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Der Ohnmacht eine Kampfansage
»Politik, Europa, Gegenwart, Alltag, das kann einem ja nun keiner erzählen, dass das keine Auswirkungen hat«, ruft die Erzählerin ihrer Freundin Constanze zu. Zusammen sind sie die proletarischen Prinzessinnen - »Prinzessinnen, wie sie nicht in jedem Buche stehen. Aber wartet nur, wir schreiben uns in die Bücher hinein«. Zusammen wollen sie Widerstand leisten. Eine Revolte anzetteln. Die alten Märchen überschreiben. Denn etwas ist aus den Fugen geraten: Plötzlich drängen sich immer mehr Montage in die Woche. Da sind Riesen, die wie aus dem Schauermärchen in die…mehr

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Produktbeschreibung
Der Ohnmacht eine Kampfansage

»Politik, Europa, Gegenwart, Alltag, das kann einem ja nun keiner erzählen, dass das keine Auswirkungen hat«, ruft die Erzählerin ihrer Freundin Constanze zu. Zusammen sind sie die proletarischen Prinzessinnen - »Prinzessinnen, wie sie nicht in jedem Buche stehen. Aber wartet nur, wir schreiben uns in die Bücher hinein«. Zusammen wollen sie Widerstand leisten. Eine Revolte anzetteln. Die alten Märchen überschreiben. Denn etwas ist aus den Fugen geraten: Plötzlich drängen sich immer mehr Montage in die Woche. Da sind Riesen, die wie aus dem Schauermärchen in die Wirklichkeit schnellen. Da ist der Tod, der, eben noch erschöpft, immer mehr zum Akteur wird. Da ist ein unsichtbares Kind, das dafür plädiert, geboren zu werden. Da ist der schönste Roman der Welt in weißen Jeans. Höchste Zeit also, jedwede Ohnmacht zu überwinden.

Dies ist der Roman einer ungewöhnlichen Woche in Leipzig, in der auf Montag nicht mehr Dienstag folgt, alte Sicherheiten verloren gehen und neue Formen des Sprechens und Handelns erprobt werden - in Übertreibung, Abschweifung, Torheit und Spiel. Es ist ein luzider Kommentar auf unsere Gegenwart, ein Plädoyer für Spaß, klugen Protest und das Ringen um Lebendigkeit.


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Autorenporträt
Heike Geißler, 1977 in Riesa geboren, ist Autorin, Übersetzerin, Mitherausgeberin der Heftreihe Lücken kann man lesen und Mitbegründerin des Interventionsformats Sabotique. Mit der Schauspielerin Charlotte Puder arbeitet sie als Kollektiv George Bele. Heike Geißler wurde mit zahlreichen Stipendien und Preisen ausgezeichnet und lebt heute in Leipzig.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensent Paul Jandl erkennt bei Heike Geissler die Klage in Hochform. Wie Geissler in einer Zeitschleife des ewigen Montags Leipziger Verhältnisse auf experimentelle Weise darstellt, Pegida und Miethaie, Kindheitserinnerungen, Shoppingmalls und Hetze gegen Geflüchtete, findet er anregend. Das so entstehende kaleidoskopische Bild erscheint ihm zwar nicht schön, aber bunt. Zornig und brillant wie Jelinek erinnert ihn die Autorin daran, dass die Klage eine literarische Form sein kann.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2022

Auf der Slackline des Lebens

Wie kann man die Gesellschaft der Singularitäten zusammenhalten? Heike Geißlers Bewusstseinsroman "Die Woche" begegnet einer zerrissenen Welt mit einer in sich zerrissenen Erzählung.

Die Woche" klingt nach einem Talkshowformat. Firmiert unter der altehrwürdigen Bezeichnung "Roman". Liest sich wie ein entfesselter Essay. Ist eigentlich aber ein atemraubend nuancierter, seltsam überdrehter und wunderbar eigensinniger Lagebericht: "Wir liegen in Fitnessstudios und auf Liegewiesen und sind immer ein bisschen betrübt, wenn es heißt, es sei Zeit aufzustehen." So also die Lage: Training, institutionalisierte Erholung, außengesteuertes Hochrappeln, umweht von einem Wölkchen Tristesse. Das Grundgefühl dabei: "Alles für die Katz." Woraus sich doch gleich wieder ein Projekt machen ließe. Wie wäre es mit dem Seminar: "Für die Katz. Status quo und Zukunft einer Handlungsweise." So geht's in Geißlers Turbo der Selbstoptimierung, der zugleich das Gefühl der Vergeblichkeit und gepflegten Leere erzeugt. Logische Folge: "Wir gähnen." Oder: "Ach ja, wir gähnen. Wir gähnen meinungsstark." Und Gähnen steckt an.

