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Fernand Iveton ist dreißig, als er im November 1956 für die algerische Unabhängigkeitsbewegung in einem verlassenen Gebäude eine Bombe legt. Der Algerienfranzose will ein Zeichen setzen, ohne Opfer zu riskieren. Doch Iveton wird verraten und noch vor der Detonation verhaftet. Nach tagelanger Folter verurteilt ein Militärgericht in Algier ihn zum Tode, und unter Mitterrand, dem damaligen Justizminister Frankreichs, wird er am 11. Februar 1957 hingerichtet. Ein Franzose auf Seiten der Algerier ist nicht tragbar. Joseph Andras erzählt diese wahre, ungeheuerliche Geschichte in all ihrer…mehr

Produktbeschreibung
Fernand Iveton ist dreißig, als er im November 1956 für die algerische Unabhängigkeitsbewegung in einem verlassenen Gebäude eine Bombe legt. Der Algerienfranzose will ein Zeichen setzen, ohne Opfer zu riskieren. Doch Iveton wird verraten und noch vor der Detonation verhaftet. Nach tagelanger Folter verurteilt ein Militärgericht in Algier ihn zum Tode, und unter Mitterrand, dem damaligen Justizminister Frankreichs, wird er am 11. Februar 1957 hingerichtet. Ein Franzose auf Seiten der Algerier ist nicht tragbar. Joseph Andras erzählt diese wahre, ungeheuerliche Geschichte in all ihrer Aktualität. Sein gefeiertes Debüt ist ein literarisches Kunststück, „kurz und dicht birgt es eine unerhörte Kraft.“ (Le Monde)

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Autorenporträt
Joseph Andras wurde 1984 geboren und lebt in der Normandie. Die Auszeichnung mit dem Prix Goncourt für das beste Romandebüt 2016 für Die Wunden unserer Brüder (Hanser, 2017) lehnte er aus Kritik am Konkurrenzgedanken ab. Bei Hanser erschien zuletzt Kanaky (Auf den Spuren von Alphonse Dianou, 2021). Joseph Andras schreibt regelmäßig für die Tageszeitung L'Humanité. Die Wunden unserer Brüder wurde von Hélier Cisterne für das Kino verfilmt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.09.2017

