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Geschichte des größten Bilanzskandals seit Jahren
Aufstieg und Fall des insolventen Zahlungsdienstleisters Wirecard - noch immer sind viele Fragen rund um den größten Bilanzskandal der vergangenen Jahre offen: Wie kann es sein, dass ein Unternehmen mit einem System aus Scheingeschäften und fingierten Umsätzen bis in den Dax gelangt? Wer trägt die Verantwortung für den Schaden, wer hat an den entscheidenden Stellen weggeschaut? An der Aufklärung wird derzeit an vielen Stellen gearbeitet. In Berlin müssen viele der Beteiligten wie der langjährige Vorstandsvorsitzende Markus Braun oder die Wirtschaftsprüfer von EY vor dem Untersuchungsausschuss antreten, sie hüllen sich jedoch vorwiegend in Schweigen. Schließlich kann jede Aussage juristisch auf die Goldwaage gelegt werden, es geht um Ansprüche in Milliardenhöhe und darum, mit der Staatsanwaltschaft am Ende einen guten Deal zu machen.
In solch einer Gemengelage ein Buch über Wirecard zu schreiben ist ein anspruchsvolles Unterfangen. Schließlich könnten jederzeit Neuigkeiten ans Licht kommen, welche die Deutung der Geschehnisse grundlegend verändern. Die beiden Journalisten Melanie Bergermann und Volker ter Haseborg haben es dennoch getan. Herausgekommen ist mit der "Wirecard Story" ein Werk, das einen wichtigen Beitrag zur Einordnung des Falles liefert. Dabei profitieren die Autoren von ihrer Arbeit für die "Wirtschaftswoche", für die sie das Unternehmen schon lange begleiten. Herausgekommen ist eine Chronik über den kometenhaften Aufstieg eines deutschen Fintech-Unternehmens vom kleinen Start-up, das von den Zahlungen für Porno- und Glücksspielseiten lebt, bis hin zum - zumindest auf dem Papier - milliardenschweren Dax-Konzern, dessen Chefs auf dem Höhepunkt des Größenwahns sogar den Plan schmiedeten, die Deutsche Bank zu übernehmen.
Eine große Stärke des Buches ist, dass die Autoren mit Wegbegleitern von Wirecard gesprochen haben. Bergermann und ter Haseborg entlarven damit so manchen Mythos. Sie zeigen, dass es schon in den frühen Tagen des Unternehmens Kritiker gab, die erhebliche Zweifel an der polierten Erfolgsbilanz hegen. Die Recherchen legen zudem offen, wie windig die Konstruktion der Geschäftsbeziehungen vor allem mit drei großen Partnern in Dubai und Asien waren. Jenen dubiosen Drittpartnern, die in guten Zeiten die Gewinnmaschine Wirecard antrieben, letztlich aber vor allem für das Fehlen von fast 2 Milliarden Euro stehen, die das Unternehmen in die Zahlungsunfähigkeit trieben.
Ein besonderes Schmankerl sind die Aussagen des Kommunikationsberaters Osterkamp, den die Wirecard-Führung 2019 engagierte. Osterkamp heißt eigentlich anders, will aber mit Rücksicht auf die Kunden nicht seinen echten Namen lesen. Dafür begeht er einen Tabubruch in der Branche, indem er intime Details über den ehemaligen Kunden verrät. Osterkamp hatte demnach einen besonders engen Draht zum Vorstandsmitglied Jan Marsalek, jenem Phantom, das maßgeblich an den krummen Geschäften beteiligt war, dem Kontakte zum österreichischen Geheimdienst nachgesagt werden und das bis heute untergetaucht ist. Osterkamp nennt Marsalek einen Freund und legt die letzten SMS-Wechsel mit ihm offen, als sich dieser angeblich schon in Richtung Asien abgesetzt hatte. So schrieb Osterkamp am 25. Juni, dass er nicht glaube, dass Marsalek die Gelder abgezweigt habe. Dessen Antwort: "Jetzt bin ich fast enttäuscht, dass Du mir das nicht zutraust." Zwinkersmiley. Vier Tage später fragte Osterkamp, ob Marsalek untergetaucht sei. Antwort: "Noch nicht." Einen Tag später die letzte Nachricht: "Sort of." Seitdem fehlt von Marsalek jede Spur. Ob die Nachrichten echt waren? Wer weiß das schon in diesem Fall.
SVEN ASTHEIMER
Melanie Bergermann; Volker ter Haseborg: Die Wirecard-Story: Die Geschichte einer Milliarden-Lüge. Finanzbuch Verlag, München 2020, 272 Seiten, 20 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
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