschreibungslust des Autors, scheint es, schreckt vor Gegenständen zurück, bei denen durch Beschreibung allein nichts zu gewinnen wäre. Im Spanien der Reconquista und des Kalifats von Cordoba wie später in den Kreuzfahrerstaaten der Levante bildeten ideologische, kulturelle und politische Rivalitäten ein verwirrendes Geflecht. Um es aufzulösen, bräuchte man jene analytischen Kategorien, von denen Borgolte lieber die Finger gelassen hat. Weil er die geschichtlichen Fakten, die er findet, nicht perspektivisch vorsortiert, bleibt seine Darstellung an entscheidenden Stellen im Wimmelbild des Sammlers gefangen.
Die Stärke des Buches liegt in seiner Akribie. Die Haupt- und Nebenströmungen des Buddhismus in Asien, aber auch die Schicksale scheiternder Weltreligionen wie des Zoroastrismus und Manichäismus werden penibel nachgezeichnet. Doch auch hier verweigert sich der Autor vielfach den Problemen, die sich aus seiner Übersicht wie von selbst ergeben. Die Frage, warum sich die Erben von Dschingis Khans Weltreich bei aller Sympathie für das nestorianische Christentum zuletzt sämtlich für den Islam entschieden, wäre kulturell, soziologisch oder machtstrategisch zu erörtern gewesen; Borgolte blendet sie aus. Ähnlich verfährt er im Fernhandelskapitel, wo er die Thesen Henri Pirennes zum Ende der antiken Welt im siebten Jahrhundert und die ihnen scheinbar widersprechenden Forschungen Michael McCormicks gegeneinander abwägt. Im Ergebnis gibt Borgolte beiden recht, indem er den Zusammenbruch des Mittelmeerhandels zur "kurzfristigen Unterbrechung" kleinredet.
Aber die zweihundert Jahre zwischen Mohammed und Ludwig dem Frommen waren kein Pappenstiel, so wie auch die Katharerkriege im Europa des dreizehnten und die staatliche Verfolgung der Manichäer im China des vierzehnten Jahrhunderts nicht "etwa gleichzeitig" stattfanden. Auch für den Historiker eines ganzen Jahrtausends sollten Zeit und Raum keine Peanuts sein. Am Ende liegen die Grenzen der Erkenntnis, "die wir uns setzen" (Borgolte), in der Sache selbst. ANDREAS KILB
Michael Borgolte: "Die Welten des Mittelalters". Globalgeschichte eines Jahrtausends.
C. H. Beck Verlag, München 2022.
1102 S., Abb., geb., 48,- Euro.
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Die WELT WDR 5 NZZ ORF Bestenliste Mai 2022 (Platz 1)
"Dieser Autor gehört einer neuen Historikergeneration an, die das europäische Mittelalter als Schmelztiegel von Ideen und Methoden ernst nimmt."
Frankfurter Allgemeine Zeitung
"Ein herausragendes Buch"
Damals, Bernd Schneidmüller
"Profunde Kenntnis, Detailtreue, Faktenreichtum und sorgfältige Quellenkritik zeichnet sein Buch von der ersten bis zur letzten Seite aus."
neues deutschland, Harald Loch
"Ein Blick über den europäischen Horizont hinaus"
P.M. History
"Erste Globalgeschichte und damit eine Neubestimmung des Mittelalters."
taz, Micha Bumlik
"Ein Mammutwerk zum Staunen"
Schwäbische Zeitung, Barbara Miller