Die Staatsräson verätzen
Der Algerienkrieg ist mit Joseph Andras’ Roman über die Verhaftung
und Hinrichtung Fernand Ivetons in der Literatur angekommen
VON JOSEPH HANIMANN
Übergabe einer Bombe irgendwo am Straßenrand, das Ticken im Kofferraum des Autos, das bange Warten. Verhaftung und Verhör, oft unter Folter. Dann Wechselgefühle zwischen Verzweiflung und Hoffnung. Schließlich der Prozess, die Verurteilung und am Ende die Hinrichtung. Man kennt sie auswendig, die Etappen, die die Einzelkämpfer gegen die Gewaltregime des vergangenen Jahrhunderts durchliefen. Und doch liest man es in diesem Buch fasziniert wie beim ersten Mal, als hätte man Arthur Koestlers „Sonnenfinsternis“ oder Lion Feuchtwangers „Simone“ nie in den Händen gehabt.
Es geht um die wahre Geschichte von Fernand Iveton, dem jungen Kommunisten, der 1957 vom französischen Militärgericht in Algier zum Tod verurteilt und hingerichtet wurde. Der Fall war damals ziemlich bekannt, Jean-Paul Sartre und Albert Camus schrieben darüber. Intellektuelle Debatten kommen aber in diesem Roman nicht vor. Die Szenen sind realistisch scharf gezeichnet, die Rückblenden der Erinnerung an die Kindheit und erste Liebe des Helden schroff in die Beschreibung seiner finsteren Gefängniszellenrealität eingefügt. Auch für Emotionswallungen ist kein Platz. Allenfalls blitzen im Text hie und da kurze Stimmungssplitter auf. Die verhängnisvolle Nacht der Bombenübergabe „mischt Ruß, Kohle, ausgeschienene Sonne in die Stadt“. Das Polizeiauto unten vor dem Haus wartet dann mit der „Arroganz glänzenden Metalls“.
In der idyllischen Jugenderinnerung des Verhafteten zeigt „die Marne dem blauen Himmelsfrieden ihre grüne Zunge“. Auf dem Weg zur Guillotine steht für den Häftling zumindest eines fest: „Nicht ein Herz kann der Staat bezwingen, die Träume verätzen seine Räson.“ Alles Übrige in diesem Buch ist trockene Tatsachenbeschreibung. Und wirkt dadurch umso stärker. Der Algerienkrieg ist in der französischen Literatur angekommen.
Für die Bearbeitung dieses Falls erhielt Joseph Andras, der 1984 geboren wurde und in der Normandie lebt, im vergangenen Jahr den Goncourt-Preis fürs beste Romandebüt. Er hat den Preis abgelehnt. Dieser Akt entspricht der Strenge, mit welcher er im Buch die Geschichte erzählt. Nachdem der Fabrikarbeiter Fernand Iveton die Bombe am Straßenrand von einer Kommilitonin in Empfang genommen und in einem abgelegenen Raum der Fabrik deponiert hat, damit kein Mensch zu Schaden komme, wird er noch vor der Explosion verhaftet. Unter der Folter verrät er den Namen eines Kommilitonen, den er später ebenfalls blutüberströmt im Folterraum liegen sieht. „Vergebt mir, Genossen“, bittet er im Stillen, „ich habe dichtgehalten, solange es ging.“
Andras schildert die Situationen mit kurzen Sätzen wie gezielten Faustschlägen. Und auch hinter der Trost spendenden Erinnerung an Hélène, die Frau des verhafteten Helden, nagt die Sorge, wie sie das alles verkraften würde, mag sie auch eine mutige und stolze Frau sein. „Geweint wird erst zu Hause“, ermahnt sie die Angehörigen im Gerichtssaal nach der Urteilsverkündung auf Todesstrafe, die bei den anwesenden Kolonialfranzosen polternde Jubelrufe auslöst. Fernand Iveton sei der einzige Europäer gewesen, der während des Algerienkriegs von den französischen Behörden hingerichtet wurde, erklärt der Autor in einer kurzen Nachbemerkung zum Buch.
Er präsentiert die Figur nicht als Helden, der sich als Franzose mutig auf die Seite der Freiheitskämpfer stellt. Dem jungen Kommunisten kommt einfach der Antikolonialismus der Partei etwas zu zögerlich. Auch die französischen Behörden sind nicht nur ein finsteres Monster. Der selbst einst von den Nazis deportierte und gefolterte Polizeidirektor von Algier, Paul Teitgen, hatte verordnet, dass so etwas im Namen Frankreichs nie passieren sollte. Doch wurde auf ihn nicht gehört, und die Folterknechte verrichten im Roman kaltblütig ihren Dienst.
Auf der anderen Seite beeilen sich weder die algerische Befreiungsorganisation FLN noch die französische KP, Fernands misslungenen Anschlag für sich zu reklamieren. Dargestellt wird der Bombenleger vielmehr als ideologisch wenig sattelfester junger Mann, der auf ein unabhängiges Algerien aus nordafrikanischen und französischstämmigen Bürgern wie ihm setzt und der, nachdem sein Jugendfreund gefallen ist, in seiner Niedergeschlagenheit sich sagt: Jetzt muss man irgendwas tun.
Anwälte und Mithäftlinge machen ihm Mut: Einem Franzosen wie ihm könne nicht das Todesurteil blühen. Nachdem dieses am Ende des Prozesses dennoch fällt, wird ein Begnadigungsgesuch an den Staatspräsidenten René Coty geschickt. Justizminister war damals François Mitterrand, der spätere Staatspräsident. Auf nachträgliche Schuldzuweisung kommt es dem Romanautor jedoch nicht an. Er zielt eher auf dumpfe Betroffenheit und setzt dafür neben der sachlich scharfen Detailschilderung bei den Folterszenen auch das Mittel der suggestiven Unterlassungen ein. „Zum Tode verurteilt am 24.11.56, begnadigt am …“ – zitiert er Ivetons hoffnungsvollen Eintrag ins Tagebuch. „Es ist fünf Uhr zehn, als der Kopf von Fernand Iveton, Häftlingsnummer 6101, dreißig Jahre alt,“ – schließt der Roman.
Es dürfte der einzige Roman sein, der mit einem Komma aufhört. Man kann das so deuten, dass da noch mehr kommen wird, dass das Thema des Algerienkriegs in der Literatur erst am Anfang steht. Andras’ Buch bietet in seiner scharfen Sachlichkeit einen guten Einstieg in dieses in Deutschland immer noch etwas fremde Thema. Der Autor zitiert im Nachtrag auch die Vermutung von Mitterrands engem Vertrauten Roland Dumas, die Abschaffung der Todesstrafe in Frankreich gleich nach Mitterrands Wahl 1981 hätte wohl mit dem Würgen des einstigen Justizministers an seiner Verantwortung zu tun gehabt. Claudia Hamm hat diesen gekonnt aus den Archiven der Zeitgeschichte gebrochenen Roman vorbildlich übersetzt und mit einem nützlichen historischen Glossar versehen.
Den Goncourt-Preis,
mit dem er ausgezeichnet wurde,
lehnte der Autor ab
Wahrscheinlich ist es der
einzige Roman,
der mit einem Komma aufhört
„Fernand Iveton. Hingerichtet am 11. Februar 1957“ steht als Untertitel bei diesem Bild aus Filmaufnahmen, die nach Ivetons Verhaftung von den laufenden Untersuchungen gemacht worden waren.
Screenshot: Youtube
Joseph Andras: Die Wunden unserer Brüder. Roman. Aus dem Französischen von Claudia Hamm. Carl Hanser Verlag, München 2017.
160 Seiten, 18 Euro.
E-Book 13,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Martin Oehlen wird mit Joseph Andras' Erzählung an die Greueltaten der französischen Armee im Algerienkrieg erinnert. Der im Buch verhandelte historisch belegte Fall des kommunistischen Algerienfranzosen Fernand Iveton geht dem Rezensenten unter die Haut. Andras' drastische Schilderungen von Folterung und Prozess, verbunden mit Familienszenen aus dem Leben des Opfers,  zeigt Oehlen die ganze Härte des französischen Staates bei der Algerienfrage. Die historische Einordnung im Anhang bietet dem Leser Orientierung, so Oehlen.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Einprägsam, doch ohne jede Rührseligkeit" Peter Burri, Basler Zeitung, 28.11.17