Ein Scheibchen dieses Lageberichts wird sich jeder für die eigene Realität abschneiden können. Doch im Fokus hat "Die Woche" jene Frauen, die vor vierzig Jahren in der DDR geboren wurden. Den aus proletarischen Wurzeln entwachsen, wurden sie in der zweiten Hälfte ihrer Kindheit vom vereinten Deutschland beglückt. Die Wende, so Geißlers gnadenloser Blick, wurde ihnen als eine Märchenhochzeit feilgeboten: eben noch sozialistische Aschenputtel, jetzt schon konsumgeküsste Prinzessinnen. (Und Die Prinzen trällerten: "Das ist alles nur geklaut".) Nahm bei Goethe noch "Der Mann von funfzig Jahren" eine Kardinalfunktion ein, hält bei Geißler die "Frau von vierzig Jahren" die sprichwörtlich gewordene "Gesellschaft der Singularitäten" im Innersten zusammen. Ein Vorzeigeexemplar dieses Typus, der nach einer sozialen Identität sucht, aber Einzelkämpferin bleibt, ist Heike Geißlers Erzählerin: vierzig, verheiratet, Mutter von zwei schulpflichtigen Jungen, in Leipzig lebend, von Beruf Schriftstellerin.

"Die Woche" beschreibt eine totale Verausgabung. Zu Beginn urteilt die Erzählerin: "Meine Akkuladung beträgt noch fünf Prozent. Ich muss abwägen. Eine Frau von vierzig Jahren muss vermutlich alles abwägen." Später rettet sie sich in eine Kur. Ausgerechnet in Buckow, wo Bert Brecht seine Elegien schrieb, beschränkt sich die Beobachtung der Außenwelt bald nur noch auf grobe Konturen, weil der Erzählerin überhaupt keine Kraft dazu bleibt. In ihrem Inneren laufen Phantasie, Reflexion, Selbstgespräch und Kopfkino auf Hochtouren. Geißlers Erzählerin ist keine Flaneurin, die es vor Schaufenstern epiphanisch durchschauert. Sie ist akribische Innenleben- und Diskursbeobachterin, die in nächster Verwandtschaft zu Figuren wie Rainald Goetz' Johan Holtrop oder Marlene Streeruwitz' Helene aus "Verführungen" steht.

Welche Folgen die Verlagerung von der Außen- in die Innenwelt hat, zeigt sich pointiert am Umgang der Erzählerin mit ihrem Ehemann. Nach der schnöden Absage "da ich meinen Mann nicht in den Text lasse" gewährt sie diesem gerade mal zwei Minimalauftritte. Während sie umgekehrt den Tod höchstpersönlich in ihre Lebenswelt einziehen lässt. Zipperleingeplagt erweist dieser sich durchaus als umgänglicher Geselle. Eine härtere Nuss ist da das "unsichtbare Kind". Eindringlich pocht es auf seinen Anspruch, bitte schön von der Erzählerin geboren zu werden. Und während Kasper sich routiniert von Dächern stürzt, bauen schwerstaggressive Riesen vor dem Haus ein gigantisches Karussell auf. Das Fulminante an Heike Geißlers Roman ist also: wie eindringlich er mit diesem (neoromantischen) Figurenarsenal inszeniert, was im Bewusstsein abläuft. Mit welcher Rasanz Diskursfetzen, Informationsschnipsel, Redereste, Märchenmüll, Einbildungsunfälle und Wissensfragmente durch diesen Kopf geistern. Geißler schafft einen atemberaubend aufregenden Bewusstseinsrealismus. Der zugleich ein Nichtwissens-, Unterbewusstseins- und Gefühls-Realismus ist. Ihn treibt um, wie man in diesem Wirbel von Gedanken, Wissen und Gefühlen irgendeine Lücke zur persönlichen Freiheit und zugleich zu einer Form von Zugehörigkeit finden könnte.