"Unbedingt lesen!" Anja Weigmann, Nürnberger Nachrichten, 11.10.17

"Ein schmales Buch mit großer Wucht." Matthias Zimmermann, Augsburger Allgemeine, 07.10.17

"Der Algerienkrieg ist mit Joseph Andras´ Roman über die Verhaftung und Hinrichtung Fernand Ivetons in der Literatur angekommen ... Claudia Hamm hat diesen gekonnt übersetzt und mit einem nützlichen historischen Glossar versehen." Joseph Hanimann, Süddeutsche Zeitung, 28.09.17

"Aus dem Nichts tritt ein Debütant mit einem fulminanten Debüt hervor. ... Das Ganze ist so packend und meisterhaft erzählt und komponiert, dass man kaum an einen Erstling glauben mag." Jürgen Ritte, Neue Zürcher Zeitung, 23.09.17

"Ein atemberaubendes Kammerstück" Cornelia Zetzsche, Bayern 2, 17.09.17

"Ein kurzes Kapitel aus der französischen Kolonialherrschaft in Algerien ... das in der Strenge der Erzählung unter die Haut geht." Martin Oehlen, Frankfurter Rundschau, 24.08.17

" 'Die Wunden unserer Brüder" ist nicht nur ein politisch wichtiges Buch, sondern auch sehr feine Literatur ... Ein kleines, wichtiges, starkes Buch." Dina Netz, DLF Kultur, 22.07.17

"Es ist ein Buch, das kann man dem deutschen Leser noch mit auf den Weg geben, über ein hierzulande immer noch wenig bekanntes Kapitel französischer Nachkriegsgeschichte - sehr lesenswert." Jochen Kürten, Deutsche Welle, 24.07.17