Dabei überformt das Eingebildete die Realität so stark, dass sogar offen bleibt, ob auch nur die zweite Hauptfigur des Romans, Constanze, etwas anderes als ein Hirngespinst der Erzählerin ist. Weist ihr Name gemeinsam mit ihrer Arbeit als Produktionsassistentin nicht darauf hin, dass ihre einzige Aufgabe ist, die literarische Produktion mit vorantreiben? Es ist also nur folgerichtig, wenn Geißlers Bewusstseinsdarstellung schnell auch dazu führt, dass jede "Chrono-Konvention" entgleist: Die titelgebende Woche bietet neben dem üblichen Tageslauf acht zusätzliche Montage, deren Anbrechen sich einfach nicht verhindern lässt. Auch hier beobachtet Geißler scharf. Denn im Zuge der verzweifelten Suche nach kollektiven Identifikationsmomenten wachsen sich für die Erzählerin die montäglichen Legida-Demonstrationen zur toxischen Dauerbedrohung aus. In ihrem aufopferungsvollen Kampf gegen diese Bewegung kommt diese ihr irgendwann so omnipräsent vor, als wäre immer wieder Montag.

Aufgrund seiner kleinsten Bildfolgen und zahllosen Gesprächssplitter wirkt dieser Roman, als sei ein Quecksilbertropfen beim Auftreffen auf eine Oberfläche in Tausende Kugeln zersprungen, die nun als kleine Gesprächsrunden durch den Roman tanzen. Kurze Sentenzen, Dialoge im Höchsttempo, geprägt von Schlagfertigkeit und ständiger (Selbst-)Reflexion: "dies Slackline-Ding kapierst du nie, ruft Constanze, da sind wir in der Boulderhalle." Die Erzählerin setzt den Zuruf sofort um: "Wir gehen durch dieses gepolsterte Gelände wie Elemente eines anderen Periodensystems, wir greifen nach den Klettergriffen und entwickeln kurz Ehrgeiz." Um das Bild schließlich gegen sich selbst zu wenden: "Wir stehen dann auf der Slackline unseres Lebens, stehen maximal dreißig Zentimeter über dem Erdboden und sagen: Meine Damen und Herren! Sehen Sie jetzt die Überquerung eines Abgrunds zweier waghalsiger Demokratinnen, die es auf eine andere Demokratie anlegen." Zwischen Pose und Posse entpuppt sich der Balanceakt des Lebens als Pseudo-Schauspiel, das nur Applaus heischt.

Oder ist die Lage doch eine ganz andere? Dieser Roman mag einer zerrissenen Welt nur eine in sich zerrissene Erzählung entgegenstellen. Wie klug aber, in einem Montag-Roman ausgerechnet die Montage als literarische Arbeitsweise und als Lebensform in Szene zu setzen. Das ist, was "Die Woche" erzählend verspricht: eine Gemeinschaft, die sich im Modus ständig neuer Setzung, kritischen Infragestellen, in begründeter Rücknahme des Gesagten und erneutem Aufstellen von Hypothesen tastend in die Zukunft ausdehnt: "Wir sind vollkommen derangiert. / Wirklich?, fragt Constanze. / Naja, das ist jetzt die Prognose. / Und das wird der Trugschluss sein." In diesem Roman kommt die Literatur zu sich, weil er auf eine Weise und von Sujets erzählt, wie sie sich nur in diesem Medium entfalten lassen. Ob ein solcher Roman mit den höchsten literarischen Preisen ausgezeichnet wird? In jedem Fall kann man ihn für seinen analytischen Scharfsinn, seine literarische Finesse und Prägnanz und sein erzählerisches Höchstrisiko nur bewundern. CHRISTIAN METZ

Heike Geißler: "Die Woche". Roman.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 316 S., geb., 24,- Euro.

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»Die Woche ist ein brillantes Buch, das die so quälend langsam vergehende deutsche Zeit durch Witz beschleunigt.« Paul Jandl Neue Zürcher Zeitung 20220511